Donnerstag, 21. Mai 2015

#Zeitgeist


Jason Reitman startete seine Regiekarriere mit Thank You for Smoking als treffsicherer Satiriker. Nach dem Indie-Überaschungserfolg Juno entwickelte er ein beeindruckendes Talent dafür, am Puls der Zeit orientierte Dramatik mit hintersinnigem Humor zu vereinen. So entstanden der mehrfach Oscar-nominierte Up in the Air und Kritikerliebling Young Adult. Und dann hielten fragile Gefühlskonstrukte Einzug in Reitmans filmische Vita – mit schwerwiegenden Folgen. Bereits die Romanverfilmung Labor Day mit Kate Winslet und Josh Brolin spaltete aufgrund ihrer Sentimentalität die Gemüter. Somit schien die Geschichte eines Jugendlichen (Gattlin Griffith), der aufgrund des Aufeinandertreffens zwischen seiner Mutter und einem Gefängnisflüchtling seinen Platz im Leben überdenkt, der qualitative Ausrutscher Reitmans zu sein. Mitte 2014 sicherte sich allerdings #Zeitgeist mit katastrophalen US-Kritiken die rote Laterne in der Filmografie des 37-Jährigen. Und es ist ein Leichtes, sich zu erklären, wo die kargen Reaktionen herrühren.

Ähnlich wie das Drama Disconnect erzählt Reitmans Leinwandadaption des Romans Men, Women & Children in mehreren lose verknüpfen Handlungsfäden von diversen zwischenmenschlichen Problemen. So herrscht bei den Eheleuten Helen und Don (Rosemarie DeWitt und Adam Sandler) sexuelle Flaute, während ihr pubertierender Sohn Chris (Travis Tope) von seinen Trieben beherrscht wird. Dons Verehrerin Hannah (Olivia Crocicchia) sehnt sich nach einer Schauspielkarriere und lässt sich von ihrer Mutter Joan (Judy Greer) managen, verliert ihr gegenüber aber kaum Worte, sofern es nicht um ihre verblendeten Zukunftsträume geht. Allison (Elena Kampouris), eine Cheerleader-Kollegin Hannahs, hungert sich derweil auf ungesunde Maße herunter, um ihrem älteren Schwarm Brandon (Will Peltz) zu gefallen. Er und viele andere seiner Mitschüler hegen einen ungeheuerlichen Groll gegen Tim (Ansel Elgort), der lange Zeit als fähiger Football-Spieler gefeiert wurde, sich aber von einem Tag auf den anderen aus dem Schulteam zurückzog. Auch sein Vater Kent (Dean Norris) zeigt kein Verständnis dafür, dass Tim eine grüblerische Phase hat. Dass Tim sich mit der zurückhaltenden Brandy (Kaitlyn Dever) trifft, bekommt Kent unterdessen gar nicht mit. Brandys Mutter Patricia (Jennifer Garner) hingegen schon – und sie ist ausgesprochen dagegen, dass sich ihre Tochter mit Jungs einlässt.

All diese Plots blicken, ebenfalls nicht unähnlich Disconnect, nicht bloß auf familiäre und schulinterne Zwistigkeiten. Sie eruieren zudem, welche Gestalt solche Situationen des misslungenen Austauschs gerade heute, im Zeitalter digitaler Kommunikation, annehmen können. Ganz im Gegensatz zu Henry Alex Rubins Ensembledrama kommt #Zeitgeist aber mit einem unangemessen martialischen Arsenal aus narrativen Werkzeugen an. Mit dem Brecheisen zwängen die Autoren den einzelnen Episoden Wendungen auf, die in solcher Form vielleicht einer Seifenoper geziemen würden, nicht aber einem ausgewachsenen, sich ernst nehmenden Kinofilm. Mindestens alle 15 Minuten wird die Moralkeule geschwunden. Und selbstredend wird dann noch obendrein mit dem Holzhammer auf den Zuschauer eingedroschen.

Doppelt mag zwar besser halten, wie oft Reitman in #Zeitgeist dem Zuschauer „Leute, redet offen miteinander und hört auch genau zu, wenn sich euch jemand anvertraut!“ entgegen brüllt, lässt sich aber kaum noch zählen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese als weltbewegende Erkenntnis verkaufte Botschaft in äußerst bemühten Dialogen übermittelt wird: Während sich die Textnachrichten in diesem Melodram zumeist wie unpräzise Parodien lesen, sind die von Angesicht zu Angesicht getätigten Dialoge fast ausnahmslos gestelzt und dick aufgetragen. Und dies ist nahezu fatal: Ein mit Satire gewürztes Drama, welches die gegenwärtigen Kommunikationsgepflogenheiten anklagt, verliert massiv an Wirkung, wenn es kein Auge und kein Ohr für reale Zwiegespräche hat.

Im Falle von #Zeitgeist ist dies besonders bedauerlich, da vereinzelte Sequenzen das Potential hervorheben, das in diesem Projekt steckt. So zeigt eine Szene, wie Cheerleader Hannah und ihre Mutter Joan durch ein Einkaufszentrum spazieren – beide schweigen sich an, nutzen aber ihre Smartphones, um über Distanz mit anderen Leuten zu chatten. Hannah zeigt dabei keinerlei Scheu, direkt neben ihrer Mutter hergehend explizite Sex-Botschaften an ihren Verehrer zu senden. Eine konzeptuell starke und plausible Sequenz, die bloß durch die Formulierungen der Textnachrichten ein Stück hinter ihren Möglichkeiten bleibt.

Ähnliches gilt für den Plot rund um Tim und Brandy, die aus verschiedenen Gründen Außenseiter sind (er, weil er sich der örtlichen Football-Obsession entsagt, sie, weil ihre Mutter ihr Onlineverhalten streng reguliert) und allmählich zueinander finden. Die Jungdarsteller Kaitlyn Dever und Ansel Elgort haben eine gute Chemie in ihren gemeinsamen Auftritten und geben ihren eher flach geschriebenen Figuren durch vieldeutige Mimik einen runden Charakter mit. Auf jede Szene dieser Klasse kommt jedoch rund ein Dutzend schwerfälliger Momente, die mittels Küchenpsychologie und Hobbyphilosophie das Geheimnis hinter dem heutigen Zeitgeist zu entschlüsseln versuchen. Dass #Zeitgeist ein unausgegorenes Potpourri an Problemthemen (und „Problemthemen“) angreift, verhindert, dass auch nur einer der Einzelaspekte eine ausdifferenzierte Betrachtung erfährt. Von Pornosucht über vulgäre Chats in MMORPGs bis hin zu Escortservices, immer wieder wird auf die Tränendrüse gedrückt und stark verallgemeinert.

Zwischendurch versucht Reitman, die gebotene Trübseligkeit mittels bewusst spritziger Satire aufzulockern, aber selbst dies verläuft schnell im Sande: Jennifer Garner etwa mag als manische Mutter mit irrationalem Hass gegenüber digitalen Medien für manches Schmunzeln gut sein, jedoch ist ihre Figur in ihrer Begriffsstutzigkeit derart unplausibel gezeichnet, dass sie spätestens nach der ersten Filmhälfte jegliche Wirkungskraft verliert.

Es grenzt daher fast schon an ein Wunder, dass dieser insgesamt sehr manipulative und vorhersagbare Streifen auf die übliche Tränenzieher-Musik verzichtet. Stattdessen vermischt Komponist Bibio subtil orchestrale und digitale Musik, die in teils kühlen, teils warmen Klangfarben erklingt. Die „reale“ und „vernetzte“ Welt wird vom Score erst getrennt, ehe die Hintergrundmusik Brücken schlägt. Schade, dass der Film selbst nicht so unaufdringlich und mehrschichtig arbeitet. Selbst Jason-Reitman-Fans dürfen daher überlegen, ob sie unbedingt in ihrer Sammlung stehen haben müssen – oder ob sie sich nicht lieber die DVD respektive Blu-ray von Disconnect gönnen sollten.


Fazit: Ungefähr so subtil wie eine Pop-Up-Reklame und genauso denkwürdig: Der eigentlich so talentierte Regisseur Jason Reitman macht in #Zeitgeist nahezu alles falsch, was er in früheren Projekten meisterte.  

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