Wohl kaum eine Epoche wurde durch
Historienfilme dermaßen abgegrast wie das finstere Kapitel, das sich
von 1939 bis 1945 erstreckte. Spätestens seit Quentin Tarantinos
Meisterwerk Inglourious Basterds dürfte über den
Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und über Hitler endgültig alles
gesagt sein, was es kinematografisch zu sagen gab. Dieser bärenstarke
Geniestreich knallte mit voller Wucht und diebischem Genuss eben
dieser cineastischen Sparte einen abgegriffenen Baseballschleger vor
den Latz. Er zerlegte das mit zeitlichem Abstand geschaffene, sich
überschätzende Betroffenheitskino zu Kleinholz. In seiner
inspirierten Zerstörungswut erwies sich Inglourious
Basterds aber obendrein als distinguiert, intellektuell und
kultiviert. Mit einem finalen Grinsen sagte diese wilde Mischung aus
sündiger Unterhaltung und Arthaus-Qualitäten: Schluss, das war's,
bitte gehen Sie weiter, der NS-Historienfilm ist bloß noch eine
Ruine!
Und dennoch: Die Vorstellung, dass
Filmemacher weltweit die NS-Zeit nach Tarantinos fulminantem
Weltkriegs-Spaghettiwestern-Exploitation-Drama tatsächlich als
verbrannte Erde ansehen, blieb eine utopische. Weder verfiel die
Kinowelt unmittelbar nach Veröffentlichung der Geschichtsmär in
eine Schockstarre, noch ist in Jahr sechs nach Inglourious
Basterds eine Flaute zu vermelden. Obwohl diese neuen
Historienfilme über die NS-Jahre ein bloßes Addendum darstellen,
bedeutet es aber nicht, dass sie alle vergessenswert sind.
Ausgerechnet
Oliver Hirschbiegel, Regisseur des äußerst theatralen und streckenweise ungewollt komischen Führerbunkerdramas Der Untergang, hat die Zeichen
der cineastischen Zeit erkannt. Weil Filmschaffende nunmehr alles
erdenkliche über Hitler gesagt haben, darf in Elser – Er
hätte die Welt verändert der Führer selbst nicht mehr zu
Wort kommen: Der Diktator, der in Hirschbiegels kontrovers
besprochenem Kassenerfolg noch fasziniert in aller Bandbreite
beleuchtet wurde, hat hier lediglich einen knapp bemessenen Auftritt.
Während seiner wenigen Leinwandsekunden ist er vollkommen
unverständlich – sein Mikrofon hallt, übersteuert, unterstreicht
doppelt und dreifach seine grausige Artikulation. Adolf Hitler wird
wieder zur Zerrgestalt degradiert – und mehr von ihm bräuchte
dieser Film auch nicht.
Hirschbiegel nutzt seine sich erst nach
dem Abgang des filmisch mundtoten Hitlers entfaltende Erzählung
vielmehr, um sogleich auf mehrerer Ebene Korrektur folgen zu lassen.
So rücken er und die Drehbuchautoren Léonie-Claire & Fred
Breinersdorfer beruhend auf jüngeren geschichtsschreiberischen
Erkenntnissen das öffentliche Bild der historischen Persönlichkeit
Georg Elser gerade. Elser ist in der Bundesrepublik nahezu unbekannt,
und viele, die sehr wohl von ihm wissen, erachten ihn aufgrund seiner
bisherigen Darstellung oftmals als eigenbrötlerischen, etwas tumben
Trotzkopf. Elser – Er hätte die Welt verändert
zeichnet ein ganz anderes Bild des schwäbischen Schreiners, der am
8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller eine selbstgebaute
Bombenkonstruktion versteckte, um die gesamte NS-Führungsriege
auszulöschen.
Bekanntlich ging der Plan schief:
Hitler verließ das Gebäude 13 Minuten früher als von Elser
erwartet und entkam so der Detonation. Elser indes wurde während
seiner Flucht in die Schweiz gefasst und daraufhin von den Schergen
des Regimes nach Berlin gebracht. Obwohl er seine Tat gestand,
verhören ihn die Nazis weiter, folterten ihn, weil sich sein
Geständnis, als Einzeltäter gehandelt zu haben, nicht in ihr
Weltbild fügte …
Während der Leinwand-Elser die
höllischen Foltermethoden des Reichskriminalamts und der Gestapo
über sich ergehen lässt, zeigen Rückblenden, wie es so weit kommen
konnte, dass ein einzelner Mann, noch dazu einer mit friedfertigem
Gemüt, das erste bedeutende Attentat auf Hitler versuchte. Das gern
genutzte narrative Mittel der in eine Verhörsituation eingestreuten
Rückblenden ist sogleich die einzige Schwäche dieses Dramas von nennenswerter Größe:
Dadurch, dass Elser – Er hätte die Welt verändert
nicht auf einen durchgängigen, chronologischen Erzählstrang setzt,
sondern zwei Handlungsfäden spinnt, rauben die Autoren ihrer
Erzählung Potential. Die Spannungsentwicklung wird aufgrund der
Unterbrechungen durch die jeweils andere Zeitebene (Elsers
Gefangenschaft einerseits, andererseits die Entwicklung, die ihn zum
Bau der Bombe trieb) mehrmals zurückgehalten, wodurch dem Publikum
auch vermehrt Möglichkeit zur emotionalen Distanzierung gegeben
wird. Diese Ruheinseln sind angesichts des Gezeigten zwar eher klein,
trotzdem würde sich die Wirkungsintensität dieser Kinorpoduktion
bei einer chronologischen Erzählweise wohl um ein Vielfaches
erhöhen, ohne dass ihr dadurch der Anspruch abhanden käme.
Trotz
der leicht missglückten Erzähldynamik weiß Hirschbiegel, eine
hochgradige Beklommenheit zu erzeugen – gerade weil sich der
Regisseur von den großen Gesten und dem Duktus seines
Oscar-nominierten Bunkerspiels distanziert. In aller demütigen
Sorgfalt erschafft Hischbiegel ein unterschwellig verstörendes Bild
einer Gesellschaft voller Mitläufer. In der ersten Rückblende
scheint kurz alles eitel Sonnenschein zu sein, Elser fühlt sich als
Teil eines durchaus zahlreich vertretenen Menschenschlags, der das
Leben in sämtlichen Facetten genießt – und entsprechend tolerant,
gesellig und friedlich geraten ist. Aber nach und nach schleicht das
braune Verderben in die Köpfe der Gesellschaft. Zunächst sind es
nur Stammtischparolen und neckische Auseinandersetzungen zwischen
politisch rechten Bürgern und ihren eher links orientierten
Zeitgenossen. Aber von Szene zu Szene wird aus einer störenden
Minderheit die bedrohliche Mehrheit, bis schlussendlich auf einem
Erntedankfest alles mit Hakenkreuzen übersät ist, ein ganzes Dorf
ob dieser Symbole erfreut grinst und dankbar die Lügen der Nazis
schluckt.
Dass da schäbiges Filmmaterial einer
Sportveranstaltung als von Hitler gebrachter technischer Fortschritt
umjubelt wird, obwohl in den Straßen deutscher Städte noch einige
Monate zuvor über aufwändige Abenteuerfilme diskutiert wurde, ist
noch mit Abstand das geringste Merkmal blinden Führungsgehorsams.
Amüsiert feixt Elsers Umfeld, wenn Mitmenschen gedemütigt werden,
sollten sie nicht der NS-Idelogie entsprechend handeln. Fröhlich
haften sich – nahezu – alle an die Fersen des abscheulichen Demagogen.
Um diesen Verfall aufzuzeigen, streut Hirschbiegel in einige
Rückblenden mit verständlich romantisiertem Beiklang Elemente des
Heimatfilms ein, um diese dann gewaltvoll zu ersticken. So
illustriert der Regisseur, wie die Nationalsozialisten nachhaltig die
deutsche Vorstellung von Heimat verschmutzten.
Selbst in den Verhörszenen, welche
strukturell klar vom Erzählfaden über die Nazifizierung der
Gesellschaft abgegrenzt sind, findet sich das Thema des Mitläufertums
und Wegschauens wieder. Denn noch drastischer als die schonungslos
gefilmten Folterungen Elsers stellt Hirschbiegel die Routine dar, die
sich bei den Tätern und Mitwissern breit machte. Wie
selbstverständlich verlässt die Protokollantin den Raum, ehe die
Gestapo ihre Werkzeuge auspackt, woraufhin die junge Frau direkt vor
der Tür sitzend ein Buch liest. Hirschbiegel zeigt die empathielos
ihre Arbeitspause ausnutzende Dame in einer quälend langen
Einstellung, während überdeutlich das brutale Schauspiel aus dem
Verhörzimmer schallt. Abgesehen von Elser, der in den Rückblenden
die ideologische Wandlung seiner geliebten Heimat nicht weiter
aushält, treibt es sonst nur Reichskriminaldirektor Arthur Nebe
irgendwann zu einem unerwarteten Gefühlsausbruch: Ihm reißt ob
Elsers bestechenden Weisheiten der Geduldsfaden, und dank Burghart
Klaußners packendem Spiel sieht man als Zuschauer, wie sich der
zuvor so moderate Nebe an einem gewissen Punkt nur noch in gallende
Wut flüchtet.
So wenig schmeichelhaft Elser
– Er hätte die Welt verändert ist, so aktuell ist er.
Die Verhörmethoden, die gezeigt werden, sind mancherorts noch immer
alltäglich und eine bedauerliche Tendenz zum sturen Mitläuferdasein
ist in unserer Gesellschaft weiterhin zu beobachten. Insbesondere in Zeiten komplexer, dennoch dringender Probleme. Dass
Hirschbiegel und Kamerafrau Judith Kaufmann die detailgenauen Kostüme
und Schauplätze ihres Films eben nicht in ein genretypisch
schattiges Licht setzen, sondern ihr Werk wie eine kontemporäre
Geschichte ausleuchten, verstärkt die Unmittelbarkeit der
mitschwingenden Aussagen.
Vor
allem aber ist es Hauptdarsteller Christian Friedel (Das
weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte), auf dessen
Schultern das qualitative Gelingen dieser Produktion ruht. Mit
sympathischer Leichtigkeit gibt er einen sanften Lebemann, der Frauen
um den Finger wickelt, sich vornehmlich um das Hier und Jetzt
kümmert, dann aber zur schleichenden Erkenntnis kommt, dass ein
Einschreiten dringend vonnöten ist. Das mehrdimensionale
Zusammenspiel Friedels mit Katharina Schüttler in der Rolle von
Elsers, durch ihren abscheulichen Mann gebeutelten, Geliebten sorgt
obendrein für zusätzliche Identifkationsmöglichkeiten. Ebenso
beugt es jedoch einer verklärten Heroisierung Elser vor – und
vermeidet somit einen weiteren Fehler, der in NS-Geschichtsdramen
häufig anzutreffen ist. Friedels spitzbübische Figur ist ein
liebevoller, wenngleich kurzsichtiger Taugenichts. Allerdings hatte
er genug Haltung, sich gegen das zu sträuben, was sich direkt vor
seiner Nase abspielte, während Millionen anderer Bürger die Augen
verschlossen haben.
Quentin Tarantinos Inglourious
Basterds mag die Idee, man könne durch eine unendliche
Flut an NS-Geschichtsfilmen weiterhin neue Lektionen von Belang
lernen, in Schutt und Asche gelegt haben. Solange aber das
cineastische Postskriptum zu diesem Themenkomplex aus Filmen wie
Elser – Er hätte die Welt verändert besteht,
gibt es kaum etwas zu beklagen, wenn sich Regisseure in die Ruinen dieses unter seiner eigenen Last zusammengebrochenen Genres trauen. Vor allem, wenn sie wie Hirschbiegel etwas wieder gut zu machen haben. Elser ist die Antithese zu seinem eigenen Kassenschlager Der Untergang – und darum ein sehenswertes "Post Skriptum".
Fazit: Intensiv,
beklemmend und verdammt gut gespielt: Elser – Er hätte
die Welt verändert ergänzt die ungeheuerlich lange Reihe
an Nazidramen trotz Mängeln in der Erzählstruktur um einen
aktuellen, klugen und tonal ausgewogenen Film.
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