Ich möchte etwaigen Unkenrufen direkt
vorbeugen: Ja! Im Gegensatz zur breiten Mehrheit habe ich sonderlich
wenig Freude an Disneys Milliardenerfolg Die Eiskönigin –
Völlig unverfroren, was ich auch in vergleichsweise hoher
Frequenz der Welt mitteile. Dass mich ein Sequel zu diesem
Animationsfilm nicht zu Jubelschreien verleitet, ist daher keine
Überraschung. Im Gegenzug dazu gefällt mir das audiovisuelle
Erlebnis Tron: Legacy ausgesprochen gut, so dass
ich einer Fortsetzung aufgeschlossen gegenüberstehe. Trotzdem wage
ich zu behaupten, dass es nicht allein meine persönlichen
Präferenzen sind, die mich einen neuen Ausflug aufs Raster in eine
andere Schublade stecken lassen als eine weitere Reise nach Arendelle .
Blicken wir zunächst auf Tron:
Legacy: Die 170 Millionen Dollar teure Weitererzählung des
Kultfilms Tron fällt genau auf die Grenze
zwischen finanzieller Enttäuschung und kleinem Erfolg. Nach
gewaltigem Vorabhype, angetrieben von passioniertem viralen Marketing
sowie engagierter Präsenz auf mehreren San Diego Comic Cons,
generierte das Regiedebüt des ehemaligen Architekten Joseph Kosinski
weltweit ein Einspiel von 400 Millionen. Dies machte das Projekt zwar einträglich, jedoch platzierten diese Werte den Streifen auch klar unter Disneys erhofften Zahlen.
Auch das Merchandising zum Film erwies sich eher als Strohfeuer –
abgesehen vom extrem populären Soundtrack. Ebenso übertrafen die imDisney California Adventure abgehaltenen Tron-Partyevents
mühelos sämtliche Erwartungen, weshalb sie deutlich länger Teil
des Resort-Veranstaltungskalenders blieben als geplant.
Dafür endete die von Kritikern sehr
positiv besprochene Tron-Trickserie nach nur einer
Staffel. Die einst prognostizierte Dominanz des Franchises in der
Videospielwelt traf ebenfalls nicht ein (Sam Flynn und Quorra
erscheinen daher bei Disney Infinity nur als
PC-exklusive Figuren und nicht etwa als 'echte' Figuren), und der
dritte Part der Tron-Saga drehte bald fünf Jahre lang
Runden in der Development Hell. Erst jetzt, diverse
Drehbuchrevisionen später, scheint das Projekt bei Disney ein
Standing zu haben – und das, obwohl es für Cast und Crew von
Tron: Legacy stets eine hohe Priorität einnahm.
Gewiss, vorzeitige Diskussionen einer potentiellen Fortsetzung sind
bei hoch budgetierten Hollywood-Filmen längst Teil der PR-Maschiene
geworden, Schauspieler sprechen sich in Promo-Interviews zum
'Original' längst nahezu reflexartig für ein Sequel aus. Bei
Tron: Legacy aber ist eine ehrliche Hingabe
spürbar, egal ob bei Olivia Wilde, die in Interviews häufiger sagt, einen neuen Tron drehen
zu wollen. Oder bei Bruce Boxleitner, der Tron
schlichtweg nicht aufgeben will. Oder bei Joseph Kosinski, der
verlässlich wie ein Uhrwerk alle paar Monate Tron
zurück in die Filmpresse zerrt.
Der dritte Tron-Film
kann also mit ziemlicher Sicherheit als ein Vorhaben bezeichnet
werden, das von künstlerischer Seite angetrieben wird – und von
wirtschaftlichen Interessen einfach nur nicht total ausgebremst wird.
Immerhin erhält Shanghai Disneyland eine Tron-Attraktion,
deren Existenz garantiert, dass der Disney-Konzern nicht völlig
daran desinteressiert ist, die stylische Welt des Rasters auch
außerhalb der Parkgrenzen in den Köpfen der Menschen zu verankern.
Ohne das Tron-Fahrgeschäft hätten Kosinski und
Co. es noch schwerer, grünes Licht für den Film zu erkämpfen. Aber
machen wir uns nichts vor: Wäre Tron 3 aus reinem
Konzernkalkül entstanden, wäre er schon längst im Kasten.
Bei Die Eiskönigin – Völlig
unverfroren verlief es dagegen nahezu entgegengesetzt.
Nachdem sich die lose Hans-Christian-Andersen-Verfilmung als
überwältigender Kassenschlager entpuppte, der obendrein Unmengen an
Merchandise losschlug, gab es von Cast und Crew in Sachen
Fortsetzung solche Sachen zu hören: "Ich glaube, weil der Film so erfolgreich war, wird es wohl eine Fortsetzung geben." Es ist allein der Erfolg, der die Debatte über weitere Eiskönigin-Projekte dominiert. Bob Iger feierte Frozen als eine von Disneys Topmarken – und betrachtete den Film somit von der
Disney-Princess-Linie losgelöst, eine Ehre, die Rapunzel
beispielsweise nicht zuteil wurde. Eiligst wurde ein Kurzfilm inAuftrag gegeben, den sich die Regisseure entsprechend rasch aus den
Haaren zogen. Und nun ist also auch eine Fortsetzung in Arbeit. In
dieser Form unerhört für Disney. Die einzigen Filme, die innerhalb
des sogenannten Meisterwerke-Kanons ein Sequel erhielten, sind
Fantasia, Bernard & Bianca,
Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh und je
nachdem, wie man den Fall betrachtet auch Saludos
Amigos. Alle anderen Disney-Trickfilme, die fortgeführt
wurden, fanden ihren Nachfolger bloß durch eine Produktion der
zweitrangigen DisneyToon Studios.
Der Abstand zwischen Original und
Fortsetzung beläuft sich bei den drei „echten“ Fortsetzungen auf
59, 13 und 34 Jahre. Nur zwischen Saludos Amigos und
Drei Cablleros ging es einem Jahr zügig voran.
Dass die Walt Disney Animation Studios so selten Fortsetzungen
produzieren, hat auch guten Grund: Sie sind der traditionsreiche Kern
des Disney-Konzerns, gewissermaßen das Herz und die Seele dieses
Entertainmentgigantens. Man könnte sagen, dass allein schon diese
kulturelle Verantwortung die Disney-Trickleute anstrebt, sich nicht
unnötig vom Fortsetzungswahn mitreißen zu lassen. Erst recht nicht,
weil Walt Disney ein ausgesprochener Gegner (animierter)
Fortsetzungsgeschichten war. Vor allem aber arbeitet das Disney
Trickstudio mit begrenzten Ressourcen. Während der Disney-Konzern es theoretisch vermag, bis zu zwei Dutzend Realfilme im Jahr zu veröffentlichen, kommt die
kleine, doch feine Belegschaft der Walt Disney Animation Studios auf
höchstens zwei Langfilme im Jahr. Seit 1937 kamen gerade einmal 54
offizielle Langfilme aus dem Trickhaus – bei dieser Schlagzahl
zahlreiche talentierte Animationskünstler für eine Fortsetzung in
Beschlag zu nehmen, muss wohl überlegt sein. Zumindest, sofern
Disney sein Flagschiffstudio nicht schlagartig massiv vergrößert.
Während Fantasia 2000,
egal wie gut oder schlecht manche Disney-Liebhaber ihn nun halten
mögen, wohl kaum eine Produktion ist, die man als Verschwendung
menschlicher Ressourcen bezeichnen würde, ist Die
Eiskönigin – Völlig unverfroren ein ganz anderer Fall.
Selbst ich, der diesem Märchenmusical kaum etwas abgewinnen konnte,
möchte sehen, wozu Regisseurin Jennifer Lee noch imstande ist. Was sie
mit einem anderen Setting, anderen Figuren, ja, vielleicht auch einem
anderen Genre anzustellen weiß. Die Eiskönigin – Jetzt
friert's richtig!, Die Eiskönigin – Saukalt
abgezockt oder wie auch immer das Sequel heißen wird,
verhindert für viele Jahre, dass die Animationswelt etwas Frisches
von ihr zu Gesicht bekommt. Es beansprucht einen der raren Slots im
Produktionsapparat der Walt Disney Animation Studios. Und ist dann
noch obendrein dermaßen offensichtlich ein von oben gesteuertes
Unterfangen, ein Konzernmandat. Die Einspielergebnisse und
Merchandisingverkäufe waren umwerfend – mehr davon! Während
Joseph-Kosinsi-Interviews jahrelang sinngemäß aussagten „Ich habe
eine richtig tolle Idee und hoffe so sehr, dass Disney mich sie
umsetzen lässt“, lesen sich Interviews der kreativen
Verantwortlichen hinter Die Eiskönigin – Völlig
unverfroren ungefähr so: Wir haben absolut keine Story, aber die Ankündigung macht was her.
Selbstredend: Es bestehen allerhand
Parallelen zwischen Die Eiskönigin – Verfroren und
zugeschneit und Tron 3. Es sind
Disney-Filme, die Produktionen fortsetzen, die an den Kinokassen
schwarze Zahlen geschrieben haben und die sich in den
Spielzeugregalen dieser Welt sowie in den Disney-Parks mannigfaltig
auswerten lassen. Anders etwa als solche Filme wie Die
Coopers – Schlimmer geht’s immer. Beide Projekte dienen
in den Augen der Disney-Geschäftsführung als lebenserhaltende
Mittel einer bereits etablierten Marke – beziehungsweise gleich
zweier Marken, nämlich der Muttermarke Disney sowie dann der
Submarke Frozen respektive Tron.
Jedoch hat der Sci-Fi-Film über User, Programme und audiovisuelle
Wagnisse einen schon jetzt hörbaren künstlerischen Herzschlag.
Während ausgerechnet der Film der Traumfabrik namens Walt Disney
Animation Studios bislang daran zweifeln lässt, dass er eine Seele
aufweist.
Und obwohl Die Eiskönigin –
Annas frühlingshafte Abenteuer im pinkfarbenen Glitzerwald
basierend auf den bislang bekannten Fakten einer künstlerischen
Bankkrotterklärung gleichkommt, ganz im Gegensatz zum durchaus
risikoreichen Tron 3, ist dieses Schreckensprojekt
nicht der Tiefpunkt. Disney kann noch viel schlimmer: Wenn eines
Tages herauskommt, dass die Idee, Dumbo wäre für
ein Realfilmremake prädestiniert, mittels eines Dartpfeilwurfs
beschlossen wurde … Also, ich wäre nicht überrascht. Ein am
Broadwaymusical angelehnter Die Schöne & das
Biest-Realfilm mit alten wie neuen Liedern ergibt ja noch Sinn. Er wird zwar die Adaption einer Adaption einer
Adaption, jedoch leuchtet es ein, weshalb jemand denken könnte, dass
die Filmwelt eine solche Ergänzung benötigt. Es lässt sich jetzt
schon ausmalen, dass bei entsprechender Lesitung der Verantwortlichen
der benötigte Balanceakt aus Eigenständigkeit und Vorlagennähe
geleistet werden kann, um das Publikum nicht zu verprellen. Dass Tim
Burton eine Horde CG-Elefanten und vereinzelte reale Schauspieler zu einem ansehnlichen Gesamtwerk orchestrieren kann, ist hingegen nahezu unvorstellbar.
Da lobe ich es mir, wann immer Disney neben seinen potentiell sehenswerten sowie seinen voraussichtlich grauenvollen Markenfilmen auch gänzlich anders tickende Filme herausbringt. Wie etwa The Finest Hours, ein Katastrophendrama mit Chris Pine, Eric Bana und Casey Affleck über schiffbrüchige Arbeiter einer Ölplattform. Denn auch solche Werke sind wichtig für das Disney-Image. Sie halten die Flagge der kleinen, herzlich-inspirierenden Disney-Filme am Leben. Dave Hollis, ausführender Vizepräsident des Vertriebsarms der Walt Disney Studios, hat dies erkannt. Auf dass sein Vertrauen in solche Filme wächst und gedeiht. Denn ein Disney, das alles kann, große wie kleine Filme, Markenprojekte wie Einzelproduktionen, ist ein besonders starkes Disney!
Da lobe ich es mir, wann immer Disney neben seinen potentiell sehenswerten sowie seinen voraussichtlich grauenvollen Markenfilmen auch gänzlich anders tickende Filme herausbringt. Wie etwa The Finest Hours, ein Katastrophendrama mit Chris Pine, Eric Bana und Casey Affleck über schiffbrüchige Arbeiter einer Ölplattform. Denn auch solche Werke sind wichtig für das Disney-Image. Sie halten die Flagge der kleinen, herzlich-inspirierenden Disney-Filme am Leben. Dave Hollis, ausführender Vizepräsident des Vertriebsarms der Walt Disney Studios, hat dies erkannt. Auf dass sein Vertrauen in solche Filme wächst und gedeiht. Denn ein Disney, das alles kann, große wie kleine Filme, Markenprojekte wie Einzelproduktionen, ist ein besonders starkes Disney!