Nun lässt es sich halbwegs logisch erklären, weshalb es einfacher ist, Feinde eines bombastischen Blockbusters zu finden, als Gegner eines mittelgroßen Erfolgs wie Die Unfassbaren: Schon allein die simple Tatsache, dass mehr Menschen Avatar gesehen haben, erhöht die Möglichkeit, mehr Kinogänger zu finden, die eine negative Meinung über den Film haben. Genauso ließe sich mutmaßen, dass eine wenig besuchte Produktion demnach vergleichsweise sicher sein sollte, keine lautstarken, von vielen Filmfreunden wiederholten Hassparolen erdulden zu müssen. Denn wenn ja kaum jemand das Projekt gesehen hat, können auch längst nicht so viele Personen lästern ... Aber weit gefehlt. Wenn eine Hollywood-Produktion über ein hohes Budget verfügt und dann an den Kinokassen scheitert, herrscht nur selten eine überwältigende Gleichgültigkeit vor. Stattdessen herrschen Schadenfreude und Gehässigkeit vor. Und es werden verdächtig viele Stimmen laut, die dem Film seinen Misserfolg gönnen – so dass sich teilweise die Frage stellt, wo auf einmal die zahlreichen Besucher herkommen, wenn das Projekt doch eigentlich gefloppt ist.
Und so entwickeln sich fast schon in schöner Regelmäßigkeit aufwändige Produktionen zur Punchline der Filmbranche und diskussionsfreudiger Kinofreunde. Infolgedessen bleiben einige Flops länger im Gespräch als so manches gewinnbringende Werk. Immer und immer wieder werden Werke wie John Carter, Lone Ranger, Ishtar, Howard – Ein tierischer Held oder Die Abenteuer von Pluto Nash ans Tageslicht gezerrt und zum Prügelknaben gemacht. Manche dieser Flops haben sich ihre Häme redlich verdient, andere sind Opfer eines Teufelskreises aus mieser PR, ungerechten Kritiken und voreingenommenen Betrachtungsweisen. So mancher Flop konnte sich über die Jahre zum Kultfilm verwandeln oder gar zum großen Klassiker (man denke etwa an Fantasia), doch was ist mit diesen vielfach geschundenen Streifen, die nicht ganz das Zeug zum später wiederentdeckten Filmjuwel haben, es aber vollauf verdient hätten, schlicht als ansprechender, kurzweiliger Bombast angesehen zu werden?
Lasst uns einen Blick auf den letzten aufwändig produzierten Piratenfilm werfen, der ohne Johnny Depp auskam und staunen, wie viel Spaß er trotz mancher Mängel macht.
Meine Damen und Herren, ich erbitte mir mehr Respekt für …
Die Piratenbraut
Der 1995 in den USA gestartete Abenteuerfilm mit Geena Davis in der Hauptrolle ist ein Misserfolg, wie er im Buche steht. Bei einem Budget von 98 Millionen Dollar spülte er weltweit weniger als elf Millionen in die Kassen, woraufhin das verantwortliche Studio Carolco Pictures (unter anderem Heimat der ersten drei Rambo-Filme) Konkurs anmelden musste. Hauptdarstellerin Davis und Piratenbraut-Regisseur, ihr Ehemann Renny Harlin (Stirb langsam 2), gerieten aufgrund dieses Films und ihrer nächsten Zusammenarbeit (Tödliche Weihnachten) in einen so großen Krach, dass sie sich scheiden ließen. Und zudem sorgte dieser Flop dafür, dass Filmstudios das Genre des Piratenfilms als sicheres Kassengift erachteten. Erst mit Fluch der Karibik startete 2003 wieder ein großer Realfilm über Seeräuber. Dieser wurde bekanntlich zu einem gigantischen Hit, aber so ganz sind die Rum saufenden Schurken der sieben Meere ihren Ruf nicht los geworden: Abseits der Disney-/Bruckheimer-Reihe gibt es weiterhin keine nennenswerten Realfilm-Piratenabenteuer ...
Selbstredend kann ich nur mutmaßen, was passieren würde, käme Die Piratenbraut erst heutzutage in die Kinos. Jedoch erscheint es mir angesichts der Launenhaftigkeit dieses visuell aufwändigen, nicht all zu geistreichen Films glaubwürdig, dass er zu einem soliden Sommerhit aufsteigen würde. Zu einer Art "Fluch der Karibik light", ähnlich, wie auch die Vermächtnis-Filme mit Nicolas Cage den Hunger der nach spaßigen Abenteuerfilmen gierenden Kinogänger stillten. Aber im Jahr 1995? Damals brauchte es keine süffig-unterhaltsamen Abenteuerfilme, um zwischen all den zappendusteren, explosiven Giga-Blockbustern etwas Abwechslung in Sachen Popcorn-Unterhaltung zu haben. Mit Ace Ventura, Goldeneye (Bonds Rückkehr ins leichtfüßige Fach), Jumanji, Batman Forever und Casper waren einige der größten Hits des Jahres bereits flott, leicht verdaulich und launig. Doch anders als Die Piratenbraut spielten sie in der Gegenwart, so wie die meisten Hits dieser Dekade. Erst dank der Fantasywelten von Harry Potter, Herr der Ringe oder nunmal Fluch der Karibik wurden die Zuschauer wieder für andere Zeiten gewonnen, wovon Die Piratenbraut als Film der 2010er-Jahre gewiss profitieren würde.
Aber gut. Die Piratenbraut kam bekanntlich 1995 heraus und legte eine denkwürdige Bauchlandung hin. Und eben dieser Misserfolg scheint nahezu die einzige Raison d'être in der Filmgeschichte zu sein, die dieses Projekt aufweisen kann. Denn unter den geschundenen Riesenflops ist Die Piratenbraut eines der Werke, die kaum inhaltlich besprochen werden. Dabei ist Renny Harlins Swashbuckler dank interessanter Schwächen und liebenswerter Stärken wahrlich aufregend genug, um auch abseits dieses wirtschaftlichen Aspekts besprochen zu werden!
Das stärkste Element dieses Piratenspaßes ist die Instrumentalmusik von John Debney, der sich in späteren Jahren unter anderem durch Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast, Ein Königreich für ein Lama, Die Passion Christi und Iron Man 2 einen Namen gemacht hat. Die bombastischen, kraftvollen Melodien aus der Pirates of the Caribbean-Saga sind für mich zwar unschlagbar, dennoch lässt sich Debneys Score nicht genug loben, weil er in der Welt der filmischen Piratenmusik die ideale Brücke zwischen den klassischen Hollywood-Swashbucklern und der Disney-/Bruckheimer-Reihe schlägt. Lauter, stärker und wilder als das, was in den urigen Piratenfilmen zu hören war, aber konventioneller, harmonischer und fideler als Hans Zimmers durch rockig-moderne Einflüsse eingefärbte PotC-Musik. Die Stücke gehen ins Ohr, wecken Abenteuerlust und Sehnsucht nach einem Karibikurlaub. Aber auch abseits der subtil zahlreiche Leitthemen aufbauenden und dann komplex verwebenden Musik Debneys, die sich vor allem auf Holzblasinstrumente, enorme Percussionarbeit und einen heroischen Chor verlässt, ist Die Piratenbraut besser als man erwarten mag.
Da wären etwa die weitwinkligen Kulissen von Mindy Marin, Norman Garwood, Roger Cain, Keith Pain und Maggie Gray, die vor allem aus heutiger Sicht eine Augenweide sind. Heute würden solche Sets nur mit ausführlicher digitaler Hilfe erstellt, aber in diesen Kulissen könnte man sich glatt verlaufen. Vor allem die Tavernen sind mit ihrem Detailreichtum und einem leichten Grad von Stilisierung sehenswert. Die Kostüme wiederum sind (erst recht jetzt, nachdem Filme wie Fluch der Karibik oder zahlreiche gelungene Superheldenfilme eine neue Ära des fantastischen Realismus einläuteten) eine komplizierte Sache: Einerseits sind sie prunkvoll und abwechslungsreich. Andererseits sehen sie ungeheuerlich künstlich aus. Die Piratenbraut fällt nämlich genau zwischen den Ästhetiken großer Swashbuckler-Klassiker und modernem Kostümbombast wie in Fluch der Karibik zu bestaunen: Die Kameratechnik und die Farbwelt dieses 1995 veröffentlichten Flops sind modern genug, um den altmodisch-theatralen Charme der Ära von Douglas Fairbanks und Errol Flynn hinter sich zu lassen. Gleichwohl ist noch nicht der Aufwand eines Fluch der Karibik oder Herr der Ringe erreicht. In diesen Filmen sind die Figuren schmutzig, verdreckt, verschwitzt. Jack Sparrow ist voller Hautunreinheiten, Verbrennungen und Narben, andere Piratencharaktere haben auffallend vergilbte Augen und die Zähne der PotC-Figuren sind nicht gerade gepflegt. In Die Piratenbraut hingegen sind zwar Leinenhemden, Kapitänsmäntel und allerhand exzentrische Outfits zu sehen, doch all dies sieht aus wie frisch von der Stange. Die Kostümwahl stimmt, doch der Alterungsprozess wurde nicht so intensiv betrieben wie bei den Bruckheimer-Piraten. Man nehme noch das gepflegte Auftreten der Darsteller hinzu (Hauptdarstellerin Geena Davis bekommt irgendwann mal eine kleine Rußschmiererei im Gesicht ab und das war es fast schon) und schon will die Illusion nicht mehr so ganz aufgehen.
Fluch der Karibik breitet vor seinem Publikum ein lebendes, atmendes Paralleluniversum aus. Die Piratenbraut sieht dagegen so aus, als hätte jemand intensiv über Piraten recherchiert ... und dann einen Haufen gut aussehender Schauspieler für ein Hochglanz-Fotoshooting eingekleidet. Geena Davis' Zähne strahlen und ihr Schweiß glänzt gerade so sehr, dass es den Bereich "Karnevalskatalog" verlässt und den Sektor "FHM-Cover für eine Sommerausgabe" penetriert. Oder vielleicht auch die Ecke "Frau in einem Michael-Bay-Film, vor der Finalstunde". Aber "ja, so sehen Piraten nach Tagen auf hoher See aus"? Den Status erreichen Davis und ihre Nebendarsteller nie. Was Die Piratenbraut daran hindert, optisch in allen Belangen herauszuragen, jedoch unfreiwillig den schrillen Charme dieses Films unterstützt. Peinlicher als die künstlichen Kostüme sind da schon die Totalen und Weitaufnahmen auf See, die zwar die Prächtigkeit der für den Dreh genutzten Schiffe einfangen, gleichzeitig aber auch durch das ruhige Wasser vorführen, dass Die Piratenbraut zu weiten Teilen in statischen Gewässern gedreht wurde. Und nicht etwa im Ozean (oder wenigstens in einem Wassertank, bei dem man sich die Mühe machte, Wellen zu erzeugen).
Um auf Geena Davis zurückzukommen: Ja, die Stylisten und die Kostümabteilung haben sie so hergerichtet, dass es wirkt, als sei ihre Figur der kessen Piratenkapitänin Morgan Adams vom Set eines Softcore-Films mit Piratenthematik geflohen (ein Eindruck, der durch ihre Einführungsszene und die überbeleuchtete, leicht verschwommene Optik der ersten halben Filmstunde verstärkt wird). Doch Davis' weiß, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen: Obwohl es unentwegt so aussieht, als würde sie sich gleich ausziehen und mit ihren Welpenaugen ihre Feinde verführen, spielt sie mit kesser Wirkung gegen dieses Auftreten an. Mit verschmitztem Lächeln und schneidigen Sprüchen erschafft sie eine Piratenkapitänin, die sich schlicht dadurch definiert, dass sie gerissen und abenteuerlustig ist. Und nicht dadurch, dass sie eine "Frau in einer Männerdomäne" ist. Da nunmehr Jahr für Jahr das Frauenbild in Blockbustern auseinandergepflückt wird und viele Frauenfiguren als desolat eingeordnet werden müssen, ist es ziemlich erstaunlich, wie selbstverständlich und gelungen die Positionierung dieser Figur geraten ist.
Etwas glatt skizziert ist Morgan Adams zugegebenermaßen schon: Ihr Erzfeind ist immerhin ihr Onkel Dawg Brown, der ihren Vater tödlich verletzte, um an eine Schatzkarte zu gelangen. Statt das Motiv familiärer Rachegelüste in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen, schenken die Drehbuchautoren Robert King und Marc Norman dieser viel Potential aufweisenden Dynamik aber nahezu keine Beachtung. Stattdessen nutzen sie diesen Plotpunkt allein, um eine Schatzsuche in die Wege zu leiten. In deren Rahmen begegnet sie in einer schwer bewachten britischen Kolonie dem Gentleman-Betrüger William Shaw (Matthew Modine), den sie dank seiner Sprachkenntnisse für die Schatzsuche anheuert. Zwischen den beiden Tricksern entwickelt sich eine gewisse Anziehungskraft, wobei diese Lovestory genau das richtige Maß trifft und daher als "humoriger Beigeschmack und Plotmotor" dient, nicht etwa als überbordende Pseudoromanze, die die weibliche Hauptfigur untergräbt.
Shaws Figur ist ähnlich wie Morgan Adams ein unterhaltsamer Archetyp, dem zumindest im Original der letzte Feinschliff fehlt. In der deutschen Synchronfassung wiederum weiß Christian Tramitz dem Betrüger einen zusätzlichen Pfiff zu verleihen, ebenso wie Sabrina Trooger dynamischer ihre Zeilen von sich gibt als Davis, der zuweilen leider die Strapazen anzuhören sind, die die hinter den Kulissen von Zankereien geplagte Produktion mit sich zog. Und wie es halt so öfters bei Vergleichen zwischen Synchro und Original ist: Auch hier gibt es nicht allein auf einer Seite Licht und auf einer Schatten. Frank Langella trägt in der Originalfassung extrem dick auf und belebt somit jede einzelne Szene, in der er zu sehen ist. Sein deutscher Sprecher Michael Mendl hingegen hält sich deutlich stärker zurück, was Langnellas Rolle des manischen Dawg einen Teil seiner Wirkung raubt.
Glücklicherweise funktionieren Actionszenen in jeder Sprache (okay, die Oneliner mal ausgenommen, aber die haben in Die Piratenbraut in der deutschen wie in der englischen Fassung den Witz eines albernen 80er-Actionfilms - und die Autoren sowie Darsteller wissen es!), und in dieser Hinsicht liefert Renny Harlin ein pralles Entertainment-Paket. Flotte Schwertkämpfe, packende Schiffsduelle und auch sehr packende, amüsante Verfolgungsjagden (die explosive Kutschfahrt durch die Hafenstadt Port Royal könnte einige Elemente der London-Verfolgung in Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten inspiriert haben) sind allesamt mit versierter Hand inszeniert und haben neben den knalligen Schaueffekten auch stets eine inhaltliche Relevanz zu bieten. Gleichzeitig ist die Action einer der Gründe, weshalb Die Piratenbraut so ein seltsamer Film ist. Denn Harlin legt eine klare 80er-/90er-Actionsensibilität zu Tage, was sich unter anderem in den riesigen Explosionen äußert und den gelegentlichen Spitzen des Grauens. Die Pirates of the Caribbean-Filme würde ich insgesamt als düsterer bezeichnen, jedoch haben diese auch eine dunklere thematische Grundlage und heben sich ihre Gewaltspitzen für dramatische oder atmosphärische Momente auf. Die Piratenbraut handelt hingegen nur von einer Schatzsuche, schwenkt auf dem Weg dahin aber dann und wann auf einen brutalen Mord, eine verrottende Leiche oder ähnliche Elemente rüber, schlicht um daran zu erinnern "hey, wir sind ein Piratenspaß ... für Erwachsene!".
Im Gegenzug dazu zaubern Figuren zwecks einer knalligen Pointe gelegentlich Gegenstände wie ein Dreiklingenschwert herbei, die aus dem bodenständigen Swashbuckler, der allein auf flotte Sprüche und weitreichende Action setzt, urplötzlich eine "Everything goes!"-Actionkomödie machen. Diese fügen sich in die mitunter stilisierten Kulissen ein, die nicht so recht zu den realistischen Sets passen wollen. Ebenso wirken die Dialoge wie aus drei unterschiedlich gewichteten Piratenabenteuern entliehen. Vom romantisierten Abenteuerklassiker im modernen Gewand zur derben Komödie hin zum wilden Popcorn-Ritt: Die Piratenbraut will alles sein, aber nicht durchgehend, sondern in episodenhaften Schüben. Gutes Erzählen ist anders. Allerdings sind Skript und Inszenierung dieses Flops so geraten, dass Die Piratenbraut nicht zu einem qualvollen Zweistünder verkommt, sondern als launiger, unterhaltsamer Unfall erscheint: Alles in diesem Film wirkt leicht verschroben und zur gleichen Zeit sehr ansprechend. Dank der Action und des hohen Erzähltempos ist Harlins Swashbuckler jedoch kein "Guilty Pleasure" der Marke "so schlecht, dass es wieder gut ist". Dafür ist er dann doch zu kompetent zusammengestellt.
Nein, Die Piratenbraut ist viel eher einer dieser cineastischen Sonderfälle. Energetisch, verrückt und rasant, stets mit einer atmosphärischen Dissonanz, die so konstant spürbar ist, dass man sich mit der richtigen Einstellung einfach dran gewöhnt. Gut? Nein. Schlecht? Auch nicht. Großes Kino mit gesunder Planlosigkeit? Aber sowas von!
Und deshalb hat Die Piratenbraut mehr Respekt verdient!
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