Es ist zum
Mäusemelken: Da veröffentliche ich bereits eine Top-30-Liste und
dehne obendrein die Definition einer solchen sehr weit aus, indem ich auf den letzten Rang mittels Gleichstand sogar drei Filmen Platz gebe –
und das reicht noch immer nicht aus! Es gibt einfach so viel mehr als
nur Höhen und Tiefen in einem Filmjahr, nämlich auch viele, viele
Produktionen, die sich dazwischen befinden. Und einige von ihnen
haben so viele Pluspunkte zu bieten, dass es eine Schande wäre, im
Rahmen meiner Jahresbestenliste nicht wenigstens ein paar gute Worte
über sie zu verlieren.
Zu diesen
ehrenwerten Nennungen gehört etwa Anton Corbijns
Spionagekrimi A Most Wanted Man, der durch Phillip
Seymour Hoffman auf ein ganz hohes Niveau gehoben wird. Auch Tommy
Lee Jones' grimmes Westerndrama The Homesman
kämpfte lange um den Einzug in meine Top 30, genauso wie das
hierzulande direkt auf DVD gebannte Biopic Lovelace,
das mit seiner sehenswerten Erzählstruktur und einer tollen Amanda
Seyfried in der Hauptrolle des Pornostars Linda Lovelace auftrumpft.
Die satirische, bittere und teils melancholische
Hollywood-Dokumentation Verführt und verlassen
hätte es in einem anderen Jahr wohl ebenfalls in meine Bestenliste
geschafft. Gleiches gilt für die äußerst interessante Doku
Finding Vivan Maier über eine talentierte Fotografin, die erst nach ihrem Tod Aufmerksamkeit erlangte.
Weitere
Ehrennennungen gibt es im Finale meiner Jahresbestenliste, aber zuvor
präsentiere ich euch meine Plätze 20 bis 11:
Platz 20: Maps to the Stars (Regie: David Cronenberg)
David Cronenberg begab sich für diese
soghafte Mixtur aus Drama, Thriller und Satire erstmals nach
Hollywood – soft ist der kanadische Regisseur durch die Nähe zur
Traumfabrik aber wahrlich nicht geworden. Der Regisseur stellt sich
ganz und gar in den Dienst des Skripts aus der Feder Bruce Wagners
und lässt dysfunktionale Menschen in einem kaputten System
allmählich gen Verderben treiben. Julianne Moore ist fulminant als
verzweifelte, determinierte Schauspielerin, die alle Hebel in
Bewegung setzt, um in einem nach Oscar-Gloria riechendem Biopic über
ihre Mutter die Hauptrolle zu übernehmen. Mia Wasikowska tänzelt
wirkungsvoll auf einer feinen Linie zwischen bemitleidenswert und rätselhaft-verängstigend und Jungschauspieler Evan Bird ist wunderbar eklig
sowie unterhaltsam als arroganter, schmieriger, drogensüchtiger
Teenie-Star. Bitterböse, von dunkler Poesie durchzogen und
stellenweise nervenzerreißend – Cronenbergs bester Film seit A
History of Violence!
Platz 19: Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I (Regie: Francis
Lawrence)
Deutlicher lässt sich wohl kaum
vorführen, dass mir das Kinojahr 2014 noch besser gefiel als das
Kinojahr 2013: Obwohl mir der dritte Teil der Tribute von
Panem-Saga noch mehr zusagte als der zweite Part, schneidet
das Vorglühen zum großen Finale der jugendtauglichen Dystopie hier
um einige Ränge schwächer ab. 2014 kamen nun einmal sehr viele
Produktionen raus, die mir überaus gefallen haben. Der erste
Mockingjay-Teil etwa aufgrund dessen, dass er die
Panem-Saga noch weiter über sich hinauswachsen
und die Teenie-Ursprünge der Filmreihe abstreifen lässt. Dieses
Sci-Fi-Epos ist ein dunkles, spannendes Drama über mediale
Kriegsführung mit mehreren Gänsehautmomenten und guten
Performances. Ich kann den Abschluss dieser Filmreihe kaum erwarten!
Platz 18: Nightcrawler
(Regie: Dan Gilroy)
Oberflächlich betrachtet erzählt Dan
Gilroys Regiedebüt von einem jungen Mann mit soziopathischer
Störung, der eine Karriere als freier Journalist beginnt und sich in
der Berichterstattung über Unfälle und Gewaltverbrechen
spezialisiert. Doch unter der Oberfläche dieses mediensatirischen
Thrillers brodelt eine bittere Erkenntnis über den Zeitgeist und den
journalistischen Status quo. Der hier völlig verwandelte Jake
Gyllenhaal ist nicht nur abscheulich, sondern zumindest bis zu einem
gewissen Grade auch ein Opfer der Umstände. Die klassische
journalistische Schule entschwindet, in der Generation Praktikum kann
nur der auf sich aufmerksam machen, der sich über Regeln hinwegsetzt
und rücksichtslos seinen Willen durchbeißt. Und so ist dieser
Protagonist nicht nur hypnotisierend finster, sondern auch ein
tragisches Statement.
Platz 17: 12 Years a
Slave (Regie: Steve McQueen)
Zweifelsohne: Das erst 2014 nach
Deutschland gelangte Historiendrama 12 Years a Slave
gehört zu den besten Produktionen des US-Kinojahres 2013 und hat
seine Oscars in den Sparten 'bester Film', 'bestes adaptiertes
Drehbuch' und 'beste Nebendarstellerin' redlich verdient. An der
Signifikanz und Qualität dieser nervenaufreibenden, hochemotionalen
Produktion will ich auch gar nicht rütteln. Daher muss ich an dieser
Stelle auch wohl kaum die berechtigten Lobeshymnen wiederholen –
schließlich sollten sie allseits bekannt sein. Stattdessen mag ich
erläutern, weshalb Steve McQueens dritte Regiearbeit in meiner ganz
und gar subjektiven Jahreshitliste vergleichsweise niedrig
abschneidet. Und dies liegt an einigen sehr, sehr kleinen
Störfaktoren, die 12 Years a Slave objektiv wahrlich nicht schwächen, aber mich
rein persönlich dazu bringen, ihn 'nur' hier zu platzieren. So finde
ich den Schnitt partiell irritierend, und dies an Stellen, die meiner
Auffassung nach nicht irritieren sollen. Und der von mir so geliebte
Komponist Hans Zimmer steuert ein paar Stücke bei, die ich dann doch
als zu dick aufgetragen für diese Art Film empfinde. Und Brad Pitts
Minigastauftritt ist ziemlich missglückt. Das alles ist nur
Haarspalterei, aber wenn ich mich mit dieser schwachen Platzierung
schon unbeliebt mache, dann gehören solche Argumente einfach dazu.
(So oder so: Wem es nach einem schmerzenden, markanten, stark
gespielten Geschichtsdrama gelüstet, kann mit diesem nahezu gar
nichts falsch machen!)
Das kanadische Wunderkind Xavier Dolan
nimmt den Zuschauer mit auf eine Achterbahn der Gefühle, indem er
den himmelhochjauchzenden, zutiefst betrüblichen Alltag der
alleinerziehenden Mutter Diane (Anne Dorval), ihres pubertierenden,
ungezähmten Sohnes Steve (Antoine-Olivier Pilon) und ihrer
schüchternen Nachbarin Kyla (Suzanne Clément) in erschreckend
intimen Bildern einfängt. Grobkörnige, kontrastreiche Aufnahmen im
1:1-Bildformat zeigen jedes Muskelzucken in den angespannten,
geladenen Gesichtern dieses dysfunktionalen Trios. Es sei denn, es
feiert gerade einen seiner raren, berauschenden Augenblicke des
puren, losgelösten Glücks. Erschütternd und doch verzaubernd!
Platz 15: Guardiansof the Galaxy (Regie: James Gunn)
Marvels erster Originalfilm seit The Avengers trumpft vor allem mit seiner
unvergleichlichen Attitüde auf: Die mit fantastischen
Computereffekten und aufwändigen praktischen Bauten, mit mühseligem
Make-up, stylischen Requisiten und saucoolen Kostümen geschaffene
Welt der Guardians of the Galaxy sieht einfach
verflucht toll aus und hebt sich ganz klar von anderen
Sci-Fi-Fantasy-Filmwelten der jüngeren Vergangenheit ab. Denn die
'realistische' Schmutzigkeit, die nunmehr in diesem cineastischen
Sektor erwartet wird, erhält hier durch zwölf Prozent Idiosynkrasie
einen knalligen, schrillen Einschlag, ohne dass man sich als
Zuschauer in eine Persiflage verirrt glaubt. Dieses Rezept findet
sich auch im Drehbuch und inszenatorischen Stil wieder: James Gunn
und Nicole Perlman erzählen eine Story, die nicht so recht als
klassische Originstory durchgeht, sehr wohl aber an archetypische
erste Filme in langlebigen Superheldenreihen erinnert. Und die
Figuren sind allesamt exzentrisch und schrill, aber auch in der Handlung verwurzelt und von nachvollziehbaren
Motiven getrieben. Die Action zählt zwar nicht durchgehend zum
Besten, was die Marvel Studios so zu bieten haben, doch wann immer
James Gunn sich von den Konventionen löst, werden die Actionpassagen
nicht nur visuell imposant, sondern auch extrem lustig. Und was die
Zusammenstellung von Archivmusik anbelangt, ist der
Tromeo & Julia-Regisseur von nun an einer jener
Regisseure, die es genaustens zu beobachten gilt!
Was sicherlich eine x-beliebige
Familienkomödie oder gar eine derbe Beleidigung der beliebten
Vorlage hätte werden können, wurde zu einer der wohligsten
Überraschungen des Filmjahres 2014: Regisseur/Autor Paul King und
Co-Autor Hamish McColl verleihen dieser Geschichte eines gutmütigen,
ungeschickten Bären, der in England nach einer neuen Familie sucht,
nicht nur eine warmherzige Ausstrahlung, sondern auch zeitlosen,
generationenübergreifenden Humor sowie dramatische, clevere
Untertöne. Mit einer vergnüglichen, vor Ideen strotzenden
Inszenierung und überaus engagierten Darstellern sowie einwandfreien
Effekten ist diese britische Produktion ein wundervolles,
denkwürdiges Filmerlebnis mit einzigartiger Atmosphäre. Hätte
Disney die Rechte an den Paddington-Büchern erworben und Gore
Verbinski damit beauftragt, frei nach Belieben daraus eine
Realfilmkomödie zu spinnen, es wäre wohl exakt dieser Film bei
herausgekommen. Und wer meinen Filmgeschmack kennt, weiß, was für
ein Kompliment das ist. Magisch, smart, witzig, bewegend und dank
vorsichtig eingesetzter Ironie und Dramatik auch erwachsen, ohne
seine Unschuld zu verlieren. Bärenstark und superknuffig!
Platz 13: Interstellar
(Regie: Christopher Nolan)
Überwältigende Bilder. Ein packender
Filmschnitt. Hans Zimmer in absoluter Hochform, der tieftraurige,
fragile, komplexe und treibende Melodien sowie intelligente 2001:
Odyssee im Weltraum-Referenzen zu einem himmlischen Score
vereint. Und eine Tonabmischung, die es in sich hat:
Interstellar wurde für die große Leinwand gefilmt
und für ein mächtiges Kino-Soundsystem vertont! Dieser
Weltraumtrip reicht zwar nicht ganz an Inception
heran, trotzdem ist es einmal mehr erstaunlich, wie Nolan es unter
einen Hut bringt, dass er formal exorbitante Gefühle zum Ausdruck
bringt, während es das Storytelling auf den Verstand des
Betrachters absieht. Interstellar ist eine Parade
zusammenhängender Gedankengänge – von der Diskrepanz zwischen
Ehrlichkeit und kommunikativer Tauglichkeit über die Relativität
der Zeit bis hin zum Stellenwert der Emotionen in der Evolution des
Menschen. All dies umgesetzt in Form eines fesselnden Weltallabenteuers mit gewaltiger Bild- und
Klangästhetik. Das ist so wirkungsreich, dass ich mehr als gewillt
bin, vereinzelte, kleine Schwächen zu verzeihen!
Ohne jede Frage die sensationellteste,
fabehalftelteste, blödelhaftelteste, muppetionelteste Komödie des
Jahres! Die kultige Chaotentruppe lässt die Herzlichkeit ihres
vorherigen Kinofilms hinter sich, um dafür in Sachen Wahnwitz,
Meta-Humor und Albernheit drei oder vier Gänge hoch zu schalten. Wie
auch 22 Jump Street trieft Muppets Most
Wanted vor Selbstironie, verdrehten (oder überdrehten)
Klischees und einer ansteckenden Just-for-Fun-Mentalität. Hinzu
kommen Songs der Spitzenklasse, ein neues Ehrenmitglied des Pantheons
irrer, urkomischer Disney-Schurken sowie Cameos, so weit das Auge
blickt. Die Muppets war perfekt, um Kermit und Co.
mit einem Paukenschlag zurück zu ihrer wahren Form zu bringen,
Muppets Most Wanted dagegen fühlt sich wie ein
Film an, den die Muppets zwischen zwei Staffeln ihrer Muppet
Show gedreht hätten. Nicht ganz so massentauglich, dafür
reicher an sinnlosen Explosionen und Fröschen, die die Kamera mit
Vaseline beschmieren!
Platz 11: No Turning Back (Regie: Steven Knight)
Oder, wie dieses mobile Kammerspiel im
Original heißt: Locke. Alternativ könnte es aber
auch Tom Hardy ist einer der besten Schauspieler seiner
Generation, und bloody hell, das führt er hier
mit jeder seiner Faser seines Körpers vor – Der Film
heißen! Autorenfilmer Steven Knight lässt nahezu den gesamten Film
allein in einem Auto spielen, das der Bauleiter Ivan Locke in
der Nacht vor dem größten Projekt seiner Karriere quer durch
England fährt. Mit einer Freisprechanlage bewaffnet versucht er,
familiäre wie berufliche Baustellen und seine widersprüchlichen,
inneren Konflikte in Angriff zu nehmen. Dank der geschliffenen
Dialoge, des kinetischen Schnitts und Hardys beispielloser Darbietung
ist dies nicht nur eine 85-minütige Verneigung vor der
Schauspielkunst, sondern auch eine fesselnde Charakterstudie.
1 Kommentare:
Gyllenhaals Nicht-Nominierung bei den Oscars ist ein Witz! Da hast du mit dieser Liste einen besseren Job geleistet.
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