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Freitag, 26. September 2014

Letzte Chance: Unterstützt ''Hullabaloo''


Man nehme: Eine Gruppe talentierter Disney-Veteranen, Steampunk und Zeichentrick. Was ergibt das? Das Passionsprojekt Hullabaloo, das von James Lopez, Bruce Smith, Rick Farmiloe, Minkyu Lee, Sandro Cleuzo, Sarah Airriess, Alexa Summerfield Goriup  und Joffrey Black vorangetrieben wird. Die Story? Eine junge Wissenschaftlerin begibt sich auf die Suche nach ihrem verschollenen Vater und verfolgt daher eine rätselhafte Spur, die sie in einen verlassenen Freizeitpark führt. Dort begegnet sie einem jungen Mädchen, das sich seltsam verhält, aber geniale Erfindungen bastelt und das zustimmt, ihr bei ihrer Suche zu helfen ...

Um es verwirklichen zu können, haben sich die Künstler der Welt des Crowdfundings geöffnet und eine Seite bei Indiegogo erstellt. Und nun kommt ihr ins Spiel: Am 1. Oktober endet die Spendenphase für diese unfassbar viel versprechende Produktion. Ich habe bereits in Hullabaloo investiert (mein erstes Mal bei einem Crowdfunding-Projekt), nicht nur, um sicherzustellen, dass sich Loepz und Co. austoben können, sondern auch, um mir eine digitale Kopie des Films zu sichern. Denn wer weiß, ob dieser unabhängig finanzierte Zeichentrickfilm je einen deutschen Verleih erhält? Ob ich also eines Tages mühselig eine US-Blu-ray importiere oder ich nun spende, das macht nun auch keinen Unterschied …




Wie ihr anhand der Bilder sehen könnt, versprüht Hullabaloo das klassische Disney-Flair, gepaart mit purer Steampunk-Coolness. Auch die Story klingt sehr reizvoll und jedes neue westliche Zeichentrickprojekt zeigt den Disney-Studios, dass diese Kunstform weiterhin rentabel ist. Wie also kann man nicht an Hullabaloo interessiert sein?

Mittwoch, 24. September 2014

Roy Conli über "Baymax – Riesiges Robowabohu": "Ich musste während der Produktion nie zusammenzucken"


Über den deutschen Untertitel kann man ja streiten, aber eins muss man Baymax – Riesiges Robowabohu lassen: Die bisherigen Trailer versprechen einen richtig guten Film mit charmanten Figuren und tollem Witz. Und es scheint, als würde das fertige Werk halten, was die Vorschau verspricht. Ich hatte nämlich das ungeheure Glück, nicht nur Feast vorab zu sehen, sondern auch an einer Presse-Preview auf Disneys 54. Meisterwerk teilzunehmen. Im Rahmen der von Produzent Roy Conli moderierten Präsentation gab es allerhand Konzeptzeichnungen und Testanimationen zu sehen sowie Anekdoten über die Entwicklung des Films zu bestaunen. Darüber hinaus wurden mehrere Ausschnitte gezeigt – manche waren nur wenige Minuten lang, zwei längere Sequenzen sorgten jedoch dafür, dass wir uns ein umfassendes Bild des Films machen konnten.

Natürlich kann sich bis zur Beendigung der Produktion noch so manches ändern und selbstredend machen etwas mehr als 15 Filmminuten nicht das komplette Werk aus. Dennoch ließ mich dieser Ausblick sehr vorfreudig zurück und ich kann es nicht erwarten, den Rest zu sehen.

Im Rahmen der Präsentation gab Conli, der bereits Rapunzel und Der Schatzplanet produzierte, zahlreiche spannende Fakten über den Film zum Besten, von denen ich hier die wichtigsten, witzigsten und interessantesten mit euch teilen möchte:

  • Um Baymax zum süßesten Roboter der Filmgeschichte zu machen, testeten die Animatoren zahlreiche Bewegungsmuster aus, die sie der Figur verpassten. Drei Gehsimulationen kamen in die Endauswahl: Eine, die von Windeln tragenden Babys abgeguckt wurde. Eine, die auf Babys mit voller Windel basiert. Und eine, die sich an das Watscheln von Pinguinbabys anlehnt. Letztere wird im fertigen Film zu sehen sein.
  • In Zusammenarbeit mit einem Softwareentwicklungspartner wurde eine besondere Version von CityEngine erschaffen. Mit diesem Programm digitalisierten die Filmemacher die geographischen Details von San Francisco, um sie daraufhin zu manipulieren, um so eine neue Stadt zu erschaffen. Diese hat tiefere Täler und verwinkeltere Straßen, Anwohner von San Francisco werden dennoch sehr viele Ecken wiedererkennen. Bekanntlich bekam San Francisco zudem die Kultur und Architektur einer anderen wichtigen, einflussreichen Weltstadt übergestülpt ... "Paderborn!" Nein, Conli scherzte natürlich. Es ist selbstredend Tokyo.
  • Marvel erlaubte es den Walt Disney Animation Studios, sich vom Comic Big Hero 6 inspirieren zu lassen, aber auf Basis des Comics eine ganz eigene Idee zu entwickeln. In bester Disney-Tradition sei die Story der Kinoproduktion "weit, weit weg" von der Vorlage. Die Figuren sind multikultureller und die Handlung des Disney-Films wurde im Laufe von acht großen Screenings mit dem gesamten Team sowie Marvel-Repräsentanten feingeschliffen, wobei sie sich mal zu mal vom Storyarc der ersten Big Hero 6-Bände wegentwickelte.
  • Die Animatoren steckten so viele Disney-Easter-Eggs in Baymax – Riesiges Robowabohu, dass Conli und die Regisseure Don Hall & Chris Williams anordnen mussten, einige davon wieder zu entfernen, damit sie nicht von der Story ablenken. Unter anderem gibt es eine Referenz zu Lilo & Stitch sowie einen animierten Roy-Conli-Cameo. Ob sogar Stan Lee im Film vorkommt? "Kein Kommentar ..."
  • Für Disneyverhältnisse schritt die Produktion erstaunlich schnell voran. Von Ideenfindung bis Fertigstellung wird Baymax – Riesiges Robowabohu nur 3,5 Jahre in Anspruch genommen haben. Conlis Theorie, weshalb es so rasch voranging: "Die Künstler in den Disney-Studios waren sofort von Don Hall Idee begeistert und so kamen wir schnell in einen Arbeitsfluss".
  • Conli verehrt Pixars Die Unglaublichen, steuerte aber dagegen, dass Baymax – Riesiges Robowabohu tonal ähnliche Wege einschlägt. Er wollte, dass seine Produktion eine eigene Identität entwickelt.
  • Die Band Fall Out Boy schrieb für den Film einen Song namens Immortals, der in einer zentralen Szene zu hören sein wird.
  • Conli hat bei jedem Disney-Film, an dem er mitarbeitete, stets mindestens eine Szene oder eine Bildeinstellung, die ihn zusammenzucken lassen, weil er überhaupt nicht mit ihr zufrieden ist. Rapunzel dagegen hinterließ ihn völlig zufrieden, und nun folgt Baymax – Riesiges Robowabohu ebenfalls ohne solche Zusammenfahrmomente.
  • Die wissenschaftlichen Aspekte in Baymax – Riesiges Robowabohu sind allesamt weitergesponnene Ideen realer Technologien. Das Design und die ballonartige Konsistenz Baymax' etwa beruhen auf "Soft Robotics", also auf Robotern mit Silikonhülle, die entwickelt werden, um in der Krankenpflege verwendet werden zu können.
  • Honey Lemon, deren Ähnlichkeit zu Rapunzel auf einigen Promomaterialien viele Disney-Fans erzürnte, ist auf den Postern sehr mies getroffen. In Bewegung hat sie mit Rapunzel nur die Haar-, Augen- und Hautfarbe gemeinsam. Statur, Persönlichkeit, Mimik, Gestik, Gesichtszüge, all das ist völlig anders.
Das zentrale Thema von Baymax – Riesiges Robowabohu ist übrigens Trauerüberwältigung. Um diesen psychologischen Prozess realitätsnah abbilden zu können, holten die Regisseure, Autoren und Animatoren Hilfe von führenden Psychologen heran. Und dieses grundlegende Thema des Films sorgt auch, zumindest in den gezeigten Szenen, für viel Herzlichkeit, die sowohl die Figuren antreibt als auch die Handlung. Disney-Fans, die also ein seelenloses Superheldenspektakel befürchten, können nicht weiter die "Marvel macht Disney kaputt"-Schiene fahren, wenn sie über dieses Projekt meckern möchten. Baymax – Riesiges Robowabohu sieht bislang so aus, als atme er den klassischen, herzigen Disney-Geist, bloß dass dieser Film die Disney-Magie in eine Geschichte über Roboter und Nerds mit Sci-Fi-Erfindungen packt. Statt in eine Story über verwunschene Prinzen und Prinzessinnen, die mit Tieren reden.

Montag, 22. September 2014

James Bond 007 – Die Welt ist nicht genug


Während Pierce Brosnans zweiter Bond-Einsatz zu Unrecht gerne vergessen wird, ist sein vorletzter 007-Film vor allem dafür berüchtigt, dass Model Denise Richards darin als Nuklearexpertin Dr. Christmas Jones auftritt. Und machen wir uns nichts vor: Mit ihrem unentwegt glückseligen Blick, einem Lara-Croft-Outfit und einem Namen, der allein auf einen schalen Witz am Ende des Films abzielt, ist Christmas Jones eines der albernen Bondgirls. Schlecht im Sinne von unmöglich auszuhalten ist Denise Richards indes nicht – sie ist zwar alles andere als dramatisch, jedoch ist ihre Performance charismatisch und unterhaltsam. Was soll also der Hate?

Abseits der, zumindest in der Popkultur, den restlichen Film überschattenden Denise Richards hat Die Welt ist nicht genug jedoch auch einige weitere, bewusst kurzweilige Aspekte zu bieten. Etwa einen formidabel aufgelegten John Cleese in der Rolle von Qs Zögling R, der in einer vor Slapstick und Wortwitz überbordenden Sequenz, in der Desmond Llewelyns Q zudem einen würdigen letzten Auftritt erhält. Auch eine aufgedonnerte Sophie Marceau als Elektra King, die taffe Erbin eines Ölmagnaten, fällt mit amüsiertem Spiel positiv auf. Erfreulich ist zudem, dass Judi Dench als M mehr zu tun bekommt und sowohl ihre einfühlsame, wie auch ihre aggressive Seite zeigen darf.

Robert Carlyle in der Rolle des ehemaligen KGB-Agenten Renard, der seit einem Unfall keine Schmerzen mehr verspürt und nun die Welt mit seinen High-Tech-Waffen in Atem hält, ist dagegen ganz in Ordnung. Er versprüht eine schaurige Aura und hinterlässt vor allem im Zusammenspiel mit Marceau durchaus bleibenden Eindruck, allerdings machen Carlyle und das Skript recht wenig aus seinem "Schmerzlos-Gimmick". Und der Schurkenplan in Die Welt ist nicht genug ist sowieso kaum der Rede wert. Nach dem denkwürdigen Plot von Der Morgen stirbt nie bietet dieser von Robert Wade, Neal Purvis und Bruce Feirstein geschriebene Agenten-Actionthriller ein Kauderwelsch an Figurenmotivationen und Bedrohungen. Atomwaffen, Stockholm-Syndrom, persönliche Rache, Erdöl-Gier ... Das Skript schmeißt alles denkbare in einen Topf, rührt es ordentlich um und hofft, dass dies genügt.

Mit einer launigen, sich immer weiter steigernden Openingsequenz zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie einer Vielzahl genüsslich-bescheuerter Oneliner kann dieser 007-Film immerhin trotz lustlos zusammengeklöppelter Story über weite Strecken unterhalten. Die Inszenierung durch Michael Apted (Gorillas im Nebel) ist adäquat, vor allem die unzähligen verschiedenen Schauplätze fängt der Regisseur mit viel Flair ein. Zwar ist die im Laufe dieses MI6-Allerleis auftauchende Skisequenz die in meinen Augen vielleicht uninteressanteste des gesamten 007-Mythos, dafür verwächst Brosnan in diesem Film mehr denn je mit seiner Figur, so dass ich Die Welt ist nicht genug trotz mancher Mängel über den allseits beliebteren Goldeneye stellen würde. Musikalisch ist dieser Bond mit einem mehrere figurenzentrische Themen aufbauenden Score von David Arnold und einem symphonischen Rock-Titelsong gut aufgestellt, was den qualitativen Absturz bei Brosnans viertem Film umso schmerzlicher macht.

Freitag, 19. September 2014

Schoßgebete


Obwohl sich Charlotte Roches Bücher Feuchtgebiete und Schoßgebete außerordentlich gut verkauft haben, kennen viele die beiden Romane nur vom Hörensagen. Und die breite Medienberichterstattung über Roches Stil als Schriftstellerin schlug vornehmlich in eine Kerbe: Ekel, Sex und Ekelsex! Jedoch bestehen Roches Romane aus weit mehr als das – wobei ihr zweites Werk als Verarbeitung vieler autobiografischer Erfahrungen das dramatischere Buch in ihrem bisherigen Schaffen ist. So groß bereits der Unterschied zwischen den beiden Romanen ist, auf der Leinwand ist die Diskrepanz zwischen Feuchtgebiete und Schoßgebete viel krasser.

Im Falle der beiden Roche-Verfilmungen ist die Art, wie sie der Öffentlichkeit präsentiert wurden, tatsächlich für die fertigen Kinoproduktionen repräsentativ. So war es Sönke Wortmann, der zuerst sein Projekt ankündigte, ehe plötzlich auch eine Feuchtgebiete-Adaption versprochen wurde. David Wnendts Film schoss dann als erster über die Ziellinie und wurde dabei von lauten Trailern sowie knalligen Postern begleitet. Der Schoßgebiete-Film ließ sich dagegen seine Zeit und kommt nun mit gediegenerem Werbematerial in die Lichtspielhäuser.

Die Promo verkaufte beide Filme ehrlich. Nach Wnendts schriller Schmuddelkomödie bringen Regisseur Sönke Wortmann und Drehbuchautor Oliver Berben mit Schoßgebiete eine emotional ehrliche und gleichzeitig durchaus intelligente Mischung aus reifer Beziehungskomödie und sexuell aufgeklärtem Charakterdrama.

Im Mittelpunkt dieses tragikomischen Psychogramms steht Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson), eine neurotische junge Frau, die mehr Spleens hat als sie zählen kann. Sie leidet unter Kontrollzwang, Verfolgungswahn, wird von Rachegedanken geplagt, versinkt in Schuldgefühlen und hat obendrein ein sehr kompliziertes Verhältnis zu ihrer Sexualität. Ihr Ehemann Georg (Jürgen Vogel) reagiert auf all dies mit einer beispiellosen Gelassenheit, nur eins treibt ihn auf die Palme: Elizabeths morbider Drang, alles für ihr etwaiges Ableben vorzubereiten. Dass Elizabeth trotz ihrer Neurosen noch immer halbwegs sicher im Leben steht, liegt an drei Dingen: An ihrer Liebe zu ihrer Tochter Liza (Pauletta Pollmann), die sie in einer früheren Beziehung gezeugt hat, am tabulosen Sex mit ihrem Mann und an den wohltuenden Therapiesitzungen bei der Psychologin Drescher (Juliane Köhler) …

Für Wortmann und Berben bestand die Aufgabe, Roches Bestseller fürs Kino umzuformen, vor allem aus der Aufgabe, den Erlebnissen Elizabeths eine etwas striktere narrative Struktur zu geben. Dennoch ist Schoßgebete auch auf der Leinwand primär eine „Slice of Life“-Erzählung, die davon lebt, dem Betrachter einen Einblick in das neurosengeplagte Leben ihrer Protagonistin zu verschaffen. Eine Spannungskurve hat der Film daher nicht, immerhin gibt ihm Berbens Adaption des Roche-Romans eine erzählerische Klammer – wir beginnen mit einer Fantasiesequenz, die Elizabeths inneren Tumult verdeutlicht, kurz darauf folgt ein Paradebeispiel dafür, wie ihre Neurosen ihren Alltag bestimmen: Sie setzt zum x-ten Mal ein neues Testament auf, dessen absurde Klauseln Georg und Elizabeths Notar kaum fassen können. Von da an hangelt sich die Erzählung von Anekdote zu Anekdote, wobei Elizabeths Therapiesitzungen nach und nach ihre Vergangenheit beleuchten, während parallel dazu ihr nicht ganz alltäglicher Alltag weiterläuft – die Frage ist, ob er es von der psychologischen Behandlung unabhängig tut oder ob Frau Drescher Elizabeth wirklich helfen kann.

Dass Hauptdarstellerin Lavinia Wilson in Schoßgebete wie eine jüngere und obendrein etwas unbedarfter auftretende Version von Charotte Roche wirkt, kommt dabei nicht von ungefähr. Denn die von Wilson brillant verkörperte Elizabeth teilt sich diverse biografische Aspekte: Vom tragischen Verlust geliebter Familienmitglieder durch einen Unfall bis hin zum tief verwurzelten Hass auf die taktlosen Aasgeier eines großen Boulevardblatts. Wilson legt ihre Figur dennoch nicht schlicht als Mimikry der früheren VIVA-Moderatorin an, sondern gibt ihr einen eigenständigen Charakter: Voller Selbstironie, belesen, dennoch ein wenig naiv – Elizabeth ist eine tolle Leinwandfigur, die ihre eigene Moral hat und die, ganz menschlich, auch voller Widersprüche steckt. Dank Wilsons unaufdringlichem, sympathischen Spiel erscheint Elizabeth nie wie ein von Roche fantasiertes Alter Ego, sondern wird zu einer interessanten, komplexen Persönlichkeit, die auf der Leinwand auch dann reizt, wenn man die Parallelen zur Buchautorin nicht weiter beachtet.

Schauspielerisch bekommt Wilson sämtliches herausfordernde Material von Schoßgebete zugeteilt, die Aktrice muss traurig, wütend, verängstigt, rationalisierend und erotisiert sowie trivial-rüpelnd agieren und all dies unter einen Hut bringen. Der restliche Cast wird schon weniger gefordert, trotzdem geht er nicht gelangweilt zur Sache: Jürgen Vogel verleiht dem geduldigen, liebenden Ehemann (der dennoch gerne ins Bordell geht) Glaubwürdigkeit, Juliane Köhler agiert effektiv und Jungschauspielerin Pauletta Pollmann ist die wandelnde Antithese zu Emma Schweiger.

Sönke Wortmann bestückt seinen Film nicht nur mit einer besseren Kinderdarstellerin als sein Kollege Til Schweiger, zumindest in Schoßgebete zeigt er auch ein überzeugenderes Händchen für die Bildästhetik. Waren Schweigers vergangene Beziehungsfilme durchgehend in ein Postkartenidyllen-/Aufbackbrötchenwerbespot-Licht getaucht, wählen Wortmann und sein Kameraexperte Maher Maleh einen differenzierteren Weg. So erinnern die Rückblicke auf Elizabeths früheres Familienleben mit ihrer Überbelichtung zunächst an besagte Schweiger-Regiearbeiten, nur um dann mit einem Schlag ihre beruhigenden, freundlichen Farbtöne zu verlieren. Somit werden die Rückblenden zu überkontrastierten Schreckensvisionen mit schmerzlich gleißenden Lichtern. Der normale Alltag Elizabeths ist derweil in ein stählernes Blaugrau getüncht, was ihre Distanziertheit verdeutlicht, ohne Schoßgebete zu sehr aus einer alltäglich-normalen Bildsprache rauszurücken. Die raren, aber stets geschmackvoll inszenierten Sexszenen lassen den Film dann wieder aufleuchten. Diese Spielereien sind zwar dick aufgetragen, jedoch geraten die visuellen Stilwechsel graduell und fügen sich somit gut ins Gesamtkonzept.

Narrativ bringen Wortmann und Berben die diversen Ansätze von Schoßgebete derweil nicht ganz so nahtlos unter einen Hut. Zwar sorgen die vereinzelten, dafür umso harscheren Tonwechsel für eine willkommene Unberechenbarkeit Elizabeths und unterstreichen eindrucksvoll, dass Schoßgebete trotz humoriger Überspitzung aus dem Leben gegriffen ist. Allerdings gibt es neben mehreren Knallerszenen (etwa, wenn die überzeugte Atheistin während einer Therapiestunde Gott anfleht, sich selber dabei erwischt und daraufhin in ein Gefühlschaos stürzt), dafür lenkt der unnütze Subplot über Darmwürmer stellenweise von der starken Haupthandlung ab.


Davon abgesehen ist Schoßgebete ein unerwartet gutes, mit Witz gewürztes Kinodrama über Sexualität, Liebe und Trauerüberwindung. Sehenswert.

Feast


Nach dem weltweiten Sensationserfolg Die Eiskönigin - Völlig unverfroren machen sich die Walt Disney Animation Studios derzeit mit Hochdruck bereit, die Filmwelt mit ihrem nächsten Animationskracher zu beglücken. Während sich Baymax - Riesiges Robowabohu derzeit in den letzten Zügen der Produktionsphase befindet, ist der ihn im Kino begleitende Kurzfilm Feast bereits fertiggestellt. Ich war so glücklich, ihn in einem Vorabscreening sehen zu dürfen und möchte euch selbstredend meine Meinung nicht vorenthalten.

Kurz zum Hintergrund: Feast ist eine Idee des Disney-Animators Patrick Osborne, der unter anderem an Rapunzel mitarbeitete und leitender Animator bei Paperman aka Im Flug erobert war. Im Laufe der Produktion von Baymax - Riesiges Robowabohu kam es zu einem Treffen mit John Lasseter, der weiterhin an der Initiative festhält, wieder mehr Disney-Kurzfilme zu produzieren. Während dieser Begegnung tauschten die beiden Hundeliebhaber Ideen aus, wobei sich eine als besonders filmreif erwies: Wie wäre es, einem Hund zu folgen, der über das Essen eine besondere Beziehung zu seinem Herrchen aufbaut - und wenn im Hintergrund dieser Geschichte eine Romanze zwischen dem Herrchen und einer Frau entwickelt?

Aus dieser Idee entstand Osbornes Regiedebüt, das dem Trend der Disney-Kurzfilme folgt, visuell ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Nachdem Get a Horse! altmodische Zeichnungen im Gummiband-Stil mit moderner 3D-Computeranimation vereinte, geht Feast einen ähnlichen Weg wie der Computeranimation und handgemachte Skizzen zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk vereinende Paperboy. Denn Feast bringt endlich den eindrucksvollen Stil von Konzeptzeichnungen zum Laufen. Obiges Bild ist keine dieser tollen Farbstudien, die mit ihren großen Flächen und expressiven Kolorierungen Animationsliebhaber gerne zum Staunen bringen, sondern ein Bild aus dem fertigen Film. Dieser hat die Dimensionalität und visuelle Kontinuität von Computeranimation, aber dennoch dieses Erfrischende, Lebhafte eines gezeichneten Bildes.

Die von Nicole Mitchell und Raymond S. Persi ausgearbeitete Story des fertigen Films hält sich genau an die Grundidee, die Osborne zusammen mit Lasseter ausheckte: Der gesamte Sechsminüter wird aus dem Blickwinkel (nicht aus der Egoperspektive!) des Boston Terriers Winston erzählt. Dieser lernt sein Herrchen kennen, als es ihn mit Fast Food aus einer Gasse herauslockt. Von diesem Moment an erzählt Feast von der Freundschaft zwischen Mensch und Hund, indem der Kurzfilm kurze Häppchen aus verschiedenen Lebensabschnitten der Beiden zeigt. Zunächst führt Winston ein Leben in Saus und Braus: Nachos, Pizza, Fleischbällchen und so weiter. Dann aber lernt Winstons Herrchen eine Frau kennen, für die er sein hemmungsloses Junggesellenleben aufgibt. Für Winston bedeutet dies weniger Schnellfraß und wieder mehr Hundefutter ...

Feast hat zwar vereinzelte längere Sequenzen, doch der Löwenanteil besteht aus kurzen Sequenzen, die rasant aufeinanderfolgen und oft sehr originell ineinander übergehen – woraus ein weiterer bildästhetischer Reiz dieses Kurzfilms besteht. Doch es ist auch die simple Story des ohne Dialog arbeitenden Cartoons, die begeistert: Dank Winston und seiner energischen Art ist Feast lustig, die Verschränkung der Beziehung Mann/Hund und Herrchen/Frauchen ist aber auch sehr herzlich.

Feast ist aufgrund der schnellen Bildfolgen (und selbstredend wegen der lebhaften Farben) dynamischer als Paperboy, letzteren fand ich dafür einen Hauch romantischer. Dies soll Feast aber nicht abwerten: Er ist meiner Ansicht nach viel besser als Get a Horse!, der sich im Mittelteil sehr zieht und daher gern hätte kürzer sein dürfen, und die letzten paar Pixar-Kurzfilme, die einfach nicht so originell sind wie Feast.

Kurzum: Eine flotte, effektive Erzählweise und ein toller, atypischer Look machen Feast zu einem sehenswerten Disney-Cartoon, bei dem ich es nicht erwarten kann, ihn im Vorprogramm Baymax - Riesiges Robowabohu wieder sehen zu dürfen.

Mittwoch, 10. September 2014

James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie


In der öffentlichen Wahrnehmung scheinen drei Bond-Filme der Pierce-Brosnan-Ära Vorrang zu haben: Der allseits beliebte (meiner Ansicht nach überbewertete) Erstling, der mit Denise Richards und der gemeinhin verhasste Jubiläums-Bond mit grausigem Madonna-Titellied. Brosnans zweite Mission als 007 dagegen wird generell eher übersehen. Und um meine Parade an unpopulären Bond-Positionen fortzuführen, verkünde ich liebend gern, dass ich die eher geringe Popularität von Der Morgen stirbt nie nicht nachvollziehen kann.

Aufgrund der selbst für einen Bond-Streifen recht unkonzentrierten Erzählweise macht sich zugegebenermaßen spürbar, dass Autor Bruce Feirstein ursprünglich ein Skript ablieferte, das von der bevorstehenden Übergabe Hongkongs an China handelte, Regisseur Roger Spottiswoode daraufhin die Story jedoch hastig überarbeiten ließ. Der Stop! Oder meine Mami schießt!-Filmer befürchtete nämlich, dass diese politische Entwicklung bereits aus den Schlagzeilen verschwunden sei, bis die Produktion abgeschlossen ist. Spottiswoode lag richtig, und verlieh seiner Regiearbeit mit der neuen Story eines machthungrigen Medienmoguls einen zeitloseren Aufhänger – auch wenn er sich nicht mit all zu großer Kohärenz durch den Film zieht.

Wenn aber der von Jonathan Pryce mit glühender Spielfreude verkörperte Elliot Carver die Szene betritt, komm ich als Zuschauer kaum aus dem Grinsen heraus. Und das heutzutage mehr denn je, schließlich tritt der Schauspieler, der Jahre später Elizabeth Swanns Vater in Fluch der Karibik zum Leben erweckte, stets in hoch geschlossener, eng anliegender schwarzer Kleidung auf und trägt eine runde Nickelbrille. Steve Jobs lässt grüßen. Ebenso sehr schwingt in Carvers Reden aber auch ein großer Rupert-Murdoch-Vibe mit, sowie der Singsang von Stanley Tuccis urkomischer Rolle in Transformers: Ära des Untergangs. Somit hat Pryces Performance rückblickend einen noch viel größeren Spaßfaktor als wohl damals. Aber auch ohne die jüngeren Assoziationen zählt Carver zu meinen liebsten Bond-Schurken: Seine selbstverliebten Monologe sind mit spitzer Feder geschrieben und mit kindischem Eifer vorgetragen, darüber hinaus ist die Idee eines weltweit agierenden Medienmoguls, der Unglücke provoziert um als erster darüber berichten zu können, in ihrem Irrsinn einfach wundervoll bondmäßig ohne in der 007-Reihe abgenutzt zu sein.

Des Weiteren gelingt Pryce, Spottiswoode und Feirstein mit diesem Oberschurken ein Spagat, der meiner Ansicht das Geheimrezept für einen großartigen Bond-Widersacher darstellt: Sein Auftreten ist ikonisch, sein übertrieben ehrgeiziger Plan hat genügend realistische Zwischentöne, um die Figur bedrohlich zu machen und gleichzeitig ist Carver mit seinen gewitzten Sprüchen sehr, sehr komisch. Auch seine Handlanger schlagen in diese Kerbe: Götz Otto als blonder Hüne ist zwar auf dem Papier austauschbar, aber seine körperliche Präsenz und sein komödiantisches Timing lassen ihn dann eben doch aus der langen Reihe aus Bond-Film-Handlangern herausragen. Und Vincent Schiavelli ist als theatralischer Auftragskiller mit dickem Akzent einfach nur Gold wert.

Die Actionszenen in Der Morgen stirbt nie derweil haben zwar nahezu immer eine dermaßen lange Laufzeit und sind fast ausnahmslos so eigenständig geschrieben, dass sie die eigentliche Handlung energisch in den Hintergrund drängen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Action jemals ermüdet. Dafür sind die Sequenzen viel zu energetisch, einfallsreich und für sich genommen auch spannend genug. Höhepunkt des Films ist Bonds ausführliche Verfolgungsjagd quer durch ein Hamburger Parkhaus, während der er vom Rücksitz aus via Fernbedienung allerlei immer kurioser werdende Gadgets ausprobiert. Dank einer Prise Selbstironie (man achte auf Brosnans strahlendes Gesicht, wann immer Bond neue Funktionen an seinem BMW entdeckt) kann sich diese Sequenz ihre Verrücktheit erlauben, ohne in zu lachhafte Bereiche abzudriften.

Fast genauso gelungen ist die sich immer weiter steigernde, von Kameramann Robert Elswit mitreißend eingefangene Motorradverfolgung durch Saigon, die mit guten Stunts, flotten Sprüchen und einer feschen Dosis Slapstick aufwartet. Michelle Yeoh und Brosnan ergänzen sich in dieser Sequenz sehr gut und auch sonst zählt Yeoh zu den sympathischeren unter den kämpferischen Bondgirls. Teri Hatcher wiederum strahlt zwar viel Glamour aus und trägt ihre Rolle der früheren Bond-Gespielin, die nun mit seinem Rivalen verbändelt ist, mit so viel Würde, wie man so eine Rolle halt tragen kann, jedoch treibt ihre Figur die Handlung kaum voran, so dass ihre wenigen Filmminuten dennoch wie Ballast wirken (wenngleich ganz ansehnlicher).

Judi Dench unterdessen scheint sich in ihrer Rolle der M noch wohler zu fühlen als zuletzt, Desmond Llewelyns Q hat sich nunmehr ganz auf Brosnans Interpretation von Bond eingeschossen und David Arnolds Score ist zwar einseitig, aber extrem effektiv. Traurig nur, dass die stylische Titelsequenz von einem enervierend-öden Popsong untermalt wird.

Alles in allem ist Der Morgen stirbt nie  aber ein sehr spaßiger Agentenknaller mit herrlich übertriebenen Seitenhieben auf ausufernde Medienkonzerne und launigen Actionszenen. Viel unterhaltsamer als GoldenEye, wenn ihr mich fragt!

Montag, 8. September 2014

Übernimmt ein neuer Komponist das Piraten-Steuerrad?


Ganz langsam füllen sich die Segel von Pirates of the Caribbean 5 wieder mit Wind. Die Regiearbeit von Joachim Rønning und Espen Sandberg hat einen neuen Starttermin (in Deutschland: 6. Juli 2017) und es verdichten sich die Meldungen, dass ein nicht unerheblicher Teil des Films in Australien gedreht wird. Eine für mich als großer Fan der Pirates-Musik besonders wichtige Frage blieb dagegen bislang ungeklärt: Wer komponiert die musikalische Untermalung des angeblich Pirates of the Caribbean – Dead Men Tell No Tales betitelten Abenteuers?

Intuitiv würde die erste Antwort auf diese Frage wohl Hans Zimmer lauten, entwickelte er doch viele der Leitthemen aus Fluch der Karibik und war der Hauptverantwortliche für den Score der bisherigen drei Fortsetzungen. Allerdings äußerte sich Zimmer sehr selbstkritisch mit seiner Arbeit an Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten. Außerdem bemängelte unter anderem, dass Studiovertreter ihm ein zu hohes Maß an Reprisen alter Stücke vorgeschrieben hätten und ihm obendrein eh die Piratenideen ausgegangen seien. Daher meinte er, nie wieder für einen Pirates of the Caribbean-Film schreiben zu wollen.

Nun, wenn Jack Sparrow künftig wirklich auf Zimmer verzichten muss, so scheint immerhin der bestmögliche Ersatz gefunden. Möglicherweise. Die Experten von Film Music Reporter berichten in einem nunmehr leider gelöschten (und daher nur im Cache abrufbaren) Artikel, dass Geoff Zanelli als Komponist für das neuste Disney/Bruckheimer-Piratenspektakel angeheuert wurde. Sofern die Meldung offline genommen wurde, weil einer der Filmverantwortlichen diese frühe News unterbinden wollte (und nicht, weil es schlicht eine Ente war), ist dies eine wahrlich frohe Kunde. Denn unter Zimmers Leitung trug Zanelli bereits zu den ersten vier Filmen der Reihe bei und kann somit auf massig Erfahrung in der Welt der Seeräubermusik zurückblicken. Und nicht nur diese Quantität spricht für ihn, sondern auch die Qualität seiner Beiträge zur PotC-Musik:

So verfasste er unter anderem das Leitthema für die Spanier sowie die Briten in Fremde Gezeiten, den Track Entering the Bath House und die meisten der Calypso-Stücke in Am Ende der Welt sowie die Erkennungsmusik der Kannibalen in Die Truhe des Todes. Darüber hinaus arrangierte er ausgewählte Stücke Zimmers für einzelne kurze Szenen in den Pirates-Fortsetzungen um (etwa formte er aus Hoist the Colors die Eröffnungsmelodie der Schiffbruch-Bay-Szene). Für Fluch der Karibik war er unter Badelts Führung für die Vollendung der Skelettpiratenmusik zuständig sowie für das legendäre Umarrangement von Hans Zimmers Komposition He's a Pirate, das im Abspann des Originals zu hören ist.

Zuletzt machte Zanelli durch seine Kooperation mit Zimmer an der Musik zum Actionfinale von Lone Ranger auf sich aufmerksam, wobei Zanelli ein Gros der Pflichten übernahm, die Guillaume-Tell-Ouvertüre neu zu arrangieren. Zanelli arbeitete zudem an Rango mit und stemmte die meisten der E-Gitarren-Parts in Klaus Badelts kultigem Equilibrium-Score. Als hauptverantwortlicher Komponist erntete Zanelli darüber hinaus 2012 Oscar-Buzz für das Disney-Komödiendrama Das wundersame Leben von Timothy Green, 2006 heimste er bereits einen Emmy für die Musik der Miniserie Into the West ein.

Kurzum: Ich glaube, das musikalische Schicksal der Black Pearl ist in guten Händen!

Mittwoch, 3. September 2014

Der Weg des Filmliebhabers


  1. Du beginnst als Kind, das oft Filme guckt. Manche von ihnen am laufenden Band. Einfach alles, was du guckst, findest du "supi!"
  2. Du wirst älter und schaust mehr Filme, die dafür nicht mehr ganz so oft. Du lernst zu unterscheiden zwischen Filmen, die du "supi" und "nicht so doll" findest.
  3. Mit wachsenden Filmerfahrungen lernst du, aus der dualen Bewertungsskala eine dreistufige Benotungsform zu entwickeln: "Kacke", "geht so" und "gut".
  4. Mehr und mehr lernst du, dass auch diese drei Schubladen nicht ausreichen.
  5. Je breiter du die Auswahl deiner Filme fächerst und je mehr Werke du dir anschaust, stößt du nach und nach auf unkonventionelle Produktionen. Die findest du erstmal "komisch" und lehnst sie ab, weil sie "irgendwie bescheuert sind".
  6. Aufgrund dessen, dass du immer mehr gute Filme entdeckst, ärgerst du dich mittlerweile über mittelmäßige Filme, da sie nichtssagend und reine Zeitverschwendung sind.
  7. Du lernst außergewöhnliche Filme zu schätzen, da viele von ihnen bahnbrechend oder zumindest ambitioniert sind. Und selbst die weniger gelungenen Regiearbeiten achtest du, wenn sie wenigstens unkonventionell sind. "Immerhin traut sich der Streifen was!"
  8. Nach und nach tauchst du auch in die qualitativen Untiefen der Filmkunst ab, so dass du dich plötzlich über mittelmäßige Filme freust, ihnen ein gewisses Maß an Respekt zugestehst: "Wenigstens war der Film nicht bescheuert, langweilig, dilettantisch und mies!"
  9. Je mehr mittelmäßigen Filmen du einen Freipass gibst, desto mehr erkennst du, dass du mittelmäßige Filme eben doch unbedeutend findest. Kurzum: Punkt 6 wiederholt sich.
  10. Punkt 8 und 9 wiederholen sich ebenfalls. Im ständigen Wechsel. Alternativ: Du suchst dir deine Nische. Oder du wirst so jemand wie Quentin Tarantino, der in einfach jeder Filmgattung irgendwas gut findet und anderes mies findet.

Dienstag, 2. September 2014

Alestorm: Sunset on the Golden Age


Die Erfinder (und meines Wissens nach bislang einzigen Genrevertreter) des True Scottish Pirate Metal haben sich seit ihrer Gründung beachtlich gemausert. Auf ihrem Debütalbum Captain Morgan's Revenge gab es noch ein, nennen wir es Mal, bescheidenes Keyboard zu hören, das mehr oder minder ungewollt Erinnerungen an 16bit-Musik weckte. Dieses starke Album schlug jedoch ein wie eine Bombe: Dank einer ausgewogenen Mischung aus epochalen Stücken, die aus einer Piraten-Metaloper stammen könnten, einerseits und festivaltauglichen Mitgröhlnummern andererseits wurde die Truppe trotz allerhand Besetzungswechselspielchen zu einem der bedeutendsten Senkrechtstarter jüngeren Metalgeschichte. Zwei Studioalben kamen seither zustande sowie eine Live-CD inklusive Konzertmitschnitt auf DVD. Wenn auf dem nunmehr vierten Studioalbum piepsende Klänge im Stile eines angestaubten Nintendo- oder Sega-Games ertönen, dann ist das volle künstlerische Absicht und wird alsbald mit kristallklarem, dennoch knallharten Metal-Sound kontrastiert.

Dafür, dass Zweifler schon nach Veröffentlichung der ersten Scheibe gelästert haben, dass sich das Piraten-Gimmick schnell abnutzen und Alestorm das Material ausgehen wird, haben sich Christopher Bowes und seine Band also verflixt gut gehalten. Und dies betrifft nicht nur den Erfolg dieser Trunkenbolde oder ihre besser werdende Ausstattung, sondern vor allem auch ihre Lieder:

Obwohl der Albentitel und der abschließende Track das Ende einer goldenen Ära beschreien klingt Alestorm beim vierten Törn so frisch wie beim ersten Mal. Womöglich auch, weil Sunset on the Golden Age einen faszinierenden Spagat vollführt: Einerseits ist das Album in seiner Gesamtheit betrachtet zugänglicher (um die stigmatisierte Bezeichnung „kommerzieller“ zu vermeiden), da es eine hellere Klangfarbe und mehr melodiöse Einlagen bietet als die vergangenen zwei Alben. Andererseits ist es stringenter, kantiger: Es gibt mehr Growling denn je in der Alestorm-Geschichte, generell ist Bowes' Stimme kratziger geworden und auch wenn das Album eine (aus narrativer Sicht) wirre Ansammlung aus Seemannsgarn, Meta-Songs, reinen Spaßnummern und alestorm'scher Geschichtsrevision darstellt, so ist es von der Attitüde her ganz klar aus einem Guss. Alestorm entwickelte über die Jahre einen ganz eigenen, wiedererkennbaren Stil – und hat sich so mit Tatkraft das Recht erarbeitet, Album Nummero vier mit einer Schiffsladung von Querverweisen auf das bisherige bier- und rumgetränkte Werk der Metalkombo zu bestücken.

Bereits der Opener Walk the Plank klingt mit seiner einleitenden Fanfare, gefolgt von raschen, hellen Gitarrenriffs und dunklem, aggressivem Piratengesang, wie eine Fortsetzung von Over the Seas, dem Eröffnungssong des Alestorm-Debütalbums. Ein direkter Vergleich beider Songs zeigt auf, wie sich die Schotten entwickelt haben: Die Melodieführung ist bei Walk the Plank verspielter, durch das Arrangement und Bowes' raue Lyrics wirkt der neue Song dennoch komplexer und (im besten Sinne) schwerer als Over the Seas. Beiden Liedern ist aber gemein, dass sie kompakte, gewaltige Piratenhymnen mit der nötigen Power sind, ohne die Epik eines Langtracks aufzuweisen.

Mit Drink folgt sogleich der große Partytrack des Albums, der mit seinem eingängigen, mitschreibaren Refrain gewiss ein langes Leben auf Konzerten und Festivals haben wird: Rasante Strophen über die Faszination Alkohol, gemixt mit einem energetischen Refrain der schon auf dem Album dank starken Echos so klingt, als würden Hunderte Raufbolde zum Mitsaufen auffordern. Wie geil muss die Nummer erst auf einem Festival sein? Dafür bietet die Ruhe der eigenen vier Wände beim Sologenuss des Songs mehr Raum, um die zweite Strophe auszukosten, die sich aus einer Flut an Alestorm-Songtiteln zusammensetzt.

Magnetic North setzt das hohe, abwechslungsreiche Niveau des Albums fort: In mittelhohem Tempo erzeugt dieses Folk-Metal-Meisterstück eisig-kalte Freibeuter-Abenteuerstimmung. Das Arrangement des Tracks dürfte zu den besten in der gesamten Alestorm-Historie zählen: Er beginnt mit nodrisch-folkloristischen Klängen, steigert sich dann in strikte, vorwärtstreibende Piraten-Metalhärte und bricht ungefähr in der Mitte urplötzlich in deftige Deathmetal-Bereiche ab. Ich bin nicht der größte Growling-Freund, doch es hat seinen Platz im Metal – etwa genau hier. Es passt ideal in die Dramaturgie des Songs und gewinnt an Kraft durch den Bass-Zusammenbruch, der den Übergang zwischen klassischem Alestorm-Sound und dieser kampfeslüsternen Einlage markiert. Auf einer guten Anlage macht dieser Part ungeheuerlich gute Laune!

Etwas schwerfälliger, aufgrund der gut ineinander übergehenden Stilwechsel jedoch nahezu genauso faszinierend ist 1741 (The Battle of Cartagena). Dieser Korsaren-Kampfgesang beginnt mit der obig erwähnten 16bit-Musikpassage, ehe fetzende Drums und ein kantiger Bass auf Synthie-Akkordeons treffen und so die in Rum getränkte Swashbuckler-Antwort auf Manowars Kriegshymnen formieren. Anders als vergleichbare, storygestützte Alestorm-Nummern ist diese ein wenig bemüht, da hier wohl die Idee und die Lust aufs Experimentieren im Vordergrund stehen und nicht so sehr der pure Spaß am Sound. Aber die zielstrebigen Instrumentalparts sind so verdammt cool, dass sie den Siebenminüter erfolgreich aufpolieren.

Mead From Hell ist eine spaßige, aber wenig in Erinnerung bleibende Zäsur in diesem Album. Der progressive Refrain und die Instrumentierung des Intros sowie des Outros retten den Track davor, das qualitative Schlusslicht des Albums zu werden.

Mit Surf Squid Warfare gibt es dann eine Fortsetzung des Songs Back Through Time zu hören. Nachdem die singende Piratencrew in letztgenanntem Stück in die Vergangenheit reiste, um die Weltgeschichte von der Wikingerplage zu befreien, geht es nun in die Zukunft, um die Erde vor (außerirdischen?) Zombie-Killertintenfischen zu schützen. Oder geht es der Mannschaft nur darum, ihre Blutlust zu stillen? So oder so gibt es herrlich bescheuerte Lyrics, gekleidet in ein brutal-exzentrisches Powermetalgewand mit leichter Thrash-Note. Wie war das noch mal mit Zugänglichkeit?

Mit Quest for Ships nähert sich Alestorm dann der nie gestellten Frage: Was macht ein Pirat, dem die anzugreifenden Schiffe ausgehen? Humorvolle, durchaus pfiffige Texte und eine solide Alestorm-Klangtapete mittlerer Härte platzieren dieses Lied im Mittelfeld des Albums.

Wooden Leg bettelt im Anschluss danach, Moshpits auszulösen. Mir ist dieser Versuch, Piraten-Punkmetal einzuführen, aber trotz witziger Zeilen zu dissonant, zu abgehackt. Schwächstes Stück auf dem Album, ganz klar.

Der nächste Track, Hangover, dürfte dann der Albtraum all jener sein, die ihren Metalbands verbieten, Musik völlig anderer Musikrichtungen ins Auge zu fassen. Denn dieser Song ist ein Cover von Taio Cruz' Dancefloorkracher aus dem Jahr 2011, womit sich Alestorm in manchen Ecken des Metal-Fandoms unbeliebt machen sollte. Auf der anderen Seite: Wer so tickt, hat die Band bestimmt schon nach ihren LazyTown-, Sesamstraße- und Village People-Covern auf die schwarze Liste gesetzt, wen also soll es schon jucken? Jedenfalls: Das Cover ist dank eines spritzig-rockigen Arrangements und des augenzwinkernd-übertrieben-piratigen Gesangs viel, viel besser als das austauschbare Original. Und allein schon die in eine Bridge gepresste Begründung, wieso dieses Lied zu Alestorm passt (Zitat des lyrischen Ichs: „I'm ona a ship if you don't know!“) macht es denkwürdig!

Der Titeltrack Sunset on the Golden Age verabschiedet den Zuhörer dann nochmal auf einem Hoch: Mit über elf Minuten und vereinzelten inhaltlichen Rückgriffen ist diese konzeptuelle Metaloper ein Nachfolger von Death Throes of the Terror Squid und zudem eine gepfefferte Antwort an jeden, der glaubt, Alestorm nehme seine Musik nicht ernst. Denn auch wenn die Band über ein gesundes Maß an Humor verfügt (siehe die Beschreibung diverser Tracks in dieser Review), so beherrscht Alestorm sehr wohl die Kunst mitreißend orchestrierter Piraten-Metalmären. Kämpferisch, nostalgisch und voller Abenteuerromantik schließt der Titeltrack ein Kapitel – oder öffnet das nächste.


Nach mehrmaligem Anhören bin ich versucht, Sunset on the Golden Age zum besten Alestorm-Album zu küren – auch wenn es sich natürlich noch über Dauer beweisen muss. Auf jeden Fall wird die Scheibe noch lange in meiner Playlist verweilen und ich kann nur hoffen, dass das nächste Album der alesaufenden Seeräuber möglichst bald dort weitermacht, wo dieses aufhört!