Die lose Comicadaption Kingsman:
The Secret Service wirkt nicht ohne Grund wie eine
unheilige, unverschämt spaßige Kreuzung aus Kick-Ass
und den leichtfüßig-wirren Jahren der James
Bond-Reihe. Die Grundidee zur Vorlage dieser
außergewöhnlichen Agentenkomödie entstand nämlich am Set von
Matthew Vaughns Kick-Ass-Verfilmung, als sich der
Regisseur mit Comicschöpfer Mark Millar unterhielt. Im Gespräch
wurde ihnen bewusst, dass sie neben facettenreichen
Superheldengeschichten ein weiteres Faible teilen: Eskapistische, vor
verrückten Ideen überbordende Agentenfilme – wie etwa die meisten
der 007-Filme mit Sean Connery oder Roger Moore. Schnell entstand bei
Vaughn und Millar das Interesse daran, einen solchen Stoff fürs
heutige Publikum zu erschaffen, wobei der zentrale Elitespion aus
einem niederen sozialen Milieu stammen sollte. Millar nahm diese Idee
und formte sie mit Comiclegende Dave Gibbons (Watchmen)
zu einem sechsteiligen Band. Diesen wiederum nutzten Vaughn und seine
Schreibpartnerin Jane Goldman als grobe Planskizze für diesen derben
Filmspaß:
Während
eines Einsatzes der unabhängigen Spionage-Organisation Kingsmen
kommt es zu einem tödlichen Missgeschick, wodurch Gary „Eggsy“
Price (Taron Edgerton) zum Halbwaisen wird. Zum Trost schenkt ihm der
todchic gekleidete Agent Harry Hart alias Galahad (Colin Firth) eine
besondere Medaille. Mittels dieser könne der Junge einmalig einen
Gefallen jeglicher Art einfordern. Als Eggsy siebzehn Jahre später,
mittlerweile zum arbeitslosen und kleinkriminellen Schulabbrecher mit
Kodderschnauze herabgestiegen, wegen Autodiebstahls verhaftet wird,
nutzt er endlich seinen modischen Blankoschein. Kurzerhand wird er
aus der Haft entlassen und vom aufgeschlossenen Gentleman Harry
abgeholt. Dieser zeigt sich von Eggsys Lebenswandel schockiert,
dennoch bietet er ihm einen Posten bei den Kingsmen an –
vorausgesetzt, dass er die knallharte Ausbildung besteht. Was Eggsy
nicht weiß: Die Edelagenten stehen unter enormen Druck, da sich ein
undurchschaubares, mörderisches Komplott am Horizont abzeichnet. Im
Zentrum dieser Verschwörung scheint der Internet- und
Telekommunikations-Milliardär Richmond Valentine (Samuel L. Jackson)
zu stehen …
Obschon Vaughn als Regisseur mit
X-Men: Erste Entscheidung zuletzt einen
gestandenen Blockbuster inszenierte, der zudem nicht auf den Kopf
gefallen ist, so ist seine filmische Visitenkarte bislang wohl eher
Kick-Ass. Die 30-Millionen-Dollar-Produktion
schnitt an den Kinokassen zwar schwächer ab als von den
Verantwortlichen erhofft, erarbeitete sich aber mit ihrem feisten Mix
aus Gesellschaftskritik, Superhelden-Dekonstuktion und Genrehommage
auf DVD und Blu-ray eine ansehnliche Fangemeinde. Vaughn leistet in
Kingsman: The Secret Service erneut einen
kernigen Balanceakt aus knalligen Albernheiten und rauen Späßen,
was jedoch nicht bedeutet, dass er schlicht Kick-Ass
aus dem Neopren-Outfit rausgeholt und in einen maßgeschneiderten
Anzug gesteckt hat.
Die
bewusst groben gesellschaftlichen Seitenhiebe, die Kick-Ass
mitprägen, weichen hier gelegentlichem Sozialkommentar. Was auf
dieser Ebene an Biss fehlt, da sich Vaughn in seinem Superheldenfilm
noch über mangelnde Zivilcourage aufregte, hier nun aber
Klassenunterschiede schlicht nur aufs Korn nimmt, gleicht
Kingsman: The Secret Service an anderer Stelle
aus. So ist die Action um ein Vielfaches besser choreografiert,
spannender in Szene gesetzt und knackiger geschnitten – sowie
irrsinniger und brutaler: Vaughn vereint in seinen Actionsequenzen
den rasanten Bombast moderner Blockbuster mit dem kuriosen
Ideenreichtum alter Bond-Filme und der schonungslosen Attitüde eines
Quentin Tarantino. Höhepunkt des Ganzen ist ein Abstecher Harrys in
eine fundamentalistische Südstaatenkirche, die ausgerechnet den
förmlichen Oscar-Preisträger Colin Firth auf Anhieb in den
Actionolymp katapultieren dürfte.
Generell ist es eine Wonne, was Firth
in Kingsman: The Secret Service abliefert: Als
stets galanter, wohlartikulierter britischer Gentleman überhöht er
sein Image, gleichermaßen dreht er es durch seine mal pfiffigen, mal
frivolen Actionszenen und eine stets kess-amüsierte Attitüde auf
links. Auch Samuel L. Jackson ist als lispelnder Selfmade-Milliardär
mit ansteckender Freude bei der Arbeit und erschafft eine Figur, so
unsubtil, so wahnwitzig, so selbstverliebt wie es sich in früheren
Zeiten für einen Bond-Widersacher ziemte. Bloß, dass Valentine
zugleich ganz klar eine Figur des 21. Jahrhunderts ist, nicht nur
aufgrund seiner IT-Kenntnisse, sondern auch wegen seiner
Popkulturobsession sowie seiner modernen Verwirrung darüber, welcher
Gesellschaftsschicht er zugehört. Egal ob in Monologen oder im
Zusammenspiel mit seiner Handlangerin (Sofia Boutella als zügellose
Antwort auf Bond-Figuren wie Beißer und Oddjob), Firths spaßiger
Rolle und dem Protagonisten – Jackson sorgt für ein echtes
Gagfeuerwerk und erinnert mit Nachdruck daran, dass er weit mehr
spielen kann als nur eine ernste Autoritätsperson.
Obwohl das Marketing Firth ins Zentrum
rückt, ist der bislang nahezu unbekannte Taron Egerton der
unbestrittene Star des Films. Zu Beginn gelingt es ihm, einen
launischen, auf eine lässige Außenwirkung bedachten Jugendlichen
aus der Unterschicht zu verkörpern, dessen ungenutztes Potenzial gut
versteckt, nicht aber unmöglich zu erkennen ist. Egerton macht Eggsy
aufgeweckt und sympathisch genug, so dass nachvollziehbar ist,
weshalb jemand wie Harry an ihn glauben könnte. Trotzdem lässt er
markant genug den „Assi“ raushängen, um das Agentengenre neu
durchzumischen. Sobald die Kingsman-Ausbildung beginnt, skizziert
Egerton dann allmählich und glaubwürdig die Wandlung seiner Figur
zum idealen Gentleman-Spion: Mit Charisma und einem Hauch Ironie
formiert Egerton aus Eggsy den neuen 007 im Stile Sean Connerys,
Roger Moores und Pierce Brosnans, den manche Bond-Fans so sträflich
vermissten. Dank der Komponisten Henry Jackman und Matthew Margeson
kann sich Kingsman: The Secret Service mit seinen
atmosphärischen, treibenden, stilvollen Klängen außerdem auf
musikalischer Ebene mit vielen 007-Missionen messen.
Wie
Vaughn durch Figuren wie Eggsy, Harry und Valentine sowie die
überraschende, herrlich bescheuerte Handlung früheren Epochen des
Agentenfilms Tribut zollt, ist durchweg faszinierend: Kingsman:
The Secret Service ist eine passionierte Hommage an dick
aufgetragene Spionageblockbuster, gleichzeitig macht Vaughn mit
grotesker Brachialität und derben Gags deutlich, dass er
schlussendlich am liebsten den unerzogenen Bruder im Geiste seiner
Idole erschaffen will. Und nicht etwa einfach bloß einen neuen
Roger-Moore- oder Pierce-Brosnan-Bond. Dadurch büßt er zwar
ordentlich an Massentauglichkeit ein, dank stets cleverer
Popkulturreferenzen (die mal offenkundig, mal subtil sind),
sprühendem Dialogwitz und packender, ungewöhnlicher Action hat
Kingsman: The Secret Service seiner Zielgruppe
allerdings so viel zu bieten, dass er locker etwas Kollateralschaden
verkraften kann.
Fazit: Kingsman: The
Secret Service ist ein sündiges, derbes, großartiges
Kinovergnügen. Ein tolles Ensemble, stylisch-zügellose Action und
feist-cleverer Humor lassen diesen Ghetto-Agenten problemlos an
Kick-Ass vorbeiziehen. Extrem kultverdächtig!
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen