Als Regisseur bediente Tim Burton, trotz gelegentlicher Mainstreamerfolge wie den 1989 veröffentlichten Batman, jahrzehntelang vor allem ein Nischenpublikum. Leicht verschroben, mit Hang zu einem dunklen Romantizismus sowie mit Vorliebe für filmische B-Ware, die nunmehr mit gewissem Abstand uminterpretiert wird. Dabei schuf der Filmemacher so verschiedene Werke wie die grotesk-melancholische Außenseitergeschichte Edward mit den Scherenhänden, die tonal bewusst schizophrene Schauergeschichte SleepyHollow oder das blutige Musical Sweeney Todd –Der teuflische Barbier aus der Fleet Street. Zuletzt musste sich Burton allerdings selbst von eingeschworenen Anhängern harsche Kritik gefallen.
Eine populäre These ist, dass Burtons nachlassenden
Fähigkeiten durch seine Öffnung gegenüber einer breiter
gefächerten Zielgruppe bedingt sind. Betrachtet man seinen
Milliarden-Dollar-Hit Alice im Wunderland, der
eine schräge Vorlage sowie Burtons unangepasste Ästhetik nimmt und
ihnen eine ausgelutschte Handlung aufzwingt, sowie seine Komödie
Dark Shadows, die ihre feineren Elemente in einem
Meer aus großen, lauten, tumben Gags ersäuft, fällt es schwer,
besagter Theorie zu widersprechen. Umso erfreulicher, dass sich Tim
Burtons jüngster Realfilm Big Eyes wieder vom
Popcorn-Kino distanziert und obendrein den Regisseur zurück zu einem
von ihm bislang nur einmal bedienten Genre holt: Nach seinem hoch
geachteten Schwarz-Weiß-Film Ed Wood ist dies
Burtons zweites Biopic – und als Dramödie über die schwammigen
Grenzen zwischen Kunst, Publikumserfolg, Passionsarbeiten und
Fließbandschund kommt Big Eyes zum genau
richtigen Zeitpunkt in seiner Karriere.
Dreh-
und Angelpunkt dieser 10-Millionen-Dollar-Produktion ist ein
Strohfeuer aus der Kunstgeschichte – sowie dessen kurioses Ende.
1958 flieht die introvertierte Hausfrau und Mutter Margaret (Amy
Adams) mitsamt ihrer Tochter vor ihrem unausstehlichen Gatten. Im
sonnigen San Francisco findet sich das stille Mäuslein jedoch selbst
mit Hilfe seiner Freundin DeAnn (Krysten Ritter) nicht zurecht. Etwas
Seelenfrieden und Selbstverwirklichung findet sie allein in ihrem
langjährigen Hobby, der Malerei. Als sie versucht, ihre
süßlich-traurigen Gemälde junger Mädchen mit überdimensionalen
Augen zu verkaufen, lernt sie den redseligen Walter Keane (Christoph
Waltz) kennen. Dieser ist zwar hauptberuflich Immobilienmakler,
verdient sich mit dem Verkauf Pariser Straßenimpressionen jedoch
einige Dollar dazu und glaubt, in Margaret eine vielversprechende
Künstlerin entdeckt zu haben. Sie und Walter knüpfen romantische
Bande, und alsbald auch eine Geschäftsbeziehung: Walter mietet im
angesagten Club 'The Hungry I' Ausstellungsplatz für seine und
Margarets Bilder. Zufällig wird er für den Urheber sämtlicher dort
ausgehängter Gemälde gehalten, doch da er mit seinem Verkaufstalent
Margarets 'Big Eyes' erfolgreich losschlägt, denkt er gar nicht erst
daran, das Missverständnis aufzuklären. Medienberichte und Walters
immer dreistere Flunkereien lassen einen gewaltigen Hype um die
Kinderbilder entstehen – während Margaret im Akkord malt, baut
Walter, sich weiter als Urheber der gefragten Ware ausgebend, ein
Kunstimperium von ungeahnter Größe auf. Aber jedes auf einer Lüge
basierende Geschäft muss einmal ins Wanken geraten …
Das
knalligste Element von Big Eyes ist zugleich das
problematischste: Die Performance des zweifachen Oscar-Preisträgers
Christoph Waltz. Der Alpen-Charmeur mit dem selbstverliebt-fiesen
Schmäh gibt eine energische, unbändige Darbietung ab, die wie aus
einer schmissigen Heist-Movie-Komödie gestohlen wirkt. Per se
schlecht ist Waltz' Leistung also nicht – hätte Tarantino einen
Film über einen coolen Kunstbetrüger gedreht oder Burton Big
Eyes so aufgezogen wie das knallige Märchen Charlie
und die Schokoladenfabrik, würde sie wie die Faust aufs
Auge passen. Jedoch legen Burtons Regieführung und das Drehbuch des
Autorenduos Scott Alexander & Larry Karaszewski diese beinahe
unglaubliche, wenngleich wahre Geschichte trotz gelegentlicher
Quirligkeit eher bodenständig an – und zielen es vor allem auf
Mitleid mit der unterdrückten Margaret ab.
Wenn Waltz mit überlebensgroßen
Gesten, Grinsekatze-Lächeln und schleimigem Singsang in der Stimme
alles und jeden unterbuttert, schadet er jedoch über weite Strecken
der Dramatik und Spanung dieser Geschichte. Die Art und Weise, wie er
Walter Keane spielt, lässt diesen schamlosen Entrepreneur wie einen
vollkommen untalentierten Schwindler dastehen, der durch schieres
Glück mit seinen albernen Lügen davonkommt – und wir als
Zuschauer schmunzeln ob der Dummheit aller, die ihm auf den Leim
gehen. Angesichts des Handlungsbogens rund um Margaret und der selten
auf Pointen zugespitzten Inszenierung rennt diese Darstellung jedoch
gegen eine Wand. Burton und Waltz wären wohl besser beraten gewesen,
Walter Keane wie einen dreisten, aber engagierten und daher
unberechenbaren Lügner darzustellen, bei dem es zumindest
nachvollziehbar ist, wie die halbe Kunstszene auf ihn reinfallen
konnte.
Schlussendlich treffen Burton und Waltz
in nur zwei Szenen mit ihrer überbordenden Interpretation von Walter
Keane genau den Tonfall, den Big Eyes in genau
diesen Momenten aus dramaturgischer Sicht benötigt: Einmal, wenn sie
ihn kurz nach seinem größten Karriererückschlag manisch werden
lassen – und Waltz in feinster Hans-Landa-Manier Angst und
Schrecken verbreitet. Und dann gegen Ende des Films, wenn Walter sich
mit all dem Schmarrn, den er jahrelang erzählte, in eine Ecke
manövriert und mangels besserer Ideen zu einer absurden Karikatur
seiner selbst verkommt – erst in dieser Sequenz wird Waltz'
brüllend komischer Showstealer-Ansatz effektiv eingesetzt. Es ist
verständlich, weshalb sich Waltz und Burton dazu entschlossen haben,
Walter Keane so groß und laut und überzogen darzustellen, dass er
sich über den eigentlichen filmischen Tonfall erhebt – schließlich
war der echte Walter ja auch jemand, der sich über alle Maße ins
Rampenlicht drängte. Da Burton aber so besonnen inszeniert, so viel
Aufmerksamkeit der introvertierten und verletzten Margaret zukommen
lässt und Amy Adams so eine zarte, ausdifferenzierte Leistung
abgibt, will dieser Ansatz schlichtweg nicht zum intendierten Effekt
aufgehen.
Hat
sich der Betrachter erst damit arrangiert, dass die schauspielerische
Couleur von Waltz und Adams keinen reizvollen Kontrast ergibt,
sondern ein matschiges Mischmasch, erhält er mit Big
Eyes dennoch eine Dramödie, die problemlos die zwei
vergangenen Realfilm-Regiearbeiten Burtons schlägt. So ist sie trotz
des teils unrythmischen Schnitts von JC Bond dank der
kräftig-strahlenden Farben, in die Kameramann Bruno Delbonnel sie
hüllt, eine Augenweide – und wie Adams schleichend den
Charakterwandel Margarets verdeutlicht, lässt fast im Alleingang die
schwachen Performances vergessen, die es zuletzt in Burton-Filmen zu
sehen gab. Und manch überkritischer Kinogänger wird womöglich
frustriert sein, dass Big Eyes Themen wie die
Emanzipation der Frau, die Kommerzialisierung des Kunstbetriebs und
die qualitative Bewertbarkeit von Malerei nicht in aller
Ausführlichkeit behandelt – jedoch verknüpft das Skript diese
Themenkomplexe behände sowie kurzweilig und regt so zum Weiterdenken
an. Für eine 106-minütige Dramödie, die nebenher eine wahre
Biografie abklopft und sie dabei nur in wenigen Fällen zwecks
flüssiger Narrative umschreibt, eine nicht zu verachtende Leistung.
Hinterher ist man halt immer schlauer.
Margaret und der US-Kunstbetrieb würden rückblickend wohl nicht
mehr auf Walter reinfallen. Und retrospektiv ist auch deutlich, wieso
Big Eyes längst nicht an Ed Wood
heranreicht: Letzterer handelte von einem vernarrten Filmemacher, bei
dessen Werken sich die Frage stellt „Macht das Spaß oder kann das
weg?“. Burtons Biopic endete als ein Kleinod der
Hollywood-Filmkunst. Big Eyes handelt dagegen von
einem disharmonischen Ehepaar, bei dessen Erfolg sich die Frage
aufdrängt: „Ist das Kunst oder kann das weg?“. Und der Film dazu
ist bloß kurzweilig geraten – mit leichten Anflügen größeren
Potentials. Ein akzeptabler Tausch, oder?
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