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Donnerstag, 5. März 2015
Chappie
Musikalische One-Hit-Wonder gibt es zahlreiche, selbst wenn das Konzept allmählich vom Aussterben bedroht ist. Aufgrund dessen, wie zersplittert nunmehr das Musikgeschäft ist und wie rasch Mainstreamkünstler üblicherweise nach einer Erfolgsnummer neue Singles veröffentlichen, holen immer mehr Interpreten dank der Zugkraft des artifiziellen Hypes wenigstens mit zwei Titeln eine Top-Ten-Position. Im Kino ist es schon etwas komplizierter, One-Hit-Wonder auszumachen. Regisseure, die einmal in die schwarzen Zahlen gelangen, erreichen dieses Ziel üblicherweise auch zwei Mal, Marketing sei es gedankt. Andererseits lassen sich diverse Filmemacher finden, die einmal einen waschechten Kassenschlager hinlegen, der auch sehr positiv besprochen wird und lange im cineastischen Gedächtnis haften bleibt - und die daraufhin nur noch polarisieren oder enttäuschen.
M. Night Shyamalan ist in den Augen vieler ein solcher One-Trick-Pony-Kandidat: Sein Durchbruch The Sixth Sense wird ungebrochen in Ehren gehalten, Unbreakable wiederum wird schon eher allein von einer (wenngleich passionierten) Nische gefeiert und sonst eher übersehen. Signs war ein popkulturelles Strohfeuer und ab The Village herrscht eine klaffende Divergenz zwischen Konsens und vereinzelten Liebhabern der jeweiligen Shyamalan-Arbeiten. Es lässt sich auch argumentieren, dass die Wachowski-Geschwister solche Einmal-Hitmacher sind. Nach Matrix spielten zwar auch die Fortsetzungen massenhaft Geld ein, einen innigen Platz in der Popkultur erarbeiteten sie sich aber nicht. Speed Racer hat nur sehr wenige Verteidiger auf seiner Seite, sogar der ambitionierte Cloud Atlas hat neben stürmischen Lobeshymnen ebenso harsche Kritik geerntet und erwies sich zudem als wirtschaftlich wenig einträglich. Und Jupiter Ascending scheint sich gemeinhin wohl bestenfalls eine ironische Fangemeinde aufzubauen. Einzelne Verteidigungsgesänge gibt es - so gehört es sich auch fürs Kino mit klarer Handschrift der Verantwortlichen - natürlich dennoch.
Falls solch ein Karriereverlauf bereits ausreicht, um Regisseure als One-Hit-Wonder zu qualifizieren, so läuft ein weiterer Sci-Fi-Liebhaber Gefahr, sich dieses Etikett zu verdienen: Neill Blomkamp, dessen Langfilmdebüt District 9 weltweit allein an den Kinokassen mehr als das Siebenfache seines Budgets generierte, vornehmlich starke Kritiken und zudem vier Oscar-Nominierungen erhielt. Darunter für die Sparten 'Bester Film' und 'Bestes adaptiertes Drehbuch', beides Kategorien, in denen Science-Fiction-Werke üblicherweise ignoriert werden. Vier Jahre später stürmte Blomkamp, von gigantischen Erwartungen der Genrefans begleitet und mit einem respektablen Budget im Rücken, in die Kinos zurück. Elysium spielte aber nur unwesentlich mehr ein als District 9 und wurde darüber hinaus vom zahlenden wie beruflich schreibenden Publikum eher lauwarm aufgenommen. Was meiner Ansicht nach eher eine sehr, sehr gönnerhafte Reaktion war. Er versäumte 2013 knapp meine Flop-Liste des Jahres und rückblickend fange ich an, an meiner Entscheidung zu zweifeln. Die Action war mitunter mies geschnitten sowie gefilmt und die sozialkritische Metaphorik hatte die Tiefsinnigkeit eines Bierdeckelspruchs. Jedoch hatte Elysium wenigstens ein interessantes Produktionsdesign und einzelne unterhaltsame Momente für sich.
Was man Blomkamp lassen muss: Er ist kritikfähig und selbst nicht sonderlich zufrieden mit Elysium. Gegenüber Uproxx sagte der Südafrikaner kürzlich: "Ich glaube, ich habe es verkackt. Ich glaube, die erzählte Geschichte war nicht die richtige. [...] Ich würde glatt zurückgehen und es noch einmal gescheit machen. [...] Das Problem ist, dass ich mich zu sehr in Konzepten und Ideen verheddere ..." Mit Chappie hätte Blomkamp nun die Gelegenheit, zu beweisen, dass er auch anders kann. Ähnlichkeiten zu seinen früheren Projekten sind schließlich vorhanden. Südafrika als Setting, Sci-Fi-Konzepte treffen Sozialkommentar sowie eine Handlung mit Mainstreamkino-Tauglichkeit. Blomkamps Vorteil: Nach dem schwachen Elysium sind die Erwartungen gedrosselt. Was ihm die Nächte dagegen nicht unbedingt ruhiger gestalten dürfte: Der Erfolgsdruck ist trotz eines wieder gedrosselten Budgets sogar gestiegen. Es steht im cineastischen Diskurs vor Chappie 50:50, ob Blomkamp ein aus dem Nichts aufgetauchtes Genie ist, oder ob er bei seinem Erstling einfach nur Glück hatte. Chappie wird nun eine der beiden Theorien untermauern. Zumindest, bis Blomkamps vierter Langfilm anläuft.
Fast so, als wolle Blomkamp sichergehen, dass er mit Chappie wieder ähnliche Reaktionen hervorruft wie mit District 9, orientiert er sich in seinem dritten Langfilm eng an den Tricks und Kniffen seines Debüts. Eingangs sogar all zu sehr: In den ersten Minuten schaffen pseudodokumentarische Elemente den nötigen Kontext der fiktionalen Filmwelt. In einer staubbedeckten, nahen und finsteren Zukunft wird das Klassengefälle in Südafrika durch die Einführung semi-intelligenter Polizeiroboter verstärkt, die jeglicher krimineller Regung den Riegel vorschieben. Die Fake-Interviews, die von der unvermeidlichen Evolution Chappies reden, werden allerdings zügig fallen gelassen und stattdessen setzt die Handlung 18 Monate vor der Gegenwart dieser Nachrichtenausschnitte an. Der Technologie- und Waffengigant Tetra Vaal liefert einen konstanten Strom an 'Scouts', die der Polizei Südafrikas förmlich die gesamte Arbeit abnehmen. Der Erfinder dieser Roboter, Deon Wilson (Dev Patel), wird daher von seiner Chefin (Sigourney Weaver in einer verschenkten Gastrolle) in den Himmel gelobt. Er selbst strebt aber nach höheren Weihen und möchte die erste fühlende, singuläre Künstliche Intelligenz entwickeln, wofür seine Brötchengeberin aber keine Verwendung hat. Deons Kollege Vincent Moore (Hugh Jackman), ein ehemaliger Soldat, derweil platzt vor Neid, da der Erfolg von Deons Erfindung jegliche Aufmerksamkeit von seinem Prototypen eines personengesteuerten Polizeiroboters namens Moose lenkt.
Unterdessen geraten die Kleingangster Ninja (Watkin Tudor "Ninja" Jones), Yo-Landi (Yolandi Visser) und Yankie aka America (Jose Pablo Cantillo) in Bredouille, weil sie dem gefürchteten und rücksichtslosen Oberganoven Hippo (Brandon Auret) einen Haufen Kohle schulden. Da die allgegenwärtigen Scouts dem Trio andauernd die Tour vermiesen, schmieden die Drei einen ungewöhnlichen Plan: Sie wollen den Erfinder der Scouts entführen und ihn dazu erpressen, ihnen die Fernbedienung für alle Roboter auszuhändigen. Zwar wissen Ninja, Yo-Landi und America gar nicht, ob solch ein Gerät überhaupt existiert, aber falls dem so sein sollte, könnten sie ja ganz problemlos alle Scouts abschalten, wenn sie auf Raubzug gehen. Als die Kleinkriminellen Deon kidnappen, kommt jedoch alles ganz anders als gedacht: Deon knackte kurz vor seiner ungewollten Begegnung mit der sich in seiner gefühlten Coolness suhlenden Diebescrew das Geheimnis hinter einer eigenständig denkenden KI und will seine Entdeckung an einem von Tetra Vaal ausgemusterten Roboter austesten. Ninja würde aufgrund der unvorhergesehenen Entwicklung am liebsten wie wild um sich schießen, aber seine Partner tüfteln einen neuen Plan aus: Sie nehmen den lernfähigen Scout an sich und wollen ihn dazu erziehen, ihnen bei ihren Gaunereien unter die Arme zu greifen. Ninja stimmt zu, auch wenn ihm der 'Chappie' getaufte Roboter anfangs all zu begriffsstutzig ist. Der wehrlose Deon muss unterdessen mit ansehen, wie seine wertvollste Erfindung auf der falschen Seite der sozialen Hackordnung aufwächst. Und dann wäre da noch Vincent, der keine neuen Erfindungen neben seinem geliebten Moose duldet ...
Bereits im Laufe des ersten Viertels macht sich bemerkbar, dass Neill Blomkamp und seine Ko-Autorin Terri Tatchell herzlich wenig Interesse daran haben, in ihrer Filmwelt die ethischen und technologischen Konsequenzen der Erschaffung Chappies auszuloten. Dass es in Chappie nicht um die Grenze zwischen Menschlichkeit und Künstlichkeit geht, sondern dies nur ein Gimmick ist, mit dem sich der eigentliche Plot schmückt, ist aber zu verzeihen. In vielen Science-Fiction-Filmen ist die Technologie letztlich nur Oberfläche, nur das Gewand, das die wahre Handlung trägt. Und die wahre Handlung von Chappie ist ... schwer auszumachen, denn der von Zufällen und schwer nachvollziehenden Fehlentscheidungen getragene Plot belegt Blomkamps Selbstkritik, er verliebe sich in Konzepte und Bilder, versäume es jedoch, sie mit einer ausgetüftelten Story zu verbinden. Die längste in sich kohärente Strecke von Chappie stellt aber so etwas wie einen Sci-Fi-Sorgerechtsstreit dar - und da dies auch die am stärksten fokussierte Passage des Skripts ist, weiß sie auf einer reinen Entertainment-Ebene auch am ehesten zufriedenzustellen.
Denn das Hin und Her zwischen Deon einerseits und Ninja, Yo-Landi und Yankie andererseits, sowie Chappies wankelnde Loyalität zwischen beiden Parteien, ist etwas, das es so im Sci-Fi-Massenkino bislang nicht zu sehen gab. Ja, die Streitigkeiten, wer denn nun für Chappie verantwortlich ist und die Auswirkungen, die sie auf das zwischen den Fronten stehende "Kind" haben, sind zwar zu flach, um als brauchbare Sozialkritik durchzugehen. Und die mitunter pathetischen Versuche Blomkamps, den Gangster-Lifestyle mit Kalendersprüchen zu rechtfertigen (oder etwa zu persiflieren?!), können zwischenzeitlich auf die Nerven fallen. Aber die Dynamik mit der Blomkamp von diesem Sorgerechtsfall berichtet sowie die ironiefreie Direktheit, mit der die Fürsorge für einen denkenden und fühlenden Roboter behandelt wird, sind so erfrischend, dass es einfach unterhält.
Eine lange Halbwertszeit hat der ganze Spaß allerdings nicht, was an der bescheidenen Charakterisierung der handelnden Figuren liegt. Vor allem Ninja gerät für lange Strecken des Films zu einer unausstehlichen, starrköpfigen Obergangster-Karikatur, und es verwundert keineswegs, dass der im wahren Leben als Experimentalrapper tätige Mime am Set für ordentlich Stunk sorgte. Jose Pablo Cantillo versucht als Ninjas rechte Hand sein Bestes, die gemeinsamen Szenen zu deeskalieren und mit Esprit wenigstens einen zweidimensional-leichtgängigen Kleinkriminellen zu erschaffen, jedoch hat er viel zu wenig Leinwandzeit, um Chappie wirklich einen Stempel aufdrücken zu können. Yo-Landi, die in Realität gemeinsam mit Ninja die Rapkombi Die Antwoord formiert, ist unter den Mitgliedern der Chappie-Unterschicht klar die positivste Erscheinung, als dass die Gelegenheitsaktrice für authentisches Flair sorgt und glaubwürdig eine Gesetzlose mit Stolz und Ehrenkodex darzustellen vermag. Das Skript aber tut ihr wahrlich keinen Gefallen und zeichnet ihre Rolle unfassbar naiv, so dass es schwer fällt, sich ab und zu nicht zu fragen, wie diese Figur in dieser Filmwelt überhaupt die Volljährigkeit erreichen konnte, ohne vorher abzukratzen. Wer sich aber mit Mühe an der filmischen Illusion klammert, findet in Yo-Landis Szenen wenigstens einige charmante Schmunzler und so etwas ähnliches wie die gute Seele des Films. Bis zum haarsträubenden Finale, wo praktisch jede Figur so reagiert, wie es das Drehbuch für eine möglichst dramatische Entwicklung benötigt, ganz gleich, wie unschlüssig es sein mag.
Bestenfalls durchwachsen ist leider auch der Titelheld geraten. Die Grundidee, eine künstliche Intelligenz zwischen Untergrundkriminalität, einem empfindsamen Erbauer und einer nach Besserem strebenden Programmierung schwanken zu lassen, hat etwas. Dieses Je ne sais quoi geht aber durch die Hektik, mit der Blomkamp die Einflüsse auf Chappie einprasseln lässt, zum Großteil verloren. Darüber hinaus übertreibt Sharlto Copley (der Chappie via Motion Capturing zum Leben erweckt und im englischsprachigen Original auch als seine Stimme zu hören ist) es ordentlich, wann immer er Chappie als krassen "Gangsta Roboht Numba One" zeigt, so dass es zuweilen schwer wird, zu erahnen, ob es nun als Gag, schockierend rasche Entwicklung oder mitleiderregende Fehlleitung einer unschuldigen Seele gedacht ist. Die anderen Figuren mögen unentwegt betonen, wie menschlich, verletzlich und kindgleich Chappie doch ist, aber Copleys Performance und das in einigen Szenen nicht perfekt sitzende Rendering erschweren eben diese Illusion. Am echtesten wirkt Chappie, wenn er längst völlig unter Ninjas Einfluss steht, daher jedoch zudem nur mäßige Sympathiepunkte erarbeiten kann.
Was Chappie zumindest auf dem Weg zum Finale über den arg bemühten, wenig gekonnten Elysium hebt, sind einerseits die amüsierten Leistungen Patels und Jackmans, die erkennen, dass ihnen das Drehbuch nichts an die Hand gibt und daher einfach nur mit Genuss ihre Leinwandwirkung ausloten. Andererseits wären da die Actionszenen, die um ein Vielfaches besser gedreht und geschnitten sind als noch in Elysium und ferner dank der Massen an Sprengstoff, Kran- und Flugaufnahmen sowie CG-Effekten Chappie wesentlich teurer aussehen lassen, als er mit seinem 49-Millionen-Dollar-Budget in Wahrheit ist. Und dann wäre da ja noch Hans Zimmers vor Energie platzender Elektronikscore. Nachdem sich der Oscar-Preisträger in den vergangenen Jahren weitestgehend von seinen einst geliebten Synthesizern distanziert hat, dreht er sie nun völlig auf und lässt es nahezu ohne Unterlass wimmern, hämmern und wummern. Das ist alles andere als subtil, und wer Zimmer generell vorwirft, er würde mit seiner Musik Filme völlig überwältigen, wird ihn wegen Chappie wohl kaum urplötzlich mögen. Da aber der gesamte Film eh nichts von leisen Klängen hält und jeden Spritzer Passion und Einfallsreichtum benötigt, ist Zimmers kreativ-manische Musik ein deutlicher Pluspunkt. Es ist fast so, als hätte Zimmer gemerkt, dass Chappie ein anspruchsloser, inoffizieller District 9-Nachfolger wird und daher einfach alles in die Waagschale geworfen, was dem Werk irgendwie ein eigenes Leben verleihen könnte. Für mich als Freund solcher Zimmer-Verzweiflungsmusiken wie The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro oder Illuminati ein sündiger Hörgenuss!
Aber dann wirft Blomkamp die Schroffheit und das am längsten ausgeleuchtete Konzept von Chappie über Bord, um stattdessen eilig und halbseiden sehr wohl über Künstliche Intelligenz zu referieren und zudem das erste der angeblich zwei fertig geschriebenen Sequels vorzubereiten. Und schon gehen all die wohlig gemeinten Pluspunkte der Marke "Dumm, aber ansehnlicher Ghetto-Actionspaß" in einem Meer aus Klischees baden.
Blomkamp wird also noch länger allein vom Gutwillen leben müssen, den er sich durch District 9 verdient hat. Ob sein neuer Alien-Film gleich zwei magere Filme ausgleichen kann? Angesichts Blomkamps Neigung, seine Storyinhalte für bedeutsamer zu inszenieren, als sie es wirklich sind, mache ich mir da Sorgen ...
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