Montag, 23. November 2015

Kingsman: The Secret Service


Die lose Comicadaption Kingsman: The Secret Service wirkt nicht ohne Grund wie eine unheilige, unverschämt spaßige Kreuzung aus Kick-Ass und den leichtfüßig-wirren Jahren der James Bond-Reihe. Die Grundidee zur Vorlage dieser außergewöhnlichen Agentenkomödie entstand nämlich am Set von Matthew Vaughns Kick-Ass-Verfilmung, als sich der Regisseur mit Comicschöpfer Mark Millar unterhielt. Im Gespräch wurde ihnen bewusst, dass sie neben facettenreichen Superheldengeschichten ein weiteres Faible teilen: Eskapistische, vor verrückten Ideen überbordende Agentenfilme – wie etwa die meisten der 007-Filme mit Sean Connery oder Roger Moore. Schnell entstand bei Vaughn und Millar das Interesse daran, einen solchen Stoff fürs heutige Publikum zu erschaffen, wobei der zentrale Elitespion aus einem niederen sozialen Milieu stammen sollte. Millar nahm diese Idee und formte sie mit Comiclegende Dave Gibbons (Watchmen) zu einem sechsteiligen Band. Diesen wiederum nutzten Vaughn und seine Schreibpartnerin Jane Goldman als grobe Planskizze für diesen derben Filmspaß:

Während eines Einsatzes der unabhängigen Spionage-Organisation Kingsmen kommt es zu einem tödlichen Missgeschick, wodurch Gary „Eggsy“ Price (Taron Edgerton) zum Halbwaisen wird. Zum Trost schenkt ihm der todchic gekleidete Agent Harry Hart alias Galahad (Colin Firth) eine besondere Medaille. Mittels dieser könne der Junge einmalig einen Gefallen jeglicher Art einfordern. Als Eggsy siebzehn Jahre später, mittlerweile zum arbeitslosen und kleinkriminellen Schulabbrecher mit Kodderschnauze herabgestiegen, wegen Autodiebstahls verhaftet wird, nutzt er endlich seinen modischen Blankoschein. Kurzerhand wird er aus der Haft entlassen und vom aufgeschlossenen Gentleman Harry abgeholt. Dieser zeigt sich von Eggsys Lebenswandel schockiert, dennoch bietet er ihm einen Posten bei den Kingsmen an – vorausgesetzt, dass er die knallharte Ausbildung besteht. Was Eggsy nicht weiß: Die Edelagenten stehen unter enormen Druck, da sich ein undurchschaubares, mörderisches Komplott am Horizont abzeichnet. Im Zentrum dieser Verschwörung scheint der Internet- und Telekommunikations-Milliardär Richmond Valentine (Samuel L. Jackson) zu stehen …

Obschon Vaughn als Regisseur mit X-Men: Erste Entscheidung zuletzt einen gestandenen Blockbuster inszenierte, der zudem nicht auf den Kopf gefallen ist, so ist seine filmische Visitenkarte bislang wohl eher Kick-Ass. Die 30-Millionen-Dollar-Produktion schnitt an den Kinokassen zwar schwächer ab als von den Verantwortlichen erhofft, erarbeitete sich aber mit ihrem feisten Mix aus Gesellschaftskritik, Superhelden-Dekonstuktion und Genrehommage auf DVD und Blu-ray eine ansehnliche Fangemeinde. Vaughn leistet in Kingsman: The Secret Service erneut einen kernigen Balanceakt aus knalligen Albernheiten und rauen Späßen, was jedoch nicht bedeutet, dass er schlicht Kick-Ass aus dem Neopren-Outfit rausgeholt und in einen maßgeschneiderten Anzug gesteckt hat.

Die bewusst groben gesellschaftlichen Seitenhiebe, die Kick-Ass mitprägen, weichen hier gelegentlichem Sozialkommentar. Was auf dieser Ebene an Biss fehlt, da sich Vaughn in seinem Superheldenfilm noch über mangelnde Zivilcourage aufregte, hier nun aber Klassenunterschiede schlicht nur aufs Korn nimmt, gleicht Kingsman: The Secret Service an anderer Stelle aus. So ist die Action um ein Vielfaches besser choreografiert, spannender in Szene gesetzt und knackiger geschnitten – sowie irrsinniger und brutaler: Vaughn vereint in seinen Actionsequenzen den rasanten Bombast moderner Blockbuster mit dem kuriosen Ideenreichtum alter Bond-Filme und der schonungslosen Attitüde eines Quentin Tarantino. Höhepunkt des Ganzen ist ein Abstecher Harrys in eine fundamentalistische Südstaatenkirche, die ausgerechnet den förmlichen Oscar-Preisträger Colin Firth auf Anhieb in den Actionolymp katapultieren dürfte.

Generell ist es eine Wonne, was Firth in Kingsman: The Secret Service abliefert: Als stets galanter, wohlartikulierter britischer Gentleman überhöht er sein Image, gleichermaßen dreht er es durch seine mal pfiffigen, mal frivolen Actionszenen und eine stets kess-amüsierte Attitüde auf links. Auch Samuel L. Jackson ist als lispelnder Selfmade-Milliardär mit ansteckender Freude bei der Arbeit und erschafft eine Figur, so unsubtil, so wahnwitzig, so selbstverliebt wie es sich in früheren Zeiten für einen Bond-Widersacher ziemte. Bloß, dass Valentine zugleich ganz klar eine Figur des 21. Jahrhunderts ist, nicht nur aufgrund seiner IT-Kenntnisse, sondern auch wegen seiner Popkulturobsession sowie seiner modernen Verwirrung darüber, welcher Gesellschaftsschicht er zugehört. Egal ob in Monologen oder im Zusammenspiel mit seiner Handlangerin (Sofia Boutella als zügellose Antwort auf Bond-Figuren wie Beißer und Oddjob), Firths spaßiger Rolle und dem Protagonisten – Jackson sorgt für ein echtes Gagfeuerwerk und erinnert mit Nachdruck daran, dass er weit mehr spielen kann als nur eine ernste Autoritätsperson.

Obwohl das Marketing Firth ins Zentrum rückt, ist der bislang nahezu unbekannte Taron Egerton der unbestrittene Star des Films. Zu Beginn gelingt es ihm, einen launischen, auf eine lässige Außenwirkung bedachten Jugendlichen aus der Unterschicht zu verkörpern, dessen ungenutztes Potenzial gut versteckt, nicht aber unmöglich zu erkennen ist. Egerton macht Eggsy aufgeweckt und sympathisch genug, so dass nachvollziehbar ist, weshalb jemand wie Harry an ihn glauben könnte. Trotzdem lässt er markant genug den „Assi“ raushängen, um das Agentengenre neu durchzumischen. Sobald die Kingsman-Ausbildung beginnt, skizziert Egerton dann allmählich und glaubwürdig die Wandlung seiner Figur zum idealen Gentleman-Spion: Mit Charisma und einem Hauch Ironie formiert Egerton aus Eggsy den neuen 007 im Stile Sean Connerys, Roger Moores und Pierce Brosnans, den manche Bond-Fans so sträflich vermissten. Dank der Komponisten Henry Jackman und Matthew Margeson kann sich Kingsman: The Secret Service mit seinen atmosphärischen, treibenden, stilvollen Klängen außerdem auf musikalischer Ebene mit vielen 007-Missionen messen.

Wie Vaughn durch Figuren wie Eggsy, Harry und Valentine sowie die überraschende, herrlich bescheuerte Handlung früheren Epochen des Agentenfilms Tribut zollt, ist durchweg faszinierend: Kingsman: The Secret Service ist eine passionierte Hommage an dick aufgetragene Spionageblockbuster, gleichzeitig macht Vaughn mit grotesker Brachialität und derben Gags deutlich, dass er schlussendlich am liebsten den unerzogenen Bruder im Geiste seiner Idole erschaffen will. Und nicht etwa einfach bloß einen neuen Roger-Moore- oder Pierce-Brosnan-Bond. Dadurch büßt er zwar ordentlich an Massentauglichkeit ein, dank stets cleverer Popkulturreferenzen (die mal offenkundig, mal subtil sind), sprühendem Dialogwitz und packender, ungewöhnlicher Action hat Kingsman: The Secret Service seiner Zielgruppe allerdings so viel zu bieten, dass er locker etwas Kollateralschaden verkraften kann.


Fazit: Kingsman: The Secret Service ist ein sündiges, derbes, großartiges Kinovergnügen. Ein tolles Ensemble, stylisch-zügellose Action und feist-cleverer Humor lassen diesen Ghetto-Agenten problemlos an Kick-Ass vorbeiziehen. Extrem kultverdächtig!

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