Bier, blanke Brüste, beschämend
bodenloser Blödsinn: Der Trailer zu Abschussfahrt
verspricht eine lieblos zusammengezimmerte Teenager-Komödie, die
glaubt, ihre Zielgruppe würde alles schlucken, so lange es nur derb
genug ist. Doch Trailer können bekanntlich täuschen, wie
beispielsweise schon die Romantikkomödie Coming In
bewies, die in der Filmvorschau erschreckend homophob anmutete. Die
fertige Produktion dagegen stellte sich als angenehme, nette und
moralisch unverwerfliche Sache heraus, was angesichts Cast und Crew
eigentlich auch nicht hätte verwundern sollen (mehr
dazu). Im Falle von Abschussfahrt ist
die Diskrepanz zwischen Promo und Endprodukt sogar noch größer: Die
Regiearbeit von Tim Trachte (Davon willst Du nichts
wissen) ist nicht bloß eine kurzweilige Komödie, die es
mit versiertem Blick auf das Teenie-Publikum absieht, sondern ein
kleines Lehrstück darin, wie man heutzutage einen wilden,
anspruchslosen Jugendspaß zu schreiben hat. Selbst wenn manche
Kritiker-Kollegen älteren Semesters das vielleicht nicht wahrhaben
wollen.
Der Grundplot ist zugegebenermaßen
leicht abgestanden: Die Abschlussfahrt nach Prag steht vor der Tür –
für die am Rande des schulischen Sozialgefüges stehenden
Gymnasiasten Max (Max von der Groeben), Berny (Chris Tall) und Paul
(Tilman Poerzgen) die Chance, endlich über den eigenen Schatten zu
springen. Ist die eingeschworene Dreierclique üblicherweise aus
gesundheitlichen und/oder charakterlichen Gründen unfähig, selbst
eine Party in einer Kinder-Disco bis zum Ende mitzumachen, soll sich
im Ausland alles ändern. Denn was bietet sich besser für einen
Wendepunkt in der eigenen Nachtleben-Biografie an als ein
Schulausflug in die kostengünstige, angeblich moralisch offenere
Tschechische Republik? Dumm nur, dass sich Paul von seiner heimlich
angebeteten Mitschülerin Julie (Lisa Volz) ihren autistischen Bruder
Magnus (Florian Kroop) aufs Auge drücken lässt. Aber das Trio sieht
es nicht ein, sich daher zurückzuhalten – und gerät so in ein
irrsinniges Abenteuer, zu dessen Bestandteilen eine nicht mehr ganz
taufrische Limousine, aggressive Touristen, ein Hardcore-Sexclub und
so manche Verwechslung zählen.
Geschichten
über sexuell unerfahrene Außenseiter, die sich ihre kühnsten
Träume erfüllen wollen und dann mit einem Schlag in
unkontrollierbaren Situationen wiederfinden, gibt es in Hülle und
Fülle – und spätestens seit Hangover sind auch
wahnwitzige Sauftouren komödiantischer Alltag. Da in dieser
filmischen Gattung jedoch frische Story-Gimmicks nicht mit Qualität
gleichzusetzen sind – man denke nur an den unausstehlichenFound-Footage-Partyfilm Project X – lässt es
sich verschmerzen, dass die Grundidee von Abschussfahrt
am Reißbrett entworfen scheint. Im Genre der
Penäler-Pubertätskomödie sind sehenswerte inhaltliche Revolutionen
generell nur raren Meilensteinen vorbehalten. Daher ist weniger von
Bedeutung, wie neu das Erzählte ist, und eher von Interesse, wie gut
der Jugend-Tumult das Altbekannte nacherzählt. Und in dieser
Hinsicht erstaunt Trachtes Drehbuch praktisch auf ganzer Linie: Wo
zahlreiche andere Genreverteter – vor allem jene aus der
Bundesrepublik – ihre Zuschauer mit löchrigen, hingeschluderten
Skripts abspeisen, geht Abschussfahrt die
Extrameile.
Für einen Film dieser Art sind die
Figuren und ihre augenzwinkernd-überzogenen Erlebnisse in sich
schlüssig ausgearbeitet. So ist die Gruppendynamik zwischen dem
schüchternen Beinahe-Normalo Paul, dem selbstbewussten
Alleinunterhalter und Pummelchen Berny und Max, der seinen Kopf gerne
mal in den Wolken hat, stets glaubwürdig: Auch wenn
Abschussfahrt nicht viel Zeit darauf verwendet,
die Hintergrundgeschichte dieser Freundschaft zu erzählen, kauft man
den drei Hauptdarstellern jederzeit ab, dass sich diese drei
gegenseitig ergänzenden Typen im Laufe ihrer Schulzeit gefunden
haben und seither einander den Rücken stärken. Angenehm ist darüber
hinaus, dass das Protagonisten-Gespann zwar eine archetypische
Repräsentationsfunktion ausübt, aber an Genremaßstäben sehr
unaufdringlich und geerdet ist – und somit auch ein angemessenes
Gegengewicht zum wahnwitzigen Chaos darstellt, das es in Prag
anstellt. Zwar sind Max, Paul und Berny nicht die allerhellsten
Leuchten, die jemals ein Gymnasium besucht haben, aber genauso wenig
sind sie derartige Vollpfosten, wie sie oftmals schwächere
Teenie-Komödien bevölkern. Das Gespann ist fit im Kopf und durchaus
findig, wenn es darum geht, eine knifflige Situation zu meistern –
wenn ihnen nicht eingangs ihre Schüchternheit einen Strich durch die
Rechnung macht oder ihnen später der Alkohol zu sehr zu Kopf steigt.
Die zentralen Figuren sind also
waschechte Durchschnittstypen, weshalb es viel größere Freude
macht, ihnen bei ihrer Abschlussfahrt über die Schultern zu schauen,
als den anstrengenden Nervensägen aus Filmen wie Project
X oder Doktorspiele Aufmerkamkeit zu schenken. Die Gefahr, dass Max, Berny und Paul zu
blass werden, umschifft diese knapp 90-minütige Komödie dadurch,
dass jede der Figuren ihren ganz eigenen Humor mitbringt, so dass sie
bereits im Alleingang zu amüsieren wissen – in direkter
Interaktion aber erst richtig aufblühen. Etwa, wenn der vom
Stand-Up-Comedian Chris Tall gespielte Berny sein übertriebenes
Selbstbewusstsein als Waffe gegen Pöbel einsetzt und deren Angriffe
auf verrückte Art erwidert – sehr zur Blamage seines Kumpels Paul.
Generell sind Chris Talls schlagfertigen Monologe einer der Punkte,
die Abschussfahrt von genreinterner Konkurrenz
abheben und von denen es gern noch mehr hätte geben dürfen. Auch
deshalb, weil Tall sich in diesen Passagen wohl besonders sicher
fühlt und mehrmals richtig glänzt – in längeren Dialogpassagen
hingegen erscheint der Hamburger leider etwas flattriger als seine
beiden Kollegen von der Groeben und Poerzgen, die durchweg souverän
auftreten.
Mehr noch als der Wortwitz sind es aber
der Slapstick und die Situationskomik, womit Abschussfahrt
Lacher einsackt. Denn während bei den Nebenfiguren der Verbalhumor
gelegentlich dann doch versackt (Faustregel: je beiläufiger eine
sekundäre Rolle etwas von sich gibt, desto treffsicherer ist die
Pointe), haben die Szenarien, die sich Regisseur und Autor Trachte
ausgedacht hat, eine löbliche Menge an Esprit. Ob spontan
organisierte Mini-Ritterspiele, eine gelenke Methode den
Aufsichtslehrer (mit viel Spaß dabei: Alexander Schubert)
auszuknocken oder, oder, oder: Wie schon bei Hangover
sind es auch hier die Antworten auf die Frage „Was wartet als
nächstes auf unsere Partyurlauber?“ eine wichtige Stütze des
Filmspaßes. Dass kleine Skurrilitäten wie unerwartetes Talent für
Fluchtstrategien oder ein außergewöhnlich hohes Urlaubsbudget
allesamt im Vorbeigehen pointiert und sinnig erklärt werden, sorgt
obendrein dafür, dass sich beim Zuschauer nie ein distanzierendes
„Naja, dann kann ja alles passieren“-Gefühl einstellt. Trachte
müht sich hier also ein Drehbuch ab, das in sich logischer ist als
bei zahllosen schlechteren Teenie-Späßen – und nutzt jeden dieser
kleinen Charaktermomente für pfiffige Bonusgags jenseits der
Hauptgeschichte.
Des Weiteren umschifft
Abschussfahrt viele der Probleme, die aufgeklärte
Zuschauer davon abhalten, Pubertätskomödien zu genießen: Das in
solchen Filmen beschämenderweise obligatorische
Homosexuellen-Bashing wird hier, je nach Betrachtungsweise, völlig
ausgelassen oder zumindest vorbildich auf den Kopf gestellt, und auch
die Figur des autistischen Magnus wird nicht zum Deppen abgestempelt.
Zwar erlaubt sich Spaßvogel Berny eingangs seine Scherze mit ihm –
so wie er es mit jedem macht – daraufhin wachsen die drei Freunde
und der ungewollte Vierte im Bunde jedoch zusammen, ohne dass das
Drehbuch dabei zu klischeehaft wird. Ab dann zeigt sich Magnus als
zwar etwas schräge, aber sehr wohl zu respektierende Figur. Auch
dass großteils auf Ekelhumor verzichtet wird, zeichnet
Abschussfahrt positiv aus – selbst wenn die zwei
eingestreuten Gags im „Ihhh, hihi“-Bereich unterhalb der
Gürtellinie daher umso aufdringlicher hervorstechen.
Dass ausgerechnet einige der weiblichen
Nebendarstellerinnen in der ersten Filmhälfte etwas hölzerner
agieren als ihre männlichen Pendants ist derweil schade, umso besser
ist aber, wie Lisa Volz im Finale auftaut. Dass einige der
Entwicklungen im letzten Akt von einem Drehbuchklischee abhängig
sind (Stichwort: Türsteherin bequasseln) muss das filmerfahrenere
Publikum unterdessen dem Film vergeben – den meisten altbewährten
Stationen solcher Odysseen entlockt Abschussfahrt
nämlich dann doch noch irgendetwas eigenes. Selbst der
unvermeidliche und wie eh und je diskutable Streit zwischen den drei
Freunden nach zwei Dritteln der Handlung wird nicht zu sehr auf sich
eh erledigende Dramatik gemolken und kann sich daher sehen lassen.
Während Abschussfahrt
optisch nicht unbedingt vor Ideen trotzt, sehr wohl aber dem Prager
Nachtleben Bilder mit Kinoformat abringt, ist die Musikauswahl ein
stylischer Mix aus modernen Partyrhtyhmen und neu aufgepeppten
Klassikern wie einem 'The Power'-Remix und einem tschechischen U
Can't Touch This-Cover. Dieser Abwechslungsreichtum, gewürzt mit
einem kleinen Schuss Nostalgie, dürfte somit auch Kinogänger für
sich gewinnen, die bereits ihre Pubertät hinter sich haben und
trotzdem in den Saal verirrten. Hinzu kommen eine gute Dosis an Gags
am Rande des Geschehens und die spürbare Hingabe, mit der die
Filmemacher diese irre Saufodyssee umsetzten, was wiederum den
Figuren und so den Gags zugutekommt. Und schon darf sich
Abschussfahrt trotz seiner längst bekannten
Grundidee als vorbildliche deutsche Teenie-Komödie bezeichnen. Alter
Wein, gut gefiltert in einem zeitgemäßen, feschen, neuen Schlauch.
Das wird rein aus Prinzip längst nicht jedem Filmkenner schmecken –
jeder, der sich selbst zur Zielgruppe zählt, darf dagegen vergnügt
das Glas erheben: Prost! Czech it out!
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