New York City. The Big Apple. Eine
Metropole mit Charakter, mit einer unzählige Menschen inspirierenden
Ausstrahlung – und mit einer Historie, die von mehreren
Rückschlägen geprägt ist. Einen dieser Tiefpunkte stellen die
frühen 80er-Jahre dar. Im Fahrwasser der Ölkrise, um sich
greifender Korruption und herber Budgetkürzungen des kommunalen
Apparates verlor New York City vorübergehend seinen Glanz, seine
Identität, seine Ordnung. Aus der beliebten, lebendigen Großstadt
wurde ein stinkender, kaum regulierter Moloch schlecht kontrollierter
Aggressionen. Die Kriminalitätsrate erlebte zu dieser Zeit einen
gewaltigen Anstieg, wobei der vorläufige Höhepunkt 1981 erreicht
wurde. Vor diesem Hintergrund erzählt Autorenfilmer J. C. Chandor
(Der große Crash – Margin Call, All is
Lost) in A Most Violent Year die
fiktive, aber höchst plausible, Geschichte eines geschäftigen
Immigranten, der sich inmitten dieser moralischen Korruption den
amerikanischen Traum erfüllen will.
Abel Morales (Oscar Isaac) arbeitet
seit Jahren verbissen daran, eine große Nummer im Heizölgeschäft
zu werden. Auf dem Weg nach ganz oben in diesem hart umkämpften
Geschäft entsagt er vehement der steten Versuchung, es seinen übel
tricksenden Kollegen gleichzutun. Er mag vielleicht die Steuern
minimal frisiert haben, ansonsten rühmt sich Abel damit, ein guter,
ehrlicher Geschäftsmann zu sein – daher pflegen er und seine Frau
Anna (Jessica Chastain) auch keinerlei Verbindungen zum früheren
Besitzer der Firma: Annas Vater, einem berüchtigten Gangsterboss.
Abel duldet in seiner Nähe nicht einmal Schusswaffen – weder im
eigenen Haus, noch dürfen seine Fahrer welche bei sich tragen. Dabei
werden diese neuerdings vermehrt zu Opfern bewaffneter Überfälle,
weshalb sie Abel unter Druck setzen, mehr für ihre Sicherheit zu
tun. Abel plagen aber viel größere Probleme: Um sein Unternehmen zu
vergrößern, möchte er ein weitläufiges Industriegelände
erwerben, benötigt zum Abschluss des Kaufs aber noch einen Betrag in
Millionenhöhe. Und ob ihm die Banken ein Darlehen genehmigen, wird
mit einem Schlag fraglich, als ein ehrgeiziger Staatsanwalt (David
Oyelowo) ankündigt, den Ölfirmen strengstens auf die Finger zu
schauen – insbesondere Abels Buchhaltung interessiert ihn …
Drei ereignisreiche, von Rückschlägen
und Bedrohungen durchsetzte Tage im Leben eines unbiegsamen,
selbstgerecht auftretenden Unternehmers. Erzählt in rund zwei
Filmstunden. Zwei Stunden, die in aller Breite das Gefühl
transportieren, wie sich die Schlinge langsam zuzieht. Innerhalb der
Geschichte wie außerhalb. Werkimmanent ist es die Schlinge aus
Betrug, Verrat und Tücke, die sich um Abels Hals zieht. Außerhalb
dieses Milieu-Thrillerdramas ist es die Schlinge einer langsam die
Nerven zerreibenden Anspannung, die von Szene zu Szene immer
schroffer wird. Sie ruht immer belastender auf dem Nacken des
aufmerksamen Betrachters und transportiert unmissverständlich: Es
gibt keinen einfachen Ausweg. Und wir, die Zuschauer, können uns
diese kriminalistische Kalamität bloß hilflos mitansehen.
Auf abstrakte Weise teilt sich Chandors
dritte Leinwandarbeit daher wenige, doch entscheidende, Züge mit
Paul Thomas Andersons gefeiertem Historiendrama There Will
Be Blood. Auch diese zweifach Oscar-gekrönte Tour de Force
handelt von einem verbissenen Ölunternehmer und generiert ein Gros
seiner Spannung aus der zwar unterschwelligen, aber kontinuierlich
gellender werdenden, Drohung einer gewaltsamen Eskalation. Der von
Daniel Day-Lewis verkörperte Schürfer Daniel Plainview allerdings
ist bereits zu Beginn seines Films ein misanthropischer Eigenbrötler,
der frei von Skrupeln seinem Tagwerk nachgeht. Abel dagegen vertritt
eine gänzlich andere Weltsicht als Plainview oder die zahllosen
Protagonisten einschlägiger Gangster-Filme – und bietet dem
interessierten Publikum, das weder auf eine abgründige Hauptfigur
wartet noch auf literweise Blutvergießen, somit einen für dieses
Genre unerwarteten Zugang zur sich allmählich entfaltenden Handlung.
Wimmelt es in Geschichten über den
Sirenengesang von Korruption und Gewalt üblicherweise vor manischen
Gestalten, sind die Charaktere in A Most Violent Year
allesamt geerdet – allen voran der ins Trudeln geratene, stoische
Held dieses Stücks. Oscar Isaac spielt Abel nahezu mit steinerner
Miene – aber eben nur 'nahezu'. Denn die Gesteinsschicht erodiert,
lässt eine vielschichtige Zusammenwirkung zahlloser Faktoren
erahnen. Abel kann ängstlich und zugleich völlig von seiner
Ehrlichkeit begeistert sein, frustriert und zukunftsgewiss, in
Gedanken an seine von Chandor nur angerissenen Vergangenheit verloren
und um seinen jetzigen Anschein besorgt. Isaacs Darbietung besticht
durchgehend, egal, ob Abel einen ungehorsamem Mitarbeiter ermahnt
(Eleys Gabel, der auch für die meisten der harscheren
Supsensemomente verantwortlich ist), mit Kollegen verhandelt oder
schlicht grübelt und dabei in vieldeutige Stille verfällt.
Zu den Höhepunkten in diesem von einer
starken Sequenz zur nächsten gleitenden Thrillerdrama zählen aber
jene Augenblicke, in denen Jessica Chastain als Abels modische,
selbstbewusste Frau Anna auftaucht. Energisch und mit Raffinesse
greift Anna in der Klemme durch, und ist als trickreiche, impulsive
Person das klare Gegenteil ihres Ehemanns – ein Bild, das Chastain
aber ohne große Gesten zu zeichnen versteht. So ordnet sie sich
eindeutig der Grundstimmung dieser leisen Produktion unter, in der
das, was gesagt und getan wird, mindestens so bedeutend ist wie das,
was nicht geschieht. Auch der in nur wenigen Szenen agierende Brite
David Oyelowo gibt eine effektive, unaufdringliche Darbietung und
bezwingt jegliche Genreklischees.
In A Most Violent Year
herrscht eine grau-graue Mentalität vor, die sich abseits der bei
aller Ruhe dennoch unberechenbaren Performances auch in der
Kameraarbeit widerspiegelt. Bradford Young fängt den urbanen wie
drohenden charakterlichen Zerfall in konturarmen grau-braun-grauen
Weitwinkelaufnahmen ein, die eine latente Eleganz aufweisen und so im
Zusammenspiel mit den bemerkenswerten Kostümen Kasia
Walicka-Maimones einen seichten Hoffnungsschimmer aufrecht erhalten.
Umso dramatischer ist Alex Eberts elektronische und symphonische
Elemente vereinende Hintergrundmusik, die teilweise den Anschein
meditativer Klänge erweckt, welche zunehmend kompromittiert werden.
Und schon fühlt man sich wie Abel, fühlt sich unter Druck gesetzt;
in einem Moment gefangen, in dem sie Schlinge des Verderbens immer
enger wird …
Fazit: Eine
Kriminalstudie, die nicht durch ständige Gewalt, sondern deren
zunehmend nachdrücklichere Androhung immenses Unbehagen auslöst: J.
C. Chandor erschafft mit raffinierten Dialogen und schneidender
Stille ein fesselndes Thrillerdrama über die Art von Kompromissen,
die man zu tätigen gewillt ist, wenn man sich selbst als unbeugsam
behaupten will. Herausragend gespielt, intelligent, lange
nachwirkend: Ein filmischer Triumph!
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