Freitag, 19. Februar 2016

Southpaw


Boxen. Der Sport, der wie fürs Kino geschaffen ist. Er ist rau, schnell und brutal, erlaubt aber auch Taktik und somit Köpfchen – und die Sportler sind praktisch ungeschützt, was eine hohe Emotionalität im Schauspiel erlaubt. Zudem spielt sich die dynamische Action in genau dem Bereich ab, der für einen charaktergestützten Film so entscheidend ist: Während etwa im Fußball das Wichtige am Boden geschieht, fern vom Gesicht, kann beim Boxen die Kamera genau dorthin halten. Und dabei sowohl fliegende Fäuste einfangen als auch Bände sprechende Gesichtsausdrücke. Kein Wunder, dass der Boxsport eine Vielzahl an sehenswerten Leinwandgeschichten inspirierte. Von Martin Scorseses losgelöstem Wie ein wilder Stier und dem ikonischen Sozialdrama Rocky (sowie seinen tonal extrem ungleichen Fortsetzungen) bis hin zu Clint Eastwoods Oscar-Abräumer Million Dollar Baby.

Entsprechend schwer fällt es, in diesem von Schwergewichten besetzten Feld  weiterhin Treffer zu landen, die der Zuschauer noch lange spürt. Training Day- und The Equalizer-Regisseur Antoine Fuqua steuert mit Southpaw einen neuen Genrevertreter, der große Ambitionen verfolgt. Allerdings prügelt Fuqua die melodramatischen Bestrebungen seines Films dermaßen penetrant auf sein Publikum ein, dass Southpaw das wirklich Elementare aus den Augen verliert. Somit hat die 25-Millionen-Dollar-Produktion immerhin einiges mit ihrem Protagonisten gemeinsam:

Der vierfache Box-Weltmeister Billy Hope (Jake Gyllenhaal) glaubt sich am Höhepunkt seiner Karriere angelangt: Er hat sich (im wahrsten Sinne des Wortes) aus ärmlichen Verhältnissen in die Ränge der Superreichen gekämpft, und ermöglicht mit seinem schweißtreibenden Schaffen seiner Frau (Rachel McAdams) sowie seiner Tochter (Oona Laurence) ein behütetes Leben in einer riesigen Villa. Als der cholerische Boxer bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung von einem vorlauten Kollegen beschimpft wird, teilt Billy aus – und verursacht so Hals über Kopf eine schreckliche Tragödie, die sein ganzes Leben aus der Bahn wirft. Am Boden zerrüttet, wendet sich der Linkshänder Alkohol und schmerzbetäubenden Medikamenten zu; eine Kombination, die ihn zum reinsten Wrack verkommen lässt und das Jugendamt auf den Plan ruft. Alles, was sich Billy aufgebaut hat, zerrinnt in seinen Händen. Er sieht nur einen Silberstreif am Horizont: Sein Ex-Manager (Curtis '50 Cent' Jackson) bietet ihm die Gelegenheit zu einem Comeback, sobald Billy wieder kämpfen darf. Da sich seine finanziellen Rücklagen wie im Nu verflüchtigen, willigt Billy ein. Um im Ring bestehen zu können, muss er aber dringend einige Trainingsstunden nachholen …

Ganz gleich, wie sehr Southpaw in mancherlei Hinsicht daneben haut: Die Performance von Jake Gyllenhaal ist ein wuchtvoller Uppercut, der sich gewaschen hat. Gyllenhaals Leistung beschränkt sich dabei nicht nur auf die physische Transformation. Der Nightcrawler-Hauptdarsteller verwandelte sich zwar in einen riesigen Muskelberg, entscheidender ist aber die brodelnde Intensität, die er zu Tage legt. In den Boxszenen scheint er kurz davor sein, zu explodieren, und auch in den stillen Momenten trumpft er mit unter der Oberfläche kochenden Emotionen auf. Solch eine Hingabe überrascht bei diesem Mimen zwar eigentlich nicht mehr, da er seit Jahren eine Spitzendarstellung an die nächste reiht. Angesichts des flachbrüstigen Skripts erstaunt es letztlich aber sehr wohl, dass Gyllenhaal es vermag, einen glaubwürdigen Protagonisten mit einem nachvollziehbaren sowie mitreißenden Gefühlsleben zu erschaffen.

Das Drehbuch von Kurt Sutter, der die Geschichte ursprünglich Eminem auf den Leib geschrieben hat, stellt nämlich eine haltlose Klischeeparade ab. Trotz der respektablen 124 Minuten Laufzeit hechelt Southpaw durch eine ebenso unvermeidliche wie vorhersehbare Kombination aus Schicksalsschlägen. Das Unglück prügelt auf den unsubtil benannten Billy Hope ein, und im gleichen Maße wird der Betrachter von Sutter sowie Antoine Fuqua tormentiert: Jeder Wendepunkt wird ausgeschlachtet, Billys Leid in theatralen Bildern eingefangen und von wehmütigen, doch schalen Dialogen begleitet. Für die Momente dazwischen, für bittersüße Klänge und die Story ausarbeitende Passagen, lässt sich Southpaw dagegen keine Zeit. Erschwerend kommt hinzu, dass Fuqua und Kameramann Mauro Fiore außerhalb des Boxrings die immer gleiche, niederschmetternde Bildsprache wählen und ihrer (atmosphärisch grundsoliden) Milieuskizze niemals neue Winkel abringen. Sollte die Fülle an überhöht dargebotenen emotionalen Tiefschlägen der Versuch sein, das Gefühl eines selbst ausgetragenen Boxkampfs auf das Filmerlebnis zu übertragen, so haben die Southpaw-Macher die Lektion ihres eigenen Films ignoriert. Hope muss im Laufe der Handlung lernen, das Boxen mehr ist als so lange Einzustecken, bis man endlich einen mit geballter Kraft ausgeteilten Lucky Punch landet.

Doch während Hope an die technischen Feinheiten erinnert wird, die den Boxsport ausmachen, schlägt Southpaw von Anfang bis Ende nur mit großen Gesten um sich, ohne sie je taktisch klug einzusetzen. Die wunderbare Rachel McAdams ist in ihrer hauchdünn skizzierten Rolle völlig verschenkt, so dass ihr Schicksal keine Blessuren beim Zuschauer hinterlässt. Wenn im Mittelteil weitere Nebenfiguren eingeführt und alsbald wieder aus der Story raus geschrieben werden, wird die Theatralik dieses Boxerfilms zwischenzeitlich sogar unfreiwillig komisch. Dass die von Skyfall-Aktrice Naomie Harris gespielte Sozialarbeiterin ihre Position gegenüber Hope wie ein Fähnchen im Wind ändert, fällt angesichts des laschen Drehbuchs letztlich kaum noch ins Gewicht.

Was Southpaw abseits von Gyllenhaals Leistung davor abhält, in die völlige Belanglosigkeit abzudriften, ist nicht etwa die solide, wenngleich konturarme Darbietung von Forest Whitaker in der obligatorischen Rolle des alten, weisen Trainers. Sondern die Art und Weise, wie Fuqua in der ersten Hälfte die Brutalität und das halsbrecherische Tempo des Boxsports einfängt. Schweiß, Blut und Spucke fliegen gen Kamera – mal in verwackelten, rasant geschnittenen Bildabfolgen. Mal in Ultrazeitlupe, so, als würde das angestaute Adrenalin die Welt anhalten. Das große Finale setzt leider nur noch partiell auf diesen rohen, energiegeladenen Inszenierungsstil, verwässert ihn durch längere Strecken, die auch einer hochwertig produzierten, aber anonymen Fernsehübertragung entliehen sein könnten. So geht Southpaw in den letzten Minuten selbst in seiner kraftvollen Boxkampf-Schilderung die Puste aus, weshalb sich Fuquas keinerlei Subtilität oder Innovation kennende Regiearbeit nur für Gyllenhaal-Fans und Boxfilm-Komplettisten lohnt.

Fazit: Antoine Fuqua sucht mit Southpaw selbstbewusst den Kampf mit den Meisterwerken des Boxfilms. Doch obwohl Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal wieder einmal eine schlagkräftige Darbietung zum Besten gibt, würde dieses einseitige Melodram im Duell mit wahren Genregrößen spätestens in Runde drei k.o. gehen.


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