Gewiss ist nicht alles eitel Sonnenschein in der The Big Bang Theory-Welt, denn ein kleiner, doch nicht zu verachtender Teil der seit Beginn an bestehenden Fangemeinde klagt an, dass das Format mehr und mehr seine Wurzeln verraten würde. Einst als andersartige Sitcom gestartet, die sich zu großen Teilen auch durch ihre wissenschaftlichen Anspielungen und Popkulturgags definiert, sei sie nunmehr durch all zu viel Beziehungsgeschichten völlig konventionell geworden. Und zudem hätten die zentralen Figuren ihre Eigenheiten verloren, weil sie nun von den Autoren in neue Persönlichkeiten gedrängt wurden, die mehr Liebesgeplänkel erlauben.
Ich für meinen Teil mochte The Big Bang Theory schon in frühen Jahren, jedoch würde ich der Mehrheit der Kritikern zustimmen, dass diese von verschrobenen Außenseitern bevölkerte Sitcom über die Jahre größere Stärken entwickelt hat. Schaute ich die Serie einst gerne, so ist sie für mich nunmehr zu einem Muss geworden. Ich sehe zwar, woher die vereinzelten Fanklagen herrühren, die Figuren würden nun alle sehr ähnliche Storys durchlaufen, gleichwohl erachte ich diesen Aspekt einiger aktueller The Big Bang Theory-Folgen sogar als Stärke.
Ich möchte versuchen, meine Perspektive zu erläutern: Früher erzählte die Serie mehr oder minder typische Sitcom-Plots (ein WG-Bewohner will seine Ruhe haben, der andere in der Bude ein Date abhalten; unerwarteter Eltern-Besuch; Rivalität unter Arbeitskollegen und Freunden; chaotischer Kinobesuch), garniert mit nerdigen Gags und Details. Mal zanken zwei Figuren wissensreich über Comics, dann gibt es ulkige Vergleiche zwischen Star Trek, reale physische Gesetze und Beziehungen und dann will der verschrobene Sheldon mit viel Vorlauf zum Kino gehen, um ja einen guten Platz bei Indiana Jones zu bekommen, nur damit seine Freunde sehr wohl trödeln, während Sheldons Erzfeind in der Warteschlange vom Kinobesitzer vorgelassen wird.
Schon die Vergrößerung des ursprünglichen Ensembles um zwei weitere weibliche Hauptfiguren verschob ein wenig die Dynamik der Serie, mit der fünften Staffel aber hat sich The Big Bang Theory neu erfunden. Beziehungen sind nun endgültig kein mehrfach verwendeter Plotmotor, der die Episode rund um die geekigen Referenzen am laufen hält, sondern unzertrennlich mit der DNA der Serie verbunden. Die Entwicklungen der Liebespaare im Zentrum der Serie dienen als roter Faden, viele Folgen handeln davon, das mehrere Paare ähnliche Probleme haben, sie aber unterschiedlich anpacken - und so ist die Liebe nun ganz klar ein Thema von The Big Bang Theory. Was oberflächlich nach einer Verwässerung einer nicht all zu sehr auf den Mainstream schielenden Sitcom klingt, ist aufgrund der Art, wie die Serienautoren diese Entwicklung anpacken, eine ambitionierte Weiterentwicklung des früheren Konzepts "Eine Sitcom über Außenseiter mit nerdigen Interessen".
Nunmehr geht die Serie ihren Charakteren durchgehend stärker auf den Grund und beleuchtet nicht nur Geek-Interessen, sondern zeigt auch, wie sich junge Erwachsene mit außergewöhnlichen Persönlichkeiten durch soziale Aufgaben manövrieren. Und das große Feld der Liebesthematik ist dafür ein idealer Spielplatz! Vor diesem Hintergrund (und weiterhin mit Popkulturwitzen garniert) lassen die Serienmacher einen bunten Reigen an Figuren auftreten, die verwandte Probleme in Sachen Zwischenmenschlichkeit haben, die aber jeweils unterschiedliche Ausprägungen repräsentieren und daher mit vergleichbaren Problemen anders umgehen.
Und so behandeln viele Episoden seit Season fünf entweder im Haupt- oder Nebenplot (und mit zunehmender Häufigkeit parallel zueinander), wie jemand wenig erfahrenes mit Beziehungshürden umgeht. Jemand, der ...
... eine psychische Verhaltensstörung hat und obendrein asexuell ist.
... unter einer so harschen, sozialen Phobie leidet, dass er nur dann ohne Alkoholeinfluss mit Frauen sprechen kann, wenn er sie seit langer Zeit kennt.
... seine durch ungleiche elterliche Wertschätzung gewonnenen Komplexe trotz eigentlich verspielt-unschuldligem Charakter in dauernden Chauvinismen kompensiert.
... seine gesamte Kindheit und Jugend über ein Außenseiter war und daher selbst jetzt seine glückliche Beziehung dadurch erschwert, dass er aufgrund seiner schlimmen Vergangenheit überempfindlich ist und daher teils anstrengende Verhaltensweisen an den Tag legt.
... als ihre Krankheit langsam überkommende Sozialphobikerin mit einer selbstunsicher-vermeidenden Persönlichkeitsstörung nun ihre lange soziale Isolation überkompensiert, indem sie befremdlich euphorisch an soziale Interaktionen herangeht.
... in seinem verschüchterten sozialen Umfeld aufgrund von Durchsetzungsfähigkeit und hohem karrieretechnischem Engagement auffällt.
... in solch einer Truppe als "die Normale" versucht, klar zu kommen.
Mit Ausnahme der aus wenig auffälligem Holz geschnittenen Normalo-Nachbarin Penny befinden sich alle zentralen Figuren der Nerd-Sitcom innerhalb eines eng verknüpften Spektrums sozialer Dysfunktionen. Ihre Probleme mit der alltäglichen Zwischenmenschlichkeit im Allgemeinen und engen, auf Liebe basierenden Beziehungen ganz im Besonderen, sind von unterschiedlich starker Ausprägung und bedecken teils variierende Felder dieses Themengebietes, gleichwohl ergänzen sich diese Probleme der The Big Bang Theory-Hauptfiguren. Und um aufzuzeigen, wie die kleinen, jedoch feinen Unterschiede zwischen diesen Persönlichkeiten ausfallen, zeigen die Serienautoren auf, wie ihre Figuren in sehr ähnlichen Situationen handeln. Daher müssen gewisse Grundplots vermehrt herhalten: Zwei Serienpaare leiden gleichzeitig unter Fehlkommunikation, unter Terminschwierigkeiten oder unter dem ewigen Prioritätenstreit "Arbeit oder Beziehung". Da die Protagonisten allesamt verschiedene Grundvoraussetzungen haben, mit denen sie ins "verantwortungsreiche Beziehungsleben" stolpern, nehmen diese sich so sehr gleichenden Plots stets einen völlig unterschiedlichen Verlauf - und dies ergibt dann eine amüsante Serie mit großer Faszination. Was macht Sheldon, wenn er mit Amy eine Krise durchlebt, die Penny zuvor mit Leonard durchgemacht hat?
Die anfänglichen Wiederholungen münden rasch in völlig neue Situationen und so sind nicht nur humorvolle Überraschungen gegeben, es entsteht so auch eine Bindung zu den Protagonisten, die in den ersten Staffeln nicht möglich war. Die unspezifische Frage "Na, worüber zanken sich Leonard und Sheldon heute?" erzeugt keinen so großen Drang, erneut einzuschalten, als die detailliertere, mehr Neugier schürende "Was wird Sheldon tun, wenn ihm das widerfährt, was neulich Leonard passierte?" Statt sich allein auf neue Pointen und Abwandlungen typischer Sitcomhandlungen zu verlassen, fügen die neuen The Big Bang Theory-Folgen mit dieser Suche nach der Differenz in verwandten Sozialproblemen eine weiter Dimension zu, die das Format nicht nur einmaliger macht, sondern weitere Steilvorlagen für Gags liefert.
Selbstredend ist The Big Bang Theory weiterhin primär eine pointenlastige Sitcom, die nicht die charaktertiefe eines intensiv recherchierten, subtilen und facettenreicen Dramas anstrebt. Aber in den neuen Episoden besteht Raum für gut gespielte Charaktermomente, die wiederum durch ihre Themenschwerpunkte und Herzlichkeit eine neue humoristische Fallhöhe ermöglichen. Weil die Figuren plausibler und liebenswerter erscheinen, haben ihre Eigenheiten und Dialogwitze mehr Gewicht und treffen noch stärker ins Schwarze. Und somit stellt The Big Bang Theory für mich in jüngeren Jahren eine großartige Comedyserie über die Liebesfähigkeit der romantisch und sozial Gebeutelten dar.
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