Christopher Nolan steht, wohl mehr als
jeder andere derzeit aktive Filmemacher, synonym für ambitioniertes
Unterhaltungskino, dem Intellekt innewohnt. Der Regisseur, Produzent
und Autor führte sein Publikum unter anderem in eine grimme Vision
der Comic-Metropole Gotham, in der Batman alias The Dark
Knight vorführt, welche Konsequenzen Vigilantismus nach
sich zieht. Außerdem erzählte er mit Prestige
eine verschachtelt-mysteriöse Geschichte über viktorianische
Illusionisten, die nicht nur künstlerische Passion sowie
Opferungsbereitschaft hinterfragt, sondern obendrein auch dem
Betrachter auf den Zahn fühlt: Wie gewillt ist er, wegzuschauen, um
sich verzaubern zu lassen? Mit dem 2010 gestarteten Blockbuster
Inception wiederum unternahm Nolan eine
introspektive Reise „in die Architektur des Verstandes“. Der
mehrfach prämierte Big-Budget-Streifen macht Trauer, Verzweiflung
und Zielstrebigkeit durch opulente Bilder, kraftvolle Musik und
energetische Actionszenen spürbar und lässt den Zuschauer dank
seiner trickreichen Narrative zudem grübelnd zurück.
Der 165 Millionen Dollar schwere
Science-Fiction-Film Interstellar eröffnet dem
Briten einen neuen, umfangreichen Schauplatz: Die überwältigenden
Weiten des Weltraums. Mit diesem Setting geht in der von Christopher
Nolan und seinem Bruder Jonathan geschriebenen Geschichte über
menschlichen Pioniersgeist und Überlebenswillen ein gigantischer
Ehrgeiz einher. Keine Regiearbeit des Memento-Schöpfers
sah spektakulärer aus und setzte sich eine höhere Bandbreite an
thematischen Ziele. Gestützt wird der Wetteifer, der dieser
Zukunftserzählung zugrunde liegt, durch die wissenschaftlichen
Theorien des angesehenen Astrophysikers Kip Thorne. Der enge Freund
Stephen Hawkings und frühere Professor am ehrwürdigen California
Institute of Technology diente mit seinen Abhandlungen über
Wurmlöcher, schwarze Löcher und die Relativität der Zeit nicht nur
als Ideengeber dieses Projekts, sondern wirkte zudem als
wissenschaftlicher Berater und ausführender Produzent mit.
Entstanden ist dabei ein
beachtenswertes Unterfangen von einem Film: Interstellar
ist sowohl ein cineastisches Essay als auch ein audiovisuelles
Spektakel, ein Epos, das sich gleichermaßen emotionell wie
kopflastig gestaltet.
Tatendrang
In der nahen
Zukunft sorgen veränderte klimatische Bedingungen und ein immens
erhöhtes Aufkommen an Pflanzenkrankheiten für eine weltumspannende
Lebensmittelknappheit – und dies, obwohl bereits die Mehrheit der
Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitet. Die Konsumgesellschaft
befindet sich dagegen ebenso auf dem Rückzug wie die Wissenschaft:
Da nahezu jeder Cent in die Ernährung der allmählich
dahinsterbenden Menschheit gesteckt wird, bleiben kaum Ressourcen für
Forschung und Fortschrittsdenken übrig. Daher verschließt der Staat
auch den gesellschaftlichen Weg nach oben, sehr zum Frust des Witwers
und zweifachen Vaters Cooper (Matthew McConaughey), der einst
NASA-Pilot war und sich für seinen Sohn eine Zukunft als Ingenieur
ersehnt. Als Coopers aufgeweckte Tochter Murph von rätselhaften
Vorfällen berichtet, macht sich das stoische Raubein, dessen
Weltsicht zwischen Idealismus und Pragmatismus pendelt, auf die Suche
nach dem Ursprung dieser Geschehnisse. Dabei stolpert er über ein
ganz anderes Geheimnis: Die NASA existiert weiterhin und arbeitet an
einer streng geheimen Mission, um die menschliche Art davor zu
retten, gemeinsam mit ihrem Heimatplaneten unterzugehen …
Der Tatendrang des von McConaughey mit
ruppiger Einfachheit verkörperten Protagonisten spiegelt sich auf
der Produktionsseite wider. Hoyte van Hoytemas prachtvolle
Landschaftsaufnahmen – zu großen Teilen im IMAX-Format gedreht und
entgegen des gewohnten Nolan-Stils weitestgehend lichtdurchflutet –
und die immensen Kulissen erschaffen hier einen real wirkenden
Ausblick auf eine mögliche Zukunft. So real, dass
Interstellar phasenweise auf optischer Ebene auch
als äußerst kostspielige Dokumentation durch ginge. Wären da nicht
die fernen Welten, die mit ihrer eindrücklichen Gestaltung und dank
makelloser Verquickung praktischer und digitaler Effekte sowie
Trickfotografie zu erstaunen und verwundern wissen. In diese mühevoll
erschaffenen Filmwelt fügen sich sogar die vielleicht
unterhaltsamsten Roboter nahtlos ein, die es im ernsten Sci-Fi-Kino
je zu sehen gab: Die minimalistischen, schwarzen Quader, die Cooper
auf seiner Reise begleiten, verleihen Interstellar
nicht nur eine gute Dosis Humor, ohne die Stimmung des Films zu
unterwandern, sondern dienen zudem als Element der steten
Weltenerschaffung.
Zukunftsgedanken
Die 169-minütige Laufzeit dieser
aufwändigen Produktion liegt zwar zum Teil darin begründet, dass
Nolan viel Spannung aus behutsamer Beobachtung und detailliert
ausgebreiteten Szenen generiert. Jedoch spielt diesbezüglich die
Fülle an angerissenen Themen eine genauso große Rolle: So schneiden
die Nolan-Brüder in ihrem Drehbuch eine Debatte über den Wert der
Weltraumforschung an – und das mit einer Versiertheit, die das
übersteigt, was in einer solchen Geschichte nötig wäre. Dies ist
wohl kaum ein Zufall, bedenkt man, dass sich Christopher Nolan vor
allem für das 2006 noch als Steven-Spielberg-Regiearbeit gedachte
Projekt interessierte, weil es ihm die Möglichkeit gab, ein Plädoyer
für die bemannte Raumfahrt zu halten.
Zu diesem Zweck vermengen die Autoren
wissenschaftliche Fakten, plausible Spekulationen und
künstlerisch-dramaturgische Freiheiten. Manche Details könnten es
Interstellar also schwer machen, frei von
ergänzenden Kommentaren in einer Astrophysik-Vorlesung vorgeführt
zu werden – als durchdachtes, geistreiches Science-Fiction-Kino
erschafft Nolans bislang längster Film dennoch ein in sich
kohärentes sowie konstantes Regelwerk. Dessen wichtigste Stütze,
Kip Thornes Abhandlung darüber, welche astrophysischen Phänomene
Reisen in andere Galaxien ermöglichen könnten, führt zudem nicht
nur weitere Gedankenansätze ein, sondern den zentralen
Spannungskniff dieser Story: Die Relativität der Zeit. Während für
die Astronauten nur Tage vergehen, verstreichen auf der Erde
Jahrzehnte, in denen sich die Verfassung des Planeten kontinuierlich
verschlechtert. Daher gilt es für die Weltraumreisenden nicht nur
über das zentrale Ziel ihrer Mission zu streiten – und dies,
typisch für Nolan, in Monologen und Dialogen die weniger von
schnöder Alltagssprache haben, sondern von geschliffenen,
einprägsamen Ansprachen. Insbesondere gilt es für sie, jeden
einzelnen Schritt abzuwägen, um keine Zeit zu vergeuden, denn diese
Ressource rennt zwar nicht ihnen davon, sehr wohl aber jenen auf der
Erde.
Durch die von Anne Hathaway gespielte
Amelia Brand findet außerdem ein weiterer Gedankenanstoß Eingang in
den Film: In der aufreibendsten Szene der in Interstellar
sonst eher weniger auffälligen Aktrice debattiert ihre Figur über
den sozialen und wissenschaftlichen Wert der Liebe. Ob Gefühle eine
höhere Auswirkung auf das menschliche Schicksal und Handeln haben,
als die Wissenschaft es derzeit in Worte fassen kann, ist
schlussendlich gar eines der zentralen Motive dieser Handlung. Selbst
wenn sich dies größtenteils in Form von achtsam vorbereiteten
Handlungswenden und narrativen Klammern äußert. Hathaways Monolog
trennt letztlich beim Publikum die zynische Spreu vom wie Nolan
tickenden Weizen: Egal wie verkopft seine Figuren oft sein mögen,
egal wie finster die Situationen, in die sie geraten – beim
Regisseur herrscht unterm Strich trotzdem eine romantisierte
Weltsicht vor. Wer auf dieser Wellenlänge liegt, dürfte von Amelia
Brands Gefühlsaufbruch noch enger an die
Interstellar-Handlung gebunden werden –
anderweitig droht durch die unverblühmte Emotionalität der Figur
eine entnervte Abwendung von ihr sowie der von ihr angesprochenen
Sub-Thematik.
Weitreichende Emotionen
Man sieht: Obwohl Interstellar
gedankenschwer ist, ist diese Geschichte mehr an menschlichen
Emotionen interessiert als bisherige Nolan-Werke. Selbst wenn die
Figuren für sich genommen nur so viel Profil aufweisen wie nötig,
und so den zahlreichen wissenschaftlichen und moralischen Inhalten
Raum geben, legt der Regisseur großes Augenmerk auf die Dynamik
zwischen den handelnden Personen. So sehr, dass ihre Gefühle
zueinander das Grundgerüst dieses Films darstellen. Dies wird etwa
deutlich, wann immer die auf der Erde gebliebenen Wissenschaftler
(darunter ein routinierter Michael Caine) rapide alternd Botschaften
an die mit der Rettung der Menschheit beauftragten Astronauten
senden. Wenn sich McConaughey alias Cooper die Videonachrichten
seiner Familie anschaut, bleibt dank der präzise geschriebenen
Dialoge, des effektiven Schnitts und der minutiösen Darbietungen der
Atem des Zuschauers stocken. Und während Murph in jungen Jahren von
Mackenzie Foy eine Spur zu ungeduldig und quengelig angelegt ist,
erweist sie sich später durch Jessica Chastains Leistung als stets
zwischen Rationalität und Bauchgefühl kämpfende, ebenbürtige
Hauptfigur direkt neben McConaugheys Cooper. Ein später Subplot,
getragen von einem in jeglichen PR-Materialien geheim gehaltenen
Hollywoodstar, mischt wiederum alle zuvor aufgebauten Konstellationen
auf und dreht dabei etwas überdeutlich an der Spannungsschraube.
Allerdings führt er darüber hinaus griffig vor, wie
Überlebenswillen und Wut menschliches Handeln steuern.
Die Emotionalität dieses dramatischen
Science-Fiction-Abenteuers äußert sich allerdings am gewaltigsten
in der Gänsehaut erzeugenden Originalmusik. Hans Zimmer lässt die
tiefen Bässe, die rasanten Streicher-Ostinati und wuchtigen
Percussion-Einsätze seiner vergangenen Nolan-Zusammenarbeiten hinter
sich, um in Interstellar völlig andere Wege zu
beschreiten. Und diese führen den Oscar-Preisträger zu esoterisch
angehauchten Orgelstücken, lang nachhallenden Noten und einer
insgesamt sehr komplexen, hellen Klangästhetik. Die Melodien in
Interstellar sind hochemotional, vermitteln
Gefühle wie Einsamkeit, Sehnsucht nach Familie und Heimat oder auch
schieres Erstaunen. Gleichwohl sind diese potentiell fragilen, zarten
Kompositionen mit einer derartigen Kraft arrangiert, dass sie sich zu
einem den Film energisch dominierenden Kraftakt formen.
Und diese Klangkraft hat Methode: Die
Toningenieure Gregg Landaker und Gary Rizzo geben Zimmers Musik
streckenweise eine höhere Priorität als den Dialogen und der
restlichen Klangpalette. Nicht zuletzt durch diese akustische Opulenz
positioniert sich Nolans Weltallepos trotz seiner thematischen
Schwerpunkte vornehmlich als bildliches und klangliches Erlebnis –
und weniger als wissenschaftliche Abhandlung im fiktionalen Kleid.
Dies lässt Interstellar auch abseits seiner
gelegentlichen, prägnanten Referenzen in die Nähe von 2001:
Odyssee im Weltraum rücken. Der hohe Stellenwert, den das
Skript der Cooper-Familiengeschichte einräumt, der niedrige Grad an
Stilisierung der irdischen Filmsequenzen und die emotionale Aufladung
der Filmmusik Zimmers hingegen distanzieren diesen Trip von Stanley
Kubricks Meilenstein. Paradox, aber es geht auf: Ist Kubricks
Klassiker primär als allegorisch-vieldeutig angelegt, legt Nolans
Raumfahrtmär größere Akzente auf den Affekt und charaktergetragene
Dramatik.
Fazit:
Überwältigend! Christopher Nolan gelang mit diesem aufwändigen wie
komplexen Science-Fiction-Abenteuer ein weiterer Geniestreich.
Diese Kritik basiert auf meiner Quotenmeter.de-Kinobesprechung
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen