Dies ist nicht gerade
die Kritik, die Birdman verdient hat, aber die
Kritik, die Birdman braucht. Oder so etwas in der
Art.
Birdman ist einer dieser Filme, die mit der finalen Schwarzblende dafür sorgen, dass dem
Betrachter Fragen auf der Zunge brennen. Wo endet die reine,
eskapistische Narrative und wo beginnt die philosophische Analogie?
Was ist verbitterte Abrechnung mit dem Showbusiness und was
liebevoller Seitenhieb? Was ist real, was ist nur Einbildung der
Figuren? Tja, eins kann ich festhalten, Leute: Birdman
ist viel, viel realistischer, als es auf dem ersten Blick scheint …
Es ist Vormittag in der Bundesrepublik.
Bereits Monate vor Kinostart läuft in einer deutschen Großstadt die
rabenschwarze Showbusinesskomödie Birdman –
exklusiv für die Presse. Nach einiger Zeit steht einer der
anwesenden Kritiker auf und verschwindet kopfschüttelnd aus dem
Saal. Nach etwas mehr als einer Viertelstunde betritt er erneut den
Saal. In der Zwischenzeit gab es eine Szene zu sehen, die sich mir
besonders einprägte: Die frühere Blockbuster-Ikone Riggan Thomson
(Michael Keaton) begegnet einer einflussreichen Kritikerin (Lindsay
Duncan), die ihn ohne jeden erkenntlichen Anlass anschnauzt. Sie habe
genug von dieser Hollywood-Prominenz, die meint, nach Jahren im
lächerlichen Superheldenkostüm plötzlich so tun zu müssen, als
könne sie wirklich schauspielern. Diese
Hampelmänner seien eh alle gleich. Daher müsse sie sich Riggans
demnächst stattfindendes Stück gar nicht erst gucken, um zu wissen,
dass es einen niederschmetternden Verriss verdient hat.
Ich
dagegen muss wohl nicht anmerken, dass besagtem Kollegen Birdman
nicht gefallen hat. Er sei wie erwartet nur der lahme Versuch, einen
Superheldenfilm zu machen, der sich als Schauspielübung ausgibt.
Aber ich komme nicht umher, mich immer, wenn ich an Birdman
denke, zu fragen, wie mies der nette Herr wohl Alejandro González
Iñárritus Geniestreich erst finden würde, wenn er sich alles
angeschaut hätte. Wahrscheinlich würde er Gift und Galle speiend
klagen, dass Birdman ein unverschämtes, falsches
Bild von Kritikern zeichne.
Diese Feststellung kratzt allerdings nur an der Oberfläche. Die Resonanz zwischen unserer
Wirklichkeit und der Fiktion von Birdman umfasst
weit mehr als die Macken mancher Kritiker. Als soghafter Ausflug in
die Gedanken- und Arbeitswelt der Schauspielerzunft sagt
Birdman selbstredend viel mehr über Mimen aus als
über jene, die sich über sie die Mäuler zerreißen. Und zahllose
eben dieser Kommentare erfolgen auf der Meta-Ebene.
Beispiel:
Edward Norton, der eine beachtliche Fanbase hat und zudem für nahezu
all seine Performances mit Kritikerlob überschüttet wird, glänzt
als Kritikerliebling und Kassenmagnet Mike Shiner. Dieser gerät mit
seinem Kollegen und Regisseur Riggan regelmäßig in verbale sowie
schlagkräftige Auseinandersetzungen über das Skript seines
Broadway-Stücks. Was freilich keinerlei Erinnerungen an die Filme
The Score, Frida und Der
unglaubliche Hulk weckt, an deren Drehbuch der ursprünglich
bloß als Akteur gecastete Norton mitwirkte. Oder an American
History X, jenen in der Filmbranche legendär gewordenen
Fall, in dem sich Regisseur Tony Kaye eine mediale Schlammschlacht
mit dem Studio leistete, weil es Nortons eigenmächtig erstellte
Schnittfassung des Dramas bevorzugte.
Und welche Worte könnte ich an dieser
Stelle noch über Michael Keatons Leistung verlieren, die nicht
bereits tausendfach gewählt wurden? Der Hauptdarsteller aus Tim
Burtons Batman-Filmen ist es, der Birdman
überhaupt erst Flügel verleiht. Sein Spiel ist nuanciert, ein
Triumph des mimischen Naturalismus – und gerade dadurch schwingt
sich Iñárritus Blick hinter die Kulissen des Schauspielfachs auf
ein so hohes Niveau. Keatons Darbietung ist heldenhaft unmittelbar,
selbst in durchgebrannten Momenten wirkt alles, was er den gefallenen
Stern Riggan Thompson tun lässt, als sei es die ungeschönte
Wahrheit.
]Allerdings
möchte ich mich nicht völlig in diesen Aspekt des doppelbödigen,
kunstvollen Filmspaßes verrennen. Denn es ist ja bei weitem nicht
alles aus dem wahren Leben gegriffen, was Iñárritu mit seinem
kleinen Heer von Ko-Autoren zusammengestellt hat. Die sich im
Kritikerdasein verkriechende Giftnudel, mit der Riggan es zu tun
bekommt, steht nicht stellvertretend für ihre Zunft. Ja, es lassen
sich solche Exemplare finden, und alle, die Filme
weiterhin verehren, verdammen jene raren Begegnungen mit diesem Kritikertypus. Und, ja: In
einem großen Ensemble kann es vorkommen, dass sich so gänzlich
unterschiedliche Typen von Schauspielern begegnen, wie in
Riggans Theateradaption von What We Talk About When We Talk
About Love. Menschen, die den Wert ihres Berufs völlig
anders definieren als ihr Gegenüber – und somit auch ihre Aufgaben
als Künstler. Äh, als Entertainer. Äh, als Geschichtenerzähler. Äh, als Vermittler der Wahrheit. Äh, als Selbstverwirklicher. Doch Birdman hat nicht nur originell dargebotene
Anekdoten aus dem Showbusiness aufzuweisen. Dieser flotte Dreier aus
amüsantem Arthaus-Experiment, nachdenklicher
Comicfranchise-Dekonstruktion und satirischer Theaterfarce hat auch
einen gewaltigen Vogel.
Richtig gelesen. Ich finde
Birdman nicht nur wahnsinnig, Birdman
ist Wahnsinn! Die Kamera verfolgt das Geschehen in und um das von
Riggan gebuchte New Yorker Theater über weite, weite Strecken ohne
erkennbaren Schnitt. Kamera-Maestro Emmanuel Lubezki und die Cutter
Douglas Crise & Stephen Mirrione vollführen einen komplexen,
visuellen Tanz, der dem Zuschauer das Zeitgefühl raubt, seine
Orientierung einschränkt, ihn geradezu aufsaugt. Ihn als stilles,
alles heimlich beobachtendes Mäuschen ins Geschehen versetzt. Wenn
er nicht gerade einen von Riggans psychischen Höhen- oder
Stürzflügen vor Augen geführt bekommt – dann ist der Betrachter
auf einmal mitten im Oberstübchen eines einstigen
Superhelden-Darstellers. Doch so oder so ist die visuelle Komponente
von Birdman berauschend – und erschwert es
gekonnt, die eh verschwimmenden Ebenen des Drehbuchs zu trennen. Ist
Riggan wahnsinnig, sind manche (alle?!) seiner vermeintlichen
Halluzinationen real? Oder visualisiert Iñárritu bloß die
Gedankenwelt des unter immensem Druck stehenden, zwischen
künstlerischem Begehren, Geltungsdrang und Verleugnung der eigenen
Karriere hin und her gerissenen Mimen? Würde letzteres bedeuten,
dass Riggan in „Wirklichkeit“ völlig normal ist (so weit man
normal sein kann, wenn man schauspielert) und er einfach nur verworrene Gedankegänge hat? Ist Birdman sein gutes
oder sein schlechtes Alter Ego?
Fragen überschlagen sich in meinem
Kopf, vorangetrieben von den jazzigen, hämmernden, dynamischen,
gelegentlich dissonanten Schlagzeug-Klängen des Musikers Antonio
Sánchez. Gags rauschen an mir vorbei, sei es in Form feister
Seitenhiebe auf die Geldmaschinerie Hollywoods und auf das hochnäsige
Theatergehabe oder im Kleide kerniger Situationskomik. Die Figuren
handeln von Minute zu Minute ikonischer, obschon ihre Darsteller nie
die Bodenhaftung verlieren. Die Akteure sagen symbolbehaftete
Monologe auf, gleichwohl bleiben die Beziehungen zwischen ihren
Rollen glaubwürdig. Wie virtuos dieser Spagat doch ist, wie packend
Emma Stones weitäugige, innerlich zerrissene, hingebungsvolle
Leistung als Riggans manische, nein, erschütternd hellsichtige, nee,
innerlich kaputte Tochter!
Stone
verausgabt sich, die Kamera irrt im Theater umher, Riggan verliert
sich immer tiefer im Kampf mit sich und seinem Stück und ich ringe
mit mir. Bin ich weiterhin Filmkritiker, oder bloß noch staunender
Betrachter?! Mein hyperkritischer, distanzierter „Kollege“ würde
mir wohl etwas geigen, würde ich dies hier als Kritik bezeichnen.
Jedoch: „A thing is a thing, not what is said of that thing!“. So steht es auf dem Spiegel in Riggans Garderobe gekritzelt. Und das hier
ist eine Auseinandersetzung mit den Leistungen von Birdman.
Eine Wiedergabe, wie in diesem cineastischen Glanzstück Wahrheit und
Wahn zusammenspielen, Kunst und Kappes, Hommage und kritische
Betrachtung. Und das habe ich nunmehr geleistet, oder?! Oder habe ich
vielleicht mehr getan? In dem Fall habe ich es nicht mitbekommen.
Aber ist nicht gerade das die Macht der
Ahnunglosigkeit?! Kra-Krah!
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