Es gibt zwar keine größere
Disney-Ikone als Micky Maus höchstpersönlich, jedoch finden sich in
der Trickfamilie des Traditionskonzerns zahlreiche weitere Figuren,
die vom Unternehmen gewissermaßen in eine Botschafterposition
gedrängt werden. Mickys vom Pech verfolgter Freund und
Teilzeit-Konkurrent Donald etwa ist solch eine Figur, insbesondere
dank seiner Popularität in Comicform. Und dann wäre da
beispielsweise noch TinkerBell, respektive Naseweis, wie sie in der
deutschen Synchronfassung des Zeichentrickmeisterwerks Peter
Pan genannt wird. Seit 1954 leistet TinkerBell tüchtig
ihren Dienst als fliegendes, Feenstaub hinterlassendes Maskottchen in
Vorspannsequenzen zu Walt-Disney-Fernsehsendungen, in
Themenpark-Werbespots oder in Werbetrennern auf Disney-Videokassetten
sowie -DVDs. 2005 erhielt die flatterhafte Fee sogar ihr 'Disney
Fairies' betiteltes eigenes Franchise, welches zahlreiche Bücher
sowie Mengen an Merchandising umfasst.
Als Flaggschiff dieses Franchises wurde
jedoch eine Reihe an Direct-to-DVD-Trickfilmen auserkoren. Der erste
Teil dieser kinderorientierten Saga, ganz simpel TinkerBell
genannt, erschien dank umfangreicher Probleme und
Auseinandersetzungen hinter den Kulissen erst im September 2008 –
und sorgte daraufhin für großes Staunen. Entgegen aller
Befürchtungen erwachsener Disney-Liebhaber traf die
Heimkino-Produktion nicht nur den Nerv des Kinderpublikums, sondern
wusste auch ältere Zuschauer mit ihrem gewaltigem Charme zu
verzaubern. Die Fortsetzungen schieden dagegen, zumindest unter
Trickfilmfreunden abseits des Grundschulalters, die Geister. Einige
kamen super an, andere dürftig. Offenbar hätte in den Augen Disneys
der Erfolg beim jungen Publikum ebenfalls größer ausfallen dürfen:
Im Oktober 2013 drang an die Öffentlichkeit, dass die Arbeiten an
einem siebten und achten TinkerBell-Film
eingestellt wurden. Mitarbeiter der verantwortlichen DisneyToon
Studios gaben im Zuge dessen zu Protokoll, dass ihre Chefs mit den
Einnahmen des Franchises unzufrieden sind.
Der sechste Film aber wurde noch
vervollständigt und gelangt, wie schon der vierte und fünfte Part
dieser Reihe, in die Kinos ausgewählter Disney-Märkte – darunter
Deutschland. Und nach den qualitativen Aufs und Abs, die das grün
gekleidete Feenmädchen seit 2008 durchgemacht hat, hätte es keinen
besseren (vorläufigen?) Abschluss geben können: Denn TinkerBell
und die Legende vom Nimmerbiest fliegt mühelos an die
Spitze der Feenfilm-Charts!
Die abenteuerlustige und
daueroptimistische Tierfee Emily liebt sämtliche Wesen
bedingungslos, ganz gleich, wie bedrohlich sie aussehen mögen. Ihre
Impulsivität bringt Emily aber auch regelmäßig in Schwierigkeiten
– etwa, wenn sie die Regeln der Feengesellschaft missachtet, um
selbst gefährlichen Tieren in der Not zur Seite zu stehen. Als Emily
einmal mehr zu sehr ihrem Herzen folgt, ringen ihr TinkerBell und
ihre weiteren Freundinnen ein Versprechen ab: In Zukunft soll sie ihr
Handeln kritischer überdenken. Alsbald stößt Emily allerdings auf
ein sagenumwobenes, pelziges und mit Fangzähnen ausgestattetes
Ungetüm namens Nimmerbiest. Dieses bringt, so besagt die Legende,
Unheil und Verderben über das Tal der Feen. Emily jedoch ist vom
zotteligen Geschöpf fasziniert – erst recht, da es sich verletzt
hat und Hilfe benötigt. Also wirft Emily ihren Vorsatz über den
Haufen und kümmert sich um den von ihr 'Grummel' getauften
Fellträger, der ein völlig undurchsichtiges Verhalten an den Tag
legt …
Wie sich bereits aus obiger
Plotzusammenfassung ableiten lässt, müsste der Titel dieses mit 76
Minuten Laufzeit erfrischend kompakten Märchens korrekterweise
Emily und die Legende vom Nimmerbiest lauten. Und
dies ist ein spätes Novum dieser Trickfilmsaga: Zwar gehört es zum
Konzept der TinkerBell-Filmreihe, dass in jedem
Teil ein anderer Bewohner der Disney-Feenwelt vermehrt Zeit im
Rampenlicht verbringen darf, bislang war TinkerBell dennoch der
unbestrittene Mittelpunkt des Geschehens. In dieser Geschichte
dagegen wird TinkerBell zu einer untergeordneten Nebendarstellerin
degradiert. Junge wie alte Fans der erfinderischen sowie
aufbrausenden Blondine sollten daher aber nicht verzagen oder
TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest gar mit
der kalten Schulter strafen. Denn das kurzweilige Zusammenspiel des
titelgebenden Nimmerbiests und der großherzigen Emily ist viel zu
goldig, als dass sich aufgrund der verschobenen Feen-Rangordnung
Unbehagen einstellen könnte.
Einerseits wäre da die Stärke der
Animation: Mit flinker Gestik und einem unbeholfen-schiefen Lächeln
wirkt Emily wie eine Mischung aus typisch amerikanischer Unschuld vom
Lande (man denke an Judy Garland oder Dawn Wells) und einem
zeitgemäß-frechen Charmebolzen wie Jennifer Lawrence. Der
gleichermaßen tapsige wie eigentümliche Grummel dagegen ist eine
faszinierende Kreuzung aus zahllosen realen wie fantastischen Tieren.
Während ältere Zuschauer über die für diese Filmreihe ungewohnt
komplexen Bewegungsmuster Grummels staunen dürfen, zieht das Biest
junge Zuschauer aus ganz anderem Grund in seinen Bann: Mit einem
flauschigen Pelz und niedlichen Macken erweckt es einen freundlichen
Anschein, mit seinen giftgrünen Augen und einer unheimlichen Kraft
sorgt es gleichwohl für Misstrauen – diese undurchschaubare Art
Grummels macht ihn zu einem spannenden Leinwandwesen, dessen wahres
Ich enthüllt werden will.
Andererseits trumpft TinkerBell
und die Legende vom Nimmerbiest damit auf, wie das
Autorenteam rund um Steve Loter, Tom Rogers (Das Geheminis
der Feenflügel), Robert Schooley & Mark McCorkle
(Kim Possible) und Kate Kondell (TinkerBell
und die Piratenfee) von dem Verhältnis zwischen Fee und
Biest erzählt: Die ungleiche Beziehung der beiden Figuren entfaltet
sich völlig frei von Hektik und nimmt immer wieder bedeutsame
Wenden. Die Autoren zeigen sowohl herzliche und lustige Höhen als
auch traurige und Spannung schürende Tiefen. Somit wird das junge
Publikum beiläufig dazu angeregt, zwischen Kopf- und
Bauchentscheidungen abzuwägen und zudem selbst nachzudenken, ob
Emily korrekt handelt. Eine so ausdifferenzierte, die ganz jungen
Kinogänger fordernde (doch nicht überfordernde!) Erzählweise
dürften Eltern von dieser Reihe nicht gewohnt sein – umso mehr
lässt es sich verschmerzen, wenn die Erwachsenen im Finale ihre
kleinen Begleiter etwas fester halten müssen. Der Schlussakt wagt
sich nämlich über die Komfortzone bisheriger
TinkerBell-Geschichten hinaus und lässt es mit
Blitzen, Donner und einschüchternden Bildern äußerst atmosphärisch
und dramatisch angehen.
All zu gruselige Formen nimmt diese
feenhafte Erzählung aber niemals an: Regisseur Steve Loter hat dank
des Disney-Serienklassikers Kim Possible und des
DreamWorks-Fernsehspaßes Die Pinguine aus Madagascar
massenhaft Erfahrung darin, sein Zielpublikum mit Action zu fesseln,
ohne es durch zu harsche Entwicklungen zu verschrecken. Loters
Handschrift lässt sich aber nicht bloß im turbulenten Finale
erkennen, sondern genauso in den harmonischeren Momenten zuvor: Zwar
versackt wie in sämtlichen TinkerBell-Filmen auch
hier der eine oder andere Wortwitz, insgesamt sind die Dialoge aber
deutlich pointierter, genauso wie die knuffige Situationskomik viel
erquicklicher als zuvor daherkommt. Des Weiteren fällt auf, dass die
gesungenen Lieder, in all ihrer übertrieben-kindlichen Fröhlichkeit
bis dato ein Schwachpunkt dieser Filmreihe, unerwartet ansprechend
geraten sind – und das in den Kinos optionale 3D ist geradezu
magisch. Zusammen mit der wie eh und je fabelhaften Instrumentalmusik
aus der Feder von Joel McNeely würde all das bereits reichen, um
TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest zum
absoluten Höhepunkt dieses DisneyToon-Studios-Franchises zu machen.
Aber dann ist da noch der herausragende
Prolog, der behutsam und herzergreifend von der Bedeutsamkeit wahrer
Freundschaften und dem Vorgang des Abschiednehmens handelt. Eben
dieser hebt TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest
sogar auf Augenhöhe mit einigen Evergreens der 'großen' Walt Disney
Animation Studios – selbst ohne Berücksichtigung der Metaebene.
Schon für sich genommen sind die letzten Augenblicke dieser
liebenswerten Trickproduktion Grund genug, den lieben Kleinen vor
Rührung die Taschentücher zu reichen (und sich vielleicht auch
selbst eins zu nehmen). Darüber hinaus lässt sich der Schluss von
TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest jedoch
als womöglich letzte Verbeugung der Macher vor ihren Zuschauern
verstehen: Vielen lieben Dank fürs Zuschauen. Vielleicht geht es
eines Tages weiter – ansonsten: Es war schön mit euch!
Fazit: Goldige
Animationen, schöne Melodien und eine ungleiche
Leinwand-Freundschaft, die zu Herzen geht: TinkerBell und
die Legende vom Nimmerbiest ist ein unvergleichlich
beflügelndes Feenmärchen für Junge und Junggebliebende.
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