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Dienstag, 2. September 2014

Alestorm: Sunset on the Golden Age


Die Erfinder (und meines Wissens nach bislang einzigen Genrevertreter) des True Scottish Pirate Metal haben sich seit ihrer Gründung beachtlich gemausert. Auf ihrem Debütalbum Captain Morgan's Revenge gab es noch ein, nennen wir es Mal, bescheidenes Keyboard zu hören, das mehr oder minder ungewollt Erinnerungen an 16bit-Musik weckte. Dieses starke Album schlug jedoch ein wie eine Bombe: Dank einer ausgewogenen Mischung aus epochalen Stücken, die aus einer Piraten-Metaloper stammen könnten, einerseits und festivaltauglichen Mitgröhlnummern andererseits wurde die Truppe trotz allerhand Besetzungswechselspielchen zu einem der bedeutendsten Senkrechtstarter jüngeren Metalgeschichte. Zwei Studioalben kamen seither zustande sowie eine Live-CD inklusive Konzertmitschnitt auf DVD. Wenn auf dem nunmehr vierten Studioalbum piepsende Klänge im Stile eines angestaubten Nintendo- oder Sega-Games ertönen, dann ist das volle künstlerische Absicht und wird alsbald mit kristallklarem, dennoch knallharten Metal-Sound kontrastiert.

Dafür, dass Zweifler schon nach Veröffentlichung der ersten Scheibe gelästert haben, dass sich das Piraten-Gimmick schnell abnutzen und Alestorm das Material ausgehen wird, haben sich Christopher Bowes und seine Band also verflixt gut gehalten. Und dies betrifft nicht nur den Erfolg dieser Trunkenbolde oder ihre besser werdende Ausstattung, sondern vor allem auch ihre Lieder:

Obwohl der Albentitel und der abschließende Track das Ende einer goldenen Ära beschreien klingt Alestorm beim vierten Törn so frisch wie beim ersten Mal. Womöglich auch, weil Sunset on the Golden Age einen faszinierenden Spagat vollführt: Einerseits ist das Album in seiner Gesamtheit betrachtet zugänglicher (um die stigmatisierte Bezeichnung „kommerzieller“ zu vermeiden), da es eine hellere Klangfarbe und mehr melodiöse Einlagen bietet als die vergangenen zwei Alben. Andererseits ist es stringenter, kantiger: Es gibt mehr Growling denn je in der Alestorm-Geschichte, generell ist Bowes' Stimme kratziger geworden und auch wenn das Album eine (aus narrativer Sicht) wirre Ansammlung aus Seemannsgarn, Meta-Songs, reinen Spaßnummern und alestorm'scher Geschichtsrevision darstellt, so ist es von der Attitüde her ganz klar aus einem Guss. Alestorm entwickelte über die Jahre einen ganz eigenen, wiedererkennbaren Stil – und hat sich so mit Tatkraft das Recht erarbeitet, Album Nummero vier mit einer Schiffsladung von Querverweisen auf das bisherige bier- und rumgetränkte Werk der Metalkombo zu bestücken.

Bereits der Opener Walk the Plank klingt mit seiner einleitenden Fanfare, gefolgt von raschen, hellen Gitarrenriffs und dunklem, aggressivem Piratengesang, wie eine Fortsetzung von Over the Seas, dem Eröffnungssong des Alestorm-Debütalbums. Ein direkter Vergleich beider Songs zeigt auf, wie sich die Schotten entwickelt haben: Die Melodieführung ist bei Walk the Plank verspielter, durch das Arrangement und Bowes' raue Lyrics wirkt der neue Song dennoch komplexer und (im besten Sinne) schwerer als Over the Seas. Beiden Liedern ist aber gemein, dass sie kompakte, gewaltige Piratenhymnen mit der nötigen Power sind, ohne die Epik eines Langtracks aufzuweisen.

Mit Drink folgt sogleich der große Partytrack des Albums, der mit seinem eingängigen, mitschreibaren Refrain gewiss ein langes Leben auf Konzerten und Festivals haben wird: Rasante Strophen über die Faszination Alkohol, gemixt mit einem energetischen Refrain der schon auf dem Album dank starken Echos so klingt, als würden Hunderte Raufbolde zum Mitsaufen auffordern. Wie geil muss die Nummer erst auf einem Festival sein? Dafür bietet die Ruhe der eigenen vier Wände beim Sologenuss des Songs mehr Raum, um die zweite Strophe auszukosten, die sich aus einer Flut an Alestorm-Songtiteln zusammensetzt.

Magnetic North setzt das hohe, abwechslungsreiche Niveau des Albums fort: In mittelhohem Tempo erzeugt dieses Folk-Metal-Meisterstück eisig-kalte Freibeuter-Abenteuerstimmung. Das Arrangement des Tracks dürfte zu den besten in der gesamten Alestorm-Historie zählen: Er beginnt mit nodrisch-folkloristischen Klängen, steigert sich dann in strikte, vorwärtstreibende Piraten-Metalhärte und bricht ungefähr in der Mitte urplötzlich in deftige Deathmetal-Bereiche ab. Ich bin nicht der größte Growling-Freund, doch es hat seinen Platz im Metal – etwa genau hier. Es passt ideal in die Dramaturgie des Songs und gewinnt an Kraft durch den Bass-Zusammenbruch, der den Übergang zwischen klassischem Alestorm-Sound und dieser kampfeslüsternen Einlage markiert. Auf einer guten Anlage macht dieser Part ungeheuerlich gute Laune!

Etwas schwerfälliger, aufgrund der gut ineinander übergehenden Stilwechsel jedoch nahezu genauso faszinierend ist 1741 (The Battle of Cartagena). Dieser Korsaren-Kampfgesang beginnt mit der obig erwähnten 16bit-Musikpassage, ehe fetzende Drums und ein kantiger Bass auf Synthie-Akkordeons treffen und so die in Rum getränkte Swashbuckler-Antwort auf Manowars Kriegshymnen formieren. Anders als vergleichbare, storygestützte Alestorm-Nummern ist diese ein wenig bemüht, da hier wohl die Idee und die Lust aufs Experimentieren im Vordergrund stehen und nicht so sehr der pure Spaß am Sound. Aber die zielstrebigen Instrumentalparts sind so verdammt cool, dass sie den Siebenminüter erfolgreich aufpolieren.

Mead From Hell ist eine spaßige, aber wenig in Erinnerung bleibende Zäsur in diesem Album. Der progressive Refrain und die Instrumentierung des Intros sowie des Outros retten den Track davor, das qualitative Schlusslicht des Albums zu werden.

Mit Surf Squid Warfare gibt es dann eine Fortsetzung des Songs Back Through Time zu hören. Nachdem die singende Piratencrew in letztgenanntem Stück in die Vergangenheit reiste, um die Weltgeschichte von der Wikingerplage zu befreien, geht es nun in die Zukunft, um die Erde vor (außerirdischen?) Zombie-Killertintenfischen zu schützen. Oder geht es der Mannschaft nur darum, ihre Blutlust zu stillen? So oder so gibt es herrlich bescheuerte Lyrics, gekleidet in ein brutal-exzentrisches Powermetalgewand mit leichter Thrash-Note. Wie war das noch mal mit Zugänglichkeit?

Mit Quest for Ships nähert sich Alestorm dann der nie gestellten Frage: Was macht ein Pirat, dem die anzugreifenden Schiffe ausgehen? Humorvolle, durchaus pfiffige Texte und eine solide Alestorm-Klangtapete mittlerer Härte platzieren dieses Lied im Mittelfeld des Albums.

Wooden Leg bettelt im Anschluss danach, Moshpits auszulösen. Mir ist dieser Versuch, Piraten-Punkmetal einzuführen, aber trotz witziger Zeilen zu dissonant, zu abgehackt. Schwächstes Stück auf dem Album, ganz klar.

Der nächste Track, Hangover, dürfte dann der Albtraum all jener sein, die ihren Metalbands verbieten, Musik völlig anderer Musikrichtungen ins Auge zu fassen. Denn dieser Song ist ein Cover von Taio Cruz' Dancefloorkracher aus dem Jahr 2011, womit sich Alestorm in manchen Ecken des Metal-Fandoms unbeliebt machen sollte. Auf der anderen Seite: Wer so tickt, hat die Band bestimmt schon nach ihren LazyTown-, Sesamstraße- und Village People-Covern auf die schwarze Liste gesetzt, wen also soll es schon jucken? Jedenfalls: Das Cover ist dank eines spritzig-rockigen Arrangements und des augenzwinkernd-übertrieben-piratigen Gesangs viel, viel besser als das austauschbare Original. Und allein schon die in eine Bridge gepresste Begründung, wieso dieses Lied zu Alestorm passt (Zitat des lyrischen Ichs: „I'm ona a ship if you don't know!“) macht es denkwürdig!

Der Titeltrack Sunset on the Golden Age verabschiedet den Zuhörer dann nochmal auf einem Hoch: Mit über elf Minuten und vereinzelten inhaltlichen Rückgriffen ist diese konzeptuelle Metaloper ein Nachfolger von Death Throes of the Terror Squid und zudem eine gepfefferte Antwort an jeden, der glaubt, Alestorm nehme seine Musik nicht ernst. Denn auch wenn die Band über ein gesundes Maß an Humor verfügt (siehe die Beschreibung diverser Tracks in dieser Review), so beherrscht Alestorm sehr wohl die Kunst mitreißend orchestrierter Piraten-Metalmären. Kämpferisch, nostalgisch und voller Abenteuerromantik schließt der Titeltrack ein Kapitel – oder öffnet das nächste.


Nach mehrmaligem Anhören bin ich versucht, Sunset on the Golden Age zum besten Alestorm-Album zu küren – auch wenn es sich natürlich noch über Dauer beweisen muss. Auf jeden Fall wird die Scheibe noch lange in meiner Playlist verweilen und ich kann nur hoffen, dass das nächste Album der alesaufenden Seeräuber möglichst bald dort weitermacht, wo dieses aufhört!

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