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Donnerstag, 24. Dezember 2015

A Very Murray Christmas



Weihnachtszeit. Zeit für Besinnlichkeit. Und Familiensinn. Zeit des Kommerzdenkens. Und des festlichen Exzesses. Und der verdrießlichen „Kann das nicht alles bald vorbei sein?“-Mentalität. Und noch so vieles mehr: Die Weihnachtszeit ist eine emotionale Zeit, in der sich Höhen und Tiefen einen Schlagabtausch liefern. Ob gewollt oder nicht: Das Netflix-Weihnachtsspecial A Very Murray Christmas kondensiert die zahlreichen Aspekte eben jener besonderen Tage auf weniger als 60 Minuten Laufzeit. Daher ist das erste Fernsehspecial der Oscar-Gewinnerin Sofia Coppola zwar längst nicht das unterhaltsamste, besinnlichste oder beeindruckendste Weihnachts-Programm der vergangenen Jahre. Aber es ist ein treffendes, schwer zu vergleichendes, feines Kuriosum. Wer Coppola und/oder Murray mag, wird nicht enttäuscht – und bekommt eine filmgewordene Feuerzangenbowle vorgesetzt, die folgenden Zutaten beinhaltet: 

#1: A Very Murray Christmas, die kritische Meta-Show. Der erste Akt nimmt mit kritischer, niedergeschlagener Attitüde das Konzept klassischer Weihnachts-Fernsehspecials auseinander, wie sie in den USA bis in die 80er hinein zum Festtags-Alltag gehörten. Wie viele von ihnen, beginnt auch A Very Murray Christmas mit dem Gastgeber, der aufgrund des schlechten Wetters um seine heimelige, mit vielen Gästen bespickte Sondersendung fürchtet. Nur, dass sich Bill Murray eher pro forma ärgert. Eigentlich würde er sehr gerne auf die Show verzichten – wären da nicht die Knebelverträge, an die ihn seine Produzentinnen (Amy Poehler und Julie White) erinnern … 

#2: A Very Murray Christmas, der gemütlich-rustikale Weihnachtstreff. Nach einer gezielt peinlichen Gesangsnummer mit einem gequält dreinblickenden Chris Rock beginnt der zweite, tonal ganz andere Akt dieses Specials. Murray verabschiedet sich in die Bar des Carlyle Hotels in New York City. Sofia Coppolas kühl-distanzierte Bildsprache, die an Lost in Translation erinnert, weicht einer stilvoll-gemütlichen Optik mit wärmenden, dennoch zurückhaltenden Farben. Und auch Murrays genervter Blick taut auf, während er mit den Hotelangestellten und Gästen singt, scherzt und versucht, ihre Liebesleiden zu lösen. Das von Coppola, Murray und Mitch Glazer geschriebene Special reiht nun rasch eine Musiknummer an die nächste und weckt dank einer Lovestory über in Zweifel geratene Verlobte (Jason Schwartzman und Rashida Jones) sowie manch einer emotionalen Gesangseinlage weihnachtlich-romantische Gefühle. 

#3: A Very Murray Christmas, das künstlich-spaßige Showspektakel. Im dritten Akt mutiert dieses Special zu einer großen, glitzernden Weihnachtsshow, wie sie heute noch im deutschen Fernsehen zur Primetime laufen könnte. Nur mit einer Selbstironie, die hierzulande zur besten Sendezeit nur Joko und Klaas beweisen. Auf einer mit silberfarbenen Tannenbäumen geschmückten Showbühne tummeln sich lasziv gekleidete Tänzerinnen, Musiker und natürlich Murray sowie Murrays Stargäste George Clooney und Miley Cyrus, die wahlweise mit voller Kraft oder vollem Irrsinn ihre Nummern zum besten geben. Und die große Überraschung: Es ist Clooney, der hier die Lachmuskeln mit deppertem Blick wachkitzelt, nicht Cyrus! 

#4: A Very Murray Christmas, das bemühte Special. Wie auch die Festivitäten im wahren Leben, kommt auch diese American-Zoetrope-Produktion zuweilen erzwungen rüber. Die Griesgrämigkeit im ersten Akt sorgt für allerlei gute Lacher, wird aber arg breitgetreten. Im zweiten Akt spielen zwar Schwartzman und Jones für sich genommen gut, da es zwischen ihnen an romantischer Chemie mangelt, kommt die gefühlvolle Ader des Specials dennoch erzwungen daher. Ebenso haben die Meta-Späße direkt zu beginn einen etwas muffeligen Beigeschmack. Nur die übertrieben glanzvolle Showhommage am Schluss ist ein wahrer Volltreffer – wenn man denn auf den gekünstelten Primetimeshow-Kitsch steht, den Murray und Coppola eingangs noch liebevoll auf den Arm genommen haben. 

#5: A Very Murray Christmas, die Spielzeugkiste voller Insidejokes. George Clooneys Kinoflop Monuments Men – Ungewöhnliche Helden bekommt sein Fett weg. Einzelne Kameraeinstellungen erinnern an Lost in Translation, ebenso wie ein Foto Murrays, das aus der in diesem Drama gezeigten Whiskey-Werbeanzeige entliehen ist. Der Titel- und Gastgeber schenkt die slowenische Wodka-Marke aus, in die er im wahren Leben groß investiert hat. Und wer tief in der US-Fernsehhistorie verwurzeltes Popkulturwissen hat, wird so einige Referenzen auf klassische Specials entdecken! 

#6: A Very Murray Christmas, das verfilmte Weihnachtsalbum. Es muss nicht immer 'Rock Christmas' sein, und auch die neue Platte von Helene Fischer darf gern im Schrank bleiben: Wer beim Dekorieren der Wohnung, beim Schmücken des Baums oder beim Festessen eine bunte Auswahl an Festtagsmusik hören will, kann auch einfach Netflix anschmeißen! Ob Miley Cyrus damit erstaunt, wie kraftvoll sie 'Silent Night' singen kann, Bill Murray und George Clooney mit 'Santa Claus Needs Some Lovin'' für groovigen Fun sorgen, Jenny Lewis und Murray 'Baby, It's Cold Outside' die Unschuld zurückgeben oder Maya Rudolph 'Christmas (Baby Please Come Home)' gefühlvoller neu interpretiert als Mariah Carey: Wenn nicht gerade Chris Rock zu hören ist, ist dieses Special ein Ohrenschmaus. 

#7: A Very Murray Christmas, oder: Netflix macht einen auf Network-Fernsehen. Netflix-Eigenproduktionen decken bereits einige Genres ab. Eine Variety-Show, so wie sie bei den klassischen Sendern beheimatet sind, gab es bei Netflix aber bislang noch nicht zu sehen. Mit diesem Einstünder wildert der VoD-Anbieter also in noch einem Gebiet, das einst sicher vor Internetunternehmen schien. Das bedeutet mehr Abwechslung bei Netflix und mehr Konkurrenz für die Networks, die so hoffentlich zu mehr Inspiration angetrieben werden. Leider ist nicht nur das Konzept, sondern auch der Look des Specials gelegentlich „typisch Network“: Während Coppolas Inszenierung jedem Akt sein eigenes Flair verleiht und somit lobenswert ist, ist die Lichtsetzung – untypisch für Netflix-Werke – arg grell und erinnert mit dem Mangel an Tiefenwirkung zuweilen an Network-Fließbandware. Auch die Szenenübergänge wirken oft planlos – so, als müsste eigentlich eine Werbepause zwei Sequenzen voneinander trennen. 

#8 A Very Murray Christmas, das Special mit Leerlauf. Obwohl Coppola ihr Netflix-Debüt ziemlich vollgestopft hat, kommt es wiederholt zu kurzen Augenblicken, in denen es an Schwung verliert und leicht melancholisch oder schlicht orientierungslos auf der Stelle tritt. Diese Momente sind rar genug, um keine Langeweile grassieren zu lassen, bei einer einmaligen Sichtung von A Very Murray Christmas nehmen sie dem Special trotzdem seine Dynamik. Jedoch ist A Very Murray Christmas nicht darauf angelegt, einmal angeguckt zu werden. Coppola, Murray und Netflix wollen einen neuen Klassiker erschaffen, der immer und immer wieder genossen wird – wie Ist das Leben nicht schön?. Und wie es Weihnachts-Traditionen nun einmal an sich haben, hat auch dieses potentiell zum Evergreen heranwachsende Special so seine Durchhänger – und auf Dauer sind diese sogar willkommen. Wenn es A Very Murray Christmas in die traditionelle Festtagsrotation geschafft hat, erlauben die Zäsuren, sich im Weihnachtsstress kurz anderen Aufgaben, Pflichten oder Genüssen zu widmen. Ob geplant oder nicht – auf langer Sicht sind die kurzen Dürreperioden in A Very Murray Christmas gar nicht mehr gravierend, sondern paradoxerweise erfrischend … 

Fazit: Viel Alkohol, etwas Süßes, etwas Bitteres und ein Funke muss auch übergehen: Eine Feuerzangenbowle braucht acht Zutaten, um so richtig zu gelingen. Ob A Very Murray Christmas nun so viel Zunder hat wie eine gute Feuerzangenbowle, wird wohl jeder Netflix-User für sich selbst entscheiden. Einmal dran nippen, ist hier aber empfohlen, denn A Very Murray Christmas schmeckt nach Adventswochen. Mit allem Süßen und Bitteren, was dazugehört.

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