Welcher Filmfan erinnert sich nicht das Leitmotiv von Tim Burtons und Christopher Nolans Batman-Interpretationen? Auch das Superman-Thema von John Williams ist weltberühmt. Und Marvels Kinohelden? Einige Kinoliebhaber sollten sich vielleicht an Alan Silvestris Leitmelodie erinnern können, die ertönt, sobald sich die Avengers erstmal als gemeinschaftlich handelndes Team handeln. Aber sonst? So erfolgreich die Marvel-Kinofilme sein mögen, ins allgemeine Bewusstsein haben sich die instrumentalen Musikbegleitungen der Superheldengeschichten aus dem "Marvel Cinematic Universe" nicht gerade.
Sind die Scores zu den Marvel-Blockbustern wirklich so lasch, oder werden sie einfach nur von den dazugehörigen Filmen und populäreren Heldenthemen überschattet, obwohl sich die Komponisten hinter den Marvel-Produktionen redliche Mühe geben?
Anlässlich des Kinostarts von The Return of the First Avenger bewerte ich sämtliche Marvel-Scores und zwänge sie in eine kompakte Rangliste, die klären soll, wann die Musik rund um Iron Man und Kollegen ihren Höhepunkt erreichte.
Platz 9: Iron Man 2 (2010, Komponist: John Debney)
Auf dem Papier wirkt es so, als hätte John Debney eine coole Achterbahnfahrt für Filmmusikenthusiasten erschaffen: Schwere russische Chorklänge für Whiplash, Retro-Blechbläser im James-Bond-Stil für die Monacco-Sequenz, AC/DC-Einflüsse gemixt mit orchestraler Musik für die meisten Actionsequenzen. Aber die Umsetzung ist schwach: Die im Film im Schatten der Songeinsätze lebende Instrumentalmusik zu Iron Man 2 ordnet einigen Figuren zwar musikalische Stimmungen zu, aber keine griffigen Themen und selbst als atmosphärische Begleitmusik will Debneys Arbeit nicht im Ohr bleiben. Er beweist hier zwar große Wandlungsfähigkeit, aber keinen Einfallsreichtum, geschweige denn baut er interessante Melodien auf. Um es etwas harsch auszudrücken: Es wirkt fast so, als sei Iron Man 2 mittels eines großen Archivs an lizenzfreier Musik untermalt worden. Alle Stücke vermitteln ein klares Bild, welche Stimmung die zu ihnen gehörenden Szenen versprühen, aber kaum sind diese Kompositionen zu einem Ohr rein gekommen, gehen sie zum anderen wieder raus. Fließbandware!
Platz 8: Thor (2011, Komponist: Patrick Doyle)
Auf die Dauer einer fast zwölfminütigen Suite komprimiert klingt Doyles Score zwar nicht unbedingt nach etwas, wobei ich sofort an Thor denke, wohl aber ganz gefällig. Leider fassen diese zwölf Minuten für mich auch ganz klar die gelungeneren Momente des Scores zum ersten Kinoabenteuer des Donnergotts dar. Über den ganzen Film beziehungsweise das komplette Soundtrack-Album verteilt, gehen diese guten Ansätze hingegen in einem Meer aus austauschbaren, wenngleich solide orchestrierten 08/15-Melodien unter.
Platz 7: Thor: The Dark Kingdom (2013, Komponist: Brian Tyler)
Tyler hat sich schonmal ein paar Pluspunkte dafür verdient, dass er Doyles Leitthema des ersten Thor-Films ausarbeitet und aus ihr eine tragende, eingängige Komposition macht. Zwar denke ich bei ihr mehr an die Regenbogenbrücke als an die Figur Thor, aber immerhin besteht eine klare Assoziation. Dass dieses Thema ohne größere Variation mehrmals im Score auftaucht, ist aber enttäuschend. Immerhin der Film in seinem Tonfall und seinen Schauplätzen doch abwechslungsreich genug, um zahlreiche Spielweisen dieses Stücks zu inspirieren. Gelungen ist wiederum dieses ruhige Stück, das eine visuell sehr beeindruckendes Begräbnis begleitet. Ansonsten ist die Musik zum zweiten Thor-Film solide Fantasyfilmuntermalung mit guten Arrangements, aber recht wenig charakterstarkem Material.
Platz 6: Iron Man (2008, Komponist: Ramin Djawadi)
Obwohl ich die Instrumentalmusik aus Iron Man seit meiner letzten Sichtung des Films (die nicht einmal ein Jahr her ist) ungewollt, wenngleich komplett aus meinem Gedächtnis verbannt habe, kann ich an dieser Stelle mit Fug und Recht behaupten: Kaum höre ich in Ramin Djawadis Score rein, bin ich durchaus überzeugt von ihm. Er hat zwar einiges an unbedeutendem Füllmaterial zu bieten, also simple, unaufwändige Akustik, die einfach nur Stille im Film vermeiden will. Sobald sich Djawadi aber austobt, rockt dieser Score: Heftige, dennoch schwungvolle Gitarrenklänge auf schneidenden Streichern und selbstbewusster Percussion, halt Musik, die perfekt zur Figur des Iron Man passt. Er ist kein graziler Superheld, aber einer, der mit seiner lässigen Attitüde meist gut darüber hinwegtäuschen kann. Metal trifft Filmorchester! Melodisch fehlt es Djawadi ein wenig an Einfallsreichtum, doch der Tonfall des Scores passt sehr gut zum Beginn des Marvel Cinematic Universe und das Leitmotiv des Titelhelden wird vielleicht nicht markant genug herausgestellt, als dass es sich ins Gedächtnis brennen würde - wenn es aber läuft, macht es Laune.
Platz 5: Iron Man 3 (2013, Komponist: Brian Tyler)
Anders als Debney, übersetzt Brian Tyler den ursprünglichen Ansatz eines coolen Iron Man-Themes sehr gut ins Orchestrale. Und das thematisch sehr passend: In Shane Blacks Superheldenspektakel verliert Tony Stark nicht nur für lange Zeit seine fliegende Eisenrüstung, sondern obendrein seine Rockstar-Coolness. Da ist ein deutlich geringerer Elektroanteil als im ersten Film nur schlüssig. Hinzu kommen bei einigen Tracks clever eingesetzte Glöckchen (als Stirb langsam-Referenz wie auch als logische Konsequenz dessen, dass der Film zu Weihnachten spielt) und verzerrte Funk-Gitarren, wann immer Tony Stark seinen Groove wiederfindet. Die Abspannsequenz ist musikalisch ein extrem cooler, augenzwinkernder Abschluss des Films und generell weiß der Score zu unterhalten, die Spannung zu steigern und nicht all zu klischeehaft zu wirken.
Platz 4: Der unglaubliche Hulk (2008, Komponist: Craig Armstrong)
Einer der ambitionierteren Scores im Marvel-Universum: Harmonische, melancholische Streicher im Zusammenspiel mit einer sanften, aber drängenden Percussion erzeugen ein Gefühl von Einsamkeit und erinnern daran, dass sich Bruce Banner praktisch durchweg auf der Flucht befindet, vermitteln zudem auch seine sich stets aufbauende Wut. Banner und Hulk bekommen eigene Leitmotive, die fesselnd klingen, wenn sie miteinander darum ringen, welches Stück lauter gespielt wird, und auch Tim Roths Schurkenfigur wird militärisch-aggressiv untermalt. Armstrong trifft die Stimmung des Films und seiner Figuren sehr gut, aber sein anspruchsvoller Score entfaltet seine volle Wirkung nur, wenn die alleinige Konzentration auf ihm selbst liegt. Das nuancierte Zusammenspiel der subtil ausgespielten Themen geht im Film unter, weshalb zwar ein stimmiger Score entsteht, der aber kein klares Statement setzt.
Platz 3: The Return of the First Avenger (2014, Komponist: Henry Jackman)
Dieser Soundtrack war es, der mich dazu veranlasste, diesen Artikel zu schreiben. Denn Jackmans Komposition für das erstaunliche Captain America-Sequel erntet eine sonderbare Kritikerresonanz: Filmkritiken, die auf den Score eingehen, besprechen ihn weitestgehend positiv (so etwa bei The Playlist), gleichermaßen wird die Filmmusik auf Portalen, die sich auf die Bewertung von Soundtrack-CDs spezialisieren, brutal verrissen. Die Reaktion von Score-Puristen ist derart boshaft, dass Jackmans Mentor Hans Zimmer die Lage auf Facebook kommentierte: "Weder habe ich den Film bislang gesehen, noch die Musik dazu gehört. Aber bei so giftigen und provokativen Reaktionen kann ich eigentlich nur noch erwarten, dass es ein neues Die Frühlingsweihe ist. Nun bin ich wahrlich gespannt!" Ich selbst sehe mich auf der Seite jener, die den Score verteidigen: Jackmans Musik verzichtet weitestgehend auf im Film klar auszumachende, heroische Leitmotive, was gewiss schade ist, da Captain America unter den Avengers bisher der Einzige ist, der ein herausragend markantes, nachhallend wirkendes Thema hat. Allerdings ist die düstere, wagemutige Verschmelzung aus symphonischen und elektronischen Klängen ideal für diesen pseudo-realistischen, gigantischen Superhelden-Politthriller. Hätte es ein paar herrausstechende Stellen mehr geben dürfen? Gewiss. Stellt sich der ein paar sehr griffige, atmosphärische Kernkomponenten aufweisende Score wunderbar in den Dienst des Films und unterstützt effektvoll seine Stimmung? Auf jeden Fall!
Platz 2: Marvel's The Avengers (2012, Komponist: Alan Silvestri)
Unter allen Marvel-Filmen hat The Avengers die markantesten, denkwürdigsten Melodien: Wie Silvestri die coole Kamerafahrt rund um die sich zum Kampf bereitmachende Heldentruppe untermalt ist fantastisch und auch der comichaft-einfallsreiche Flug durch New York, vorbei an die vollen Einsatz zeigenden Avengers, ist ein starker musikalischer Moment. Die Abspannmusik und auch die ominöse wie auch triumphale Hinleitung auf den Filmschluss sind ebenfalls hervorragend. Dazwischen ist die Instrumentalmusik in diesem Marvel-Epos zwar dem Film sehr dienlich und zudem gut arrangiert, aber ein Stück weniger inspiriert als meine Nummer eins dieser Hitliste ...
Platz 1: Captain America: The First Avenger (2011, Komponist: Alan Silvestri)
Hat der Avengers-Score mit den obig erwähnten Szenen immerhin vier prägende Stellen, so stechen aus der Musik zu Captain Americas erster Leinwandmission drei Momente stark heraus: Die Titelmusik, der Captain America March und David Zippels & Alan Menkens herrlich ironische Hymne Star Spangled Man. Während aber die Musik zu Avengers abseits ihrer Highlights ein, zwei Gänge zurückschaltet, ist dieser Retroscore mit seinem inspiriert-pulpigen Charme auch abseits seiner stärksten Stellen äußerst vergnüglich. Symphonisch, voller temporeicher Phasen und mit augenzwinkernd alberner Verarbeitung militärischer Elemente. Indiana Jones ging zur Armee und brachte diesen Filmscore mit!
Alles in allem hat das Marvel Cinematic Universe meiner Ansicht nach einen miesen Score zu bieten und einen, der immerhin nicht negativ auffällt. Der zweite Thor-Film und Iron Man sind musikalisch grundsolide mit Ausbrüchen klar nach oben, Iron Man 3, The Return of the First Avenger und Der unglaubliche Hulk gefallen mir aus musikalischer Sicht sogar richtig gut. Doch auch sie erschaffen kein sich dauerhaft einbrennendes Thema für ihre Figuren der Güteklasse von Star Wars, Pirates of the Caribbean oder irgendeinem der guten Batman-Filme, sondern eher sehr stimmige Untermalungen ihrer jeweiligen Leinwandgeschehnisse. The Avengers und Captain America wiederum nehmen in ihren besten Momenten die Hürde von "gute Filmmusik" zu "großartige Erkennungsmelodie". Richtig schlimm steht es also nicht um die Marvel-Scores, jedoch liegen sie tatsächlich hinter anderen großen Franchises wie Herr der Ringe zurück.
Hoffen wir schlicht, dass es dem Wege der musikalisch stärkeren Einträge in den Marvel-Kanon weitergeht. Guardians of the Galaxy wäre perfekt für einen Space-Opera-Score im großen Stil. Falls Marvel überhaupt daran interessiert ist, denn das Kevin Feiges Filmstudio scheint eine atmosphärische Klangtapete unvergesslichen Hymnen vorzuziehen ...
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