Seit nunmehr drei Jahren betreibt meine werte Kollegin Antje Wessels ihren Filmblog, der mittlerweile unter dem Namen Wessels-Filmkritik.com ein stolzes Dasein führt. Zur Feier dessen tauschen sie und ich Kritiken aus. Jeder von uns suchte dem jeweils anderen einen Streifen aus, den er zu besprechen hat. Sie wünschte sich von mir eine Kritik zu Free Birds, ich bat Antje um ihre Kritik über Sleeping Beauty. Hier könnt ihr die Meinung meiner geschätzten Kollegin zu Julia Leighs Erotik-Charakterdrama lesen. Viel Vergnügen!
Mit
Dornröschen, unter welchem Namen das Märchen
Sleeping Beauty hierzulande bekannt ist, hat die
erste und bislang einzige Regiearbeit der Filmemacherin und Autorin
Julia Leigh nichts gemein und doch steht im Mittelpunkt der lose
neuinterpretierten Vorlage Das Haus der schlafenden
Schönen eine krude Form der Prinzessin, die am Ende jedoch
nicht etwa auf den lang ersehnten Traumprinzen trifft, sondern der
einzig und allein ein böses Erwachen bleibt. Aurora heißt hier
Lucy, gespielt von einer uneitlen Emily Browning, die durch das
Fantasy-Actionspektakel Sucker Punch auch einem
breiten Publikum bekannt wurde und zuvor vornehmlich in Genrefilmen
der Marke Ghost Ship zu sehen war. Ähnlich ihrer
vielen Kolleginnen, die sich nach dem schnellen Geld in wenig
kritikerfreundlichen Durchschnittsstreifen mit dem Engagement in
Kunstfilmprojekten endlich das notwendige Ansehen erhoffen, um ab
sofort auch in namhafteren Filmen besetzt zu werden, erweist sich die
Castingentscheidung von Emily Browning für beide Seiten als
lohnenswert, wenngleich aus der Sicht der Darstellerin als umso
berechnender. Doch sei es drum: Als ebenso schwer zugängliche wie
wunderschöne Protagonistin funktioniert die bei den Dreharbeiten
21-jährige Blondine ganz hervorragend. Auch deshalb, weil ihr
Gesicht dato noch nicht allzu oft auf der großen Leinwand zu sehen
war. Browning gibt sich sichtlich Mühe, der Mischung aus
voyeuristischer Softerotik und hartem Psychogramm das notwendige
Leben einzuhauchen, um das Publikum an dieser ganz persönlichen
Lebens- und Leidensgeschichte teilhaben zu lassen. Doch mehr als ein
oberflächlicher Einblick in das Leben einer fehlgeleiteten, jungen
Frau vermag Julia Leigh vor allem deshalb nicht zu gelingen, weil
Sleeping Beauty weder dramaturgisch ausgereift,
noch mit interessanten Figuren bestückt ist.
Aufgrund
der bewusst karg-minimalistischen Inszenierung von Sleeping
Beauty mag Leighs Regiearbeit vielleicht immer noch Kunst
sein; trotzdem erzählt ihr Film weder eine Geschichte, noch gibt sie
preis, was in den oberflächlichen Charakteren überhaupt vorgeht.
Der Plot über eine nicht näher charakterisierte Frau, die zum Leben
zu wenig und zum Sterben zu viel hat, sodass sie dazu übergeht, die
absurdesten Nebenjobs anzunehmen, hat per se genug Substanz, um den
anstehenden eineinhalb Stunden genug Unterbau zu bieten, um anhand
diesem den psychischen Verfall, respektive vielleicht sogar ein
Überdenken der Lebensumstände zu erzählen. Was der Zuschauer
jedoch erfährt, ist nicht genug, um ein Interesse an den durchgehend
blass bleibenden Figur aufzubauen. Schon in der ersten Szene sehen
wir Lucy in einem Labor, wo sie sich eine medizinische Sonde zu
Testzwecken einführen lässt. In den nächsten Szenen werden wir
Zeuge ihres tristen Alltags, der aus allerhand Arbeit besteht und sie
immer wieder in die Arme eines merkwürdigen Herren namens
"Birdman" führt. Auch dessen Identität bleibt
unklar und beschränkt sich auf zusammenhanglose Dialogfetzen, die
dieser mehrmals mit seiner (platonischen oder festen) Freundin Lucy
austauscht. Licht bringen diese in das Dunkel dieser merkwürdigen
Beziehung jedoch nicht – und selbst für eigene Interpretationen
benötigt der Zuschauer mehr Anhaltspunkte, als die Informationen,
dass Birdman und Lucy sich hin und wieder zum gemeinsamen
Fernsehschauen treffen. Die Tatsache, dass Lucy bei mehreren Treffen
unvermittelt in Tränen ausbricht, verleiht dieser Szenerie
zusätzlich etwas Lächerliches, da aufgrund seiner schier nicht
vorhandenen Sinnigkeit so etwas wie eine spürbare
Pseudointellektualität spürbar wird.
Julia
Leigh versucht merklich, ihrem Werk ein ambitioniertes
Erscheinungsbild einzuverleiben. Stellenweise lässt das Spiel mit
der Versuchung des unwissenden Zusehers auch Anleihen an Stanley
Kubricks Meisterwerk Eyes Wide Shut erkennen. Doch
während sich Kubrick in seinem erotischen Ehepsychogramm auch genug
Zeit dafür nimmt, die Gesinnung seiner Hauptfiguren zu erläutern,
um anhand dieser die notwendige Spannung aus der Unsicherheit des
Publikums zu ziehen, weicht das Unwissen über die Einordnung des
Plots bei Sleeping Beauty alsbald der
Gleichgültigkeit. Gewiss: Leighs Werk verschließt sich ganz bewusst
einer klassisch narrativen Form und versteht sich als
Lebensabschnittsstudie ohne Prolog, erzählerischem Höhepunkt und
Happy oder Sad End. Doch die Regisseurin traut ihrer Vorlage zu viel
Substanz zu; die Zugkraft der Prämisse wird es schon richten. Allein
dieser Gedanke genügt aber nicht. Was es braucht, sind fesselnde
Charaktere und so etwas wie ein Ziel. Doch nicht nur an ersterem
mangelt es. Allen voran das unkonzentrierte Dahinplätschern lässt
den Zuschauer alsbald kalt. Auf spannende Szenerien, etwa dann, wenn
Lucy erstmals auf die geheimnisvolle Leiterin eines exklusiven Clubs
trifft, die ihr ein lukratives Angebot für erotische Dienste
verspricht, folgen dröge Minuten, die einmal mehr die Tristesse in
Lucys Alltag hervorheben sollen. Das bremst aus und verhindert immer
wieder, dass das aufkeimende Interesse des Publikums mit einer
Highlightszene belohnt wird.
Das
visuelle Erscheinungsbild tut sein Übriges, um Sleeping
Beauty unrühmlich zu unterstreichen. Kameramann Geoffrey
Simpson (Sessions – Wenn Worte berühren)
kleidet das Erotikdrama in ein unauffälliges, allenfalls
fernsehtaugliches Grau-in-Grau und möchte damit offenkundig
unterstreichen, wie nah Lucys vermeintlich eleganter Sexjob an der
Perspektivlosigkeit ihres Alltags befindlich ist. Ausgerechnet dieser
Ansatz gelingt dem Bilderkünstler auch ganz vortrefflich. Leider
ergibt sich dem Zuschauer dadurch gleichsam ein wenig ästhetisches
Bild. Ohne automatisch den Anspruch eines geleckten
Lack-und-Leder-Looks zu erheben, untermauert Sleeping
Beauty mit einem solchen Auftritt seinen Anspruch, weg von
einem geschichtenliebenden Zuschauer, hin zum Genießer abgehobener
Kunstprojekte. Julia Leigh hat sich hier ganz eigen dafür
entschlossen, einen Film zu kreieren, der vermutlich nur einem
Bruchteil seiner Zuschauer zusagt. Denn vermutlich braucht es eine
gewisse Aufgeschlossenheit derartigem Stoff gegenüber, um die
Faszination einer Figur zu begreifen, die dem Zuseher keinerlei
Gründe an die Hand gibt, ihr Leben interessant zu finden. Wenn das
Finale darüber hinaus mehr Fragen aufwirft, als sämtliche
aufgekommene vorab zu beantworten, erweist sich Sleeping
Beauty als kurioses Sammelsurium vieler Ideen, aus dem sich
vermutlich jeder das herausziehen muss, was für ihn selbst
interessant ist. Ob etwas Kunst ist, oder weg kann, liegt ohnehin
zumeist im Auge des Betrachters.
Mehr von Antje Wessels findet ihr auf Wessels-Filmkritik.com!
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