Es ist ein
Mordfall, der die Weltpresse bis heute nicht loslässt: Im November
2007 wurde die britische Austauschstudentin Meredith Kercher in ihrem
Zimmer im italienischen Perugia tot aufgefunden. Als Hauptverdächtige
kristallisierten sich alsbald Kerchers WG-Genossin Amanda Knox und
deren Freund Raffaele Sollecito heraus. Ob der „Engel mit den
Eisaugen“, wie Knox von den Journalisten letztlich getauft wurde,
die Tat nun begangen hat oder nicht, steht allerdings nicht im Fokus
dieser Mixtur aus Mediendrama und Kriminalthriller. Der Regisseur
Michael Winterbottom nimmt das vielfach analysierte Verbrechen
stattdessen als Ausgangspunkt, um über das verworrene Verhältnis
zwischen der Rekonstruktion von Fakten und dem Schaffen einer Fiktion
zu reflektieren. Dazu verlegen er und Drehbuchautor Paul Viragh das
Geschehen auch in die gotisch angehauchte, toskanische Stadt Siena
und ändern zudem sämtliche Namen. Dass sich die Bilder vom Tatort
und den Gerichtsverhandlungen vereinzelt täuschend nah am 'Original'
orientieren, lässt die Grenzen zwischen filmspezifischer und
'unserer' Realität weiter verschwimmen. Und gehört leider schon zu
den konsequenteren Ideen dieses Films.
Auch der unkonzentriert abgespulte Plot
lässt den Betrachter immer wieder verdutzt mit der Frage zurück:
Wie viel ist nun reine Erfindung – und wie viel nährt sich aus
wahren Begebenheiten? Im Mittelpunkt der Filmereignisse steht nämlich
eine Figur, die gefühlt gleich viele Parallelen zu Michael
Winterbottom aufweist wie Unterschiede zum Arthaus-Filmer. Der von
Daniel Brühl gespielte Protagonist namens Thomas Lang ist ebenfalls
als Independent-Regisseur tätig und wird eingangs durch das sie
selbst als handelnde Person ins Zentrum rückende Sachbuch der
Journalistin Simone Ford (verschenkt: Kate Beckinsale) nach Italien
gelockt. Je mehr sich Lang, dessen Ehe zu Grunde ging und der nun eine
Affäre mit Ford beginnt, jedoch mit dem Buch und den darin
dargelegten Fakten beschäftigt, desto mehr gewinnt er Interesse
daran, einen ganz eigenen Schwerpunkt zu setzen. Während seitens der
Finanziers der Druck auf Lang immer größer wird, einfach einen
strikten Krimi über die Tätersuche abzuliefern, wächst in ihm der
Drang, einen Kunstfilm über Verbrechen, Versuchung, Verlust und
Vergebung auf die Beine zu stellen. Nach und nach verliert sich Lang
im Subkosmos Siena, mit seiner eingespielten Clique an Journalisten,
dubiosen Bloggern, der lebensfrohen Austauschstudentin Melanie (Cara
Delevingne) und der Assoziationen mit Dantes Arbeiten weckenden
Architektur …
Wer
seine Sensationsgier in Die Augen des Engels
stillen will, befindet sich angesichts Winterbottoms Desinteresse an
der tatsächlichen Spurensuche im falschen Film. Aber selbst jene,
die sich den vom Welcome to Sarajevo-Regisseur
angerissenen Elementen annehmen möchten, laufen Gefahr, derbe
enttäuscht zu werden. Denn der rund 100 Minuten lange Film mutet
über weite Teile ähnlich ziellos und unkonzentriert an, wie die
fiktionale Themensuche Thomas Langs. Es gibt diverse kurze Passagen,
in denen sich ein inhaltlicher Schwerpunkt herauszukristallisieren
scheint, aber all diese Momente führen letztendlich in Sackgassen.
So nimmt die von Beckinsale adäquat gespielte Journalistin Lang in
die eigenwillige journalistische Welt mit, die sich rund um den
Mordfall gebildet hat: Das übliche Konkurrenzdenken zwischen den
verschiedenen Reportern, die mit jeweils völlig unterschiedlichen
Intentionen und Herangehensweisen vom Fall berichten, wich einer von
freundschaftlichem Necken geprägten Abenteuerurlaub-Mentalität.
Eben jene hat so ihre reizvollen Konsequenzen …
Doch sobald Winterbottoms Darstellung
der Journalisten vermehrt interessante Ecken und Kanten gewinnt,
wendet sich Die Augen des Engels einem anderen
Subthema zu. Etwa kurzzeitig der von Lang harsch als oberflächlich
kritisierten Tätersuche. Oder den Eheproblemen des deutschstämmigen
Regisseurs. Oder seinem Versuch, das Gefühl wiederzuerlangen, jung,
optimistisch und ungebunden zu sein. Oder seinem durch Drogen
induzierten Abstieg in den Wahnsinn – den Winterbottom wenige
Minuten nach Beginn dieses Aspekts wieder über Bord wirft. Nicht
ohne zuvor eine tonal deplatzierte Fantasysequenz einzuarbeiten.
Mit diesem unfokussierten Mischmasch an
Ansätzen, mit denen man sich einer filmischen Grundidee nähern
kann, hätte Die Augen des Engels das Potential
dazu, ein Film darüber zu werden, dass es keine objektive Wahrheit
gibt, und dass alles nur konstruierte Geschichten sind – und sich
bestenfalls die Frage stellt, wie schlüssig diese Erzählungen
aufgebaut werden. Allerdings wächst Die Augen des
Engels nie darüber hinaus, sein Subjektivität gegen
Objektivität ausspielendes Unterthema darin zu äußern, dass Lang
immer wieder seine Meinung ändert, wer der Protagonist oder die
Protagonistin seines Films sein sollte. Mit diesem Wechsel geht auch
stets eine neue Theorie über den Tathergang einher – und das war
es auch schon. Da Langs Überlegungen, wie sein Film ablaufen sollte,
nur wenige Minuten der Die Augen des Engels-Laufzeit
einnehmen, geht selbst dieser zurückhaltende Ansatz schnell
verloren.
Alternativ hätte Die Augen
des Engels auch ein Film darüber werden können, wie
schwierig es ist, einen Film zu erschaffen. Aber selbst in dieser
Hinsicht ist Winterbottom bloß ein äußerst müder Vertreter dieser
Gattung gelungen. Die Cleverness eines Adaption
und die Poetik eines 8 ½ bleiben für diese
sperrige Erzählung stets außer Reichweite. Selbst die Dopplung,
Die Augen des Engels wie auch den Film-im-Film
nach dem Vorbild von Dantes Göttliche Komödie zu
strukturieren, bleibt wenig ergiebig und mutet eher wie eine formale
Fingerübung an, denn wie eine aussagekräftige künstlerische
Entscheidung. Angesichts dessen, dass zudem Kameramann Hubert
Taczanowski den reizvollen Schauplatz nur selten auf inspirierende
Weise einfängt und die Dialoge den sichtbar engagierten Daniel Brühl
dazu drängen, die Lektionen seiner Figur wortwörtlich
auszusprechen, bleibt Die Augen des Engels eine
intellektuelle Luftblase: Durch die mäandernde Erzählweise ist
Winterbottoms Werk zwar zäh, die hinter dem anstrengenden
Storytelling liegenden Erkenntnisse sind derweil erschreckend banal.
Einziger
Lichtblick in diesem von drögen Figuren und unstrukturierten
Gedankenansätzen geplagten Genremix ist das Supermodel Cara
Delevingne. Die Britin, die bereits in Anna Karenina
aufgetreten ist und 2016 in Suicide Squad zu sehen sein
wird, glüht vor Energie sowie Passion, und im Gegensatz zum
restlichen Ensemble erweckt sie eine runde Figur zum Leben, statt als
wandelnde These durchs Bild zu stapfen. Wann immer Delevingne als
Teilzeit-Barkeeperin Melanie Brühl Figur durch Siena führt oder
daran erinnert, dass es möglich ist, Spaß zu haben, verwandelt sich
Die Augen des Engels in einen Film, der zwar
simpler ist, jedoch auch in sich küntlerisch deutlich ausgereifter. Schade
bloß, dass die Schwächen, die diese Szenen umgeben, zu dominant
sind, als dass Delevingne den Film im Alleingang retten könnte.
Fazit: Die Augen des
Engels nimmt diverse reizvolle Ideen, denkt sie nicht zu
Ende und hakt sie alle in einer unfokussierten, spröden Geschichte
ab, die nichts aus ihrem metafiktionalen Potential macht. Vielfilmer
Michael Winterbottom kann besseres als das!
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