Für
Marvel-Fans war es 2011 der Tag der Entscheidung: Seit dem überraschenden Erfolg von Iron Man im Jahr 2008
arbeitete der Filmstudio-Ableger des Comic-Giganten auf das riesige
Crossover The Avengers hin, in dem sich einige der
populärsten Superhelden zusammenschließen. Captain
America - The First Avenger stellte den letzten Marvel-Film vor dem heiß ersehnten Superheldenspektakel dar und führte den Kinokosmos voller Heroen erstmals in die Vergangenheit.
Gewissermaßen schloss sich somit der Kreis, denn der 1941
erfundene Supersoldat war die erste Figur der Comicmarke, die es
auf die Kinoleinwand schaffte: 1944 startete eine fünfzehnteilige
Serial-Reihe, die stilprägend für die ersten Comic-Realverfilmungen
war. Seither machte das Genre allerdings allerhand Wandlungen durch, ganz zu schweigen von der weltpolitischen Lage. Und so stellte sich durchaus die Frage: Kann ein Film über den Supersoldaten Steve Rogers auch im 21. Jahrhundert funktionieren?
Die Formel zu einer erfolgreichen Umsetzung des blonden Muskelpakets fanden Produzent Kevin Feige und seine Kreativverantwortlichen interessanterweise nicht in einer aggressiven Modernisierung der Titelfigur. Sondern in der Methode, sich an den Wurzeln des Superheldenkinos zu orientieren. Gleichzeitig nahm man es sich zum Ziel, aus der für das
internationale Publikum eher unattraktive US-patriotischen Schöpfung
einen Blockbuster zu formen, der auch außerhalb seines Heimatlandes
gefällt. Dazu engagierte man den einstigen Spezialeffektkünstler
Joe Johnston, der nach seiner Effektarbeit an Star Wars
und Indiana Jones bei Filmen wie Jumanji und Jurassic Park III Regie führte. Und der sich vor allem mit Rocketeer einen Namen gemacht hat, dem kultgewordenen Disney-Superheldenflop aus den frühen 90er-Jahren. Das Drehbuch
stammt derweil vom Autorenduo Stephen McFeely & Christopher
Marcus, die an der Die Chroniken von Narnia-Trilogie
beteiligt waren. Diese Namen haben wohl nicht bei jedermann Jubelstürme
auslösen können, aber mit Captain America - The First Avenger stellten sie eindrucksvoll unter Beweis, was sie drauf haben.
Die
Geschichte
1942:
Steve Rogers (Chris Evans) ist klein und schmächtig. Aber das hält
ihn nicht davon ab, sich freiwillig bei der Armee zu melden. Jedoch
wird der tapfere junge Mann, der schlicht davon angetrieben wird, in der
Welt etwas Gutes bewegen zu wollen, aufgrund seines Körperbaus
abgelehnt. Als er mit seinem zum Militärdienst eingezogenen Freund
Bucky (Sebastian Stan) über die Wissenschaftsausstellung des
Milliardärs und Erfinders Howard Stark (Dominic Cooper) schlendert,
beschließt er, sein Glück ein weiteres Mal zu versuchen. Daher wird der
Wissenschaftler Dr. Abraham Erskine (Stanley Tucci) auf Steve
aufmerksam. Er sieht in seinem Engagement einen wertvollen
Charakterzug, weshalb er ihn für ein geheimes Supersoldaten-Programm
rekrutiert.
Erskine,
Stark, die britische Agentin Peggy Carter (Hayley Atwell) und der
erfahrene Colonel Chester Phillips (Tommy Lee Jones) bezwecken, mittels eines die körperlichen Leistungsfähigkeit ums Vielfache potenzierenden Serums, die Armee der Zukunft zu erstellen,
und so eine geheime Unterorganisation der Nazis zu bezwingen. Diese
Organisation nennt sich HYDRA und wird von dem auch als Red Skull
bekannten Johann Schmitt (Hugo Weaving), einem besessenen Erforscher
des Okkulten, angeführt. Dieser bemächtigte sich eines mysteriösen
Tesseraktes, welcher nordischen Mythen zu Folge die Macht der Götter
beinhalte. Red Skulls Plan ist es, damit besonders gefährliche Waffen
anzutreiben und so die Weltherrschaft an sich zu reißen…
Eine
US-patriotische Weltkriegsfigur für das 21. Jahrhundert
Die
ursprüngliche Form von Captain America gehört mit ihrem ironiefreien,
unreflektierten Patriotismus und ihrem unbezwingbaren Enthusiasmus längst der Vergangenheit an. Selbst das US-Publikum ist nationalkritischer als noch in den 40ern, und dass international ein patriotischer Strahlemann nicht all zu gut ankommen sollte, dürfte selbstredend sein. Klar, dass für diese rund 150
Millionen Dollar teure Kinofassung Änderungen getroffen werden
mussten. Dennoch konnte man den Hintergrund der Figur nicht völlig
auf den Kopf stellen, schließlich hätten sonst die auf Vorlagentreue pochenden Comicfans
revoltiert. Ganz davon zu schweigen, dass in die Gegenwart verlegte Adaptionen von Captain America in den Bewegtbildmedien bislang große Peinlichkeiten darstellten. Schlussendlich geht Captain America - The First
Avenger den konsequenten sowie richtigen Kompromiss ein und verliert sämtlichen blinden Vaterlandsstolz, behält aber das Szenario eines
Supersoldaten während des Zweiten Weltkriegs bei. Chris Evans ist
auf der Kinoleinwand kein Amerika ungefragt liebender, es auf
Naziblut absehender Säuberling, sondern ein junger Mann, der trotz
seiner körperlichen Schwäche seinen kleinen Teil dazu beitragen
will, den Krieg zu beenden. Dass er nur dank wissenschaftlicher
Experimente zu einem besonders schnellen und besonders starken
Soldaten mutiert, wird nicht als Amerika-Loblied verkauft, sondern
schlicht als der fantastische Twist, der aus Captain America
- The First Avenger einen seiner Natur stets bewussten
Superheldenfilm macht.
Aufgrund
seines Hauptziels, dem vornehmlich jugendlichen Publikum auf
Hochglanz polierte, sorglose Unterhaltung zu bieten, kann sich
Captain America - The First Avenger nicht zu viele
ernste Zwischentöne über den Zweiten Weltkrieg leisten. Dennoch
gelang es den Autoren McFeeley & Marcus, sowie dem im Abspann für
seine Polierarbeit am Skritp nicht genannten Joss Whedon, einen
differenzierteren Captain America zu zeigen. Einen, in dem sich eine
deutschstämmige Figur dem noch schwachen Chris Evans annimmt und ihn
in einem ehrlich anrührenden Ton daran erinnert, dass man
Deutschland als das erste von den Nazis annektierte Land betrachten
müsse. Denn Adolf Hitler habe die zerrüttete Mentalität des
deutschen Volkes perfekt auszunutzen gewusst.
Der
moderne Zeitgeist schlägt sich auch in einer gänzlich anderen Form
in Captain America - The First Avenger nieder.
Eine ausführliche, durch und durch komische Montage in Mitten des
Films parodiert genussvoll die US-Propagandamaschinerie zu Zeiten des
Weltkriegs. Kitschige Bühnenaufführungen, anbiedernde Aufrufe zur
finanziellen Unterstützung von Vater Staat und ein lieblich
trällerndes Werbelied (aus der Feder des Disney-Hofkomponisten Alan
Menken sowie Texter David Zippel): Hier nimmt Regisseur Joe Johnston
den ganzen US-Patriotismus vergangener Tage sowie die frühen Jahre
seines Filmhelden aufs Korn. Wer danach noch darüber klagt, dass
Captain America - The First Avenger voller
widerlichem US-Pathos sei, müsste aus Prinzip jeden Film
verabscheuen, in dem ein US-Amerikaner etwas Gutes tut.
Marvels
Indiana Jones</b>
Ein
Captain America ohne ätzend übertriebenen US-Stolz allein ist
freilich kein Beweggrund, ins Kino zu gehen. Dass Captain
America - The First Avenger ein sehenswerter
Sommer-Blockbuster wurde, liegt viel mehr am eingangs erwähnten
Ansatz, wieder auf die Anfänge des Superheldenkinos zurückzugreifen.
Denn während viele andere Comicverfilmungen im Fahrwasser von
Christopher Nolans The Dark Knight versuchten,
besonders grimm und nachdenklich zu sein, erkannten die
Verantwortlichen von Captain America - The First
Avenger, dass dies mit der Neuinterpretation des Ursprungs ihres Helden nahezu unmöglich wäre.
Stattdessen lässt Joe Johnston den schrillen Spaß früherer
Abenteuer-Kinoserien wieder aufleben, indem er eine simple Geschichte
mit viel Abenteuerspaß und wagemutigem Einfallsreichtum erzählt.
Ganz so, wie George Lucas und Steven Spielberg mit den Indiana
Jones-Filmen die so genannten Serials der 30er-Jahre für
das aktuelle Blockbusterkino aufpeppten, ist Captain America
- The First Avenger die moderne Variante der
40er-Superheldenserials.
Allein
schon die Optik hebt Captain America - The First Avenger
von anderen aktuellen Superheldenfilmen ab. Mit nostalgischer,
detailverliebter Kostümarbeit von Anna B. Sheppard (u.a.
Oscar-nominiert für Der Pianist) und weitschweifigen (teils digitalen, teils realen) Sets sowie einer
stimmigen Farbästhetik versetzt Johnston seine Zuschauer in eine
verklärte Comicheft-Vision der 40er-Jahre. Durch die charmanten
Übertreibungen im Produktionsdesign fügen sich auch die verrückten,
doch nie albernen Fantasy-Versatzstücke nahtlos in das Geschehen
ein. Die Welt, die hier gezeichnet wird, ist eine Mischung aus den
Universen von Indiana Jones und der bereits
bekannten Marvel-Filmkontinuität, wobei die Umsetzung von Red Skull
auch leichte Erinnerungen an Hellboy hervorzurufen
vermag. Der Humor ist hoch dosiert, die Abenteuerpassagen wirken
zeitlos verspielt, die Action ist zwar knallig, hält sich aber von
moderner Hektik gepflegt fern. Und die geradlinige Geschichte weiß auch völlig ohne inhaltliche Revolutionen zu packen.
Allerdings
tappt die fünfte Erzählung im so genannten Marvel Cinematic
Universe auf der Erzählebene weiterhin in die Fallen, die auch ihren
Vorgängern schadete. Iron Man 1 & 2, Der
unglaubliche Hulk und Thor sind alle ein
Stückchen zu lang, erreichen eine Phase, die weder überflüssig,
noch langweilig ist, und dennoch den flotten Drive des restlichen
Films vermissen lässt. Bei den Vorgängern von Captain America hatte dies paradoxe Folgen: Obwohl all diese Filme zeitlich etwas
schlanker sein dürften, kommt es auch dazu, dass manche
Storyelemente zurückbleiben. In Captain America - The First
Avenger trifft es vor allem die Entwicklung des
Titelhelden: Chris Evans ist eine Figur, mit der es sich mitfühlen
lässt, da sie auch zu menscheln weiß. Doch neben den Stars aus Iron Man und Thor droht Captain
America, allen Sympathiepunkten zum Trotz, angesichts seines zurückgefahrenen Egos und seiner geringeren Entertainerqualitäten, etwas spröde zu geraten. Dafür ist seine Beziehung zur britischen
Agentin Peggy, wenngleich weiterhin recht rudimentär, wesentlich besser
ausgebaut und somit nachvollziehbarer, als die Liebesgeschichte aus
Thor.
Dass
diese Superhelden-Abenteuergeschichte den anderen großen
Marvel-Titeln das Wasser reichen kann, obwohl ihr Held keine so
markante Type ist wie etwa Robert Downey juniors Tony Stark, liegt an den hervorragenden Schauspielern, die hier auftreten. Bis in die kleinste Rolle
sind die Figuren gut besetzt und jeder der Darsteller tritt mit
ehrlicher Energie auf. Leute wie der staubtrocken-komische Tommy Lee Jones oder die passionierte Hayley Atwell
lassen ihre Figuren immer ein Stück neben dem Genre-Stereotyp
auftreten, und lassen sie so trotz ihrer klaren Verwurzelung in
Archetypen frisch erscheinen. Besondere Erwähnung verdient zudem Dominic
Cooper, der als der junge Howard Stark jede Szene an sich reißt, in
der er vorkommt.
Nimmt
man all dies zusammen, wird schnell klar: Im Grunde ist Captain
America - The First Avenger ein charmantes B-Movie, nur mit der
makellosen technischen Umsetzung einer modernen
Big-Budget-Produktion, und ganz in Tradition von Indiana
Jones, stets mit der nötigen Prise Selbstironie sowie
einem Extraquäntchen Verstand. Genau das war auch
die Absicht der Filmemacher, und besser kann man die Vorlage für ein
heutiges, weltweites Publikum nicht umsetzen.
Der bis dahin beste Marvel?
Selbstverständlich
können persönliche Vorlieben im Bereich Superhelden-Unterhaltung
auf die letztlich getroffene Wahl einwirken, doch für mich ist
Captain America die Marvel-Adaption, die aus dem Erfolgsstudio endlich ein Ausnahmestudio macht. Während das
Downey-junior-Vehikel Iron Man stärker auf den Charme seines Hauptdarstellers
setzt und so ein neues Franchise erschaffen hat, lebt
Captain America vom Flair seines Settings und von der durchweg vergnüglichen Attitüde, mit der die Story verkauft wird.
Die
Auffrischung des 40er-Retrofeelings und die vorsichtige
Modernisierung der alten Abenteuerserials sind rundum gelungen. Eine
nahezu perfekte Optik (bloß Red Skulls Effektmaske ist nicht so
einschüchternd, wie sie wohl gedacht ist und manche der digitalen
Hintergründe sind auffällig geraten), gute Filmmusik aus der Feder von Alan Silvestri und ein
wunderbar aufeinander eingespieltes Ensemble sorgen für einen hohen
Gute-Laune-Faktor. Dieser wird vom selbstbewussten Retro-Pulp-Drehbuch
und der ausgefeilten Inszenierung sicher über die gesamte
Filmlaufzeit bewahrt. Zwar sind zwischen die vielen gewollt lustigen
Szenen auch zwei oder drei unbeabsichtigt komische Momente gerutscht,
trotzdem unterschätzt Captain America - The First
Avenger nie die Intelligenz seiner Zuschauer. Für Filme
wie diesen leider keine Selbstverständlichkeit.
Fazit: Captain
America - The First Avenger bringt eine imposante Optik mit
sich und weiß, seine Vorlage zeitgemäß umzusetzen. Und zwar durch
Retro-Charme und mit fähigen Darstellern, die dem altmodischen Abenteuerspaß die nötige Grundsubstanz verleihen.
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