Jason Reitman startete seine
Regiekarriere mit Thank You for Smoking als
treffsicherer Satiriker. Nach dem Indie-Überaschungserfolg
Juno entwickelte er ein beeindruckendes Talent
dafür, am Puls der Zeit orientierte Dramatik mit hintersinnigem
Humor zu vereinen. So entstanden der mehrfach Oscar-nominierte Up
in the Air und Kritikerliebling Young Adult.
Und dann hielten fragile Gefühlskonstrukte Einzug in Reitmans
filmische Vita – mit schwerwiegenden Folgen. Bereits die
Romanverfilmung Labor Day mit Kate Winslet und
Josh Brolin spaltete aufgrund ihrer Sentimentalität die Gemüter.
Somit schien die Geschichte eines Jugendlichen (Gattlin Griffith),
der aufgrund des Aufeinandertreffens zwischen seiner Mutter und einem
Gefängnisflüchtling seinen Platz im Leben überdenkt, der
qualitative Ausrutscher Reitmans zu sein. Mitte 2014 sicherte sich
allerdings #Zeitgeist mit katastrophalen
US-Kritiken die rote Laterne in der Filmografie des 37-Jährigen. Und
es ist ein Leichtes, sich zu erklären, wo die kargen Reaktionen
herrühren.
Ähnlich wie das Drama
Disconnect erzählt Reitmans Leinwandadaption des
Romans Men, Women & Children in mehreren lose
verknüpfen Handlungsfäden von diversen zwischenmenschlichen
Problemen. So herrscht bei den Eheleuten Helen und Don (Rosemarie
DeWitt und Adam Sandler) sexuelle Flaute, während ihr pubertierender
Sohn Chris (Travis Tope) von seinen Trieben beherrscht wird. Dons
Verehrerin Hannah (Olivia Crocicchia) sehnt sich nach einer
Schauspielkarriere und lässt sich von ihrer Mutter Joan (Judy Greer)
managen, verliert ihr gegenüber aber kaum Worte, sofern es nicht um
ihre verblendeten Zukunftsträume geht. Allison (Elena Kampouris),
eine Cheerleader-Kollegin Hannahs, hungert sich derweil auf ungesunde
Maße herunter, um ihrem älteren Schwarm Brandon (Will Peltz) zu
gefallen. Er und viele andere seiner Mitschüler hegen einen
ungeheuerlichen Groll gegen Tim (Ansel Elgort), der lange Zeit als
fähiger Football-Spieler gefeiert wurde, sich aber von einem Tag auf
den anderen aus dem Schulteam zurückzog. Auch sein Vater Kent (Dean
Norris) zeigt kein Verständnis dafür, dass Tim eine grüblerische
Phase hat. Dass Tim sich mit der zurückhaltenden Brandy (Kaitlyn
Dever) trifft, bekommt Kent unterdessen gar nicht mit. Brandys Mutter
Patricia (Jennifer Garner) hingegen schon – und sie ist
ausgesprochen dagegen, dass sich ihre Tochter mit Jungs einlässt.
All diese Plots blicken, ebenfalls
nicht unähnlich Disconnect, nicht bloß auf
familiäre und schulinterne Zwistigkeiten. Sie eruieren zudem, welche
Gestalt solche Situationen des misslungenen Austauschs gerade heute,
im Zeitalter digitaler Kommunikation, annehmen können. Ganz im
Gegensatz zu Henry Alex Rubins Ensembledrama kommt #Zeitgeist
aber mit einem unangemessen martialischen Arsenal aus narrativen
Werkzeugen an. Mit dem Brecheisen zwängen die Autoren den einzelnen
Episoden Wendungen auf, die in solcher Form vielleicht einer
Seifenoper geziemen würden, nicht aber einem ausgewachsenen, sich
ernst nehmenden Kinofilm. Mindestens alle 15 Minuten wird die
Moralkeule geschwunden. Und selbstredend wird dann noch obendrein mit
dem Holzhammer auf den Zuschauer eingedroschen.
Doppelt mag zwar besser halten, wie oft
Reitman in #Zeitgeist dem Zuschauer „Leute,
redet offen miteinander und hört auch genau zu, wenn sich euch
jemand anvertraut!“ entgegen brüllt, lässt sich aber kaum noch
zählen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese als weltbewegende
Erkenntnis verkaufte Botschaft in äußerst bemühten Dialogen
übermittelt wird: Während sich die Textnachrichten in diesem
Melodram zumeist wie unpräzise Parodien lesen, sind die von
Angesicht zu Angesicht getätigten Dialoge fast ausnahmslos gestelzt
und dick aufgetragen. Und dies ist nahezu fatal: Ein mit Satire
gewürztes Drama, welches die gegenwärtigen
Kommunikationsgepflogenheiten anklagt, verliert massiv an Wirkung,
wenn es kein Auge und kein Ohr für reale Zwiegespräche hat.
Im Falle von #Zeitgeist
ist dies besonders bedauerlich, da vereinzelte Sequenzen das
Potential hervorheben, das in diesem Projekt steckt. So zeigt eine
Szene, wie Cheerleader Hannah und ihre Mutter Joan durch ein
Einkaufszentrum spazieren – beide schweigen sich an, nutzen aber
ihre Smartphones, um über Distanz mit anderen Leuten zu chatten.
Hannah zeigt dabei keinerlei Scheu, direkt neben ihrer Mutter
hergehend explizite Sex-Botschaften an ihren Verehrer zu senden. Eine
konzeptuell starke und plausible Sequenz, die bloß durch die
Formulierungen der Textnachrichten ein Stück hinter ihren
Möglichkeiten bleibt.
Ähnliches gilt für den Plot rund um
Tim und Brandy, die aus verschiedenen Gründen Außenseiter sind (er,
weil er sich der örtlichen Football-Obsession entsagt, sie, weil
ihre Mutter ihr Onlineverhalten streng reguliert) und allmählich
zueinander finden. Die Jungdarsteller Kaitlyn Dever und Ansel Elgort
haben eine gute Chemie in ihren gemeinsamen Auftritten und geben
ihren eher flach geschriebenen Figuren durch vieldeutige Mimik einen
runden Charakter mit. Auf jede Szene dieser Klasse kommt jedoch rund
ein Dutzend schwerfälliger Momente, die mittels Küchenpsychologie
und Hobbyphilosophie das Geheimnis hinter dem heutigen Zeitgeist zu
entschlüsseln versuchen. Dass #Zeitgeist ein
unausgegorenes Potpourri an Problemthemen (und „Problemthemen“)
angreift, verhindert, dass auch nur einer der Einzelaspekte eine
ausdifferenzierte Betrachtung erfährt. Von Pornosucht über vulgäre
Chats in MMORPGs bis hin zu Escortservices, immer wieder wird auf die
Tränendrüse gedrückt und stark verallgemeinert.
Zwischendurch versucht Reitman, die
gebotene Trübseligkeit mittels bewusst spritziger Satire
aufzulockern, aber selbst dies verläuft schnell im Sande: Jennifer
Garner etwa mag als manische Mutter mit irrationalem Hass gegenüber
digitalen Medien für manches Schmunzeln gut sein, jedoch ist ihre
Figur in ihrer Begriffsstutzigkeit derart unplausibel gezeichnet,
dass sie spätestens nach der ersten Filmhälfte jegliche
Wirkungskraft verliert.
Es grenzt daher fast schon an ein
Wunder, dass dieser insgesamt sehr manipulative und vorhersagbare
Streifen auf die übliche Tränenzieher-Musik verzichtet. Stattdessen
vermischt Komponist Bibio subtil orchestrale und digitale Musik, die
in teils kühlen, teils warmen Klangfarben erklingt. Die „reale“
und „vernetzte“ Welt wird vom Score erst getrennt, ehe die
Hintergrundmusik Brücken schlägt. Schade, dass der Film selbst
nicht so unaufdringlich und mehrschichtig arbeitet. Selbst
Jason-Reitman-Fans dürfen daher überlegen, ob sie unbedingt in
ihrer Sammlung stehen haben müssen – oder ob sie sich nicht lieber
die DVD respektive Blu-ray von Disconnect gönnen
sollten.
Fazit: Ungefähr so
subtil wie eine Pop-Up-Reklame und genauso denkwürdig: Der
eigentlich so talentierte Regisseur Jason Reitman macht in
#Zeitgeist nahezu alles falsch, was er in früheren
Projekten meisterte.
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