Obwohl sich Charlotte Roches Bücher
Feuchtgebiete und Schoßgebete
außerordentlich gut verkauft haben, kennen viele die beiden Romane
nur vom Hörensagen. Und die breite Medienberichterstattung über
Roches Stil als Schriftstellerin schlug vornehmlich in eine Kerbe:
Ekel, Sex und Ekelsex! Jedoch bestehen Roches Romane aus weit mehr als
das – wobei ihr zweites Werk als Verarbeitung vieler
autobiografischer Erfahrungen das dramatischere Buch in ihrem
bisherigen Schaffen ist. So groß bereits der Unterschied zwischen
den beiden Romanen ist, auf der Leinwand ist die Diskrepanz
zwischen Feuchtgebiete und Schoßgebete
viel krasser.
Im Falle der beiden Roche-Verfilmungen
ist die Art, wie sie der Öffentlichkeit präsentiert wurden,
tatsächlich für die fertigen Kinoproduktionen repräsentativ. So
war es Sönke Wortmann, der zuerst sein Projekt ankündigte, ehe
plötzlich auch eine Feuchtgebiete-Adaption
versprochen wurde. David Wnendts Film schoss dann als erster über
die Ziellinie und wurde dabei von lauten Trailern sowie knalligen
Postern begleitet. Der Schoßgebiete-Film ließ
sich dagegen seine Zeit und kommt nun mit gediegenerem Werbematerial
in die Lichtspielhäuser.
Die Promo verkaufte beide Filme
ehrlich. Nach Wnendts schriller Schmuddelkomödie bringen Regisseur
Sönke Wortmann und Drehbuchautor Oliver Berben mit
Schoßgebiete eine emotional ehrliche und
gleichzeitig durchaus intelligente Mischung aus reifer
Beziehungskomödie und sexuell aufgeklärtem Charakterdrama.
Im Mittelpunkt dieses tragikomischen
Psychogramms steht Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson), eine neurotische
junge Frau, die mehr Spleens hat als sie zählen kann. Sie leidet
unter Kontrollzwang, Verfolgungswahn, wird von Rachegedanken geplagt,
versinkt in Schuldgefühlen und hat obendrein ein sehr kompliziertes Verhältnis zu ihrer Sexualität. Ihr Ehemann Georg (Jürgen Vogel) reagiert auf
all dies mit einer beispiellosen Gelassenheit, nur eins treibt ihn
auf die Palme: Elizabeths morbider Drang, alles für ihr etwaiges
Ableben vorzubereiten. Dass Elizabeth trotz ihrer Neurosen noch immer
halbwegs sicher im Leben steht, liegt an drei Dingen: An ihrer Liebe
zu ihrer Tochter Liza (Pauletta Pollmann), die sie in einer früheren Beziehung
gezeugt hat, am tabulosen Sex mit ihrem Mann und an den wohltuenden
Therapiesitzungen bei der Psychologin Drescher (Juliane Köhler) …
Für Wortmann und Berben bestand die
Aufgabe, Roches Bestseller fürs Kino umzuformen, vor allem aus der
Aufgabe, den Erlebnissen Elizabeths eine etwas striktere narrative
Struktur zu geben. Dennoch ist Schoßgebete auch
auf der Leinwand primär eine „Slice of Life“-Erzählung, die
davon lebt, dem Betrachter einen Einblick in das neurosengeplagte
Leben ihrer Protagonistin zu verschaffen. Eine Spannungskurve hat der
Film daher nicht, immerhin gibt ihm Berbens Adaption des Roche-Romans
eine erzählerische Klammer – wir beginnen mit einer
Fantasiesequenz, die Elizabeths inneren Tumult verdeutlicht, kurz
darauf folgt ein Paradebeispiel dafür, wie ihre Neurosen ihren
Alltag bestimmen: Sie setzt zum x-ten Mal ein neues Testament auf,
dessen absurde Klauseln Georg und Elizabeths Notar kaum fassen
können. Von da an hangelt sich die Erzählung von Anekdote zu
Anekdote, wobei Elizabeths Therapiesitzungen nach und nach ihre
Vergangenheit beleuchten, während parallel dazu ihr nicht ganz
alltäglicher Alltag weiterläuft – die Frage ist, ob er es von der
psychologischen Behandlung unabhängig tut oder ob Frau Drescher
Elizabeth wirklich helfen kann.
Dass Hauptdarstellerin Lavinia Wilson
in Schoßgebete wie eine jüngere und obendrein
etwas unbedarfter auftretende Version von Charotte Roche wirkt, kommt dabei
nicht von ungefähr. Denn die von Wilson brillant verkörperte
Elizabeth teilt sich diverse biografische Aspekte: Vom tragischen
Verlust geliebter Familienmitglieder durch einen Unfall bis hin zum
tief verwurzelten Hass auf die taktlosen Aasgeier eines großen
Boulevardblatts. Wilson legt ihre Figur dennoch nicht schlicht als
Mimikry der früheren VIVA-Moderatorin an, sondern gibt ihr einen
eigenständigen Charakter: Voller Selbstironie, belesen, dennoch ein
wenig naiv – Elizabeth ist eine tolle Leinwandfigur, die ihre
eigene Moral hat und die, ganz menschlich, auch voller Widersprüche
steckt. Dank Wilsons unaufdringlichem, sympathischen Spiel erscheint Elizabeth nie wie ein von Roche fantasiertes Alter Ego, sondern wird
zu einer interessanten, komplexen Persönlichkeit, die auf der
Leinwand auch dann reizt, wenn man die Parallelen zur Buchautorin
nicht weiter beachtet.
Schauspielerisch bekommt Wilson
sämtliches herausfordernde Material von Schoßgebete
zugeteilt, die Aktrice muss traurig, wütend, verängstigt,
rationalisierend und erotisiert sowie trivial-rüpelnd agieren und
all dies unter einen Hut bringen. Der restliche Cast wird schon
weniger gefordert, trotzdem geht er nicht gelangweilt zur Sache:
Jürgen Vogel verleiht dem geduldigen, liebenden Ehemann (der dennoch
gerne ins Bordell geht) Glaubwürdigkeit, Juliane Köhler agiert
effektiv und Jungschauspielerin Pauletta Pollmann ist die wandelnde Antithese zu
Emma Schweiger.
Sönke Wortmann bestückt seinen Film
nicht nur mit einer besseren Kinderdarstellerin als sein Kollege Til
Schweiger, zumindest in Schoßgebete zeigt er auch
ein überzeugenderes Händchen für die Bildästhetik. Waren
Schweigers vergangene Beziehungsfilme durchgehend in ein
Postkartenidyllen-/Aufbackbrötchenwerbespot-Licht getaucht, wählen
Wortmann und sein Kameraexperte Maher Maleh einen differenzierteren
Weg. So erinnern die Rückblicke auf Elizabeths früheres
Familienleben mit ihrer Überbelichtung zunächst an besagte
Schweiger-Regiearbeiten, nur um dann mit einem Schlag ihre
beruhigenden, freundlichen Farbtöne zu verlieren. Somit werden die
Rückblenden zu überkontrastierten Schreckensvisionen mit
schmerzlich gleißenden Lichtern. Der normale Alltag Elizabeths ist
derweil in ein stählernes Blaugrau getüncht, was ihre
Distanziertheit verdeutlicht, ohne Schoßgebete zu
sehr aus einer alltäglich-normalen Bildsprache rauszurücken. Die
raren, aber stets geschmackvoll inszenierten Sexszenen lassen den
Film dann wieder aufleuchten. Diese Spielereien sind zwar dick
aufgetragen, jedoch geraten die visuellen Stilwechsel graduell und
fügen sich somit gut ins Gesamtkonzept.
Narrativ bringen Wortmann und Berben
die diversen Ansätze von Schoßgebete derweil
nicht ganz so nahtlos unter einen Hut. Zwar sorgen die vereinzelten,
dafür umso harscheren Tonwechsel für eine willkommene
Unberechenbarkeit Elizabeths und unterstreichen eindrucksvoll, dass
Schoßgebete trotz humoriger Überspitzung aus dem
Leben gegriffen ist. Allerdings gibt es neben mehreren Knallerszenen
(etwa, wenn die überzeugte Atheistin während einer Therapiestunde
Gott anfleht, sich selber dabei erwischt und daraufhin in ein
Gefühlschaos stürzt), dafür lenkt der unnütze Subplot über
Darmwürmer stellenweise von der starken Haupthandlung ab.
Davon abgesehen ist Schoßgebete
ein unerwartet gutes, mit Witz gewürztes Kinodrama über Sexualität,
Liebe und Trauerüberwindung. Sehenswert.
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