Hässliches Poster, geiler Film!
Machen wir uns nichts vor: Nazis sind Witzfiguren. Womöglich sogar die größten Witzfiguren der Filmgeschichte. Ob in Charlie Chaplins Meilenstein Der große Diktator, im Oscar-prämierten Donald-Duck-Cartoon Der Fuehrer's Face, in diversen Werken von Mel Brooks oder in der Sci-Fi-Nazi-Exploitation-Groteske Iron Sky – die rechte Brut bietet immer wieder immenses Lachpotential. Und dennoch entbrennt gerade in Deutschland jedes Mal eine ausufernde Debatte, wenn ein fiktionales Werk Nazis, Neonazis oder politisch ähnlich fehlgeleitete Personen durch den Kakao zieht. Weshalb einige Kulturwächter an solchen Verballhornungen Anstoß nehmen, wird von ihnen liebend gern skizziert: Immerhin ist eine ultrarechte Gesinnung nicht nur lächerlich, sondern obendrein auch abscheulich. Und leider zugleich näher an unserem Alltag, als uns lieb ist. Dass Theaterstücke und Filme die Gräueltaten des Dritten Reichs auch als solche schildern, ist aus aufklärerischer Sicht deswegen tatsächlich von einem nicht zu unterschätzenden Wert.
Trotzdem: Die Humorkeule darf nicht nur ausgepackt werden. Sie muss ausgepackt werden! Einen effektiveren Weg, es den Rechten zu erschweren, Zuwachs zu gewinnen, gibt es nicht. Wer will schon blind einer monotone Thesen runter rasselnden Schießbudenfigur folgen? Entscheidend ist aber auch, dass jedermann fähig ist, eben diese Deppen als solche zu erkennen – und sich selber kritisch an die eigene Nase zu packen. Denn ganz astrein verhält sich niemand. Wie kann man selbst politisch desinteressierten Zeitgenossen beiläufig so sperrige Wahrheiten eintrichtern, wenn nicht mit Humor? Von dem lässt man sich schließlich viel lieber niederknüppeln als vom ermahnend-belehrenden Zeigefinger. Und gerade daher braucht es solche Filme wie Heil. Denn Dietrich Brüggemanns fünfte Langfilm-Regiearbeit ist so abstrus-temporeich und komisch, dass sie fähig ist, selbst jene breitzuschlagen, die vor politischen Themen flüchten. Aber sie hat zugleich so viel Witz im ursprünglichen Sinne, dass sie mit ihren beiläufig vermittelten Einsichten auch dem Publikum einen Mehrwert liefert, das mehr will, als nur die thematische Oberfläche anzukratzen.
Wir befinden uns im (fiktiven) Prittwitz, einem ostdeutschen Dorf mit einem gewaltigen Neonazi-Problem. Ausgerechnet in diesem Ort, in dem der eitle Geck Sven (Benno Fürmann) eine rechte Umwälzung Deutschlands beginnen möchte, plant der afrodeutsche Intellektuelle Sebastian (Jerry Hoffmann) eine Lesung. Aber noch bevor er seinen Bestseller über die politischen Probleme der Republik vorstellen kann, gerät der werdende Vater in die Fänge der örtlichen Neonazis. Dorfpolizist Sascha (Oliver Bröcker) ist machtlos, weil der Bürgermeister die Rechtsproblematik nicht zu öffentlich behandeln will, und die Medien sind sowieso nicht zu gebrauchen. Und so muss sich Sebastians hochschwangere Freundin Nina (Liv Lisa Fries) auf eine absurde Verfolgungsjagd quer durchs Land machen, um die Spur ihres entführten Lebensgefährten aufzunehmen.
Im Laufe dieses Trips begegnen Nina (und dem Publikum) unter anderem Saschas heimliche (und rechtsorientierte) Liebe Doreen (gespielt von Anna Brüggemann), irre Künstler, eine lahmarschige Antifa, selbstverliebte Kulturwächter sowie ein Verfassungsschutz, der über seine eigenen Füße stolpert. Man merkt schon: Mit der überwältigenden Summe von über 100 Sprechrollen aus verschiedensten Milieus und mit seinen Dutzenden von Schauplätzen ist Heil keine bloße Neonazi-Satire. Sondern ein verwegener, wüster Generalumschlag, der zwar unmissverständlich den Rechtsextremismus am gezieltesten niedermacht, aber keinen Zweifel daran lässt, dass er nicht isoliert zu betrachten ist. Brüggemann, dessen vorheriger Film Kreuzweg noch überaus gezügelt und künstlerisch daherkam, teilt hier inbrünstig zu allen Seiten aus: Er zieht über den Umgang mit Neonazis, Intoleranz und abgrenzenden Parolen her, zeigt die unproduktive Seite des Journalismus und enttarnt das Bürgertum als zu genügsam. Somit weitet Brüggemann einerseits den Fokus von Heil aus und erlaubt zudem durch die größere Menge an humoristischen Zielen mehr Abwechslung.
Vor allem unterfüttert er seinen Satire-Comedy-Fiebertraum, der nicht vor den guten, alten, unvermeidlichen „Nazis sind doof!“-Pointen zurückschreckt, mit unaufdringlichen, einsichtsreichen Aussagen: Neonazis und als konservative Bürgerversammlungen getarnte Brutherde der Intoleranz sind nicht unser einziges Problem. Sondern auch all jene, die durch Unfähigkeit, Desinteresse oder Unwissen dem Rechtsextremismus freies Geleit geben: Selbsternannte Weltverbesserer, die mehr über eine sanfte Wortwahl als einschneidende Taten nachdenken. Künstler, denen es mehr um die Provokation als die nachhaltige Wirkung ihrer Arbeiten geht. Und all jene, die denken, Neonazis würden in einer abgesonderten Parallelgesellschaft leben, während sich herzensgute Polizisten in rechte Bräute verlieben und der Bahn-Sicherheitsdienst bevorzugt Männer mit dunklem Teint rausfischt.
Dass Heil bei seiner Fülle an Gedankengängen und Zielscheiben des Spotts nicht schwerfällig gerät, ist einem ebenso brillanten wie naheliegenden Kniff zu verdanken. Brüggemanns Skript und seine Inszenierung lassen sich nämlich von dem Wahnsinn anstecken, der dem dargebotenen Sujet innewohnt. Alles beginnt noch wie in Kreuzweg: Starre Kamera, eine sich in aller Ausführlichkeit ausspielende Sequenz im Weitwinkel, nicht ein einziger Schnitt. Mit dem Vorspann wirft Brüggemann diese Besonnenheit und Beharrlichkeit aber über Bord. Die zwischen Archetypen und feisten Karikaturen angelegten Figuren befinden sich in schnell erzählten, aus dem Leben gegriffenen Ausgangssituationen – und steuern diese mit Konsequenz und Eile in immer grellere Szenarien, die Brüggemann entsprechend dynamisch und wild umsetzt.
Das reißt mit und funktioniert beispielsweise dann furios, wenn die eigentliche Story für ein paar Minuten unterbrochen wird, um sketchartig pechschwarze und zynische Beobachtungen zu machen. Wahllos sind diese Momente nie, da der Autorenfilmer sie rückwirkend mit heißer Nadel dem eigentlichen Plot überführt. Wenn Brüggemann seine karikierenden Seitenhiebe und verrückten Einfälle dagegen mit cartoonigem Slapstick paart, ist die Trefferquote einen kleinen Deut geringer. So fesch eine einseitige Prügelei zwischen Neonazis und der Antifa ist, so herrlich beknackt die Polen-Feldzugsstrategien des Lackaffen Sven sein mögen – so langgezogen und schwammig sind dessen Konsequenzen.
Dafür rundet Brüggemann seinen satirischen Kleinkrieg gegen Rechts im wahrsten Sinne des Wortes treffend ab. Der Schlussgag wirkt zunächst wie platter Haudraufhumor, der jedoch dank seines Timings und seiner engagiert-freudigen Schauspieler funktioniert. Mit etwas Abstand wird allerdings klar, wie listig-perfide Brüggemann hier eine Feststellung und Warnung in einen schmissigen Joke verwandelt. Und so lässt sich Heil praktisch durchgehend beschreiben: Eine manische, genussvoll-bescheuerte Ansammlung an amüsierenden, frisch zubereiteten Kalauern, aus durchgeknallten Ideen und aus spritziger Satire. Eben diese weist obendrein deutlich cleverer auf die ineinandergreifenden Mechanismen in unserem Land hin, als man angesichts der fahrig-überwältigenden Attitüde des Films zunächst denken mag.
Aber Achtung: Man darf sich nicht gegen den ständig steigernden Irrwitz von Heil wehren – sonst bleiben einem bestenfalls Bewunderung für die Andersartigkeit des Films und leichtes Kopfweh. Es ist halt nicht jeder für deutsche Produktionen geschaffen, die wirken, als hätte die Monty-Python-Truppe eine Neonazikomödie gedreht. Doch ganz gleich, ob man bei solch unverblümtem Satirespaß nun freudig mithechelt oder sich irgendwann verwundert vor den in hoher Frequenz verfeuerten Lachsalven duckt: So etwas wie Heil bekommt man so rasch nicht wieder zu Gesicht. Und schon allein deswegen lohnt sich die Sichtung dieser depperten, griffigen Komödie!
Fazit: Dietrich Brüggemann im Christoph-Schlingensief-Modus: Heil ist grell, urkomisch, überdreht … einfach geil! Durchgeknallter und spritziger kann eine genau beobachtende, tolldreist übertreibende Neonazisatire kaum sein!
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