„Ich bin dann mal weg!“
Das sagte sich nicht nur Hape Kerkeling, der im Jahr 2001 eine
Pilgerreise auf dem Jakobsweg antrat, um Abstand von seinem
stressigen Berufsleben zu gewinnen und nach zwei gesundheitlichen
Rückschlägen einen klaren Kopf zu erhalten. Viele Menschen brechen,
oftmals ohne größere Vorankündigung, aus ihrem Lebensgefüge aus
und unternehmen eine lange Wanderschaft, die neue Perspektiven
eröffnen soll. Zu dieser Gattung von Wanderern zählt die damals
26-jährige Cheryl Strayed, die sich 1995 auf dem Pacific Crest Trail
von Südkalifornien bis zur Grenze zwischen Oregon und Washington durchschlug. Anders
als der Jakobsweg ist der Pacific Crest Trail keine Pilgerroute,
sondern ein bundesbehördlich bestimmter Fernwanderweg, dessen
Wegführung es ermöglichen soll, vielfältige Landschaften von
hervorstechender Schönheit zu besichtigen. So profan die
Hintergründe dieser Strecke auch sein mögen, auf Cheryl Strayed
hatte diese Süd-Nord-Reise durch die USA erheblichen Einfluss. Die
Wanderung brachte Schweiß, Blut und Tränen mit sich – und ließ
sie durch all das Elend zu sich selbst zurückfinden und ein neues
Leben beginnen.
Strayed wartete 17 Jahre, bis sie ihre
Erfahrungen von diesem eminenten Trip in Form von Memoiren
niederschrieb. Das Buch wurde 2012 innerhalb weniger Monate zu einem
weltweiten Bestseller. Reese Witherspoon erwarb sogar noch vor dem
regulären Verkaufsstart die Filmrechte an dem Werk, um als
Produzentin und Hauptdarstellerin Strayeds innere wie äußere Reise
auf die Leinwand zu bringen. Im Sommer 2013 wurde dann Schriftsteller
Nick Hornby (High Fidelity) als Autor gewonnen,
alsbald stieß Jean-Marc Vallée (Dallas Buyers Club)
als Regisseur zum Projekt hinzu.
Mit
Witherspoon, Hornby und Vallée fand sich ein äußerst geeignetes
Trio, um Der große Trip – Wild zu
verwirklichen. Hornby gibt dem Drehbuch das für ihn so typische
Flair mit, das Selbstvorwürfe, Bedauern und Wut in ruhigen,
authentischen Handlungs- oder Gesprächssequenzen zum Vorschein
kommen lässt. Hornbys gezügelter Sinn für Humor bereitet das
Geschehen diesen schweren Emotionen zum Trotz leicht verdaulich auf
und erlaubt zudem einen leichteren Zugang zur so komplizierten,
unangepassten Hauptfigur. Ganz egal, wie verschlossen, dreist oder
haltlos selbstzerstörerisch sich Cheryl verhält (etwa gegenüber
ihrer reizenden Filmmutter Laura Dern): Dank der pointierten
Darstellung ihrer anfänglichen Naivität in Wanderfragen und anderen
knappen Anflügen von Leichtigkeit wird Cheryls harsche
Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit sowie den Widrigkeiten der
Natur zu einer Reise, der man sich als Zuschauer gerne anschließt.
Dies ist selbstredend auch Witherspoons
Verdienst. Die Oscar-Preisträgerin agiert in Der große
Trip – Wild so gut, wie seit Walk the Line
nicht mehr und geht völlig frei von Affektiertheit an ihre Rolle
heran. Durch ihre zierliche Erscheinung unterstreicht sie, welche
Strapazen mit dieser überwältigenden Wanderung einhergehen, was
Regisseur Jean-Marc Vallée und Kameramann Yves Bélanger auch
wiederholt verstärken, indem sie Witherspoon in den großen
Landschaftsbildern nahezu verschwinden lassen. Diese Fragilität
nutzt Witherspoon aber nie, um Mitleid für Cheryl zu erheucheln,
wenn in Rückblicken deutlich wird, wie sehr sie vor ihrem Trip mit
Drogen- und Sex-Exzessen ihr Leben zugrunde richtete. Auch wenn diese
stellenweise wie im Fieberwahn beleuchteten, zügig geschnittenen
Sequenzen einfühlsam erzählt sind, lässt die Schauspielerin in
ihnen auch besonders stark die destruktive, launenhafte Seite ihrer
Figur durchblicken.
Jean-Marc
Vallée setzt, passend zum tragenden Mienenspiel Witherspoons, primär
auf bildsprachliche Aspekte, um Der große Trip – Wild
zusammenzuhalten. Dialoge sind meist kurz gehalten, oft sind sie auf
entscheidende Worte reduziert, während die Komposition der Szene,
ihre Farbsättigung sowie die schauspielerische Darbietung den Rest
erzählen. Somit ermöglicht Vallée zumindest einen kleinen Einblick
darin, wie ein einsamer Trip durch die Wildnis der USA (und durch den
Wust an Erinnerungen vergangener Fehler) auf den Reisenden wirkt. Das
Zusammenspiel zwischen den Rückblicken, die wie aus einem anderen
Leben gerissen scheinen, und den beinahe naturdokumentarisch
gehaltenen Außenaufnahmen der Wanderroute, gerät im letzten Viertel
jedoch etwas aus dem Takt. War der Betrachter zuvor immer nah dran,
wie Cheryl während ihrer Wanderung emotionale Fortschritte macht,
beschleunigt sich ihre Entwicklung kurz vor Schluss schlagartig, so
dass einen das Finale leicht überrumpeln kann.
Fazit: Für einen zeitlosen
Klassiker zum Thema Selbstfindung ist Der große Trip –
Wild womöglich zu gefasst. Aber dank beeindruckenden
Bildern, einer einsichtsvollen, niemals pathetischen Erzählweise und
Witherspoons starkem Schauspiel kann sich Jean-Marc Vallées neuste
Regiearbeit trotzdem mit dem gefeierten AIDS-Drama Dallas
Buyers Club messen lassen.
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