Die Erfinder (und meines Wissens nach
bislang einzigen Genrevertreter) des True Scottish Pirate Metal haben
sich seit ihrer Gründung beachtlich gemausert. Auf ihrem Debütalbum
Captain Morgan's Revenge gab es noch ein, nennen
wir es Mal, bescheidenes Keyboard zu hören, das mehr oder minder
ungewollt Erinnerungen an 16bit-Musik weckte. Dieses starke Album
schlug jedoch ein wie eine Bombe: Dank einer ausgewogenen Mischung
aus epochalen Stücken, die aus einer Piraten-Metaloper stammen
könnten, einerseits und festivaltauglichen Mitgröhlnummern
andererseits wurde die Truppe trotz allerhand
Besetzungswechselspielchen zu einem der bedeutendsten
Senkrechtstarter jüngeren Metalgeschichte. Zwei Studioalben kamen
seither zustande sowie eine Live-CD inklusive Konzertmitschnitt auf
DVD. Wenn auf dem nunmehr vierten Studioalbum piepsende Klänge im
Stile eines angestaubten Nintendo- oder Sega-Games ertönen, dann ist
das volle künstlerische Absicht und wird alsbald mit kristallklarem,
dennoch knallharten Metal-Sound kontrastiert.
Dafür, dass Zweifler schon nach
Veröffentlichung der ersten Scheibe gelästert haben, dass sich das
Piraten-Gimmick schnell abnutzen und Alestorm das Material ausgehen
wird, haben sich Christopher Bowes und seine Band also verflixt gut
gehalten. Und dies betrifft nicht nur den Erfolg dieser Trunkenbolde
oder ihre besser werdende Ausstattung, sondern vor allem auch ihre
Lieder:
Obwohl der Albentitel und der
abschließende Track das Ende einer goldenen Ära beschreien klingt
Alestorm beim vierten Törn so frisch wie beim ersten Mal. Womöglich
auch, weil Sunset on the Golden Age einen
faszinierenden Spagat vollführt: Einerseits ist das Album in seiner
Gesamtheit betrachtet zugänglicher (um die stigmatisierte
Bezeichnung „kommerzieller“ zu vermeiden), da es eine hellere
Klangfarbe und mehr melodiöse Einlagen bietet als die vergangenen
zwei Alben. Andererseits ist es stringenter, kantiger: Es gibt mehr
Growling denn je in der Alestorm-Geschichte, generell ist Bowes'
Stimme kratziger geworden und auch wenn das Album eine (aus
narrativer Sicht) wirre Ansammlung aus Seemannsgarn, Meta-Songs,
reinen Spaßnummern und alestorm'scher Geschichtsrevision darstellt,
so ist es von der Attitüde her ganz klar aus einem Guss. Alestorm
entwickelte über die Jahre einen ganz eigenen, wiedererkennbaren
Stil – und hat sich so mit Tatkraft das Recht erarbeitet, Album
Nummero vier mit einer Schiffsladung von Querverweisen auf das
bisherige bier- und rumgetränkte Werk der Metalkombo zu bestücken.
Bereits der Opener Walk the
Plank klingt mit seiner einleitenden Fanfare, gefolgt von
raschen, hellen Gitarrenriffs und dunklem, aggressivem Piratengesang,
wie eine Fortsetzung von Over the Seas, dem
Eröffnungssong des Alestorm-Debütalbums. Ein direkter Vergleich
beider Songs zeigt auf, wie sich die Schotten entwickelt haben: Die
Melodieführung ist bei Walk the Plank
verspielter, durch das Arrangement und Bowes' raue Lyrics wirkt der
neue Song dennoch komplexer und (im besten Sinne) schwerer als
Over the Seas. Beiden Liedern ist aber gemein,
dass sie kompakte, gewaltige Piratenhymnen mit der nötigen Power
sind, ohne die Epik eines Langtracks aufzuweisen.
Mit Drink folgt
sogleich der große Partytrack des Albums, der mit seinem
eingängigen, mitschreibaren Refrain gewiss ein langes Leben auf
Konzerten und Festivals haben wird: Rasante Strophen über die
Faszination Alkohol, gemixt mit einem energetischen Refrain der schon
auf dem Album dank starken Echos so klingt, als würden Hunderte
Raufbolde zum Mitsaufen auffordern. Wie geil muss die Nummer erst auf
einem Festival sein? Dafür bietet die Ruhe der eigenen vier Wände
beim Sologenuss des Songs mehr Raum, um die zweite Strophe
auszukosten, die sich aus einer Flut an Alestorm-Songtiteln
zusammensetzt.
Magnetic North setzt
das hohe, abwechslungsreiche Niveau des Albums fort: In mittelhohem
Tempo erzeugt dieses Folk-Metal-Meisterstück eisig-kalte
Freibeuter-Abenteuerstimmung. Das Arrangement des Tracks dürfte zu
den besten in der gesamten Alestorm-Historie zählen: Er beginnt mit
nodrisch-folkloristischen Klängen, steigert sich dann in strikte,
vorwärtstreibende Piraten-Metalhärte und bricht ungefähr in der
Mitte urplötzlich in deftige Deathmetal-Bereiche ab. Ich bin nicht
der größte Growling-Freund, doch es hat seinen Platz im Metal –
etwa genau hier. Es passt ideal in die Dramaturgie des Songs und
gewinnt an Kraft durch den Bass-Zusammenbruch, der den Übergang
zwischen klassischem Alestorm-Sound und dieser kampfeslüsternen
Einlage markiert. Auf einer guten Anlage macht dieser Part
ungeheuerlich gute Laune!
Etwas schwerfälliger, aufgrund der gut
ineinander übergehenden Stilwechsel jedoch nahezu genauso
faszinierend ist 1741 (The Battle of Cartagena).
Dieser Korsaren-Kampfgesang beginnt mit der obig erwähnten
16bit-Musikpassage, ehe fetzende Drums und ein kantiger Bass auf
Synthie-Akkordeons treffen und so die in Rum getränkte
Swashbuckler-Antwort auf Manowars Kriegshymnen formieren. Anders als
vergleichbare, storygestützte Alestorm-Nummern ist diese ein wenig
bemüht, da hier wohl die Idee und die Lust aufs Experimentieren im
Vordergrund stehen und nicht so sehr der pure Spaß am Sound. Aber
die zielstrebigen Instrumentalparts sind so verdammt cool, dass sie
den Siebenminüter erfolgreich aufpolieren.
Mead From Hell ist
eine spaßige, aber wenig in Erinnerung bleibende Zäsur in diesem
Album. Der progressive Refrain und die Instrumentierung des Intros
sowie des Outros retten den Track davor, das qualitative Schlusslicht
des Albums zu werden.
Mit Surf Squid Warfare
gibt es dann eine Fortsetzung des Songs Back Through
Time zu hören. Nachdem die singende Piratencrew in
letztgenanntem Stück in die Vergangenheit reiste, um die
Weltgeschichte von der Wikingerplage zu befreien, geht es nun in die
Zukunft, um die Erde vor (außerirdischen?)
Zombie-Killertintenfischen zu schützen. Oder geht es der Mannschaft
nur darum, ihre Blutlust zu stillen? So oder so gibt es herrlich
bescheuerte Lyrics, gekleidet in ein brutal-exzentrisches
Powermetalgewand mit leichter Thrash-Note. Wie war das noch mal mit
Zugänglichkeit?
Mit Quest for Ships
nähert sich Alestorm dann der nie gestellten Frage: Was macht ein
Pirat, dem die anzugreifenden Schiffe ausgehen? Humorvolle, durchaus
pfiffige Texte und eine solide Alestorm-Klangtapete mittlerer Härte
platzieren dieses Lied im Mittelfeld des Albums.
Wooden Leg bettelt
im Anschluss danach, Moshpits auszulösen. Mir ist dieser Versuch,
Piraten-Punkmetal einzuführen, aber trotz witziger Zeilen zu
dissonant, zu abgehackt. Schwächstes Stück auf dem Album, ganz
klar.
Der nächste Track, Hangover,
dürfte dann der Albtraum all jener sein, die ihren Metalbands
verbieten, Musik völlig anderer Musikrichtungen ins Auge zu fassen.
Denn dieser Song ist ein Cover von Taio Cruz' Dancefloorkracher aus
dem Jahr 2011, womit sich Alestorm in manchen Ecken des Metal-Fandoms
unbeliebt machen sollte. Auf der anderen Seite: Wer so tickt, hat die
Band bestimmt schon nach ihren LazyTown-,
Sesamstraße- und Village
People-Covern auf die schwarze Liste gesetzt, wen also soll
es schon jucken? Jedenfalls: Das Cover ist dank eines
spritzig-rockigen Arrangements und des
augenzwinkernd-übertrieben-piratigen Gesangs viel, viel besser als
das austauschbare Original. Und allein schon die in eine Bridge
gepresste Begründung, wieso dieses Lied zu Alestorm passt (Zitat des
lyrischen Ichs: „I'm ona a ship if you don't know!“) macht es
denkwürdig!
Der Titeltrack Sunset on the
Golden Age verabschiedet den Zuhörer dann nochmal auf
einem Hoch: Mit über elf Minuten und vereinzelten inhaltlichen
Rückgriffen ist diese konzeptuelle Metaloper ein Nachfolger von
Death Throes of the Terror Squid und zudem eine
gepfefferte Antwort an jeden, der glaubt, Alestorm nehme seine Musik
nicht ernst. Denn auch wenn die Band über ein gesundes Maß an Humor
verfügt (siehe die Beschreibung diverser Tracks in dieser Review),
so beherrscht Alestorm sehr wohl die Kunst mitreißend orchestrierter
Piraten-Metalmären. Kämpferisch, nostalgisch und voller
Abenteuerromantik schließt der Titeltrack ein Kapitel – oder
öffnet das nächste.
Nach mehrmaligem Anhören bin ich
versucht, Sunset on the Golden Age zum besten
Alestorm-Album zu küren – auch wenn es sich natürlich noch über
Dauer beweisen muss. Auf jeden Fall wird die Scheibe noch lange in
meiner Playlist verweilen und ich kann nur hoffen, dass das nächste
Album der alesaufenden Seeräuber möglichst bald dort weitermacht,
wo dieses aufhört!
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