Der Titel Mad Max: Fury
Road ist Programm. Nicht bloß, weil es sich hierbei um den
nunmehr vierten Teil der 1979 gestarteten, postapoklyptischen Mad
Max-Actionreihe handelt und sich die Handlung nahezu
ausschließlich auf den verbliebenen Wüstenstraßen abspielt. Der
Titel ist allen Ernstes Wort für Wort Programm: Der 70-jährige
Regisseur George Miller schuf mit dieser 150 Millionen Dollar teuren
Produktion einen regelrechten Wahnsinnstrip. Mad Max: Fury
Road besteht zu gefühlt 90 Prozent aus durchgeknallten,
rasant-heftigen Verfolgungsjagden – und sowohl das gebotene
Spektakel als auch die ausgestrahlte Verrücktheit sind bis zum
Maximum aufgedreht. Subtilität ist für diesen Rausch der Zerstörung
ein Fremdwort. Was für viele Filme ein harscher Kritikpunkt wäre,
ist in diesem Fall ein gewaltiges Kompliment. Denn die Versessenheit,
mit der Miller sein krawalliges Ziel verfolgt, macht diesen Wahnwitz
zu einem einzigartigen Seherlebnis.
Die Geschichte – beziehungsweise der
rudimentäre rote Faden, an dem sich die überwältigenden
Actionszenen entlanghangeln – setzt nicht all zu lange nach Mad
Max - Jenseits der Donnerkuppel an. Kenntnisse der früheren
Mad Max-Filme werden jedoch nicht vorausgesetzt.
Ein polternder Prolog erklärt das Nötigste: Wir befinden uns in
einer fernen Zukunft nach einem nuklearen Desaster. Die Erde liegt
brach und die verbliebenen Menschen wurden an den Rand des Wahnsinns
gedrängt – oder eher darüber hinaus. Exzentrische Warlords
herrschen drakonisch über die Schwächeren, und der verrückteste
sowie mächtigste von ihnen ist Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne), der
über immense Wasserreserven verfügt und sich eine Armee an
durchgeknallten Kämpfern herangezüchtet hat. Diese nehmen den
einsam durchs Land streifenden, unter Halluzinationen leidenden Max
in Gefangenschaft – wie sich zeigt, um ihn als Universalspender zu
nutzen. Selbstredend versucht Max, aus Joes Klauen zu fliehen –
genauso wie die verbissene Furiosa (Charlize Theron), die jahrelang
für den Warlord arbeitete, nun aber eigene Ziel verfolgt …
Daran, wer gut und wer böse ist, lässt George Miller kaum Zweifel aufkommen: Die Motive der kahlgeschorenen, einarmigen Lastwagenfahrerin Furiosa mögen sich erst stückweise offenbaren, wer aber Immortan Joe und seine Heerschar an Freaks austricksen will, kann so übel nicht sein. Und Titelheld Max mag sich zwar zu lange ungeschützt der Sonne ausgesetzt haben, seinen moralischen Kompass macht er hinter seiner verschwitzt-verrückten Mimik trotzdem effektiv deutlich. Der erste Akt von George Millers explosiver Aneinanderreihung an Verfolgungsjagden steht daher unter der alles einenden Frage: „Wie bekommen wir unsere Guten ins selbe Boot, äh, in denselben Lastwagen?“ Denn sobald Immortan Joe erstmal die Jagd auf Furiosa eröffnet, schnappt sich dessen Untertan Nux (wie entfesselt: Nicholas Hoult) den Gefangenen, um ihn als lebenden Blutbeutel zu missbrauchen und an die Front seiner Karre zu binden.
Dadurch verleiht Miller der ersten
großen Actionsequenz von Mad Max: Fury Road
bewusst eine eigentümliche Dynamik – als Zuschauer vergönnt man
Furiosa eine erfolgreiche Flucht, allerdings darf diese bei allen
Karambolagen und Schusswechseln nicht auf Kosten von Max' Sicherheit
erlangt werden. Somit wird jede Attacke, die in der orange-roten
Sandwüste erfolgt, gleichwohl mit Anspannung und Staunen begrüßt.
Angemessen, schließlich verzichtete Miller bei sämtlichen real
umsetzbaren Kampf- und Crash-Sequenzen auf die Hilfe digitaler
Effekte. Hier krachen noch echte, rostige Autos und LKWs ineinander,
während todesmutige Stuntleute von A nach B hüpfen, sich eins auf
die Nase hauen und an dünnen Stäben gebunden durch die Gegend
wippen. Der Computer hilft vornehmlich dabei, die Schauplätze zu
manipulieren und spektakulärer zu gestalten – und dies zu
stylischen Ergebnissen! Die Auswirkungen der realen Stunts auf die
Stimmung des Films werden eingangs dadurch verstärkt, dass auf
beiden Seiten der Konfliktparteien eine mehr oder minder heroische
Figur anzutreffen ist – ja, es soll krachen und knallen, aber bitte
nicht zu sehr!
Es ist nicht zu viel verraten, dass
diese Dynamik irgendwann verloren geht. Es ist aber Millers
Verdienst, dass sie aufgegeben wird, so lange sie noch Wirkung hat –
ein schwächerer Film würde wohl bis zum großen Finale versuchen,
dieses Spannungselement getrennter Helden zu melken. Miller aber ist
sich dessen bewusst, dass mit jeder zusätzlichen Minute die Gefahr
der Abstumpfung droht: „Dann ist Max halt ein Gefangener, wenn er
sich partout nicht befreien kann, soll er halt verrecken.“ Um eben
dieser Publikumsreaktion vorzubeugen, mischt Miller nach angemessener
Laufzeit die Teamzusammenstellung neu. Damit nimmt er zwar der
Spannung ein Stück weit ihre Brennkraft – immerhin gibt es für
den Rest des Films nur noch eine Partei, deren Wohlergehen von
Interesse ist – dafür dreht der Regisseur, der unter anderem auch
die Happy Feet-Filme inszenierte, mehr und mehr
das exzentrische Element auf.
Welche Spinner sich alles unter den
Schurken tummeln, wie sie kämpfen – oder dem Getümmel um sie
herum musikalisch ihren Stempel aufdrücken – und welche
abgefahrenen Strategien sie sich im Duell mit Furiosa einfallen
lassen, ist ein schieres Vergnügen. Die Actionsequenzen explodieren
nahezu vor haarstäubenden Ideen, was sich nicht nur auf das
Figurenpersonal und das unfassbare, verlebte sowie überdrehte
Produktions- respektive Kostümdesign auswirkt, sondern auch auf die
Stunts. Denn die Flucht Furiosas vor Joes Mannen und deren Gefangenen
ist zwar opulent genug, um in jedem anderen Actionfilm das Finale
darzustellen. Aber in Mad Max: Fury Road geht es
daraufhin noch größer, noch schneller, noch wagemutiger weiter.
Dass dieser Angriff auf die Sehnerven
nicht zu viel wird, liegt nicht nur an den kreativen
Stuntchoreografien, sondern auch daran, dass Miller und sein
Autorenteam punktuell Ruhepausen setzen, die vom Timing her nahezu
perfekt sind – nie so lang, dass Mad Max: Fury Road
seinen beispiellosen Schwung verliert, nie so kurz, dass sie
überflüssig erscheinen. Zugegebenermaßen sind die Dialogzeilen
längst nicht so ausgefeilt wie die Actionpassagen, und in der
Originalfassung obendrein ein unangenehm auffälliger,
durcheinandergewirbelter Mix aus Nachvertonung und am Schauplatz
aufgenommenen Takes. Jedoch wissen selbst beim Alibiplot die Ideen zu
überzeugen: Tom Hardy mag hier rein mimisch und gestisch deutlich
stärker sein als jedes Mal, wenn er sich längere Sätze abringt,
dafür ist die non-verbale Interaktion zwischen ihm und der
facettenreichen Charlize Theron denkwürdig – ebenso wie das mit
Gewalt und Nachdruck gezeichnete, aber extrem detailreich
ausgearbeitete Gesellschaftszerrbild des Films.
Nicht falsch verstehen! So nihilistisch
Mad Max: Fury Road zwischenzeitlich auch sein mag,
und so löblich es ist, die in den 80ern noch patriarchale Welt des
postapokalyptischen Actionkinos mit robusten Frauenfiguren neu zu
bevölkern: All dies ist und bleibt der schmückende Rahmen für
fetzige, monumentale, turbulente Action. Und diese wird von einem
Score untermalt, der genauso irre und aggressiv ist, wie das von
Prince of Persia: Der Sand der Zeit-Kameramann
John Seale (extra für Mad Max: Fury Road aus dem
Ruhestand zurückgekehrt!) in satten, kontrastreichen Bildern
eingefangene Leinwandgetümmel. Der niederländische DJ Junkie XL
schmiss für seine Filmmusik den Klang von nahezu 200 Instrumenten zu
einem machtvollen Gesamtwerk zusammen, das irgendwo zwischen
poetischem Chaos und rockig-destruktiver Oper zu verorten ist. Von
E-Gitarren und treibenden Drums hin zu anschwillenden Streichern und
jeder Menge Blech: Die Musik ist es letztlich, die Mad Max:
Fury Road den Extra-Antrieb gibt, in die Geschichte des
Actionfilms einzugehen. Und zwar als eine poetisch-aggressive
Sinfonie der Verwüstung in rotem Sand.
Fazit: Krach! Rumms! Schepper!
*staun* Rattatatzong! Brumm-brumm-brrrruuuumm! *headbang* Wumms!
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