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Sonntag, 14. Juni 2015

Der große Trip – Wild


„Ich bin dann mal weg!“ Das sagte sich nicht nur Hape Kerkeling, der im Jahr 2001 eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg antrat, um Abstand von seinem stressigen Berufsleben zu gewinnen und nach zwei gesundheitlichen Rückschlägen einen klaren Kopf zu erhalten. Viele Menschen brechen, oftmals ohne größere Vorankündigung, aus ihrem Lebensgefüge aus und unternehmen eine lange Wanderschaft, die neue Perspektiven eröffnen soll. Zu dieser Gattung von Wanderern zählt die damals 26-jährige Cheryl Strayed, die sich 1995 auf dem Pacific Crest Trail von Südkalifornien bis zur Grenze zwischen Oregon und Washington durchschlug. Anders als der Jakobsweg ist der Pacific Crest Trail keine Pilgerroute, sondern ein bundesbehördlich bestimmter Fernwanderweg, dessen Wegführung es ermöglichen soll, vielfältige Landschaften von hervorstechender Schönheit zu besichtigen. So profan die Hintergründe dieser Strecke auch sein mögen, auf Cheryl Strayed hatte diese Süd-Nord-Reise durch die USA erheblichen Einfluss. Die Wanderung brachte Schweiß, Blut und Tränen mit sich – und ließ sie durch all das Elend zu sich selbst zurückfinden und ein neues Leben beginnen.

Strayed wartete 17 Jahre, bis sie ihre Erfahrungen von diesem eminenten Trip in Form von Memoiren niederschrieb. Das Buch wurde 2012 innerhalb weniger Monate zu einem weltweiten Bestseller. Reese Witherspoon erwarb sogar noch vor dem regulären Verkaufsstart die Filmrechte an dem Werk, um als Produzentin und Hauptdarstellerin Strayeds innere wie äußere Reise auf die Leinwand zu bringen. Im Sommer 2013 wurde dann Schriftsteller Nick Hornby (High Fidelity) als Autor gewonnen, alsbald stieß Jean-Marc Vallée (Dallas Buyers Club) als Regisseur zum Projekt hinzu.

Mit Witherspoon, Hornby und Vallée fand sich ein äußerst geeignetes Trio, um Der große Trip – Wild zu verwirklichen. Hornby gibt dem Drehbuch das für ihn so typische Flair mit, das Selbstvorwürfe, Bedauern und Wut in ruhigen, authentischen Handlungs- oder Gesprächssequenzen zum Vorschein kommen lässt. Hornbys gezügelter Sinn für Humor bereitet das Geschehen diesen schweren Emotionen zum Trotz leicht verdaulich auf und erlaubt zudem einen leichteren Zugang zur so komplizierten, unangepassten Hauptfigur. Ganz egal, wie verschlossen, dreist oder haltlos selbstzerstörerisch sich Cheryl verhält (etwa gegenüber ihrer reizenden Filmmutter Laura Dern): Dank der pointierten Darstellung ihrer anfänglichen Naivität in Wanderfragen und anderen knappen Anflügen von Leichtigkeit wird Cheryls harsche Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit sowie den Widrigkeiten der Natur zu einer Reise, der man sich als Zuschauer gerne anschließt.

Dies ist selbstredend auch Witherspoons Verdienst. Die Oscar-Preisträgerin agiert in Der große Trip – Wild so gut, wie seit Walk the Line nicht mehr und geht völlig frei von Affektiertheit an ihre Rolle heran. Durch ihre zierliche Erscheinung unterstreicht sie, welche Strapazen mit dieser überwältigenden Wanderung einhergehen, was Regisseur Jean-Marc Vallée und Kameramann Yves Bélanger auch wiederholt verstärken, indem sie Witherspoon in den großen Landschaftsbildern nahezu verschwinden lassen. Diese Fragilität nutzt Witherspoon aber nie, um Mitleid für Cheryl zu erheucheln, wenn in Rückblicken deutlich wird, wie sehr sie vor ihrem Trip mit Drogen- und Sex-Exzessen ihr Leben zugrunde richtete. Auch wenn diese stellenweise wie im Fieberwahn beleuchteten, zügig geschnittenen Sequenzen einfühlsam erzählt sind, lässt die Schauspielerin in ihnen auch besonders stark die destruktive, launenhafte Seite ihrer Figur durchblicken.

Jean-Marc Vallée setzt, passend zum tragenden Mienenspiel Witherspoons, primär auf bildsprachliche Aspekte, um Der große Trip – Wild zusammenzuhalten. Dialoge sind meist kurz gehalten, oft sind sie auf entscheidende Worte reduziert, während die Komposition der Szene, ihre Farbsättigung sowie die schauspielerische Darbietung den Rest erzählen. Somit ermöglicht Vallée zumindest einen kleinen Einblick darin, wie ein einsamer Trip durch die Wildnis der USA (und durch den Wust an Erinnerungen vergangener Fehler) auf den Reisenden wirkt. Das Zusammenspiel zwischen den Rückblicken, die wie aus einem anderen Leben gerissen scheinen, und den beinahe naturdokumentarisch gehaltenen Außenaufnahmen der Wanderroute, gerät im letzten Viertel jedoch etwas aus dem Takt. War der Betrachter zuvor immer nah dran, wie Cheryl während ihrer Wanderung emotionale Fortschritte macht, beschleunigt sich ihre Entwicklung kurz vor Schluss schlagartig, so dass einen das Finale leicht überrumpeln kann.


Fazit: Für einen zeitlosen Klassiker zum Thema Selbstfindung ist Der große Trip – Wild womöglich zu gefasst. Aber dank beeindruckenden Bildern, einer einsichtsvollen, niemals pathetischen Erzählweise und Witherspoons starkem Schauspiel kann sich Jean-Marc Vallées neuste Regiearbeit trotzdem mit dem gefeierten AIDS-Drama Dallas Buyers Club messen lassen.

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