Weihnachtszeit. Zeit für Besinnlichkeit. Und Familiensinn.
Zeit des Kommerzdenkens. Und des festlichen Exzesses. Und der verdrießlichen
„Kann das nicht alles bald vorbei sein?“-Mentalität. Und noch so vieles mehr:
Die Weihnachtszeit ist eine emotionale Zeit, in der sich Höhen und Tiefen einen
Schlagabtausch liefern. Ob gewollt oder nicht: Das Netflix-Weihnachtsspecial A
Very Murray Christmas kondensiert die zahlreichen Aspekte eben jener
besonderen Tage auf weniger als 60 Minuten Laufzeit. Daher ist das erste
Fernsehspecial der Oscar-Gewinnerin Sofia Coppola zwar längst nicht das unterhaltsamste,
besinnlichste oder beeindruckendste Weihnachts-Programm der vergangenen Jahre.
Aber es ist ein treffendes, schwer zu vergleichendes, feines Kuriosum. Wer
Coppola und/oder Murray mag, wird nicht enttäuscht – und bekommt eine
filmgewordene Feuerzangenbowle vorgesetzt, die folgenden Zutaten beinhaltet:
#1: A Very Murray Christmas,
die kritische Meta-Show. Der erste Akt nimmt mit kritischer, niedergeschlagener
Attitüde das Konzept klassischer Weihnachts-Fernsehspecials auseinander, wie
sie in den USA bis in die 80er hinein zum Festtags-Alltag gehörten. Wie viele
von ihnen, beginnt auch A Very Murray Christmas mit dem
Gastgeber, der aufgrund des schlechten Wetters um seine heimelige, mit vielen
Gästen bespickte Sondersendung fürchtet. Nur, dass sich Bill Murray eher pro
forma ärgert. Eigentlich würde er sehr gerne auf die Show verzichten – wären da
nicht die Knebelverträge, an die ihn seine Produzentinnen (Amy Poehler und
Julie White) erinnern …
#2: A Very Murray Christmas,
der gemütlich-rustikale Weihnachtstreff. Nach einer gezielt peinlichen
Gesangsnummer mit einem gequält dreinblickenden Chris Rock beginnt der zweite,
tonal ganz andere Akt dieses Specials. Murray verabschiedet sich in die Bar des
Carlyle Hotels in New York City. Sofia Coppolas kühl-distanzierte Bildsprache,
die an Lost in Translation erinnert, weicht einer
stilvoll-gemütlichen Optik mit wärmenden, dennoch zurückhaltenden Farben. Und
auch Murrays genervter Blick taut auf, während er mit den Hotelangestellten und
Gästen singt, scherzt und versucht, ihre Liebesleiden zu lösen. Das von
Coppola, Murray und Mitch Glazer geschriebene Special reiht nun rasch eine
Musiknummer an die nächste und weckt dank einer Lovestory über in Zweifel
geratene Verlobte (Jason Schwartzman und Rashida Jones) sowie manch einer
emotionalen Gesangseinlage weihnachtlich-romantische Gefühle.
#3: A Very Murray Christmas,
das künstlich-spaßige Showspektakel. Im dritten Akt mutiert dieses Special zu
einer großen, glitzernden Weihnachtsshow, wie sie heute noch im deutschen
Fernsehen zur Primetime laufen könnte. Nur mit einer Selbstironie, die
hierzulande zur besten Sendezeit nur Joko und Klaas beweisen. Auf einer mit
silberfarbenen Tannenbäumen geschmückten Showbühne tummeln sich lasziv
gekleidete Tänzerinnen, Musiker und natürlich Murray sowie Murrays Stargäste
George Clooney und Miley Cyrus, die wahlweise mit voller Kraft oder vollem
Irrsinn ihre Nummern zum besten geben. Und die große Überraschung: Es ist
Clooney, der hier die Lachmuskeln mit deppertem Blick wachkitzelt, nicht Cyrus!
#4: A Very Murray Christmas,
das bemühte Special. Wie auch die Festivitäten im wahren Leben, kommt auch
diese American-Zoetrope-Produktion zuweilen erzwungen rüber. Die Griesgrämigkeit
im ersten Akt sorgt für allerlei gute Lacher, wird aber arg breitgetreten. Im
zweiten Akt spielen zwar Schwartzman und Jones für sich genommen gut, da es
zwischen ihnen an romantischer Chemie mangelt, kommt die gefühlvolle Ader des
Specials dennoch erzwungen daher. Ebenso haben die Meta-Späße direkt zu beginn
einen etwas muffeligen Beigeschmack. Nur die übertrieben glanzvolle Showhommage
am Schluss ist ein wahrer Volltreffer – wenn man denn auf den gekünstelten
Primetimeshow-Kitsch steht, den Murray und Coppola eingangs noch liebevoll auf
den Arm genommen haben.
#5: A Very Murray Christmas,
die Spielzeugkiste voller Insidejokes. George Clooneys Kinoflop Monuments
Men – Ungewöhnliche Helden bekommt sein Fett weg. Einzelne
Kameraeinstellungen erinnern an Lost in Translation, ebenso
wie ein Foto Murrays, das aus der in diesem Drama gezeigten
Whiskey-Werbeanzeige entliehen ist. Der Titel- und Gastgeber schenkt die
slowenische Wodka-Marke aus, in die er im wahren Leben groß investiert hat. Und
wer tief in der US-Fernsehhistorie verwurzeltes Popkulturwissen hat, wird so
einige Referenzen auf klassische Specials entdecken!
#6: A Very Murray Christmas,
das verfilmte Weihnachtsalbum. Es muss nicht immer 'Rock Christmas' sein, und
auch die neue Platte von Helene Fischer darf gern im Schrank bleiben: Wer beim
Dekorieren der Wohnung, beim Schmücken des Baums oder beim Festessen eine bunte
Auswahl an Festtagsmusik hören will, kann auch einfach Netflix anschmeißen! Ob
Miley Cyrus damit erstaunt, wie kraftvoll sie 'Silent Night' singen kann, Bill
Murray und George Clooney mit 'Santa Claus Needs Some Lovin'' für groovigen Fun
sorgen, Jenny Lewis und Murray 'Baby, It's Cold Outside' die Unschuld
zurückgeben oder Maya Rudolph 'Christmas (Baby Please Come Home)' gefühlvoller
neu interpretiert als Mariah Carey: Wenn nicht gerade Chris Rock zu hören ist,
ist dieses Special ein Ohrenschmaus.
#7: A Very Murray Christmas,
oder: Netflix macht einen auf Network-Fernsehen. Netflix-Eigenproduktionen
decken bereits einige Genres ab. Eine Variety-Show, so wie sie bei den
klassischen Sendern beheimatet sind, gab es bei Netflix aber bislang noch nicht
zu sehen. Mit diesem Einstünder wildert der VoD-Anbieter also in noch einem
Gebiet, das einst sicher vor Internetunternehmen schien. Das bedeutet mehr
Abwechslung bei Netflix und mehr Konkurrenz für die Networks, die so
hoffentlich zu mehr Inspiration angetrieben werden. Leider ist nicht nur das
Konzept, sondern auch der Look des Specials gelegentlich „typisch Network“:
Während Coppolas Inszenierung jedem Akt sein eigenes Flair verleiht und somit
lobenswert ist, ist die Lichtsetzung – untypisch für Netflix-Werke – arg grell
und erinnert mit dem Mangel an Tiefenwirkung zuweilen an Network-Fließbandware.
Auch die Szenenübergänge wirken oft planlos – so, als müsste eigentlich eine
Werbepause zwei Sequenzen voneinander trennen.
#8 A Very Murray Christmas,
das Special mit Leerlauf. Obwohl Coppola ihr Netflix-Debüt ziemlich
vollgestopft hat, kommt es wiederholt zu kurzen Augenblicken, in denen es an
Schwung verliert und leicht melancholisch oder schlicht orientierungslos auf
der Stelle tritt. Diese Momente sind rar genug, um keine Langeweile grassieren
zu lassen, bei einer einmaligen Sichtung von A Very Murray Christmas
nehmen sie dem Special trotzdem seine Dynamik. Jedoch ist A Very
Murray Christmas nicht darauf angelegt, einmal angeguckt zu werden.
Coppola, Murray und Netflix wollen einen neuen Klassiker erschaffen, der immer
und immer wieder genossen wird – wie Ist das Leben nicht schön?.
Und wie es Weihnachts-Traditionen nun einmal an sich haben, hat auch dieses
potentiell zum Evergreen heranwachsende Special so seine Durchhänger – und auf
Dauer sind diese sogar willkommen. Wenn es A Very Murray Christmas
in die traditionelle Festtagsrotation geschafft hat, erlauben die Zäsuren, sich
im Weihnachtsstress kurz anderen Aufgaben, Pflichten oder Genüssen zu widmen.
Ob geplant oder nicht – auf langer Sicht sind die kurzen Dürreperioden in A
Very Murray Christmas gar nicht mehr gravierend, sondern
paradoxerweise erfrischend …
Fazit: Viel Alkohol, etwas Süßes, etwas
Bitteres und ein Funke muss auch übergehen: Eine Feuerzangenbowle braucht acht
Zutaten, um so richtig zu gelingen. Ob A Very Murray Christmas
nun so viel Zunder hat wie eine gute Feuerzangenbowle, wird wohl jeder
Netflix-User für sich selbst entscheiden. Einmal dran nippen, ist hier aber
empfohlen, denn A Very Murray Christmas schmeckt nach
Adventswochen. Mit allem Süßen und Bitteren, was dazugehört.
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