- Das größte Verbrechen, dem Fifty Shades of Grey schuldig ist, ist die erdrückende Langweile, die sich während ihm breit macht. Denn die Story ist undynamisch erzählt, mit mehreren Szenen, die gemächlich zu Ende plätschern und Montagesequenzen, die völlig undramatisch verlaufen.
- Für eine Erotikromanze ist es fast schon beleidigend, wie katastrophal Fifty Shades of Grey daran scheitert, eine prickelnde Wirkung zu entwickeln. Zugegeben: Die 'normalen' Sexszenen (vor allem die erste, in der die weibliche Hauptfigur der Anastasta Steele entjungfert wird) sind länger als in üblichen Mainstream-Liebesfilmen. Doch sie verlaufen schematisch, ohne pikant-sinnliche Atmosphäre oder die Fantasie anregende Ideen.
- Die zuvor massiv gehypten SM-Bettszenen dagegen sind 'vanilla': Ein paar Klapse auf den Hintern, der sanfteste Hieb mit der neunschwänzigen Katze in der Geschichte des westlichen Kinos und wenn Christian Grey herausgefordert wird, endlich mal alles zu geben, sieht Darsteller Jamie Dornan so aus, als würde er sich gerade mit Leib und Seele wünschen, jede andere Rolle angenommen zu haben, die ihm angeboten wurde – nur nicht diese.
- Generell leidet Fifty Shades of Grey enorm darunter, dass zwischen Dornan und seiner Filmpartnerin Dakota Johnson keinerlei Funken fliegen. Wenn sich ihre Figuren 'leidenschaftlich' angucken, ist das höchste der aufkommenden Gefühle die in ihren Augen aufblitzende Frage 'Und nun?'
- Zwischen ihren Figuren, also rein auf dem Papier, ist die Chemie kaum größer – wenn nicht sogar in ihrer Nonexistenz noch aggressiver: Ana beteuert mehrmals, Grey zu lieben, und Grey … äh … knurrt wiederholt, dass er Ana unbedingt besitzen will. Jedoch werden diese vermeintlich inniglichen Bestandsaufnahmen niemals überzeugend unterfüttert.
- Was in den Dialogen dagegen ad nauseam dem Publikum eingeprügelt wird, sind die Namen der beiden Hauptfiguren: Unentwegt sprechen sie einander mit Vor- oder Nachnamen an, so als befürchteten die Filmemacher, die Zuschauerschaft könnte diese ultrakomplizierten Figurennamen in der Zwischenzeit vergessen haben.
- Stellenweise ist es zudem ungeheuerlich schwer, zu differenzieren, ob ein Satz selbstironisch-lustig gemeint ist, absichtlich ernsthaft-lustig oder ob er total seriös sein sollte, aber dank Dialogbuch, Kontext, Darbietung und Kontext zum Brüllen komisch Gestalt annahm: Äußerungen wie 'Ich schlafe mit niemandem … ich ficke! Hart!', das grausig synchronisierte 'Ich bin 50 Facetten von abgefucked' oder 'Wenn du einwilligst, meine Sklavin zu sein … bin ich dir ergeben' könnten genauso gut aus einer Parodie stammen.
- Apropos Parodie: Auch die Inszenierung ist stellenweise derart drüber, dass die Illusion des soften BDSM-Romantikmärchens zerbricht und feinstes parodistisches Gebiet erkundet wird. So ergießt sich über Ana nach ihrer ersten Begegnung mit Christian ein schier orgasmischer Regenschauer, den es in dieser Form, ohne ironischen Spott heutzutage höchstens in Musikvideos geben dürfte.
- Nicht zu vergessen, dass Anas Lippenknabbern spätestens zehn Minuten nach Filmbeginn jegliche Grenzen überschritten hat und sich nur noch im Bereich 'Viel zu viel!!!' aufhält …
- Als Mainstream-Kinoverfilmung eines recht expliziten Erotikromans hat Fifty Shades of Grey natürlich von Beginn an einen schlechten Stand erwischt: Die Sexszenen können (rein visuell) nur harmloser sein als im Buch. Trotzdem muss 'weniger' nicht gleich 'unerotischer' bedeuten, da mit dem richtigen Licht, dem richtigen Schnitt, den richtigen Darstellern, der richtigen Musik und der richtigen 'Choreografie' viel, viel wett gemacht werden könnte. Über die schematisch gefilmten und gespielten Sexszenen habe ich mich ja bereits beklagt, allerdings gibt es einen weiteren Punkt, der dem Film gewaltig schadet: Der Schnitt in sämtlichen Szenen, die mit Nacktheit zu tun haben. In einem gut geschnittenen Film, bei dem sich der Cutter und die Regie dem Rhythmus des dargestellten Liebesakts hingeben, fällt nicht weiter auf, was der Fantasie des Publikums überlassen bleibt. Es ist genau wie in Gewaltfilmen: Ein gut geschnittener Horrorstreifen lässt den Zuschauer denken, er hätte schlimme, schlimme Dinge gesehen, obwohl die gar nicht explizit gezeigt wurden. Eine richtig gute Sexszene würde das Publikum also denken lassen, es hätte allerlei explizite Details gesehen. In Fifty Shades of Grey aber schwingen sich Kameraführung und Schnitt zu wahrlich plumpen Höhen empor: Die Kamera gleitet im Profil Greys Oberkörper und Hüften entlang, und wenn klar wird, dass es nur eine Millisekunde länger dauern würde, bis sein Geschechtsteil die Leinwand erfüllen könnte … SCHNITT! Die Kamera fährt Anas Busen entlang, runter zum nah abgefilmten Bauch, die Hüftknochen wölben sich … SCHNITT. Kaum jemand hätte mit Massen an Bildmaterial von Geschlechtsteilen gerechnet, in einem Film, der in Multiplexen laufen will. Aber ich finde, man darf erwarten, dass der Film uns kunstvoll dazu bringt, zu denken, wir hätten all das gesehen …
- Die Musik indes ist zumeist langweiliges Radio-Pop-Geschnulze. Man darf drüber streiten, ob es zu einer verkitschten 'Mann rettet Frau aus ihrem bisherigen Dasein'-Film passt oder in einem SM-Film gerne härteres hätte spielen sollen – ich vertrete die zweite Position.
- Wenn sich Fifty Shades of Grey musikalisch in andere Gefilde traut, dann zu extrem seltsamen Ergebnissen. Eine softe Fesselsession wird von einer verzerrten Crazy in Love-Fassung begleitet, die extrem atmosphärisch ist … für eine düstere und / oderkunstvolle Szene, nicht für eine, in der Ana die zärtlichsten Peitsch-Streicheleinheiten genießt. Und dann wäre da jener Moment, in dem ein Kirchenchoral eine Fesselung begleitet, wodurch die Bildwirkung von der akustischen Stimmung gegen die Wand gefahren wird – und sie ein klein wenig ins Lächerliche zieht. Man hätte die Szene so leicht retten können, indem Christian seine Auserkorene so fesselt, dass es aussieht, als wäre sie gekreuzigt worden. Halleluja, solch ein relativ mutiges Bild hätte Fifty Shades of Grey in meinen Augen direkt um ein paar Punkte steigen lassen!
- Der Originalscore wiederum … nunja, er ist vorhanden. Noch nie zuvor habe ich einen Danny-Elfman-Score gehört, der so lustlos und runtergerattert wirkt. Es gibt innovationslose 'Best ofs alter Ideen', aber selbst die haben mehr Esprit. Schärfe, Romantik, Düsternis, Verruchtheit, all dies ist vollkommen abwesend. Einige der Stücke klingen eher nach Crime-Procedural-Titelstücken als nach Erotikdrama-Untermalung. Ich kann es Elfman angesichts des zu begleitenden Materials nicht verdenken. Wohl jeder Komponist wäre unfähig gewesen, den Film zu retten. Zumindest auf Augenhöhe, auf einer ehrlichen, angebrachtenen Klangebene. Umso mehr wünsche ich mir, Elfman hätte hingeschmissen – dann wäre vielleicht Mr. 'Kartoffeln aus dem Feuer holen' Hans Zimmer hinzugestoßen. Denn wenn Zimmer so gar keinen Bock hat / einen miesen Film mit gestresstem Regisseur untermalt / einen eher spannungsarmen Streifen aufpeppen muss, dann dreht er völlig auf, lässt jegliche künstlerische Integrität fallen und schmeißt mit wilden, überdrehten Klängen um sich. Das hätte dann sicherlich zu einer aggressiv-unpassenden Hintergrundmusik geführt, jedoch könnte Fifty Shades of Grey dann wenigstens in einer Hinsicht augenzwinkernd Freude bereiten.
- Einer Popcorn-Romanze gegenüber bin ich üblicherweise gewillt, einige irreale Aspekte durchgehen zu lassen, da in der kuscheligen Plüschwelt solcher Filme große, theatralische Gesten, passend zu den Charakteren dieser Werke, auch eine andere Wirkung haben als in der Realität. Ich würde nie klagen, dass in 10 Dinge, die ich an dir hasse ein showmäßig vorgetragenes Ständchen inklusive Livebegleitung via Schulband als romantisch gilt. Denn auch das zahlende Publikum empfindet es in genau diesem Moment als romantisch, selbst wenn viele im wahren Leben dadurch eingeschüchtert würden. Dessen ungeachtet dürfen solche Filme nicht völlig die Wirklichkeit über den Haufen werfen – dann, wenn ihre 'künstlerischen Freiheiten' keinen 'künstlerischen Effekt' haben, und somit schlicht als faktischer Fehler deutlich werden. Daher: Im Gegensatz zu vielen anderen Kinogängern kann ich damit leben, dass Christian seine frisch auserkorene Ana an ihrem Arbeitsplatz überrascht. Das ist noch RomCom-Logik, selbst wenn es durch die weitere Entwicklung des Films und Dornans Blick nicht eben diesen Effekt hat. Den Willen dieser Szene lasse ich durchgehen. Dass Christian jedoch ein Faible dafür zeigt, seine Gespielinnen mit Kabelbindern zu fesseln, nervt mich ohne Ende. Er wird als großer SM-Experte beschrieben, er verpflichtet Ana dazu, Internetrecherche zu betreiben – und er begeht einen gewaltigen Kardinalfehler? Beziehungsweise: Buchautorin E. L. James begeht einen solchen Fehler?! Wirklich?! Ich benötigte nicht einmal 30 Sekunden mit Google (und dies sogar mit eingeschaltetem 'Safe Search'!), um in Erfahrung zu bringen, dass Kabel und Kabelbinder ein ganz, ganz großes 'Pfui, pfui!' in der Szene sind! Und anders als bei weiteren unrealistischen Filmklischees (wie etwa 'Mit zwei Knarren gleichzeitig schießen' oder 'Die Pistole schräg halten') kann sich Fifty Shades of Grey nicht damit raus reden, dass es ja cool aussieht und daher rein fürs Auge halt mit reingenommen wird, aller mangelnden Praktikabilität zum Trotz. Denn weder bekommen wir es zu sehen, noch sähe es gut aus. Es ist also schlicht ein klaffender Fehler, der nicht sein müsste!
- Und da Christian gewisse Dinge ignoriert (die bindende Bedeutung, die er seinem Limit-Vertrag mit Ana hat, wankt beispielsweise gefährlich von Szene zu Szene), zwischen Dornan und Johnson partout keine Chemie besteht und die Dialoge so hölzern sind, dass sie keine ehrlichen Gefühle wecken sondern eher so klingen, als wollten sich die Figuren Emotionen einreden … Ja, wegen all dieser Argumente ist da noch diese Sache mit der häuslichen Gewalt. Nein, ich finde nicht, dass der Film Fifty Shades of Grey ein Werbefilm für Frauenmissbrauch ist, dafür ist dieser bittere, bittere Beigeschmack zu sehr auf Unfälle, künstlerisches und handwerkliches Versagen sowie Missverständlichkeiten zurückzuführen. Darüber hinaus verwässert oder ignoriert die Leinwandversion diverse Parts, die im Buch meiner Empfindung nach deutlich schlimmer sind. Dessen ungeachtet hat diese Kinoproduktion den Charme einer ungewollten Propaganda für häusliche Gewalt, und somit hat sich der Film nicht zwingend Hass verdient (es ist halt Fahrlässigkeit, und nicht etwa Vorsatz), wohl aber geballtes Unverständnis. Die anfänglich noch mit RomCom-Klischees entschuldbare Dauerpräsenz Christians und seine Bevormundung Anas, die ganz eindeutig bis zur vorletzten Szene nicht ansatzweise begreift, welche Beziehungsform Christian (angeblich?) bevorzugt und was er davon hat, entwickeln sehr gruselige Zwischentöne. Allerspätestens, sobald er befehlshaberisch bei ihren Eltern auftaucht. Anas Zweifel werden zu intensiv gezeichnet, als dass ihr Unverständnis für Christians Handeln nur ein RomCom-Missverständnis darstellen könnte, er vollführt im Film niemals 'Aftercare', er zieht nie Grenzen zwischen 'Im Vorspielmodus' und 'Alltag', für Ana überwiegen die Nachteile dieser Beziehung überdeutlich die Nachteile … Das von der Regisseurin bevorzugte Ende hätte dahingehend rekursiv so manches verbessern können, doch das wurde von E. L. James verworfen. Die Dynamik zwischen den Hauptrollen fährt Fifty Shades of Grey in der dargebotenen Form mit Gewalt vor die Wand. Aber in der Hinsicht überlasse ich das Wort vielleicht Kollegin Antje Wessels, die den Film zwar weniger langweilig, dafür in ihrer potentiellen Fehldeutung aber umso kritischer empfand. Für mich hingegen ist Fifty Shades of Grey vor allem ein Fall von 'vielleicht gewollt, doch zweifelsohne nicht gekonnt'. Und daher kann ich nur hoffen, dass der kommerzielle Siegeszug des Kinofilms ein rasches Ende findet.
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