Der italienische Disney-Starzeichner
Giorgio Cavazzano prägte das Aussehen zahlreicher denkwürdiger
Comicfiguren. So formte er das Antlitz des mäßig begabten
Detektiven Hubert Bogart oder des Außerirdischen Quacky vom Planeten
Ducky, dessen Raumschiff verlorenging und dummerweise zuletzt die
Gestalt eines Kreuzers annahm und daher schwer aufzufinden ist. Zudem
zeichnete er den bis heute kontrovers diskutierten Mehrteiler Die
Drachenritter. Und dann wären da noch zwei der
atypischsten Schöpfungen des erweiterten Disney-Comicuniversums: Die
Detectives Adam und Rollo.
Noch nie von ihnen gehört? Dies könnte
daran liegen, dass sie nicht in Entenhausen zuhause sind. Oder
überhaupt im klassischen Disney-Gefilde. Sie leben in der Stadt
Jungle Town, die interessierten Lesern einmalig in einer Graphic
Novel von Cavazzano und Texter Tito Faraci vorgestellt wurde. Dieses
einmalige Comicalbum wurde in Italien vom kaum genutzten
Disney-Sublabel Buena Vista Lab
veröffentlicht,
in Deutschland brachte die Ehapa Comic Collection die Geschichte auf
den Markt. Den Disney-Schriftzug sucht der geneigte Comicfreund im
Jungle Town-Band vergeblich, doch im Impressum
steht es ganz unauffällig: Copyright Disney Enterprises. Sprechen
wir hier von einer Comicgeschichte, die unter dem Disney-Markennamen
läuft, damit aber nicht prahlt – ähnlich wie der erste Fluch
der Karibik-Film? Oder sprechen wir hier eher von einer
Situation, in welcher zwar der Disney-Konzern das Projekt
verwirklichte, aber seinen Markennamen am liebsten ganz vertuschen
würde – wie bei den Touchstone-Pictures-Filmen?
Die Grenzen sind beim Comic Jungle
Town schwammig, ebenso wie die Klassengrenzen in der
farbenprächtigen, doch abgründigen Stadt, von der die zwei
Disney-Comickünstler in ihm erzählen. Die Metropole wird (wie auch
Entenhausen) von anthropomorphen Tieren verschiedenster Arten bewohnt
– im Gegensatz zu den Entenhausenern sind sich die Bewohner von
Jungle Town ihrer Diversität aber bewusst. Die meisten Einwohner von
Jungle Town sind Nachkommen der Hunde, die dieses Gebiet vor vielen
Jahrhunderten erstmals besiedelten. Darüber hinaus leben aber auch
unterschiedlichste Vögel in der Großstadt, ebenso wie Nashörner,
Schweine, Katzen und, und, und … Zwischen Hunden und Katzen kam es
vor wenigen Jahrzehnten zu großen Rassenunruhen, die zumindest auf
dem großen politischen Parkett überwunden wurden. Hunde und Katzen
arbeiten in allen nur denkbaren Berufen, besuchen die gleichen
Schulen und artübergreifende Ehen sind zwar selten, aber legal und
toleriert. Und dennoch ist der Schmelztiegel Jungle Town kein
Paradies, insbesondere nicht für Ratten – nur wenige der Nager
haben es bis in die höheren Kreise der Gesellschaft gebracht, die
meisten leben noch immer in Armut und werden von den wohlhabendsten
Bürgern verachtet.
Als eines Morgens zwei Katzen auf einem
noblen Golfplatz die Leiche einer Ratte vorfinden, schickt die
Polizei von Jungle Town ihre zwei besten Schnüffler los – Adam
und Rollo, die beide hinter diesem Mord eine Provokation wittern und
daher recht rüde die Medien abzuschütteln versuchen, die sich auf
den Vorfall stürzen. Der Vorgesetzte des Duos ist mit dem
Fernsehauftritt seiner Männer ausgesprochen unglücklich und
fürchtet, dass sie die Lage nur verschlimmert haben. Schließlich
kochen die Differenzen zwischen den Arten unter der Oberfläche seit
Jahren weiter hoch – und nun könnte alles explodieren. Zur Strafe
nimmt der Polizeichef Adam und Rollo den Fall jedoch nicht weg,
sondern verdonnert sie dazu, ihren Job schnell und ohne weiteres
Aufsehen zu erregen zu Ende zu bringen.
Das eingespielte Team Cavazzano/Faraci
schalten zwischen Adams und Rollos Ermittlungen einen zweiten
Handlungsfaden, der dem Leser Adams Familie und somit den Alltag der
Bevölkerung Jungle Towns näher bringt. So wird Adams als Friseurin
arbeitende Katzen-Frau Marla von ihren Kundinnen voller Neugierde
gefragt, wie glücklich eine Mischehe sein kann. Derweil nerven sich
Adams und Marlas Kinder gegenseitig: Die jüngere Tochter fliegt auf
einen Freund und Bandkollegen ihres Bruders, was das Geschwisterduo
zu allerlei Wortgefechten anstiftet.
Analog zu manchen TV-Krimiserien legt
Jungle Town seinen Fokus zu gleichen Teilen auf
den Kriminalfall und das Privatleben seiner Figuren – diese Graphic
Novel möchte kein in bunten, strahlenden Farben kolorierter und in
klaren Konturen gezeichneter „Whodunnit“ sein, sondern die
Gesellschaftsstudie eines fiktiven Ortes. Dessen soziologische und
kulturelle Konstellation ist selbstredend voller Parallelen zur
Realität. Bissige Zungen würden Jungle Town
womöglich vorwerfen, mit den Beziehungen zwischen den Tierarten eine
leicht zu durchschauende Analogie auf Integrationsdebatten zu wählen.
Jedoch ist die künstlerische und intellektuelle Leistung dieses
Bandes nicht, ein cleveres Rätsel zu entwerfen. Jungle
Town will nicht mühevoll entschlüsselt werden, sondern
geht den Weg eines guten Fernsehkrimis und nennt die Probleme bei
ihrem Namen – niemand muss bei einem gelungenen Tatort
(und ja, die gibt es ab und zu!) über die Stigmatisierung von
Migranten grübeln, was wohl gemeint sein könnte.
Die Intention von Jungle Town ist es, für jeden halbwegs aufgeweckten Comicleser auf einem etwas farbenfroheren, verspielten Wege exakt das zu leisten, was eine im Kriminalgenre verortete Reflexion über Standesgrenzen, Vorurteile und Migration beabsichtigt: Diese Mixtur aus Spannungsstück und Gesellschaftsdrama stellt Fragen darüber, wie weit wir als Gesellschaft in Toleranzdiskursen gekommen sind. Und diesbezüglich ist Jungle Town deutlich cleverer als es auf dem ersten Blick scheint. Die Dialoge sind mit flotter Feder geschrieben und leicht verdaulich, hallen allerdings lange nach, da sie genau den richtigen Nerv treffen. Und auch wenn nur Adam und seine Familie charakterlich genauer ins Auge genommen werden, gelingt es Cavazzano und Faraci innerhalb weniger Seiten, eine denkwürdige Fabelwelt zu erschaffen – es ist echt bedauerlich, dass es nur diese eine Jungle Town-Story gibt.
Visuell ähnelt der Band durchaus Paperinik New Adventures, als dass er eine ungewöhnliche, aber intuitive Ehe aus dem graphischen, schmucken Look moderner, italienischer Disney-Comics und der Dynamik großer US-Superheldencomics eingeht. Dass die Sprache des Comics zuweilen etwas aggressiv verdeutlicht, dass wir uns hier nicht in Entenhausen befinden, aber noch immer in einer Welt, die sich nicht alle Vulgaritäten erlauben will, ist zwar etwas irritierend – dafür sind die Gewaltspitzen und Andeutungen von Sexualität gekonnt eingearbeitet und verkommen nie zum Selbstzweck. Die Auflösung des Mordfalls wiederum geschieht zwar so rasch, dass es bei aller Simplizität dennoch verwirrend gerät, dafür macht das unforcierte, brillante Schlusspanel einiges wieder wett.
Jedem Fan italienischer Comickünstler
generell und Cavazzano/Faraci im Speziellen sei Jungle
Town nur ans Herz gelegt. Ebenso wie jedem
Disney-Comicliebhaber, der sich nach unkonventionellem Material
sehnt, das aber dennoch einen leichten, angenehmen
Disney-Beigeschmack hat.
4 Kommentare:
Vielen Dank für das fantastische Review!!
Sodala dank deines Reviews hab ich mir das Comic jetzt bei Ebay ersteigert (für harte 2,50 € incl. Versand ;-)
Wenn Du noch weitere solche Comicperlen kennst, lass mich es wissen :-)
Lg
Corny
Schon gelesen? Wie hat der Comic dir gefallen?
Nein, leider noch nicht :-(
Hab das Heft erst gestern gekauft und es ist noch auf dem Postweg.
Aber ich mag ja eh total den italienischen Disney Style - so wie bei "Monster Allergy" von Dani Books oder dem fantastischen Phantomias PK!
Doch Jungle Town ist mir tatsächlich bisher irgendwie komplett durch die Sammlerhände geflutscht und ist somit eine echte & tolle Entdeckung für mich :-)
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