Wohl kein Film der vergangenen zehn
Jahre beäugte unterhaltsamer und vortrefflicher, was es bedeutet,
einen künstlerischen Schaffensdrang in sich zu tragen, als Brad
Birds farbenprächtiges, eloquentes Meisterwerk Ratatouille.
Der feinsinnige Animationsfilm aus den Pixar-Studios beinhaltet
darüber hinaus eine ungenügend beachtete Erkenntnis darüber, woher
erstaunliche Leistungen rühren können. Der Restaurantkritiker Anton
Ego fasst es vorbildhaft zusammen: „Nicht jeder ist zum großen
Künstler geboren, aber große Künstler werden überall geboren.“
Ebenso gut ließe sich festhalten, dass vielleicht nicht überall
rühmenswerte Kunst erschaffen wird, rühmenswerte Kunst sehr wohl
aber überall erschaffen werden kann.
Selten zuvor ließ sich mit den
geistreichen Worten eines Trickfilms die formidable Leistung eines
anderen besser beschreiben, als im Fall von Manolo und das
Buch des Lebens. Denn eine bescheidenere Herkunft ist
schwer vorstellbar, als die eben dieses entzückenden Geniestreiches,
der quer durch ein quirliges Mexiko und ein in dieser Form bislang
ungesehenes Reich der Toten führt. Hauptverantwortlich sind nämlich
die Reel FX Creative Studios, die sich bislang keineswegs mit Ruhm
bekleckerten. So wirkten sie unter anderem an den mechanisch
animierten Jagdfieber-Fortsetzungen, dem viel
gescholtenen 3D-Kuriosum Cirque Du Soleil: Traumwelten
und der unausgereiften Trickkomödie Free Birds – Esst uns
an einem anderen Tag mit.
Doch nun ist es an der Zeit, die
Entdeckung unverhoffter Welten zu vermelden – genauer gesagt die
Entdeckung bezaubernder Welten, geschaffen von den zuvor
enttäuschenden Reel FX Creative Studios. Es gilt lediglich, einen
Prolog hinzunehmen: Unbändige Kinder erhalten eine private
Museumsführung und werden in mexikanische Mythen eingeweiht. Diese
Rahmenhandlung ist pointiert erzählt und stimmt das junge Publikum
sachte auf die folgende, fantasievolle Geschichte ein – ist aber
aufgrund der undetaillierten Figuren und klinischen Lichtgebung
visuell unbeeindruckend. Aber dies macht die Kernhandlung mühelos
wett:
Tourguide
Mary Beth erzählt den lärmenden Teenies die Geschichte dreier
junger Freunde – Manolo, María und Joaquín, die im mexikanischen
Dorf San Angel leben und den ständig streitenden Göttern La Muerte
und Xibalba ins Auge stechen. Xibalba, davon gelangweilt über das
Reich der Vergessenen zu herrschen, geht mit La Muerte eine Wette
über das zukünftige Liebesleben des Trios ein. Sollte La Muerte
diese verlieren, muss sie ihren Thron im glückseligen Reich der
weiterhin erinnerten Toten für ihren garstigen Wettpartner räumen.
Und so erhält das Leben von Manolo, María und Joaquín eine neue,
unfassbare Bedeutung. Dabei sind ihre Lebenswege auch so schon
aufreibend genug …
Dargestellt wird das bunte Treiben
Manolos, Marías und Joaquíns, das sich nicht lang auf das Reich der
Lebenden beschränkt, in einer hinreißenden Optik, die sich an
mexikanischer Handwerkskunst orientiert. Die Lebenden sind gestaltet
und animiert, als seien sie liebevoll bearbeitete Marionetten, die
liebreizende La Muerte dagegen scheint eine zerbrechliche Zuckerpuppe
zu sein. Die Hintergründe derweil wirken, als seien sie mit Hingabe
aus Holzschnitzereien, kraftvoll gefärbten Stoffen und sonstigen
Fundstücken folkloristischem Handwerk erbaut. Regisseur Jorge
Gutierrez und seine Crew haben – bildlich gesprochen – einen
provinziell-traditionellen Kunstmarkt geplündert und ihre Beute mit
kindlicher Freude neu zusammengesteckt: Dies führt zu einer
andersartigen, impulsiven und überbordenden Ästhetik. Es wäre nur
zu leicht, Manolo und das Buch des Lebens für
seine stürmische Kreativität zu kritisieren, sie als cineastischen
Tumult abzutun.
In
Wahrheit jedoch ist der Look dieser Guillermo-del-Toro-Produktion
etwas Neues, etwas Mutiges, etwas, das tief in einem Begeisterung
weckt, wenn man dieser einzigartigen Kreation nur die Chance dazu
gibt. Das Neue braucht Freunde! Und gerade hier hat es sich auch
redlich Freunde verdient; Manolo und das Buch des Lebens
ist mehr als bloß style over substance. Stilistik
und Substanz bilden eine prächtige Einheit, schließlich versteht
sich dieses rund 95-minütige Trickspektakel als reines Fest. Als
Feier der mexikanischen Mythologie, als Lobeshymne auf individuelle
Träume und unerschütterlichen Optimismus. Der energetische
Soundtrack unterstreicht dies kongenial, indem er die
weltenverbindende Handlung mit neuen Liedern und für den Film wieder
ganz neu erfundenen Pop- und Rockklassikern bespickt. Zeitweise
verschwimmen die Grenzen zwischen Liedern aus 'unserer' Welt und den
Originalsongs sogar vollends, so findig sind die Neuarrangements der
vermeintlich altbekannten Musikbeiträge!
Zweifelsfrei: Nicht jede Einzelheit ist
rundum gelungen. Obwohl es sich bei Manolo und das Buch des
Lebens um ein warmherziges Gagfeuerwerk handelt und die
Figuren durch die Bank weg liebenswürdig sind, verpuffen manche
Pointen auf Anhieb ins Nichts. Und bei allem bildlichen sowie
klanglichen Innovationsdrang führt der Handlungslauf gelegentlich
durch ausgetretenes Territorium. Nur wieso sollte dies den
Gesamteindruck schmälern, wenn die Grundstimmung dieses feurigen
Fantasy-Trips ebenso mitreißend wie außergewöhnlich ist? Die Reel
FX Creative Studios haben durch dieses Abenteuer den Weg aus dem
Reich der Vergessenswerten gefunden – und jeder Trickfilmliebhaber
sollte ihnen daher Aufmerksamkeit schenken. Aber Vorsicht: Nach
Manolo und das Buch des Lebens ist man womöglich
mit einer zerreißenden Vorfreude erfüllt. Mit Freude auf Mehr!
Fazit: Ein Fest von
einem Film! Der Trickspaß Manolo und das Buch des
Lebens sorgt mit einzigartiger Optik, feuriger Musik und
sympathischen Figuren für mehr Farbe im Kinoalltag.
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