In den Sechzigern prägte Brian Wilson
mit den Beach Boys nachhaltig die Pop-Musik sowie das Image des
sonnigen US-Staats Kalifornien und der Surfer-Subkultur. Dabei stand
der pummelige, introvertierte Komponist angeblich niemals auf einem
Surfbrett. Und auch mit seinen anderen Bandmitgliedern verstand er
sich nur leidlich. Denn während sie sehr komfortabel damit waren,
die Wünsche der Plattenfirma zu erfüllen und stets die
Beach-Boys-Formel zu bedienen, sehnte sich Brian Wilson danach, mit
Instrumenten und den Möglichkeiten der Studioaufnahmetechnik zu
experimentieren. Was in das Album 'Pet Sounds' mündete, welches
mittlerweile als eine der besten und einflussreichsten Platten der
Musikgeschichte anerkannt wird, war seinerzeit ein dramatischer
Wendepunkt in Wilsons Karriere. Regisseur Bill Pohlad nimmt sich in
Love & Mercy dieser Phase des Lebens Wilsons
an, sowie einem Abschnitt in den Achtzigern, in dem Wilson nur noch
ein Schatten seiner selbst war, als er seine künftige, zweite
Ehefrau Melinda Ledbetter kennenlernte.
Das Biopic präsentiert sich aus
tonaler Hinsicht dementsprechend schizophren, was angesichts der
bewegten Biografie von Brian Wilson auch eine angemessene
Herangehensweise darstellt. Allerdings tritt das Drehbuch aus der
Feder von Michael Alan Lerner und Oren Moverman immer wieder derart
ausführlich auf der Stelle, dass im Umkehrschluss diverse
entscheidende Punkte – sowohl aus biografischer als auch aus
dramaturgisch-narrativer Hinsicht – auf der Strecke bleiben.
Erschwerend kommt hinzu, dass das Niveau der Dialoge nicht den vom
Skript angeschnittenen Themen gerecht wird: Während auf der
Handlungsebene Depressionen, Einsamkeit, die Schattenseiten sowie
Pluspunkte eines fortschrittlich-künstlerischen Denkens sowie
Spätfolgen von Drogenmissbrauch behandelt werden, sind die Dialoge
von teils schmerzhaft-simplen Formulierungen geplagt.
Von einem erzwungenen Gespräch
zwischen Brian Wilson und Beach-Boys-Frontsänger Mike Love darüber,
dass Hunde die 'Good Vibrations' von Menschen spüren können,
welches auf die Entstehung eben dieses Songs hinleitet, bis hin zu
einem Moment, in dem das Dialogbuch Paul Giamatti wortwörtlich die
bereits überdeutlich etablierte Beziehung zwischen Wilson und seinem
Therapeuten und Vormund Dr. Eugene Landy nachskizzieren lässt:
Love & Mercy gelingt es wiederholt, seine
subtilen und ausdifferenzierten Momente gewaltsam einzureißen, indem
Offensichtlichkeiten grell unterstrichen werden und Szenenübergänge
fast schon eine Anmoderation auf Niveau einer Privatradio-Morningshow
erhalten. In einer Post-Walk Hard-Ära dürfte
sich so etwas kein ernst gemeintes Musikerdrama solche Wege
beschreiten.
Am meisten leidet die Figur des
Independentfilm-Darlings Paul Giamatti unter der fluktuierenden
Qualität des Drehbuchs: Als obsessiver, herrischer Vormund Wilsons
agiert Giamatti mit Energie und einschüchternder Intensität, aber
gerade in entscheidenden Passagen fallen seine Dialogzeilen zu
aufdringlich, geradezu cartoonhaft aus. Giamattis mimisches Talent
weiß dies teils zu kaschieren, doch die Prägnanz des Schauspielers
macht es dafür umso auffälliger, dass seine Rolle gen Schluss eilig
aus der Handlung geschoben wird, obwohl zuvor wiederholt betont
wurde, wie schwierig genau das doch zu bewerkstelligen sei.
Nicht minder rätselhaft ist die
Besetzung Paul Danos und John Cusacks als Brian Wilson in seinen
Zwanzigern respektive in seinen Vierzigern. Während beide
Schauspieler ihre Szenen jeweils gut (John Cusack) bis hervorragend
(Paul Dano) über die Bühne bringen, versäumt es die Regie, ihnen
eine verbindende Note zu geben. Daher driften beide Seiten Wilsons
aus darstellerischer Sicht so weit auseinander, dass es selbst
angesichts der inhaltlichen Gegebenheiten unmöglich wird, beide
Performances als jeweils eine Seite derselben Medaille anzusehen.
Angesichts der obendrein vorherrschenden, gewaltigen äußeren
Unterschiede der Mimen klafft zwischen den beiden Handlungsfäden von
Love & Mercy eine so weite Lücke, dass sie
wie zwei ineinandergeschnittene Sechzigminüter wirken. Und aus
diesen beiden Filmen, die sich zu Love & Mercy
formen, ist es schwer, einen Favoriten herauszupicken.
Während
Dano subtiler, berührender spielt und in seinen Szenen zudem die
Regie- und Kameraführung einfallsreicher ist (besonders gelungen:
die grobkörnigen, unmittelbaren und daher dokumentarisch anmutenden
Szenen im Tonstudio), sind Cusacks Szenen raffinierter strukturiert,
ziehen sich seltener, und profitieren zudem von Cusacks sehenswertem
Zusammenspiel mit einer einfühlsamen, dennoch lebensfrohen
Darbietung Elizabeth Banks' alias Melinda Ledbetter. Bedauerlich,
dass ihr Kampf um Wilson nur in einer sehr rudimentären, und dadurch
schockierend simplen, Form abgehandelt wird. Und beschämend, dass
die Inszenierung von Banks' und Cusacks' Szenen um ein Vielfaches
lust- und ideenloser erscheint als die der Sechziger-Sequenzen.
In zweierlei Hinsicht wird Love
& Mercy all diesen Negativpunkten zum Trotz seinem
Protagonisten gerecht: Komponist Atticus Ross lässt Versatzstücke
von Beach-Boys-Liedern und atmosphärische Geräuche zu einem
cleveren Score verschmelzen. Und Regisseur Bill Pohland bringt
darüber hinaus eine gewaltige Masse an ausgefallenen Ideen mit –
ganz so wie Wilson in seiner besten Zeit. Womit Love &
Mercy Brian Wilsons Schaffen aber weit unterlegen ist:
Bohland gelingt es nicht, seine Ansätze so zu orchestrieren, dass
sie zu einer mitreißenden Einheit verschmelzen – stattdessen wird
durch die Umsetzung deutlich, wo Kompromisse gemacht und Fehltritte
getätigt wurden.
Fazit: John Cusack
und Paul Dano spielen in der zähen, stellenweise unfreiwillig
komischen Brian-Wilson-Biografie Love & Mercy
gegen ein Drehbuch von äußerst wankelmütiger Qualität an.
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