Donnerstag, 2. Oktober 2014

Gefährten


Wer mit dem Gedanken spielt, sich Steven Spielbergs Kinderbuchadaption Gefährten anzusehen, ist gut beraten, sich selbst eine bestimmte Frage zu stellen. Nicht, ob man an Pferdefilmen interessiert ist. Denn Gefährten» weist weitaus mehr Reize auf, als den schlichten „Oh wie süß, ein Pferd“-Faktor. Man muss sich auch nicht mit großer Dringlichkeit dessen bewusst werden, dass Spielberg seine Handlung während des Ersten Weltkriegs ansiedelt. Auch wenn die Schrecken des Krieges thematisiert werden und mehrfach die Frage aufkommt, inwiefern im Krieg die Menschlichkeit überdauern kann, so zeichnet Spielberg das Kriegsgeschehen weitaus weniger drastisch, als noch in Der Soldat James Ryan.

Die Frage, die sich jeder potentielle Zuschauer stellen sollte, lautet viel eher: „Empfinde ich pompöses Gefühlskino als märchenhaft-träumerisch oder als enervierend kitschig?“ Denn Gefährten ist nicht Kitsch per se, selbst wenn diese Geschichte es unter der Leitung eines weniger fähigen Regisseurs zweifelsohne hätte werden können. Spielberg erlaubt es den meisten seiner menschlichen Figuren, über ihren stereotypen ersten Eindruck hinauszuwachsen. Der säuferische Vater, der einfühlsame Soldat, der kauzige Großvater – allesamt sind zwar Archetypen solcher, doch sie erhalten so viel dramatischen und in sich gebrochenen Unterbau, dass sie einem als Figuren ans Herz wachsen können. Sofern man sich trotz ihrer stereotypen Außenschicht auf sie einlässt. Und daran kann Gefährten scheitern. Wer diesen Film nicht aufgeschlossen verfolgt, wird an seiner kitschigen Oberfläche hängen bleiben und ihn als unausstehlichen Schmachtfetzen abkanzeln.

Auch die Handlung als solche bewegt sich auf diesem schmalen Grat: Der englische Farmer Ted Naracott (Peter Mullan) ersteigert ein neues Fohlen, in dem sein Sohn Albert (Jeremy Irvine) die herbeigesehnte Rettung für den väterlichen Hof zu erkennen glaubt. Ihr Pächter Lyons (David Thewlis) sitzt ihnen seit einiger Zeit gehörig im Nacken, und dass der trinklustige Ted für das junge Pferd sein Budget kräftig überzogen hat, steuert die Familie noch näher an den Rand einer Krise. Denn das auf den Namen Joey getaufte Tier ist zu jung und zierlich, um die anfallenden Arbeiten erledigen zu können. Gegen den väterlichen Willen und den Ratschlägen seiner Mutter Rose (Emily Watson), trainiert Albert seinen tierischen Freund und lehrt ihm, das steinige Feld des Familienhofes zu pflügen. Unterbrochen wird dieser an Familienfernsehfilme erinnernde Plot von launischen, kurzen Comedyeinlagen mit einer frechen Gans. Währenddessen sind es die realistisch-dramatischen Einblicke in die diffizile Lage bäuerlicher Familien in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die den ausführlichen Prolog von Spielbergs Gefährten nach und nach aus seiner Kinderbuchmentalität ausbrechen lassen.

Richtig in Gang kommt die Kernhandlung des Films aber erst, sobald der Erste Weltkrieg eintritt und Vater Ted beschließt, Joey an die britische Armee zu verkaufen. Joeys neuer Besitzer, Captain Nicholls (Tom Hiddleston) zeigt allerdings Verständnis für Alberts Sorgen und verspricht, sich bestens um Joey zu kümmern. Nicholls will sogar Briefkorrespondenz mit Joeys geduldigem Trainer halten und ihn darüber informieren, was dem treuen Pferd widerfährt. Für Joey beginnt nun eine abenteuerliche Odyssee quer durch das sich im Krieg befindende Europa. Diese Eskapaden eines Kriegspferdes bilden die Schnur, auf der wie bei einer Perlenkette einzelne Vignetten aneinandergereiht werden, die mittels ihrer Kriegsthematik den historischen Scheideweg behandeln, an dem sich Europa nach Beginn des 20. Jahrhunderts befand.

So zeigt Spielberg im Laufe von Gefährten ohne sein Publikum mit der Nase darauf zu stoßen, die eilige Weiterentwicklung der Kriegsführung. Die erste Schlacht im Film wird noch mit einer berittenen Kavallerie bestritten, einige Filmminuten später sind die Pferde bloß noch zweitrangiges Kriegswerkzeug, dessen Verschliss hingenommen wird, so lange dadurch die wertvollen Panzer geschont werden. Gen Ende des Films sind Pferde an der Front letztlich zu einer kuriosen Rarität geworden, die unter den jüngeren Soldaten Neugier und Verwunderung hervorrufen. In weiteren, episodisch anmutenden Segmenten des Films zeigt Spielberg unter anderem auch, wie der Erste Weltkrieg die ländliche Bevölkerung in Mitleidenschaft zog. Das Kapitel, in dem Joey bei einem französischen Marmeladenhersteller (Niels Arestrup) und seiner Nichte (Celine Buckens) unterkommt, dürfte zu den Höhepunkten dieser Odyssee gehören.

Dies liegt unter anderem an dem leicht schrulligen Humor des jungen, französischen Landmädchens, der zu den originelleren Elementen von Gefährten gehört und im exakt richtigen Maße eingesetzt wird. Die Szenen auf dem kleinen Hof des Marmeladenmachers vereinen aber auch, besser als der Prolog auf der Farm der Naracotts, Spielbergs träumerisch-märchenhafte Grundstimmung mit den leiseren, dramatischeren Zwischentönen dieser Geschichte. Eingefangen wird dieses epische Kriegs-Melodram in prachtvollen Landschaftspanoramen, die Komponist John Williams mit (Oscar-nominierten) schwelgerischen Melodien begleitet.

Steven Spielbergs Haus- und Hof-Kameramann Janusz Kamiński weckt mit seinen ausschweifenden Totalen Erinnerungen an frühe Farb-Epen wie Vom Winde verweht, andere Bilder könnten glatt einem modernen Märchenbuch entsprungen sein. Selbst einem kahlen, von Schwefel und Nebel umhüllten und mit Stacheldraht überfrachtetem Schlachtfeld entlockt Kamiński bei aller Bedrohlichkeit eher eine unwirklich-malerische Facette. Es ist dieser künstlerische Gefühlsüberschwang, die Gefährten zu ganz großem Kino macht.

Da Spielberg allerdings, vergleichsweise ausdifferenzierter Charakterzeichnung und regelmäßigem Bruch der märchenhaften Grundnote zum Trotz, auf jegliche Subtilität pfeift, ist Gefährten nicht für jeden Filmliebhaber geeignet. Spielberg zielt auf die ganz großen Emotionen. Trauriges soll zu Tränen rühren, Fröhliches zu Freudentränen. Ihm liegt es mit Gefährten näher, beim Publikum Gänsehaut zu erzeugen, als einen vielschichtigen Kommentar zum Krieg abzugeben. Bei aller Gefühlsgewalt, die Spielberg dabei anwendet, kann es daher so manchen Zyniker davonjagen. Wer allerdings über die sehr zuckrige Oberfläche hinwegsehen kann, oder sie sogar genießt, erlebt Spielberg in hervorragender Form.


Denn Spielberg erarbeitet sich ambitioniert die Gefühlsregungen, die er beim Gefährten-Publikum auslösen möchte, vereint sympathische Charaktere und famose Technik mit einer simplen, doch effektiven Geschichte. Und macht seinen Pferde-Kriegsfilm so zu einem bewegten, wie auch bewegenden, Märchenbuch für ältere Kinogänger. Auch auf die Gefahr hin, sich einen Teil seines Publikums durch ein Zuviel an sämtlichen Zutaten zu vergraulen.

Dieser Artikel ist eine überarbeitete Fassung meiner Kritik, die ich bei Quotenmeter.de zum Kinostart veröffentlicht habe.

1 Kommentare:

Lutz hat gesagt…

"Gefährten" ist ganz einfach altmodisches Kino, dass sich nicht vor melodramatischen Momenten scheut. Der Unterschied zwischen modernen Kitschfilmen und altmodischen Melodrama ist, dass die vermeintlichen Kitschmomente eben nicht nur als bloße Manipulation des Publikums eingesetzt werden, sondern durch die Grundhaltung des Films vorbereitet werden. Spielberg hat im Interview zu "Gefährten" mit Mark Kermode und Simon Mayo zugegeben, dass die emotionale Manipulation des Publikums hin zu Tränen eines seiner liebsten Anliegen beim Filmen ist, das wichtige sei nur, dass diese Momente verdient werden. Einfach nur einen Hund zu erschießen, weil man weiß, dass das Publikum dies traurig finden wird, sei ein unfaires Spiel mit dem Zuschauer.
Ich denke, man kann schon sagen, dass auch Spielberg in seinem Oevre immer wieder mal unfair mit dem Zuschauer gespielt hat, allerdings finde ich es erstaunlich, das es die Meinungen darüber, welche Szenen nun zu kitschig sind, doch sehr gestreut sind.
Spielberg scheut sich einfach nicht vor ehrlichen Emotionen und das ist im modernen zynischen Kino eben rar geworden. Sicher muss man sich auf "Gefährten" und seine emotionale Grundhaltung ebenso wie seine pointiert eingesetzten Tränendrüsenattacken einlassen, aber ich denke, wenn man weiß, dass der Mann hinter dem Projekt weiß, was er tut und fair spielt, sollte man dazu auch mal bereit sein. Einem Stümer wie Nicholas Sparkskommt es vor allem darauf an, seine Leser von Kitschmoment vom Reißbrett zu Kitschmoment vom Reißbrett zu führen. Spielberg dagegen ist ein Könner, der Gefühle ernst nimmt. Außerdem weiß Spielberg, dass es eben nicht nur um das Erzeugen von Gefühlen an sich geht und vergisst nie den Subtext. Jeder noch so gefühlige Film von Spielberg hat trotzdem noch eine Menge mehr zu erzählen.

Mein Problem mit "Gefährten" war beim ersten Sehen ein anderes: Da die Geschichte so vergleichsweise klein und einfach im Vergleich zu anderen Spielberg Projekten war, fragte ich mich die ganze Zeit, warum Spielberg sich ausgerechnet diesen Stoff ausgesucht hat. Das wiederum ist eine unfaire Haltung des Zuschauers gegenüber einem Regisseur, trotzdem konnte ich mich im Hinblick auf Spielbergs vergangene Filme nicht von diesen Gedanken lösen. Es dauert ca 1 1/2 Stunden, bis schließlich DIE Szene kommt.bei der man merkt, dass hier der Kern des Films zu finden ist und der Grund für Spielbergs Interesse. Auf einmal konnte ich mich wirklich auf den Film einlassen und habe es auch seitdem bei wiederholtem Anschauen von Anfang an tun können. Da dieser Moment eben sehr spät im Film kommt und man daher riskiert, über lange Strecken nicht wirklich mit auf die Reise zu gehen, kann ich daher Leuten, die ähnlich skeptisch vor dem Anfang des Films stehen, nur raten, sich zurückzulehnen und sich darauf einzulassen. Es wird am Ende alles klarwerden. Natürlich, ob man am Ende glaubt, diese Szene (und die folgenden) seien den Aufwand wert gewesen, muss jeder für sich entscheiden, ich persönlich war jedenfalls voll und ganz befriedigt.

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