Die Idee hinter
der kunterbunten Familienkomödie Descendants – Die
Nachkommen hat das Zeug dazu, passionierten Disney-Fans
einen höllischen Schrecken einzujagen: Die
Disney-Channel-Eigenproduktion geht nämlich davon aus, dass einige
der größten Schurken der Disney-Zeichentrickfilmgeschichte
Nachkommen in die Welt gesetzt haben. Eben jene leben gemeinsam mit
ihren Eltern auf einer abgeschiedenen Insel, auf der keinerlei Magie
mehr existiert und die Schurkensprösslinge ihre frechen Ader
ausleben. Als aber Ben, der Sohn von Belle und dem Biest, im
Königreich Auradon ein Pilotprojekt zur Resozialisierung von
Bösewicht-Kindern lostritt, werden vier Teenager auserkoren, um ins
Magie kennende Märchenland zu ziehen.
Die Wahl fällt auf Mal (Tochter der
bösen Fee Maleficent aus Dornröschen), Evie
(Tochter der bösen Königin aus Schneewittchen),
Carlos (Sohn der Dalmatiner jagenden Cruella de Vil) und Jay (Sohn
des Aladdin-Großwesirs Dschafar). In Auradon
sollen sie auf der High School lernen, gut zu sein, aber wie es sich
für Jugendliche gehört, manövrieren sie sich in Liebesturbulenzen
und Persönlichkeitsfindungsprobleme. Vor allem Mal ist hin- und
hergerissen zwischen der Möglichkeit, eine neue Identität
aufzubauen, und dem Bosheitsgebot ihrer Mutter …
Auf dem Papier klingt
Descendants nicht nur wie ein seelenloses
Fließband-Fernsehprojekt, sondern obendrein wie ein gewaltiger
Affront gegen das Disney-Erbe. Denn mit der inneren Logik der
Disney-Klassiker, auf deren Schultern sich Descendants
tragen lässt, hat diese TV-Produktion wenig gemein. Ganz davon
abgesehen, dass einige der Oberschurken „ihren“
Animationsfilmklassiker nicht überlebt haben, nun aber munter durch
die Gegend laufen, leben sie plötzlich im selben Zeitalter. Und zwar
in einer farbenfrohen, durchgeknallten Version der Gegenwart. Zu
guter Letzt denken sich die Autoren Josann McGibbon und Sara Parriott
für Maleficent und Co. neue Persönlichkeitszüge aus. Obwohl manche
Portale diese Musical-Teeniekomödie als Fortsetzung diverser
Disney-Klassiker beschrieben, wird daher bereits nach wenigen
Augenblicken klar: Nein, dem ist nicht so.
Descendants
spielt in seinem ganz eigenen Paralleluniversum, das anderen Gesetzen
folgt als die Disney-Meisterwerke. Während sich der künstlerische
Totalausfall Maleficent – Die dunkle Fee als
„die wahre Geschichte“ von Dornröschen
bezeichnet, geht Descendants einen ähnlichen Weg
wie die ABC-Studios-Serie Once Upon a Time. Er
nimmt ikonografische Elemente von Disney- beziehungsweise
Märchengeschichten, um mit den bekannten Aspekten zu kokettieren und
im selben Atemzug eine kontemporäre, eigensinnige
Crossovergeschichte zu erzählen. Da sich Descendants
nach dem Intro in seiner charakterlichen Darstellung der großen
Disney-Schurken überdeutlich von den „Originalen“ distanziert,
markiert er auch sehr selbstbewusst seinen Non-Kanon-Status. Insofern
ist er kein größerer Affront als die Serie Käpt'n Balu
und seine tollkühne Crew, in der aus dem
Dschungelbuch-Faulenzer Balu ein Frachtpilot in
einer von antropomorphen Tieren bevölkerten Variante der 30er-Jahre
wird.
Wer als Zuschauer akzeptiert hat, dass
sich Descendants gar nicht erst erdreistet, als
ernstgemeinte Weitererzählung unvergesslicher Trickfilme zu
posieren, dürfte es sogleich deutlich einfacher haben, mit dem Film
seinen Frieden zu schließen. Und dies macht sich durchaus bezahlt,
denn selbst wenn Descendants längst nicht zur
Speerspitze von Disney-Fernsehproduktionen zählt (geschweige denn
des Disney-Outputs generell), hat dieser überdrehte Schurkenspaß
seine Stärken.
Dies ist zu weiten Teilen dem Regisseur
Kenny Ortega zu verdanken, der schon hinter dem High School
Musical-Phänomen und dem Halloween-Kultfilm Hocus
Pocus stand sowie mit Michael Jackson zusammengearbeitet
hat. Ortega bringt nämlich seinen eigenen Sinn für „Camp“ mit,
also für selbstsicher in Szene gesetzten, überzogenen und
ironischen Kitsch. Wenn etwa die von Broadwaylegende Kristin
Chenoweth, Komikerin Weny Raquel Robinson, Komiker Maz Jobrani und
Sister Act-Nonne Kathy Najimy gespielten Schurken
in knalligen Kostümen und Grimassen schneidend durchs Bild tölpeln,
ist das so enthemmt, dass rasch klar wird, was für ein Film das hier
ist. Und auch der exzentrische Modegeschmack der
Teenie-Hauptdarsteller hat seinen „cheesy charme“, der hier oft
wichtiger ist, als profunde Herzlichkeit oder starker Humor mit
solidem Fundament. Auf eben dieser Ebene operieren auch die besseren,
da freimütigeren Musiksequenzen. Typische Musicalexposition mit
Dubstepelementen zu versetzen dürfte Puristen zwar gleich zu Beginn
verschrecken, die relativ aufwändige Choreografie und der
ohrwurmverdächtige Refrain sollten wagemutigere Musicalfreunde
jenseits der Pubertät dennoch vertrösten. Den Kids indes ist solch
ein Stilbruch eh egal, so lange die Darsteller mit ansteckender
Freude bei der Sache sind – und das ist der Fall.
Zwischendurch
bricht aus Ortega aber doch der Traditionalist aus, beispielsweise,
wenn er ein ausführliches Duett zwischen Mal und Maleficent ohne
größeren Ironie- oder Elektro-Firlefanz umsetzt. Dank der mimischen
und gesanglichen Bandbreite von Hauptdarstellerin Dove Cameron und
ihrer Filmmutter Chenoweth funktionieren diese „normalen“ Momente
– ganz egal, wie sehr sie aus dem sonstigen Tonfall von
Descendants herausfallen. Wo Descendants
dagegen herb einbüßt, ist in seinen Versuchen, zwischenzeitlich zu
allem Überfluss noch als „klassischer“ Teeniefilm aufzugehen.
Wenn Mal mit den Tücken der ersten Liebe kämpft, die Kinder der
Disney-Prinzessinnen und -Prinzen im reinsten Zickenmodus operieren
und sich Jay als Sportler neu entdeckt, gehen dem Drehbuch zügig die
Ideen aus. Daher wird vor allem der Mittelteil zum bloßen Abhaken
von mal uninspiriert-notwendigen, mal überflüssigen Plotpunkten –
ergänzt durch blassen Teeniepop in den Romantik- und
Selbstzweifelszenen. Und im Falle von Jay sowie Carlos kommt zudem
sehr unruhiger Blödelhumor hinzu, da die Teenie-Buben manchmal ohne
ersichtlichen Grund nur noch wie Kindergartenkinder herumtoben. Da
haben es Mal und Evie alias Sofia Carson besser erwischt – sie
dürfen gelegentlich mit Wortwitz punkten.
Fazit: Das befürchtete Sakrileg
ist Descendants längst nicht geworden.
Stattdessen ist die knallige Komödie ein verrückter, launiger Mix
aus High School Musical, Glee
und Once Upon a Time. Die Kleinen wird es
bespaßen, die Älteren bekommen neben genussvollem Camp leider auch
einige Durststrecken geboten, in denen die Prämisse durch
Fließband-Teenieleid verwässert wird.
Descendants – Die
Nachkommen ist am 17. Oktober um 20.15 Uhr sowie am
18.Oktober um 13.50 Uhr im Disney Channel zu sehen und bereits als
DVD erhältlich.
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