Donnerstag, 19. November 2015

"Der Marsianer – Rettet Mark Watney": Eine Komödie?


Die Kinowelt wird von Marken dominiert. Das muss man einfach einsehen, ganz gleich, ob man dies befürwortet, duldet oder verabscheut. Und die Vereinigten Staaten ticken dahingehend besonders franchiseorientiert: Aktuell, nur noch wenige Wochen vor Jahresende, befinden sich in den Top Ten der US-Jahrescharts 2015 neun Kinofilme, die entweder Fortsetzungen sind (Jurassic World, Avegers: Age of Ultron, Fast & Furious 7, Mission: Impossible - Rogue Nation, Pitch Perfect 2), Remakes (Disneys Cinderella), Spin-Offs (Minions) oder Teil einer mächtig vermarkteten Kino-Marke sind (Avengers: Age of Ultron, nochmal, sowie Ant-Man und Pixar-Animationsfilm Alles steht Kopf). Dazwischen befindet sich exakt ein weiterer Film: Ridley Scotts Weltraumgeschichte Der Marsianer – Rettet Mark Watney. Wenn heutzutage eine erwachsenenorientierte Produktion, die nicht auf einem bereits bestehenden Kinowerk aufbaut, solch einen Erfolg landet, dann muss etwas dahinter stecken. Über 207 Millionen Dollar allein in den Vereinigten Staaten erarbeitet sich ein Film nicht ganz von allein.

Ein wichtiger Aspekt, der die Bestselleradaption lange in den US-Kinos zu einem Publikumsmagneten gemacht hat, ist die Mundpropaganda. Sehr positive Kritiken von professionellen Filmjournalisten sowie vom "normalen", zahlenden Publikum (8,2 Punkte bei IMDb, 93% bei der RottenTomatoes-Userbewertung) können durchaus Wirkung zeigen. So etwas passiert wohl, wenn ein sehr gut gemachter Film zum richtigen Zeitpunkt kommt ... und sein Publikum mit einer sehr positiven Grundattitüde umgarnt. Denn für einen Film über einen Astronauten, der ganz allein auf dem Mars gestrandet ist, hält Der Marsianer nach einem halben Akt der Desillusionierung und Panik eine sehr optimistische "Irgendwie kämpf ich mich da durch!"-Stimmung aufrecht. Und all das, ohne dabei dem Betrachter kitschige Kalendersprüche um die Ohren zu pfeffern.

Dass ein beliebter, erfolgreicher und sehr positiv besprochener Film, der noch dazu von einem namhaften Regisseur wie Ridley Scott stammt, Teil des Gesprächs rund um die Awards-Saison ist, liegt auf der Hand. Allerdings erreichen wir hiermit einen großen, großen Streitpunkt: Bei den Golden Globes wird Der Marsianer als "Beste Komödie" antreten. Was zahlreichen (vor allem englischsprachigen) Filmjournalisten überhaupt nicht bekommen ist. Es sei eine Blamage für die Globes und eine Beleidigung gegenüber Scotts Film.

Ich frage: Wirklich? Ich zumindest bin auf der Seite der für die Globes verantwortlichen Hollywood Foreign Press Association. Als ich Scotts Weltraumabenteuer gesehen habe, hatte ich nach den rund zwei Stunden schmerzende Wangen, weil ich so viel gegrinst habe. Denn nachdem Scott den Ernst der Lage etabliert und in dunklen Farben einen niedergeschmetterten Matt Damon alias Mark Watney gezeigt hat, der sich in seiner Marsstation selber operiert, wird dieser Film zu einer launigen Zelebration dessen, was Wissenschaft kann. Mit spritzigem Sarkasmus kommentiert Watney den ganzen Film über seine Lage, indem er Rückschläge bei seinen Experimenten auf die betont leichte Schulter nimmt sowie die auf dem Mars zurückgelassene, discolastige Musikauswahl mit endlosen Seitenhieben attackiert. Die Szenen auf der Erde zeigen die NASA-Crew als eine Gruppe eloquenter, smarter Menschen, die alle grundverschiedene Charaktere haben und sich daher zu sehr pfiffigen Ergebnissen kabbeln, während sie unentwegt ergebnisorientiert nach Lösungen suchen, um Watney zurückzuholen.

Es stimmt, dass der von Fluch der Karibik-Kameramann Dariusz Wolski in kräftigen Farben eingefangene, mit beeindruckender Tiefenwirkung erstaunende Marsianer kein Non-Stop-Lachfest ist. Ridley Scott setzte es sich nicht zum Ziel, eine immens hohe Gagdichte zu liefern und mit so vielen Pointen um sich zu feuern, wie etwa Edgar Wright bei Hot Fuzz oder Seth Rogen und Evan Goldberg in Das ist das Ende. Das Skript von Drew Goddard (Alias, Cloverfield) lässt nämlich genügend Raum, um dem von Matt Damon charismatisch gespielten Mark Watney in mehreren charakterlichen Facetten zu zeigen und die verschiedenen Rettungsmissionsideen sowie deren Entwicklung plausibel auszuarbeiten. Trotzdem ist der Grundtenor des Films nicht etwa "Oh nein, der arme Mark wird sicher einen qualvollen Tod sterben!", sondern "Wissenschaft! Yeah!", was sogar nahezu Wort für Wort so im Dialogbuch gesagt wird. Mit schmissiger Archivmusik und nicht einer einzigen antagonistischen Figur feiert Der Marsianer die Fähigkeit des menschlichen Verstands sowie das Potential der Gesellschaft, an einem Strang zu ziehen. Wir werden, zusammen mit Watney, in eine aussichtslose Situation gesteckt - und lachen uns aus ihr raus, auf den Schwingen einer "Stehaufmännchenmentalität".

Außerdem: Der Abspannsong dient als gepfefferte Pointe. Welches ernstzunehmende Survivaldrama, als das viele Der Marsianer nun plötzlich bezeichnen, tut schon sowas?

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