Das Historiendrama Mr. Turner
– Meister des Lichts ist nicht einfach nur eine weitere
Künstlerbiografie. Für Regisseur Mike Leigh ist diese
internationale Koproduktion ein Passionsprojekt. Mehr noch: Sie ist
eine selbst auferlegte, immense Herausforderung. Ende 2013 erklärte
der mehrfach prämierte Dramatiker im Gespräch mit dem britischen
Magazin 'The Guardian', er beabsichtige mit seinem Film, bestmöglich
die berückende Paradoxie der Gemälde J. M. W. Turners einzufangen.
Diesen gelingt es, so Leigh, ihren Betrachter „die tiefe,
vollendete, geistige und unendliche Schönheit und zugleich das
entsetzliche Drama spüren zu lassen, was es bedeutet, auf dieser
Welt zu sein“.
Hohe Ansprüche, die der
Verantwortliche hinter Filmen wie Another Year
oder Lügen und Geheimnisse erhebt. Aber selbst
wenn Leigh auf dem Weg zu diesem Ziel kein leicht zugängliches
Geschichtsstück gedreht hat, wird Mr. Turner – Meister
des Lichts seinen Aspirationen gerecht. Dem geneigten
Zuschauer entfaltet sich in den rund 150 Filmminuten ein
faszinierendes Porträt in starken Bildern, das sich formal ebenso
ungezwungen wie wirkungsvoll der künstlerischen Neigung seines
Protagonisten anpasst.
Eine
Handlung im klassischen Sinne gibt es daher nicht. Leigh reiht ohne
stärkeren roten Faden diverse Anekdoten aneinander, die von den
letzten 25 Jahren des einflussreichen Marine- und Landschaftsmalers
Joseph Mallard William Turner (Timothy Spall) berichten. Es wird
ersichtlich, dass er mit seinen lichtdurchfluteten, dezent abstrakten
Bildern zu seiner Schaffenszeit von Kunsthistorikern gefeiert, von
Kollegen trotz einiger Häme geachtet und vom Volk verlacht wurde.
Sein grober Umgang mit seiner Haushälterin Hannah Danby (Dorothy
Atkinson) zeigt auf, welch schroffer Rüpel er sein konnte. Seine
Neugier gegenüber wissenschaftlichen Errungenschaften jeglicher Art
zeichnet ihn aber auch als offenen, geistreichen Mann. Und das
zärtliche Verhältnis zu seinem Vater William (Paul Jesson) macht
seine empfindsame Seite bewusst …
Mr. Turner – Meister des
Lichts ist nicht daran gelegen, seinem Publikum im Detail
sämtliche überlieferten Fakten über seine Titelfigur
nachzuerzählen. Die Handlung springt mehrmals nach vorne, so dass
ganze Monate oder teils Jahre im Leben des hochproduktiven Künstlers
ausgelassen werden. Da dieser obendrein ein wortkarger Zeitgenosse
war, wird schon recht früh in diesem Prachtwerk Mike Leighs
deutlich: Der Zuschauer hat es hier weniger mit einem dramatisierten
Abriss eines beachtenswerten Lebens zu tun, viel mehr breiten sich
auf der Leinwand Impressionen aus der Biografie dieses begnadeten
Malers aus. Durchaus angemessen, immerhin dreht sich dieses unter 15
Millionen Dollar teure Prachtwerk über einen Pionier der
romantischen Kunstperiode, der lange bevor der Impressionismus ein
Begriff war, eben dessen Merkmale bravourös für sich beanspruchte.
Die
gewiefte Vereinigung von Form und Inhalt in Mr. Turner –
Meister des Lichts wird durch eine nahezu mustergültige
Umsetzung dieses Konzepts abgerundet. Das Fehlen eines die über zwei
Stunden Laufzeit durchziehenden Spannungsbogens wird von der narrativ
geschickten Dramaturgie der einzelnen Sequenzen abgefedert: Egal, ob
Leigh und der großartige Hauptdarsteller Spall in aller
Ausführlichkeit zeigen, wie Turner nach dem Tod seines Vaters
zusammenbricht, oder ob grandiose humorvolle Szenen wie eine
Smalltalkrunde sich übertrieben gewählt ausdrückender Reicher für
etwas Licht in diesem emotional sonst so tristem Drama sorgen. Wer
sich auf die mit aller Gelassenheit voranschreitende Erzählweise
einlässt, wird mit reichhaltigen Handlungsepisoden und einem völlig
hinter seiner Rolle verschwindenden Timothy Spall belohnt.
Aber nicht nur der sich zeitweise nur
durch Ächzen, Stöhnen und Grunzen verständigende Maler, dessen
Gedankenwelt Spall mit vielschichtiger Mimik nachzeichnet, weiß zu
überzeugen. Jeder Teil des großen Mr. Turner-Ensembles
erweckt eine runde Figur zum Leben, die dieses vorzüglich
ausgestattete Porträt des frühen bis mittleren 19. Jahrhunderts
aufwertet. Den wertvollsten Beitrag liefert allerdings Kameramann
Dick Pope, der mit seinen stillen, von seicht gelblichem Licht
geprägten Bildern den Stil Turners würdevoll nachahmt – und
mitunter die Grenzen verschwimmen lässt: Sieht man auf der Leinwand
gerade ein Bewegtbild oder doch eines der Landschaftsgemälde
Turners?
Allein die eintönigen
Musikkompositionen Gary Yershons, die das wundervoll gefilmte
Geschehen all zu trist begleiten, trüben ein wenig den
Gesamteindruck dieses unvergleichlichen Kunstwerks eines Biopics.
Stark gespielt, in malerischen Bildern eingefangen und von seiner
spröden Eleganz geprägt – Mr. Turner – Meister des
Lichts ist wahrhaftig bemerkenswert!
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