Kann uns ausgerechnet der Wutnickel unter den Disney-Helden beibringen, wie wir mit den Tücken des Schicksals umgehen sollten? Ich behaupte: Ja, verquackt noch eins!
Pech, Pech, nichts als Pech. Wenn etwas schiefgehen kann, so ist bei Donald über kurz oder lang garantiert, dass das Unglück ihn ereilen wird. Jedoch ist es nicht bloß so, dass Donald bei Tombolas leer ausgeht, sich mit dem Hammer den Daumen zu Brei haut und seine geliebte Klapperkiste 313 genau dann den Geist aufgibt, wenn er dringend auf sie angewiesen ist. Dieser einzigartige Erpel befindet sich mit seiner gesamten Lebenssituation in einer (vertickten, vertrickten und) vertrackten Grauzone. Er wohnt in einem respektablen (wenngleich von Schulden erdrückten) Haus, eine große Familie, die im ärgsten Notfall zusammen hält und er hat keine tödliche, unheilbare Krankheit. Er hat also zu viel, um als absolut hoffnungsloser Fall zu gelten. Doch er hat sein Herz an Daisy Duck verloren. An seine Dauerverlobte, die sich nicht vor den Altar zerren lässt und keine Gelegenheit versäumt, Donald durch Flirtereien mit dem adretten Schnösel Gustav Gans eifersüchtig zu machen oder ihm direkt mit dem sofortigen Beziehungsaus zu drohen. Er hat einen Onkel, der ihn ausbeutet, dem er sich aber niemals widersetzen könnte, da er zu mächtig ist. Wodurch Donalds Arbeitssituation, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, kaum auszuhalten ist. Seine Schwester Della ist verschollen oder gar tot, weshalb ihre Drillinge bei ihm eingezogen sind - Dankbarkeit dafür, dass er Ersatzvater spielt, erhält er aber nahezu niemals. Und seine Freunde? Also, er und Micky Maus haben sich schon vor Jahrzehnten auseinandergelebt, seither eint sie praktisch bloß noch das Konkurrenzdenken. Goofy ist eher ein Freund besagten Freundes, Vetter Dussel stellt nur Chaos an, mit Erfinder Daniel Düsentrieb ist er noch immer beim "Sie" und wo sie José Carioca und Panchito Pistoles so herum treiben, davon bekommt Donald kaum noch etwas mit. Angespanntes Liebesleben, komplizierte Familienverhältnisse, erschöpfende Arbeitssituation. Zu viel Negatives, um Donald beneiden zu können. Und alles zu knifflig, um mit dem Zeigefinger in eine bestimmte Richtung zu zeigen und ihm zu sagen "Ändere einfach DAS!"
Ente in Blau: Donald, ganz niedergeschlagen. Ein seltener Anblick.
Und dennoch. Nach über 150 Cartoons und mehr Comics, als ein Mensch wohl jemals lesen könnte, begegnen wir diesem Erpel noch immer nur in den seltensten Fällen, wenn er völlig am Boden angelangt ist. Mit dem Kopf gen Süd gerichtet, mit verregnetem Lebensmut und deprimiertem Gedankengut. Gewiss, wenn sich all seine Dauerprobleme zur gleichen Zeit vorübergehend intensivieren, erlaubt sich auch Donald einen Tag in tiefschwarzer Stimmung (siehe etwa Don Rosas Kein Tag wie jeder andere). Dies aber stellen extreme, rare und vor allem extrem rare Ausnahmesituationen dar. Wie aber geht unser zorniger, wutgeladener und aufbrausender Liebling unter den Ducks mit all dem um, was ihn von Tag zu Tag plagt, mit den Dingen, die sein Leben prägen und schwer zu verlassene Bahnen lenken?
Ausgerechnet er, dieser in Augen seines Umfelds unbelastbare, rasch an die Decke gehende und nichtsnutzige Kerl, nimmt all sein Leid. Und lebt damit. Sein Lebensgrundgefühl ist nicht das große Wehklagen. Er schiebt die Schuld und die Verantwortung nicht unentwegt auf andere. Er lässt andere nicht im Stich, weil sie ihn zuletzt nicht genügend aufmunterten. Er keift nicht einmal rund um die Uhr, weil ihm nicht so geschieht, wie er es verdient hätte. Donald weiß, dass zum Erfolg Willen, Geschick, aber auch Glück gehören. Er versucht sein Bestes, und dass es dennoch nicht sein soll, bricht ihm nicht etwa metaphorisch das Genick. Nein. Er watschelt unbekümmert durch sein Leben. Donalds Grundstimmung ist, tatsächlich: Freudigkeit. Mit einem Lächeln auf dem Schnabel manövriert er sich durch seinen steinigen Lebensweg.
Die übermächtigen Konstellationen in seiner Biografie, die großen Ungerechtigkeiten stimmen ihn nicht missmutig. Er ist noch immer da, versucht weiter, sich seine wohlverdiente Lebensqualität zu sichern. Tag für Tag aufs Neue. Mit beschwingter, wonniger, Gemütseinstellung. Ungerechtigkeiten und Dinge, die nicht in meiner Macht stehen, ich verschwende keinen Gedanken an euch!
Ja, das hier ist Disneys wuterfüllteste, vom Pech am meisten verfolgte Figur. Dieser Erpel muss Nerven wie Drahtseile haben, dass er noch immer so fröhlich ist!
Aber wenn Donald all sein Leid, seinen Frust, die Dillemmata, die ihn zurückhalten, einfach so hinnimmt, müsste er dann nicht elendig krepieren? Welcher gestandene Enterich, geschweige denn Mensch, kann all sein Unglück einfach runterschlucken, ohne irgendwann einen emotionalen Tumor zu entwickeln, der eben diese Lebensfreude zerstört, die Donald aufweist? Die Antwort: Natürlich kann sich niemand zum Spielball zahlloser Gemeinheiten machen lassen, ohne je aufzumucken. Ewig alles in sich reinzufressen ist unfassbar schädlich. Sich gegen ein Axiom im eigenen Leben aufzulehnen aber vergebene Liebesmüh. Und somit auf Dauer noch frustrierender.
Genau hier kommt Donalds berühmt-berüchtigtes Temperament zum Zuge. Es hält Donald davon ab, apathisch zu werden. Und es bewahrt Donald davor, sich selbst so konsequent in eine Frustsituation zu manövrieren, bis es zu einer nachhaltig schadenden Kurzschlussentscheidung kommt. Wenn ihn kein chronisches Problem ereilt, sondern eine akute Nichtigkeit, dann lässt Donald endlich seinen angestauten Emotionen freien Lauf, tobt jene Bereiche seiner Synapsen frei, die er betäuben musste, um nicht an den Dornenspitzen seines Daseins zugrunde zu gehen. Unendliche Wut über Daisy, Dagobert oder den verkorksten Entenhausener Arbeitsmarkt? Nutzlos. Aber wenn sich Donald selber ausschließt oder ein kleines Vögelchen seinen frisch lackierten Wagen zusaut, dann quakt er sich all seinen Frust von der Seele. Mit unbändiger Energie und feuerrotem Kopf brüllt er dieses kleine Problem nieder. Manche würden sagen, er reagiert über. Doch man kann es auch so sehen: Er reagiert angemessen kurz und knapp auf eine kleine, unbedeutende Sache. Ja, er reagiert laut und bestimmt. Aber oft genug löst er dabei das Problem. Und jedes Mal schafft er sich damit Energie, größere Dinge durchzustehen. Ein kleiner Tobsuchtsanfall, und dann kann er ohne Weltschmerz weiterleben!
Lieber unlösbare Probleme durchstehen und kleine Probleme niedertrampeln, als wegen unlösbarer Probleme an die Decke zu gehen und sich kleine Störfaktoren so lange so nahe gehen zu lassen, dass auch sie unmöglich zu erdulden sind. Oder? Also ich finde, wir sollten öfter auf die Suche nach unserem inneren Donald gehen. Vielleicht wird die Welt so ein kleines bisschen besser. Man muss den watschelnden Wutbolzen ja nicht 1:1 nachahmen. Aber ein Quentchen Donald, das sollte drin sein!
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