Dienstag, 6. Januar 2015
James Bond 007 – Skyfall
James Bond wurde vermisst gemeldet. Für tot gehalten. Qualitativ. Ein Quantum Trost erhielt deutlich schwächere Kritiken als der überragend aufgenommene Franchiseneustart Casino Royale und das Publikum strömte zwar in die Kinos, hielt den Thriller allerdings nicht sonderlich lange in Ehren. Wirtschaftlich. 2009 machte MGM 3,7 Milliarden Dollar Verlust und musste im Folgejahr daher Insolvenz anmelden. Daraufhin wurden sämtliche Pläne für eine möglichst zeitnahe Ein Quantum Trost-Fortführung aufgegeben. Charakterlich. Schon die subtile, durchdachte Formierung eines kontemporären, sich dennoch treu bleibenden Bonds wurde von manchen Puristen als Verrat an der Doppelnull betrachtet. Craigs zweite Agentenmission verlor dann tatsächlich 007s Identitätsmerkmale aus den Augen, womit sich die Gegner Craigs bestätigt fühlten. Und mit voranschreitender Wartezeit auf einen weiteren Film konnte sich der bittere Nachgeschmack immer hartnäckiger festsetzen. In der Zwischenzeit veränderte sich das politische Gefüge ebenso wie die Blockbusterlandschaft. Bond wollte vorübergehend nicht mehr Bond sein, das war bereits klar. Aber mehr und mehr brannte auch die Frage: Kann Bond überhaupt noch Bond sein? Womöglich war die letzte Bejahung dieser Frage, Casino Royale, nur ein geheimdienstliches Strohfeuer. Und die Tage des klassischen Spions im Frack sind sehr wohl gezählt.
Weit gefehlt. Alte Bedrohungen verblassen, aber es betreten stets neue die Bühne. Und ja, die Beschaffenheit eben dieser Bühne mag sich ändern, ebenso wie die Mittel und Wege der sinistren Schattengestalten. Doch es wird stets dasselbe Spiel gespielt. Im Puppentheater, das wir Weltpolitik nennen, versuchen stets irgendwelche Strippenzieher ihre Machenschaften durchzuführen. Wie könnte da der Raum für eine fiktionale, eskapistische Verarbeitung dieser Spielchen entschwinden? Qualität und Herangehensweise müssen bloß stimmen, und es kann nicht schaden, wenn die richtigen Personen die Federführung übernehmen.
Bond ist auch inhaltlich tot. Und das, obwohl er gerade erst zurückgekehrt war. Als 007 nach vierjähriger Wartezeit, der längsten ohne einen Darstellerwechsel, mittels Geldspritze aus dem Hause Sony Pictures wieder die Leinwand betritt, wird er niedergeschossen. Und stürzt, schwer getroffen, einen Wasserfall hinunter. In Skyfall ist es ein Relikt vergangener Bond-Zeiten, die den Agenten anschießend rettet. Die überdimensionale Hand einer anonymen Schattenfrau zerrt Bond zu sich, um ihm in einer finsteren, vor Kreativität überbordenden (ganz nach der alten Schule gestalteten) Titelsequenz erst durch die Hölle gleiten zu lassen. Und um ihm dann neues Leben zu geben.
Hinter den Kulissen ist es indes die versierte Hand des Regisseurs Sam Mendes, der mit Passion für Bond sowie mit hohen Ambitionen für seinen ersten großen Actionfilm ein dramatisches, unterhaltsames, fesselndes Schauspiel leitet. Ein charaktergesteuertes Agentenspektakel mit Persönlichkeit und thematischer Textur.
Nachdem James Bond durch die Vorspannsequenz driftete und wieder an einem Strand angespült wurde, ist er körperlich angeschlagen. Der Casino Royale-Agent – jung, ungestüm, hocheffizient – war einmal. Was aber bleibt ihm? Seine erfrischende, feiste Adoleszenz ist verloren. Nicht nur durch den Zahn der Zeit. Nun, da er viele Jahre (beziehungsweise für zwei Filme und einen Prolog, also länger als der Lazenby- und Dalton-Bond) dem MI6 diente, musste er im Einsatz erkennen, dass er als ersetzbar betrachtet wird. Als unfähig, in der Stunde der Not den Job zu erledigen. Er könnte nunmehr die Frührente antreten, als anonymer Fremder in den Tag hineinleben. Doch Bond, sowohl Craigs Figur als auch die Filmreihe, sieht nicht ein, einfach abzutreten. Als das MI6-Quartier attackiert wird, kehrt 007 zurück. Aus Vaterlandstreue? Um es M auf ganz eigene Art zu beweisen, dass er es noch immer drauf hat? Aus Langeweile, weil er ohne Mission mit sich selbst unzufrieden ist? Auf der Metaebene zumindest kehrt er zurück, um seine neue Identität zu finden. Beziehungsweise, um in seine alte Identität reinzuwachsen. Mit dem Verlust einiger seiner ihm exklusiven Merkmale benötigt der Craig-Bond ein neues Abenteuer, das ihn in die Welt der übergroßen, ikonischen Agentenabenteuer einführt. Um zu erproben, wie sehr sich dieser neue Bond treu bleiben, und wie sehr er auf die alten Traditionen zurückgreifen sollte.
Dass sich die Welt unaufhörlich dreht und wendet, und daher Änderungen vonnöten sind, zieht sich wie ein roter Faden durch Skyfall. Die Bösen nutzen neue Technologien, die Guten sind daher an neuen Stellen angreifbar. Cyberterrorismus, Datenlecks, unklare Fronten. Attacken, die nicht mehr auf einer deutlich kontrastierten Weldkarte stattfinden, sondern urplötzlich ganz nah an einem selbst. Aber Erneuerung bedeutet nicht Abschaffung. M hält in Skyfall eine passionierte Rede für ihren Geheimdienst. Nach Bonds Rückkehr fällt sie die Entscheidung, ihm nunmehr ihr Vertrauen zu schenken. Und auch der einst so freche, wilde Bond spricht sich für "die alten Eisen" aus. Nutzt altmodische Rasierklingen, wünscht sich kreativere Gadgets als die, die ihm Q (nerdig und dennoch sexy: Ben Whishaw) liefert, bekommt leuchtende Augen beim Anblick eines Oldtimers der Marke Aston Martin. Erneuerung bedeutet, Bestehendes zu nehmen und anzupassen. James Bond versteht es. M erinnert sich im Laufe des Films an diese Tugend. Vor allem: Regisseur Sam Mendes versteht es, so viel mehr als Marc Forster vor ihm. Und auch das nun wieder dem Projekt stärker zugetane Autorentrio Neal Purvis, Robert Wade und John Logan versteht es.
Wer es nicht versteht, ist einerseits die britische Regierung, die M aufgrund ihrer Fehler in die Mangel nimmt. Und noch weniger Verständnis für diese Maxime hat Raoul Silva. Der von Javier Bardem mit Raffinesse und bissiger Emphase verkörperte Schurke wurde einst bitter vom System enttäuscht und glaubt, die einzig wahre Antwort parat zu haben. Und diese hat nichts mit Neugeburt zu tun. Sein Patentrezept ist die bloße Zerstörung. Ihm gelüstet es nicht nach Macht, er will die ihm bekannte Welt brennen sehen. Christopher Nolans Joker grüßt, mit dreckigem Lächeln.
Was dieser überlebensgroßen, ebenso beängstigenden wie kurzweiligen Figur zusätzliche Würze verleiht: Bardem, Mendes und die Autoren lassen auf der Metaebene auch ihn zu einem wichtigen Element der Bond-Wiederauferstehung werden, stützen mit Silva ihre Skyfall-Formel. Er ist teils ein neuer, zeitgemäßer Bond-Schurke, mit ausgefeilterer Charaktermotivation und aktuellen Mitteln, die Welt zu verängstigen. Andererseits ist er der erste archetypische Widersacher, dem Craigs Version des Doppelnullagenten begegnet: Große Gesten, selbstgenüsslich-pathetische Monologe und dieses Glitzern in den Augen, das zeigt, dass er genau weiß, wie fies und abscheulich er ist.
Auch andere Bond-Tropoi kehren zurück, doch selten lässt Mendes sie die Story, die Atmosphäre des Moments übertönen. Anders als die zwei späteren Brosnan-Filme ist Skyfall keine 007-Checkliste, die primär dazu da ist, alle ikonischen Elemente des Franchises abzuhaken, während die eigene cineastische Identität der Mission Nebensache ist. Wie in Casino Royale sollen die Bond-Elemente als Stütze fungieren. Bond ist in einem Casino und sitzt an der Bar, also trinkt er einen geschüttelten Martini. Allerdings ist die Situation zu angespannt, die Kulisse zu exotisch und atmosphärisch, als dass es angebracht wäre, den viel zitierten Satz "Geschüttelt, nicht gerührt" fallen lassen zu können, ohne dass die immersive Wirkung der betörenden Kameraarbeit beschädigt würde. Also sehen wir schlicht das Ergebnis der Cocktailbestellung.
Solche Passagen wiederholen sich unaufdringlich, aber wirkungsvoll in Skyfall, wobei die stützenden 007-Elemente das Flair stärker mitprägen als in Casino Royale. Das Geschehen ist fesselnd, die Figuren sind ausdifferenziert, und dennoch nimmt Mendes regelmäßig genügend Abstand vom brennenden Plot, dass er einen dazu einlädt, über den gebotenen Prunk zu staunen. Über Dialoge zu schmunzeln. Und an Bonds Stelle Spaß zu haben. Die Stunts sind größer, spektakulärer und unwahrscheinlicher. Nur dass Mendes sie nicht ins Campige abgleiten lässt, sondern sie nutzt, um Bond als verboten gut in seinem Job dastehen zu lassen. Wenn er etwa noch vor dem Vorspann in einer atemberaubenden Verfolgungsjagd mit einem Bagger einen Zugwaggon zerstört, in das Abteil springt und dann seinen Anzug richtet. Craigs Mimik und Roger Deakins' mit Licht und Schatten spielende, realistische, aber betörend schöne Bildgestaltung verankern das Geschehen stets da, wo es hingehört: Überhöht, aber glaubwürdig.
So grimm, fast schon nolanesk ausgedehnte Passagen des Films sind, versteht Skyfall diese Momente als das dunkle Tal, durch das 007 wandern muss, um zur Lichtung zu gelangen. Er feuert wieder coole Sprüche ab. Er wehrt Widersacher mit improvisierten Fallen ab, die den allein zu Haus gebliebenen Kevin neidisch machen dürften. Und ganz zum Schluss verspricht er, die Arbeit wieder aufzunehmen. Dieses Mal mit Vergnügen.
Daher erlaubt sich Mendes gar zwei Aktualisierungen der Pistolenlaufszene. Eine versteckt, ganz subtil. Der Film beginnt, der Fokus begrenzt sich auf einen kleinen Punkt im Bild, ebenso wie das Licht. Bond geht mit Pistole auf den Betrachter zu. Es ist der Pistolenlauf, wie er Ein Quantum Trost gestanden hätte, und er stürzt den Zuschauer direkt in die Handlung. Zum Abschluss kehrt die traditionelle Bond-Eröffnung dann in gewohnter Manier zurück, um von Thomas Newmans glamourös-nostalgischer Reprise des 007-Themas darauf hinzuweisen, dass Skyfall ein Geburtstagsgeschenk ist. 50 Jahre Bond auf der Leinwand. Zur Feier gab es Craigs besten Fall, den visuell beeindruckendsten Bond-Film und einen Titelsong für die Ewigkeit.
Die Vergangenheit lehrte, dass der Mann mit der Lizenz zum Töten nach besonders geglückten Einsätzen leicht ins Stolpern gerät. Aber zu gerne lässt uns Skyfall im Glauben, dass sich 007 für eine goldene Zukunft bereit macht. Auf dass Bond, James Bond, sein zwischen den Zeilen liegendes Versprechen dieses Mal einhält!
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