Wohl kaum jemand käme auf den
Gedanken, sämtliche Realfilme über einen Kamm zu scheren.
Animationsfilme dagegen müssen dies leider gelegentlich über sich
ergehen lassen, und erst recht die diversen Subkategorien dieses
Mediums. Noch immer glauben zahlreiche Gelegenheitszuschauer,
Zeichentrickfilm sei nahezu ausschließlich für Märchenmusicals da,
während Computeranimationsfilme gleichbedeutend mit
familientauglichen Komödien seien. Diese ignorante Haltung nimmt
jedoch glücklicherweise kontinuierlich ab, so dass sich diese Formen
des Trickfilms vielleicht eines Tages gänzlich von der
ungerechtfertigten Schubladisierung befreien können. Eine andere
Gattung animierter Produktionen wiederum muss sich wohl gar nicht aus
einem engen Image-Gehege befreien, da es schon seit einiger Zeit
tonal sehr widersprüchliche Paradebeispiele aufweist: Der
Stop-Motion-Trickfilm.
Auf der einen Seite halten groteske,
finstere Stopptrickwelten wie jene aus Nightmare before
Christmas, Coraline und Corpse
Bride diese cineastische Erscheinungsform am Leben, auf der
anderen Seite aber gibt es freundlichere Produktionen wie Rudolph
mit der roten Nase oder die gesittet-verschrobenen
Wallace & Gromit-Geschichten. In einem der
Kurzfilme über das außergewöhnliche Hund-und-Herrchen-Gespann aus
dem Hause Aardman Animation trat auch erstmals das knuffige Schaf
Shaun auf, welches seit 2007 weltweit mit einer eigenen Serie die
Herzen von Kindern, Junggebliebenen und Trickbegeisterten erobert.
Nach 130 offiziellen Kurzepisoden von maximal sieben Minuten Laufzeit
erhält das Blöktier nun seinen eigenen Kino-Langfilm. Und auch wenn
voreingenommene Seelen Shaun das Schaf – Der Film
voreilig als reinen Kinderkram abtun werden, beweist die
britisch-französische Koproduktion gleich mehrere Dinge auf einmal:
Kino-Trickfilme müssen auch im Jahr 2015 nicht zappelig sein. Die
Kinoversion einer im Kinderfernsehen versendeten Serie kann auch
Erwachsenen herzlichen Spaß bereiten. Und: Dialoge sind
überbewertet!
Denn wie schon die Serie kommt auch
Shaun das Schaf – Der Film komplett ohne Worte
aus – gelegentliches Kauderwelsch und Tiergeräusche natürlich mal
ausgenommen. Die Regisseure Mark Burton und Richard Starzak lassen
jedoch nie einen Moment aufkommen, in dem es in Ermangelung des
gesprochenen Wortes langweilig wird. Denn bei Shaun, seiner Herde,
dem Hütehund Bitzer und dem namenlosen Bauern ist wieder einmal
ordentlich was los: Von dem fest eingefahrenen Tagesablauf auf der
Farm entnervt, zetteln Shaun und seine Mitschafe eine kleine
Revolution an, so dass der Bauer und seine hündische rechte Hand
ihrem Tagwerk nicht weiter nachgehen können. Doch was die es sich im
Haus gut gehen lassenden Schafe nicht auf Anhieb bemerken, ist dass
der Farmer durch ein Versehen in die Großstadt verfrachtet wird.
Ohne ihn nimmt das Chaos auf der Mossy Bottom Farm schnell überhand,
weswegen Shaun beschließt, wieder den Status quo herzustellen …
Das 85-minütige Abenteuer der
liebenswerten Knettierchen ist eine hinreißende Rarität in der
modernen Filmlandschaft, und darüber hinaus ein mühelos
funktionierendes Paradoxon: Ständig passiert etwas, es gibt also
praktisch gar keinen narrativen Leerlauf, und trotzdem wirkt Shaun
das Schaf – Der Film nicht einmal im Ansatz hektisch oder
sprunghaft. Es ist ein gemütliches Sehvergnügen, das Burton und
Starzak hier mit ihren grundsympathischen Figuren erschaffen, und
dennoch vergeht bei dieser Parade an witzigen Ideen die Zeit wie im
Fluge. Wie man dieses Aufeinanderprallen von Erzähltempo und
Filmwirkung nennen soll, darf nun jeder für sich selbst entscheiden.
Wie wäre es mit 'flinkem Flanieren'?
Aber ganz gleich, welches Etikett man
diesem mittels Plastilin erschaffenen Land- und Stadtausflug nun
aufkleben will, was die 17 Animatoren innerhalb von 10 Monaten hier
geschaffen haben, bleibt erstaunlich: Während die altbekannte Mossy
Bottom Farm auf der Leinwand in neuer Bandbreite begutachtet werden
darf, strotzt die an London angelehnte Großstadt nur so vor
Feinheiten, die das junge Publikum Staunen lassen dürften, während
das ältere Publikum zur amüsanten Suche nach überraschenden
Details eingeladen wird.
Entscheidender als die Hintergründe
sind aber noch immer die Figuren, und die haben nichts von ihrem
Charme und ihrer Ausdrucksstäre verloren. Egal, ob in
Slapstickszenen oder in Passagen, die durch eine gewinnende Mischung
aus Einfallsreichtum und Niedlichkeit das Publikum für sich
einnehmen: Stets lauert ein weiterer perfekt getimter Lacher, ein
goldiger Schmunzler oder eine lustig-clevere Popkulturreferenz um die
Ecke. Neben den bekannten Serienhelden sorgen im Film auch ein an ALF
erinnernder Hund und ein wahnwitziger Tierfänger dafür, dass die
Lachmuskeln keine Ruhepause erhalten – sofern man als Zuschauer
denn die Geduld für ein dialogfreies, actionarmes Stopptickabenteuer
aufbringt. Verbissene Zyniker und (Möchtegern-)Pubertierende, die
alles, was familienfreundlich ist, direkt als dumm und öde abtun,
werden an Shaun das Schaf – Der Film nämlich
wenig überraschend keinen Gefallen finden.
Da aber die Integration der neuen
Figuren gelungen ist und der neue Schauplatz nichts an der gewohnten
Dynamik ändert, werden Liebhaber des Wolltiers geballte Freude an
diesem Film haben. Erst recht, weil Story und Inszenierung dafür
sorgen, dass sich Shaun zwar treu bleibt, aber zugleich genügend
Ungewöhnliches erlebt, um den Sprung von TV-Kurzfilmen zu
abendfüllender Kinoproduktion zu rechtfertigen. Und nach dem Abspann
bleibt einem aufgrund des dargebotenen, mustergültigen
Zusammenspiels zwischen possierlicher Animation und munterer
Tonkulisse nur eins: Der dringende Wunsch nach „Mäh“-er.
Fazit: Liebenswert,
supersüß und saukomisch, ähhh, schafkomisch! Shaun macht es sich
nun auf der großen Leinwand bequem und beschert seinen großen und
kleinen Fans ein erfrischendes, gewitztes Abenteuer, das gerne
fortgesetzt werden darf.
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