Sonntag, 30. März 2014

Marvel Cinematic Music


Welcher Filmfan erinnert sich nicht das Leitmotiv von Tim Burtons und Christopher Nolans Batman-Interpretationen? Auch das Superman-Thema von John Williams ist weltberühmt. Und Marvels Kinohelden? Einige Kinoliebhaber sollten sich vielleicht an Alan Silvestris Leitmelodie erinnern können, die ertönt, sobald sich die Avengers erstmal als gemeinschaftlich handelndes Team handeln. Aber sonst? So erfolgreich die Marvel-Kinofilme sein mögen, ins allgemeine Bewusstsein haben sich die instrumentalen Musikbegleitungen der Superheldengeschichten aus dem "Marvel Cinematic Universe" nicht gerade.

Sind die Scores zu den Marvel-Blockbustern wirklich so lasch, oder werden sie einfach nur von den dazugehörigen Filmen und populäreren Heldenthemen überschattet, obwohl sich die Komponisten hinter den Marvel-Produktionen redliche Mühe geben?
Anlässlich des Kinostarts von The Return of the First Avenger bewerte ich sämtliche Marvel-Scores und zwänge sie in eine kompakte Rangliste, die klären soll, wann die Musik rund um Iron Man und Kollegen ihren Höhepunkt erreichte.

Platz 9: Iron Man 2 (2010, Komponist: John Debney)
Auf dem Papier wirkt es so, als hätte John Debney eine coole Achterbahnfahrt für Filmmusikenthusiasten erschaffen: Schwere russische Chorklänge für Whiplash, Retro-Blechbläser im James-Bond-Stil für die Monacco-Sequenz, AC/DC-Einflüsse gemixt mit orchestraler Musik für die meisten Actionsequenzen. Aber die Umsetzung ist schwach: Die im Film im Schatten der Songeinsätze lebende Instrumentalmusik zu Iron Man 2 ordnet einigen Figuren zwar musikalische Stimmungen zu, aber keine griffigen Themen und selbst als atmosphärische Begleitmusik will Debneys Arbeit nicht im Ohr bleiben. Er beweist hier zwar große Wandlungsfähigkeit, aber keinen Einfallsreichtum, geschweige denn baut er interessante Melodien auf. Um es etwas harsch auszudrücken: Es wirkt fast so, als sei Iron Man 2 mittels eines großen Archivs an lizenzfreier Musik untermalt worden. Alle Stücke vermitteln ein klares Bild, welche Stimmung die zu ihnen gehörenden Szenen versprühen, aber kaum sind diese Kompositionen zu einem Ohr rein gekommen, gehen sie zum anderen wieder raus. Fließbandware!

Platz 8: Thor (2011, Komponist: Patrick Doyle)
Auf die Dauer einer fast zwölfminütigen Suite komprimiert klingt Doyles Score zwar nicht unbedingt nach etwas, wobei ich sofort an Thor denke, wohl aber ganz gefällig. Leider fassen diese zwölf Minuten für mich auch ganz klar die gelungeneren Momente des Scores zum ersten Kinoabenteuer des Donnergotts dar. Über den ganzen Film beziehungsweise das komplette Soundtrack-Album verteilt, gehen diese guten Ansätze hingegen in einem Meer aus austauschbaren, wenngleich solide orchestrierten 08/15-Melodien unter.

Platz 7: Thor: The Dark Kingdom (2013, Komponist: Brian Tyler)
Tyler hat sich schonmal ein paar Pluspunkte dafür verdient, dass er Doyles Leitthema des ersten Thor-Films ausarbeitet und aus ihr eine tragende, eingängige Komposition macht. Zwar denke ich bei ihr mehr an die Regenbogenbrücke als an die Figur Thor, aber immerhin besteht eine klare Assoziation. Dass dieses Thema ohne größere Variation mehrmals im Score auftaucht, ist aber enttäuschend. Immerhin der Film in seinem Tonfall und seinen Schauplätzen doch abwechslungsreich genug, um zahlreiche Spielweisen dieses Stücks zu inspirieren. Gelungen ist wiederum dieses ruhige Stück, das eine visuell sehr beeindruckendes Begräbnis begleitet. Ansonsten ist die Musik zum zweiten Thor-Film solide Fantasyfilmuntermalung mit guten Arrangements, aber recht wenig charakterstarkem Material.

Platz 6: Iron Man (2008, Komponist: Ramin Djawadi)
Obwohl ich die Instrumentalmusik aus Iron Man seit meiner letzten Sichtung des Films (die nicht einmal ein Jahr her ist) ungewollt, wenngleich komplett aus meinem Gedächtnis verbannt habe, kann ich an dieser Stelle mit Fug und Recht behaupten: Kaum höre ich in Ramin Djawadis Score rein, bin ich durchaus überzeugt von ihm. Er hat zwar einiges an unbedeutendem Füllmaterial zu bieten, also simple, unaufwändige Akustik, die einfach nur Stille im Film vermeiden will. Sobald sich Djawadi aber austobt, rockt dieser Score: Heftige, dennoch schwungvolle Gitarrenklänge auf schneidenden Streichern und selbstbewusster Percussion, halt Musik, die perfekt zur Figur des Iron Man passt. Er ist kein graziler Superheld, aber einer, der mit seiner lässigen Attitüde meist gut darüber hinwegtäuschen kann. Metal trifft Filmorchester! Melodisch fehlt es Djawadi ein wenig an Einfallsreichtum, doch der Tonfall des Scores passt sehr gut zum Beginn des Marvel Cinematic Universe und das Leitmotiv des Titelhelden wird vielleicht nicht markant genug herausgestellt, als dass es sich ins Gedächtnis brennen würde - wenn es aber läuft, macht es Laune.

Platz 5: Iron Man 3 (2013, Komponist: Brian Tyler)
Anders als Debney, übersetzt Brian Tyler den ursprünglichen Ansatz eines coolen Iron Man-Themes sehr gut ins Orchestrale. Und das thematisch sehr passend: In Shane Blacks Superheldenspektakel verliert Tony Stark nicht nur für lange Zeit seine fliegende Eisenrüstung, sondern obendrein seine Rockstar-Coolness. Da ist ein deutlich geringerer Elektroanteil als im ersten Film nur schlüssig. Hinzu kommen bei einigen Tracks clever eingesetzte Glöckchen (als Stirb langsam-Referenz wie auch als logische Konsequenz dessen, dass der Film zu Weihnachten spielt) und verzerrte Funk-Gitarren, wann immer Tony Stark seinen Groove wiederfindet. Die Abspannsequenz ist musikalisch ein extrem cooler, augenzwinkernder Abschluss des Films und generell weiß der Score zu unterhalten, die Spannung zu steigern und nicht all zu klischeehaft zu wirken.

Platz 4: Der unglaubliche Hulk (2008, Komponist: Craig Armstrong)
Einer der ambitionierteren Scores im Marvel-Universum: Harmonische, melancholische Streicher im Zusammenspiel mit einer sanften, aber drängenden Percussion erzeugen ein Gefühl von Einsamkeit und erinnern daran, dass sich Bruce Banner praktisch durchweg auf der Flucht befindet, vermitteln zudem auch seine sich stets aufbauende Wut. Banner und Hulk bekommen eigene Leitmotive, die fesselnd klingen, wenn sie miteinander darum ringen, welches Stück lauter gespielt wird, und auch Tim Roths Schurkenfigur wird militärisch-aggressiv untermalt. Armstrong trifft die Stimmung des Films und seiner Figuren sehr gut, aber sein anspruchsvoller Score entfaltet seine volle Wirkung nur, wenn die alleinige Konzentration auf ihm selbst liegt. Das nuancierte Zusammenspiel der subtil ausgespielten Themen geht im Film unter, weshalb zwar ein stimmiger Score entsteht, der aber kein klares Statement setzt.

Platz 3: The Return of the First Avenger (2014, Komponist: Henry Jackman)
Dieser Soundtrack war es, der mich dazu veranlasste, diesen Artikel zu schreiben. Denn Jackmans Komposition für das erstaunliche Captain America-Sequel erntet eine sonderbare Kritikerresonanz: Filmkritiken, die auf den Score eingehen, besprechen ihn weitestgehend positiv (so etwa bei The Playlist), gleichermaßen wird die Filmmusik auf Portalen, die sich auf die Bewertung von Soundtrack-CDs spezialisieren, brutal verrissen. Die Reaktion von Score-Puristen ist derart boshaft, dass Jackmans Mentor Hans Zimmer die Lage auf Facebook kommentierte: "Weder habe ich den Film bislang gesehen, noch die Musik dazu gehört. Aber bei so giftigen und provokativen Reaktionen kann ich eigentlich nur noch erwarten, dass es ein neues Die Frühlingsweihe ist. Nun bin ich wahrlich gespannt!" Ich selbst sehe mich auf der Seite jener, die den Score verteidigen: Jackmans Musik verzichtet weitestgehend auf im Film klar auszumachende, heroische Leitmotive, was gewiss schade ist, da Captain America unter den Avengers bisher der Einzige ist, der ein herausragend markantes, nachhallend wirkendes Thema hat. Allerdings ist die düstere, wagemutige Verschmelzung aus symphonischen und elektronischen Klängen ideal für diesen pseudo-realistischen, gigantischen Superhelden-Politthriller. Hätte es ein paar herrausstechende Stellen mehr geben dürfen? Gewiss. Stellt sich der ein paar sehr griffige, atmosphärische Kernkomponenten aufweisende Score wunderbar in den Dienst des Films und unterstützt effektvoll seine Stimmung? Auf jeden Fall!

Platz 2: Marvel's The Avengers (2012, Komponist: Alan Silvestri)
Unter allen Marvel-Filmen hat The Avengers die markantesten, denkwürdigsten Melodien: Wie Silvestri die coole Kamerafahrt rund um die sich zum Kampf bereitmachende Heldentruppe untermalt ist fantastisch und auch der comichaft-einfallsreiche Flug durch New York, vorbei an die vollen Einsatz zeigenden Avengers, ist ein starker musikalischer Moment. Die Abspannmusik und auch die ominöse wie auch triumphale Hinleitung auf den Filmschluss sind ebenfalls hervorragend. Dazwischen ist die Instrumentalmusik in diesem Marvel-Epos zwar dem Film sehr dienlich und zudem gut arrangiert, aber ein Stück weniger inspiriert als meine Nummer eins dieser Hitliste ...

Platz 1: Captain America: The First Avenger (2011, Komponist: Alan Silvestri)
Hat der Avengers-Score mit den obig erwähnten Szenen immerhin vier prägende Stellen, so stechen aus der Musik zu Captain Americas erster Leinwandmission drei Momente stark heraus: Die Titelmusik, der Captain America March und David Zippels & Alan Menkens herrlich ironische Hymne Star Spangled Man. Während aber die Musik zu Avengers abseits ihrer Highlights ein, zwei Gänge zurückschaltet, ist dieser Retroscore mit seinem inspiriert-pulpigen Charme auch abseits seiner stärksten Stellen äußerst vergnüglich. Symphonisch, voller temporeicher Phasen und mit augenzwinkernd alberner Verarbeitung militärischer Elemente. Indiana Jones ging zur Armee und brachte diesen Filmscore mit!

Alles in allem hat das Marvel Cinematic Universe meiner Ansicht nach einen miesen Score zu bieten und einen, der immerhin nicht negativ auffällt. Der zweite Thor-Film und Iron Man sind musikalisch grundsolide mit Ausbrüchen klar nach oben, Iron Man 3, The Return of the First Avenger und Der unglaubliche Hulk gefallen mir aus musikalischer Sicht sogar richtig gut. Doch auch sie erschaffen kein sich dauerhaft einbrennendes Thema für ihre Figuren der Güteklasse von Star Wars, Pirates of the Caribbean oder irgendeinem der guten Batman-Filme, sondern eher sehr stimmige Untermalungen ihrer jeweiligen Leinwandgeschehnisse. The Avengers und Captain America wiederum nehmen in ihren besten Momenten die Hürde von "gute Filmmusik" zu "großartige Erkennungsmelodie". Richtig schlimm steht es also nicht um die Marvel-Scores, jedoch liegen sie tatsächlich hinter anderen großen Franchises wie Herr der Ringe zurück.

Hoffen wir schlicht, dass es dem Wege der musikalisch stärkeren Einträge in den Marvel-Kanon weitergeht. Guardians of the Galaxy wäre perfekt für einen Space-Opera-Score im großen Stil. Falls Marvel überhaupt daran interessiert ist, denn das Kevin Feiges Filmstudio scheint eine atmosphärische Klangtapete unvergesslichen Hymnen vorzuziehen ...

Samstag, 29. März 2014

Die Quellen der Disneyfilme: Tom und Huck

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Die Abenteuer von Tom Sawyer von Samuel Langhorne Clemens - besser bekannt unter dem Namen Mark Twain - ist 1876 erschienen, und wenn es auch eines von Twains bekanntesten Werken darstellt, so ist es für die Verhältnisse des Autors doch eher simpel gehalten. Tom Sawyer ist eine einfache Lausbubengeschichte, inspiriert von Marks Twains eigener Jugend in Hannibal, Missouri; von realen Orten und Begebenheiten. Dass das Ergebnis nun kein simples Kinderbuch ist sondern ein Klassiker der Weltliteratur, das ist alleine dem Genie des Autors zu verdanken: Mark Twain verwandelt eine simple Kindergeschichte in eine unvergängliche, geradezu ikonische Darstellung einer Kindheit am Mississippi.
Während die Geschichte sehr persönlich gehalten ist und niemals allzu unrealistisch wird, so bietet Twains Erzählweise doch eine ironische Übersteigerung, die alles mit einem feinen Satire-Schleier überlegt - oder auch mit ganz offener Gesellschaftssatire, gerade wenn es um die erwachsenen Bewohner des Städtchens geht. Das Kapitel „Tom streicht einen Zaun“ ist alleine bei uns in unzähligen Lesebüchern zu finden, und das zurecht: Die Darstellung der vergnügungssüchtigen menschlichen Natur in all ihrer Absurdität, am Beispiel eines geschäftstüchtigen Jungen, bietet hohe Wahrheit aus Kindermund.
Aber trotz all dieser Nebenschauplätze handelt es sich bei Tom Sawyer doch zuallererst um eine recht geradlinige Lausbuben- und Abenteuergeschichte. Beschrieben wird das Leben und der Alltag Toms, seine diversen Abenteuer und Streiche, zusammen mit den Spielgefährten, unter denen vor allem der heimatlose Streuner Huckleberry Finn hervorsticht. Es gibt ein kindliches Liebesdrama, dem genug Platz eingeräumt wird, um herzerwärmend zu wirken, doch nicht so viel, dass es den Rest der Abenteuer überschattet. Und dann verdichtet sich die Geschichte immer mehr um einen fatalen Mordprozess, einen vergrabenen Schatz und den wahren Mörder Indianer-Joe.
Es ist keine „wahre“ Abenteuergeschichte, nicht im eigentlichen Sinne. Eigentlich geht es im ganzen Buch doch nur darum, das Gefühl eines typischen Jungenlebens zu beschreiben, so wie Twain es kannte. Und dieser Teil ist nun schlicht der, der sich mit den Schatzsuchen der Lausbuben beschäftigt, mit den Abenteuerspielen und Verschwörungstheorien. Es ist einfach spannender, von einem echten Mordfall zu lesen, als von einem nur gespielten - der Inhalt bleibt der gleiche.



Auch wenn man wohl mit gutem Recht sagen kann, dass Mark Twain bei Tom Sawyer den Höhepunkt seines Schreibens noch nicht erreicht hatte, so übt das Buch doch seit seiner Entstehung eine ungebrochene Faszination aus. War es zu seinem Ersterscheinen in Amerika noch gut verständliche Nostalgie, die die erwachsenen Leser in Scharen anzog, so hat das Werk doch in den letzten 140 Jahren bewiesen, dass seine Faszination nicht durch örtliche oder zeitliche Umstände begrenzt wird. Es war und es bleibt herrlich, von diesem turbulenten Jungenidyll zu lesen, und so hat Tom Sawyer es geschafft, sich gegen seinen übermächtigen Nachfolger Huckleberry Finn auch auf langen Sicht durchzusetzen. In der Tat wurden die beiden Romane trotz ihres unterschiedlichen Tons erstaunlich oft gemeinsam verfilmt, als zusammengehöriger Doppelpack, der idealerweise noch die gleichen Schauspieler aufweisen kann.
Die Bearbeitungen der beiden Werke, die 1993 und 1995 in umgekehrter Reihenfolge aus dem Hause Disney erschienen, bilden in gewisser Weise einen Mittelweg. Während Timing und gemeinsame kreative Quellen zweifelsohne einen gewissen Zusammenhang suggerieren, bemühen sich die Filme selbst in keiner Weise, als zusammengehörig zu erscheinen. Die Schauspieler sind andere, der Stil der Filme divergiert spürbar, die Vermarktung könnte unterschiedlicher nicht sein. Und selbst die wenigen Bande, die die Bücher thematisch direkt verbinden, wurden bewusst gekappt, so dass Tom und Huck und Die Abenteuer von Huck Finn inhaltlich ganz offensichtlich nicht zusammenpassen.

Alleine der Name des Filmes, Tom und Huck, stellt klar, dass Originaltreue nicht das vorderste Ziel dieser Verfilmung war. Doch auch wenn der ganze Film einen bewussten modernen Unterton erhalten hat, so bemüht er sich doch immer, nahe genug am Ausgangsmaterial zu bleiben. (Wobei erwähnenswert scheint, dass nicht der Stadtname des Buches, St. Petersburg, sondern der Name von Twains eigener Heimatstadt, Hannibal, verwendet wird.) Insgesamt stellt Tom und Huck den Versuch dar, die berühmte Geschichte einigermaßen originalgetreu zu erzählen - nur eben verkleidet als cooles Abenteuermärchen.

Diese Einstellung zeigt sich von der ersten Szene an. Der Film beginnt sehr charakteristisch nicht mit seiner Hauptfigur, sondern mit Indianer-Joe, der sich zu bedrohlicher Musik auf den Weg zu dem leichenschändenden Doktor Robinson macht. Es ist eine Szene, die im Buch nur aus zweiter Hand erzählt wird, doch in dieser Filmversion wird offenkundig keine Gelegenheit ausgelassen, das finstere Halbblut zu zeigen. Der gesamte Plot des Films dreht sich vor allem um ihn, um den Mord an Doktor Robinson, den Prozess und die geheime Schatzsuche - eben die Elemente einer typischen Abenteuergeschichte.
Diese Episode, so spannend sie auch ist, stellt beileibe nicht den einzigen Fokuspunkt des Buches dar. Vielmehr bietet sie, neben einzelnen Actionszenen, nur einen unterschwelligen Beiklang, eine Art Hintergrundstimmung. Im Grunde ist Tom Sawyer ja ein Episodenroman, und das Abenteuer mit Indianer-Joe ist dabei ein Erlebnis wie viele andere auch.
In Tom und Huck dagegen ist die ganze Handlung ganz klar auf dieses eine Abenteuer ausgerichtet. Es ist einzielgerichteter Plot mit wenig Nebenerzählung, und dadurch wird es leider auch zu einem recht schmalen Plot. Statt des bunten Panoramas eines wilden Jungenlebens im Buch bleibt hier nur eine einzelne Abenteuergeschichte. Natürlich ist Toms Gewissenskonflikt, was die drohende Verurteilung des unschuldigen Muff Potters angeht, gerade hier Hauptbestandteil - aber anders als in Huckleberry Finn ist ein einzelner Gewissenskonflikt hier nicht genug, einen ganzen Film zu tragen. Was herauskommt, ist eine simple Kindergeschichte, ohne die Satire oder den unterschwelligen größeren Rahmen des Originals.



Das Ergebnis ist folgerichtig, dass der gesamte Film scharf auf den Plot ausgerichtet ist. Offenkundig hat man sich bemüht, so viele bekannte Szenen wie möglich aus dem Buch zu retten - doch nur, indem die an sich unabhängigen Erlebnisse auf irgendeine Weise mit dem Hauptstrang verwoben wurden. Die Zaun-Szene hat hier den Zweck, Tom in den Besitz einer verräterischen Murmel zu bringen, die irrtümliche Beerdigung des Jungen führt Indianer-Joe auf seiner Suche kurzfristig in die Irre. Die Folge ist eine Reihe lose verbundener Ereignisse, nicht eigenständig genug, um auf eigenen Beinen zu stehen, doch zu nebensächlich, als dass sie wirklich zum Plot gehören würden.
Auf der anderen Seite wurden dafür so viele zusätzliche Szenen mit Joe eingefügt, wie es nur möglich schien. Die Szenen haben sicher eine gewisse Verankerung im Buch, wo Tom von Ängsten und schweren Träumen geplagt wird, doch hier nimmt der rachsüchtige Indianer schließlich den gesamten Fokus ein.


Die größte (wenn auch nicht unerwartete) Enttäuschung des Films stellt für mich persönlich das Finale dar. Das Ende des Buches, mit der langen Wanderung durch die Tropfsteinhöhle hat einen geradezu epischen Charakter. Gerade weil die bedrohliche Darstellung des Höhlenlabyrinths so realistisch beschrieben ist und eben kein Hollywood-typischer Endkampf folgt, sind die Gefühle der beiden verlorenen Kinder so nahegehend. Was fesselt, ist keine äußere Bedrohung, sondern der ganz persönliche Kampf gegen Hunger, Durst und die Verzweiflung - dargestellt in so einfachen Szenen wie Toms Verzicht auf seinen Rationsanteil und Beckys Begreifen.
Dass Indianer-Joe ohne letzte Konfrontation alleine verdurstet ist, ist am Ende eine in keiner Weise enttäuschende Erfahrung. Das stille Grauen dieser Entdeckung, verbunden mit der Erinnerung an Toms eigenen Kampf, ist die perfekte Auflösung dieses Handlungsstranges und fügt sich in den Ton des gesamten Buches ein.

Im Film sieht das nun anders aus: Tom und Huck ist eine simple Abenteuergeschichte, und so braucht der Film eine simple und direkte Endkonfrontation zur Auflösung. Die ganze Geschichte ist hier sowieso um einiges unrealistischer dargestellt, so wirkt ein solch abenteuerlicher Kampf am Ende auch nicht mehr als Fremdkörper. Dazu kommt, dass Huck - als aufgewertete zweite Hauptfigur - natürlich auf Teil an diesem Kampf haben muss. Das Ende ist schließlich so vorhersehbar wie möglich, inklusive eines klassischen Disney-Todes für Indianer-Joe. Stimmung und Atmosphäre der Buchvorlage fehlen, dafür gibt es ein kurzes Gerangel und einen plakativen Sieg - natürlich passend zum Film, aber nichtsdestotrotz schade.


Was die Charakterisierung der Figuren angeht, so kann der Film hier kaum etwas falsch machen. Man könnte urteilen, dass Tante Polly hier ein wenig zu nett erscheint, die Witwe Douglas dagegen zu streng - doch im Allgemeinen ist es kaum möglich, die realistisch-übersteigerten Nebenfiguren aus Mark Twains Städtchen nicht annehmbar umzusetzen.
Indianer-Joe ist finster und bedrohlich wie es sich gehört, und natürlich vermeidet der Film es soweit möglich, die ans Klischeehafte grenzende Indianer-Darstellung des Buches weiter zu unterstützen.

Becky Thatcher wird gegenüber ihrem Buch-Pendant etwas interessanter gezeichnet, mit einer Charakterisierung, die um einiges gewitzter und „moderner“ scheint als im Original. Das Ergebnis ist ein Mädchen, das Tom in gewisser Weise das Wasser reichen kann, ohne dabei zum Action-Girl zu verkommen - und das somit endlich einen guten Grund für Toms fortgesetzte Avancen bietet.
Was die beiden Hauptfiguren des Films angeht, so macht schon der Titel klar, dass Tom und Huck hier beinahe gleichwertige Rollen innehaben. Tom Sawyer ist, wie er sein sollte: gewitzt, straßenschlau, gleichzeitig stinkfaul und insgesamt mit einem Kopf voller Unfug. Man könnte vielleicht argumentieren, dass er ein wenig zu brav und folgsam erscheint, doch das rechne ich der Tatsache zu, dass der Film streng aus seiner Sicht erzählt wird - und auch im Buch ist Tom Sawyer selbst ja immer überzeugt, ein Musterbild von einem tadellosen Knaben abzugeben.

Interessanter ist allerdings die Frage nach der Darstellung Huckleberry Finns, dessen Rolle für den Film weit ausgebaut wurde, auf Kosten von Toms eigentlich liebsten Spielkameraden Ben Rogers. Das erste was auffällt ist, dass Huck in dieser Version vergleichsweise alt dargestellt wird, was ihm alleine körperlich einen großen Respektvorsprung vor Tom verschafft. Das Ergebnis ist ein interessantes Ungleichgewicht, wenn Huck, der Ältere und Erfahrenere, dann plötzlich beim Schreiben seiner Initialen hinter Tom zurückstehen muss.
Generell ist Huck hier nicht wirklich so wie im Buch, dafür hat sich seine Rolle für den Film zu stark geändert - und doch haben es die Macher geschafft, mit Huck auf andere Weise zu einem gleichwertigen Ergebnis zu kommen. Und wenn Hucks Charakterentwicklung auch unerwartet scheinen mag, so macht sie das am Ende vielleicht nur interessanter. Insgesamt gelingt es Huckleberry auf gewisse Weise, den Film aus seiner Banalität zu retten, und ihm zumindest einen besonderen Anstrich zu verleihen.
Für mich stellt sich nebenbei die Frage, wie eine Verfilmung der Abenteuer von Huckleberry Finn mit dieser Besetzung wohl ausgesehen hätte - es hätte mit Sicherheit eine sehr erwachsene Version des Buches werden können, ernsthafter als die meisten Verfilmungen es schaffen.



Mein Fazit zu Tom und Huck ist schließlich, dass der Film ziemlich genau das ist, was man von einer Disneyversion des Stoffes erwarten würde. Die Verfilmung bewegt sich nahe genug am Original, um keinen Anstoß zu erwecken, aber ansonsten setzt sie dem Buch ihren eigenen Stil auf und macht aus einer beinahe melancholischen Kindheitsschilderung ein einfaches Abenteuer. Das Ergebnis funktioniert, doch es funktioniert wirklich nur als Literaturverfilmung: Wäre es ein Originalwerk, so würde sicherlich niemand dem Film nähere Beachtung schenken.
Auf der anderen Seite füllt Tom und Huck diese Rolle der Literaturverfilmung gar nicht mal so schlecht aus; der Film reicht, um an die Idee des Buches heranzuführen und den Zuschauern die Figuren nahezubringen. Und wenn am Ende irgendjemand durch diesen Film angeregt wird, Twains Original zu lesen, so hat sich die Verfilmung doch sicherlich gelohnt.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

Dienstag, 25. März 2014

Die Geschichte der Film-Trailer

Vor einigen Monaten habe ich hier im Blog auf die informative sowie kurzweilige Videoreihe Filmmaker IQ hingewiesen, die nun mit einem weiteren, herausragenden Video auf sich aufmerksam macht. Darin wird erläutert, wie der Marketingclou eines Kinotrailers erfunden wurde und wie sich diese Form der Filmwerbung über die Jahrzehnte entwickelte. Spannend, lehrreich und für Filmnerds dennoch auch sehr amüsant! Schaut es euch an:

Montag, 24. März 2014

Kleiner Vorgeschmack: Sein Leben, seine Milliarden - Das Album

Es machte ja bereits seine Runden durch das weltweite Web, aber da sich der Veröffentlichungstermin dieses faszinierenden Projekts allmählich nähert, sei auch an dieser Stelle darauf hingewiesen: Nightwish-Keyboarder und -Songschreiber Tuomas Holopainen ließ seiner Disney-Fanliebe freien Lauf und schuf mit Music Inspired by the Life and Times of Scrooge ein zehn Tracks umfassendes Konzeptalbum, basierend auf dem Enten-Comicepos Sein Leben, seine Milliarden aus der Feder des genialen Zeichners und Autors Don Rosa.

Die Vertonung der illustrierten Dagobert-Duck-Biografie entstand in Zusammenarbeit mit dem London Orchestra, The Metro Voices, Alan Reid, Johanna Kurkela, Johanna Iivanainen und Tony Kakko. Außerdem wirkte auch Don Rosa selbst am Album mit, indem er das Artwork gestaltete. Ein offizielles Disney-Statement zu diesem Projekt ist mir bislang nicht unter die Augen gekommen, aber angesichts dessen, dass Dagobert auf dem Cover des Albums zu sehen ist und bislang keinerlei rechtlicher Tumult geschah, scheint man eher geschmeichelt zu sein als mit Klagen zu drohen.

Einer der Tracks erschien bereits als Single und bekam ein Musikvideo spendiert, am 11. April erscheint das Gesamtwerk:



Auch wenn ein so aufwändiges Musikalbum auf Basis einer Disney-Comicreihe eine Neuheit darstellt, so gibt es immerhin bereits einige kleine Vorläufer, darunter auch vom Schöpfer dieses Projekts: Holopainen zollte dem Disney-Konzern bereits mit dem Nightwish-Song FantasMic einen liebevollen (wie gigantischen) Tribut. Als nächstes darf gerne eine Metalband ein Album über Paperinik New Adventures machen, okay?!

Donnerstag, 20. März 2014

Disney Starensemble singt "Let It Go"

Der Oscar-prämierte Song Let It Go wurde im Internet bereits rauf und runter parodiert, gecovert, imitiert und was noch alles. Aber es ist immer noch genug Raum für ein weiteres originelles Cover: Stimmkünstler Brian Hull singt im nachfolgenden Video den Hit aus Die Eiskönigin und ahmt dabei die Stimmen von 21 populären Disney-Figuren nach. Von Pirates of the Caribbean über Die Monster AG hin zu Der König der Löwen berücksichtigt er dabei eine Vielzahl an Quellen und macht nahezu durchgehend einen großartigen Job.

Viel Spaß mit diesem goldigen Fundstück:

Neues vom Mäusekonzern

Am Dienstagabend europäischer Zeit fand eine Disney-Shareholder-Konferenz statt, in deren Rahmen CEO Robert Iger einige Neuigkeiten bezüglich kommender Disney-Projekte fallen ließ. So gab er bekannt, dass Brad Bird aktuell an der Story zu Die Unglaublichen 2 arbeitet. Doch parallel zum einzigen Pixar-Sequel, das von der Mehrheit der Disney- und Pixar-Fans herbeigesehnt wird, entsteht auch eine Fortsetzung, die sich kaum ein erwachsener Liebhaber der Trickfilmkünstlerer aus Emeryville gewünscht haben dürfte: Iger bestätigte, dass Cars 3 tatsächlich in Arbeit sei. Ohje, ohje ...

Schlechte Nachrichten gibt es außerdem für Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales. Obwohl Drehbuch, Regieposten und Teile der Besetzung stehen, merkte Iger an, dass die Jerry-Bruckheimer-Produktion noch kein grünes Licht erhalten hat. Sind es Terminschwierigkeiten mit dem schwer beschäftigten Johnny Depp? Streitet man sich weiterhin über die Budgetfrage? Zumindest konnte Iger die Anwesenden beruhigen: Die Arbeit am Film wurde nicht eingestellt und es würden weiterhin "kreative Aufgaben getätigt". Vor einigen Monaten hieß es, dass die Regisseure Joachim Rønning & Espen Sandberg hart daran arbeiten, bei den Produktionsentwürfen ein hohes visuelles Niveau zu erreichen, das der Verbinski-Trilogie gerecht wird und dennoch originell wirke. Vielleicht brütet man weiter über einigen Entwürfen?

Dafür können Liebhaber eines anderen actionreichen Franchises, das seine Heimat (mittlerweile) im Disney-Konzern hat, aufatmen: Die Arbeiten an Star Wars – Episode VII kommen sehr gut voran und bereits im Mai soll in London die erste Klappe fallen. Obwohl aus verlässlichen Quellen bereits die Rückkehr einiger bekannter Gesichter bestätigt wurde, hielt sich Iger hinsichtlich des Casts bedeckt und kommentierte nur eine einzige Castingentscheidung: R2D2 wird wieder dabei sein und die Rolle von … R2D2 übernehmen. Ansonsten dürften wir lediglich erwarten, dass ein Trio an noch zu benennenden, jungen Darstellern zentrale Rollen im Film verkörpern wird. Außerdem verriet Iger, dass die neue Trilogie 30 Jahre nach Die Rückkehr der Jedi-Ritter ansetzen wird. So manche Webseite erachtet es als Schock, dass so wenige Fakten rund um den Film bestätigt wurden, und dennoch schon bald der Drehstart erfolgt – ich aber sehe es als Segen: Ich bezweifle, dass der Disney-Konzern den Beginn seiner ersten eigenen Star Wars-Trilogie mit der heißen Nadel stricken wird. Zwar ist Disney ein Unterhaltungskonzern und somit profitorientiert, allerdings ist auch den Geschäftsführern Disneys klar, mit welchen Argusaugen dieses Projekt verfolgt wird. Ein hingeschluderter Film würde nur zu einem Imageschaden führen und die potentiellen Einnahmen der Fortsetzungen gefährden – es ist also auszuschließen, dass so wenig bestätigt wurde, weil so wenig feststeht. Viel eher üben sich Disney und Abrams in Geheimhaltung – was in unserer spoilersüchtigen Kultur nur erfrischend ist. Lasst uns frisch und ahnungslos ins Kino eilen!

Am selben Abend strahlte der US-Sender ABC (nahezu parallel zu Igers Konfernez für Disney-Investoren) übrigens ein Marvel-Special aus, welches nicht nur auf die Anfänge des Marvel Cinematic Universe blickte, sondern auch in dessen Zukunft. Und einige der gezeigten Konzeptbilder zu Avengers: Age of Ultron sind wahrlich sehenswert und versprechen einen visuell gereifteren, kernigeren Film von Joss Whedon:



Und das Fazit für diese Geschichte? Öhm ... Disney hat einige heiße Eisen im Feuer, kommt bei meiner Lieblingsreihe leider nicht voran und hat mit Cars 3 einen Film in Produktion, der mir schon jetzt den Magen verdreht. Aber ... Hey, es gibt genug gutes, worauf ich mich freuen kann, von daher: Wird schon werden!

Sonntag, 16. März 2014

Besucherzahlen vs. IMDb: Die Muppets


Die Muppets sind Kult. Doch eine große, treue Fangemeinde bedeutet nicht automatisch einen konstanten Erfolg in den Kinos. Davon kann die kunterbunte Chaotentruppe auch in Deutschland ein Lied singen: Die Muppet Show stellte bei der Erstausstrahlung einen beeindruckenden Publikumsrenner für das ZDF dar und ist aktuell eines der Flaggschiffprogramme des Disney Channels. Obendrein läuft Muppet-Merchandising nicht all zu schlecht und die Muppet-Langfilme haben genug Publikum, um hierzulande regelmäßig neu aufgelegt zu werden. Dennoch können Kermit und seine Freunde nicht behaupten, auf der großen Leinwand wahre Publikumsmagneten zu sein. Offenbar warten deutsche Anhänger der Filzgruppe lieber auf die Heimkinoauswertung, statt ins Kino zu pilgern. Oder wie sonst wollen wir uns erklären, dass die Muppets bislang nicht einen einzigen Film in ihrer Vita aufweisen können, der die Millionen-Kinobesucher-Grenze durchbrach?

Angesichts einer so kleinen Besuchergruppe liegt die These nahe, dass die Qualität der einzelnen Filme dafür umso bedeutungsvoller ist. Bei einem überdimensionalen Franchise wie etwa den Avengers-Filmen, wo sich eingefleischste Fans, weniger treue Anhänger der Filmreihe und Blockbuster-Gelegenheitszuschauer zusammentun, sind durch Marketing und Konkurrenzfilme bedingte Schwankungen unvermeidlich. Wenn aber wie bei den Muppets eh nur eine kleine Menschenmenge ins Kino geht, um eine Produktion zu sehen, dann dürften doch die Mundpropaganda und der "Mehrfachbesuch-Faktor" einen größeren Einfluss haben. Oder etwa nicht?

Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie eng die Korrelation zwischen Qualität eines Muppet-Films und dessen Besucherzahl in Deutschland ist, möchte ich an dieser Stelle den hiesigen Kinoerfolg der bislang veröffentlichten Muppet-Streifen (nach Angaben von Insidekino.de) mit deren IMDb-Wert vergleichen. Das ist nicht unbedingt die Methode, die eine ultimative Antwort auf meine Frage ermöglicht, wohl aber eine, die uns immerhin einen groben Eindruck erschaffen dürfte. Also, wieso noch lange drumherum reden? Lasst uns loslegen!

Muppet Movie (1979, Regie: James Frawley)
IMDb: 7,7 Punkte
898.000 Besucher in Deutschland

Der große Muppet Krimi (1981, Regie: Jim Henson)
IMDb: 7,3 Punkte
0 Besucher in Deutschland, da er nur als Fernsehfilm und später im Heimkino ausgewertet wurde

Die Muppets erobern Manhattan (1984, Regie: Frank Oz)
IMDb: 6,9 Punkte
35.149 Besucher in Deutschland

Die Muppets Weihnachtsgeschichte (1992, Regie: Brian Henson)
IMDb: 7,7 Punkte
596.010 Besucher in Deutschland

Muppets - Die Schatzinsel (1996, Regie: Brian Henson)
IMDb: 6,9 Punkte
364.564 Besucher in Deutschland

Muppets aus dem All (1999, Regie: Tim Hill)
IMDb: 6,2 Punkte
180.668 Besucher in Deutschland

Die Muppets (2011, Regie: James Bobin)
IMDb: 7,2 Punkte
662.172 Besucher in Deutschland

Angesichts dessen, dass Der große Muppet Krimi in Deutschland keinen Kinostart erfuhr, ist es nur sinnvoll, ihn für diesen Vergleich nicht weiter zu berücksichtigen. Klammert den zweiten der Muppet-Langfilme aus, so ergibt sich folgende IMDb-Hitliste:

1) Muppet Movie & Die Muppets Weihnachtsgeschichte
3) Die Muppets
4) Die Muppets erobern Manhattan  &  Muppets - Die Schatzinsel
6) Muppets aus dem All

Die Hitliste der Muppet-Kinofilme, gemessen am Andrang an den deutschen Kassen, sieht unterdessen so aus:

1) Muppet Movie
2) Die Muppets
3) Die Muppets Weihnachtsgeschichte
4) Muppets - Die Schatzinsel
5) Muppets aus dem All
6) Die Muppets erobern Manhattan

Ein klares Bild ergibt sich aus diesem Vergleich also nicht. Zwar sind die drei erfolgreichsten Muppet-Filme auch mit guten IMDb-Werten bedacht, allerdings übertrifft Die Muppets von 2011 den besser bewerteten Weihnachtsfilm von 1992. Außerdem überholte an den hiesigen Kassen zwar Muppets - Die Schatzinsel den weniger beliebten Film von 1999, jedoch steht dieser noch immer besser dar als Die Muppets erobern Manhattan, der bei den IMDb-Usern auf Augenhöhe mit dem Muppet-Piratenabenteuer.

Eines aber würde ich auch unter Eid beschwören: Am 1. Mai startet Muppets Most Wanted in den deutschen Kinos. Und selbst wenn ich auf Anhieb nicht sagen würde, dass es mein liebster Muppet-Film ist, so ist er einer der besseren, weshalb ich es Kermit und Co. vom ganzen Herzen gönnen würde, wenn sie endlich einmal die Millionen-Besucher-Grenze in Deutschland knacken würden!

Samstag, 15. März 2014

Der kleine, fiese Bruder von Reservoir Dogs: Killing Time – Zeit zu sterben


Kaum ein Filmemacher mit solch einem unkonventionellen Geschmack hat so eine breite Fangemeinde wie der ehemalige Videothekar Quentin Tarantino. In den 90ern schuf er mit den Kulterfolgen Reservoir Dogs und Pulp Fiction so etwas wie ein neues Subgenre: Die gelassen erzählte, ebenso garstige wie spaßige Ganovenposse mit unvergleichlichen Dialogen und einprägsamen Gewaltausbrüchen. Schwarze Anzüge zum weißen Hemd mit schwarzer Krawatte wurden dank ihm in der Filmwelt zur Uniform der stets popkulturell bewanderten Zunft der ruchlosen Ganoven und redseligen Auftragskiller. Und zudem wurden durch seine Werke im Underground-Kriminalfilm geistreich orchestrierte Dialogfeuerwerke über Banalitäten zu einer wichtigeren Erfolgszutat als ausgedehnte Schießereien. Nicht nur in Hollywood, sondern auch im internationalen Kino, war es zwischenzeitlich en vouge, Tarantinos Stil zu imitieren und sich darin zu üben, ebenso faszinierende Verschmelzungen aus Spaß, Coolness und Gewalt anzustreben. Die Liste jener Filmemacher, die mit ihren Tarantino-Hommagen überzeugten, ist jedoch wesentlich kürzer als die Reihe derer, die scheiterten. Für jeden den Tarantino-Einfluss selbstsicher mit eigenen Ideen vermengenden Grosse Pointe Blank oder Snatch gibt es eine Handvoll von misslungenen Filmen wie Kai Rabe gegen die Vatikankiller oder Circus.

Seit der Jahrtausendwende werden die Hommagen an den frühen Tarantino wieder rarer und auch der Meisterregisseur selbst bleibt zwar seiner Schreibe treu, mischt seinen Stil aber mit immer neuen Zutaten auf. Filmfreunde, die sich nach prickelnder Neuware mit herrlich-altmodischer Tarantino-Note sehnen, müssen daher verstärkt ihre Augen nach kleinen, wenig beworbenen Filmperlen aufhalten. Ein solches Glanzstück ist der Thriller Killing Time – Zeit zu sterben des rumänischen Autorenfilmers und Schauspielers Florin Piersic Jr., der deutschen Filmliebhabern am ehesten durch seine Nebenrolle im international besetzten Lang lebe Charlie Countryman ein Begriff sein könnte.

Die Handlung dieses Kammerspiels ist von bestechender Simplizität: Zwei namenlose Auftragskiller werden von ihrem strengen Chef in die Wohnung ihres neuen Opfers geordert. Dort haben sie nach ihrem Eintreffen allerdings noch allerhand Zeit totzuschlagen, bis die zu liquidierende Person endlich ankommt. Und so warten die ungleichen Profis darauf, dass die Stunden vergehen. Der Leerlauf im Tagesplan der beiden Killer bietet immensen Raum für packende, smarte und urkomische Dialoge, womit das Drehbuch zu Killing Time – Zeit zu sterben zu einem Paradebeispiel für bewusst reduzierte Plots wird. Keine Verfolgungsjagden, keine ausführlich erzählten Subplots, nicht einmal Rückblenden, die die Hintergrundgeschichte der Auftragsmörder beleuchten: Einzig und allein das, was die Protagonisten während der Warterei über ihre Persönlichkeiten preisgeben und was sich aus diesen Gesprächen entwickelt, ist von Bedeutung.

Und das, was da entsteht, ist eine Art "Reservoir Dogs trifft die rumänische Antwort auf Der Gott des Gemetzels": Während der von Florin Piersic Jr. verkörperte Mörder ein wortkarger Einzelgänger ist, der die elendig lange Wartezeit eigenbrötlerisch mit Tischtennis oder Lesen verbringt,  ist sein Kollege von einem ganz anderen Schlag. Cristian Gutaus schlacksige Figur ist nämlich nicht nur ungeheuerlich mitteilungsfreudig, sondern vertritt zudem sowohl in philosophischen Fragen wie auch in Sachen Popkultur gewöhnungsbedürftige Standpunkte. Da braucht es nur wenige Stunden, bis aus der kargen Wartezimmer-Atmosphäre, die zunächst in der Wohnung des Opfers herrscht, ein Pulverfass aus angestautem Hass wird. Während also Roman Polanski in Der Gott des Gemetzels ausführlich auf Zelluloid bannte, wie sich zwei Ehepaare aus der oberen Mittelschicht an die Gurgel gehen und der zweifach für den Academy Award nominierte Im August in Osage County die hasserfüllten Wortgefechte einer Südstaaten-Großfamilie ins Kino holte, zeigt Florin Piersic Jr. in diesem Kammerspiel, was geschieht, wenn sich Gangster mit ihren verbalen Aussetzern gegenseitig in den Wahnsinn treiben.

Eingangs mag die Konfliktsituation zwar nicht bloß simpel, sondern vor allem ausgereizt wirken: Der kühle, reizbare Profi auf der einen Seite, der leidenschaftlichere, lautere Selbstunterhalter auf der anderen. Jedoch belässt es Florin Piersic Jr. nicht einfach bei dieser schlichten Konstellation. Mit seiner und Cristian Gutaus Figur treffen nämlich nicht einfach die typischen Buddy-Movie-Archetypen aufeinander, sondern zwei auf Persönlichkeiten aus Tarantino-Filmen und -Hommagen basierende Extreme. Cristian Gutau verkörpert mit seinen Popkultur-Gesprächsthemen, denen er harsche Twists verleiht, den nerdig-coolen Geist aus Pulp Fiction und Konsorten, Florin Piersic Jr. hingegen ist als seinem Job kühl gegenüberstehender Beau die stylisch-pragmatische Personifizierung der einzigartig trockenen Art, mit der die von Tarantino popularisierten Killer Mord als ihr täglich Brot verstehen.

Mit einer ausgedehnten Debatte darüber, ob nun Spider-Man oder Batman der beste Superheld von allen ist, kippt aber nicht nur die Stimmung zwischen den voneinander wenig angetanen Mördern, obendrein setzt sich auch ein schleichender Enthüllungsprozess in Bewegung. In kleinen Schritten, die von den Darstellern mit präzisem Spiel unterstrichen werden, lassen die wartenden Killer immer tiefer in ihre Seele blicken. Die neuen Erkenntnisse über die gegensätzlichen Typen verdeutlichen, dass sie komplexer und gefährlicher sind als zunächst gedacht. Während sich der kühle Profi als verbittert und kalkulierend, in seinem Arbeitsethos aber doppelzüngig entpuppt, offenbart sich sein quasselnder Kollege als ebenso impulsiv wie schwermütig und sadistisch. Somit verschärfen nicht nur die geschliffenen Dialogzeilen die beklemmende Wirkung dieses bewusst tristen Kammerspiels, auch die immer brenzliger werdenden Auseinandersetzungen der Anti-Helden lassen eine schneidende Spannung entstehen.

Spätestens, sobald eine Hälfte des gestressten Duos eine Zigarettenpause von den unentwegten Anfeindungen einfordert, vollführt Killing Time – Zeit zu sterben eine Kehrtwende, die aus einer erfrischend minimalistischen Tarantino-Hommage ein umwerfendes Genre-Kleinod macht: Die Mischung aus lässigem Auftragskiller-Smalltalk und brodelnder Anspannung explodiert und hinterlässt an ihrem begrenzten Schauplatz ein nihilistisches Psychogramm mit erstaunlichen Performances. Dies ist wohlgemerkt nicht allein die Leistung der im finalen Akt besonders versiert agierenden Hauptdarsteller, sondern auch der jungen Mimin Olimpia Melintes, die als Todesangst erleidende Nachbarin des namenlosen Opfers mit ihrem intensiven Schauspiel bleibenden Eindruck hinterlässt und für intensive Gänsehaut sorgt.

Angesichts der raffinierten Dialoge und der zielstrebig reduzierten Erzählweise ist die technische Umsetzung von Killing Time – Zeit zu sterben reine Nebensache. Es ist trotzdem clever von Florin Piersic Jr., die Zuschauer möglichst unmittelbar in die Lage der beiden Killern zu versetzen. Vom Vor- und Abspann abgesehen ist keine Filmmusik zu vernehmen, die Kamera folgt weitestgehend in einem dokumentarischen Stil das Handeln der Protagonisten und nur in Ausnahmefällen betonen Lichtgebung oder Schattenfall die Stimmung. Kurze von Titelkarten markierte Zeitsprünge raffen die stundenlange Wartezeit der Auftragsmörder zusammen, doch abseits dessen ist Killing Time – Zeit zu sterben eine unverfälschte, direkte und bewusst reduzierte Schilderung der sich schleichend von Coolness zu Schrecken wandelnden Ereignisse. Diese gekonnte Zurückhaltung hätte mit einem höheren Budget oder einer erfahreneren Crew gewiss etwas feiner geschliffen werden können – die wenigen Kameraschwenks und -fahrten des Newcomer-Kameramnns Cristian Stan sind teils sehr schroff und die Wohnung des Opfers ist fast schon lachhaft karg eingerichtet. Aber davon abgesehen lässt sich kaum etwas an Killing Time – Zeit zu sterben bemängeln.

Vom die ambivalente Stimmung des Films etablierenden Eröffnungsmonolog über die pointierten Dialoge im Mittelteil hin zum aufreibenden Finale (inklusive gewieft eingewobener Verbeugung vor dem großen Vorbild Tarantino) gelang Florin Piersic Jr. somit ein einfallsreicher Rücksturz ins Gangsterkino der 90er-Jahre sowie eine lässig-finstere Thrillerantwort auf Zank-Dramakomödien der Marke Der Gott des Gemetzels, Der Vorname und Konsorten.

Fazit: Minimalistisch, megaböse, mordscool – und mit einem denkwürdigen Schluss, der Quentin Tarantino neidisch machen dürfte.

Freitag, 14. März 2014

Muppets Most Wanted: We're Doing a Sequel

Während die Promo zu Die Muppets mit ihren genialen Fake-Trailern nahezu durchgehend für Begeisterung sorgte, findet die Arbeit, die Disney im Vorfeld der Fortsetzung Muppets Most Wanted leistet, nicht ganz so lauten Zuspruch. Kleine Faustregel: Während Parodien auf Internet-Kritiker und übertrieben gewichtige TV-Spots gut ankommen, finden reguläre Trailer kaum Gegenliebe. Wenig überraschend, sind diese doch relativ lieblos geschnitten und erwecken somit den Eindruck, dass James Bobins zweiter Muppet-Streifen eher kindisch und witzlos ist.

All jene, die mit dem Humor der Parodie-Trailer wenig anfangen können und die normalen Trailer öde oder sogar abschreckend finden, generell aber Freunde des Muppet-Humors haben, dürfen aber aufatmen. Der nachfolgende Trailer zeigt die Muppets nämlich wieder in Höchstform - und ist tonal repräsentativ für die große Sause, die Muppets Most Wanted darstellt. Aber Achtung: Dieser Trailer zeigt einen großen Teil des genialen Eröffnungssongs sowie eine Handvoll der zahlreichen Cameo-Auftritte. Wer unwissend ins Kino gehen will, sollte also aussetzen:



Dienstag, 11. März 2014

Disneys musikalisches Seifenwasser

Elsa, die einzige Figur aus Walt Disneys 53. Meisterwerk, die ich mag, lässt sich ihre Oscar-Siege nicht zu Kopf steigen

Vergangene Woche hatte ich Geburtstag, und eigentlich hätte zumindest ein Tagesprogrammpunkt für mich feststehen müssen: Ein Ende November gestarteter Walt-Disney-Animationsfilm läuft aufgrund der massiven Nachfrage weiterhin in einigen deutschen Kinos (teils sogar noch immer in 3D) und kann sich mittlerweile als zweifacher Oscar-Gewinner und Milliarden-Dollar-Kassenschlager bejubeln lassen? Im Normalfall würde ich als großer Disney-Liebhaber dies mit einem Kinobesuch feiern! Bloß handelt es sich bei diesem mit Preisen überhäuften kommerziellen Volltreffer leider nicht um den genialen Ralph reicht's  oder um das wundervolle Märchenmusical Rapunzel sondern ausgerechnet um Die Eiskönigin.

Und so sehr die laute Mehrheit die Geschichte eines Tollpatschs, eines sprechenden Schneemanns und eines grobschlächtigen jungen Mannes, die unentwegt einer viel interessanteren Figur das Rampenlicht stehlen, als den besten Disney-Film seit Der König der Löwen feiern mag: Die Eiskönigin bleibt für mich einer der unattraktivsten Einträge in den großen Disney-Trickfilmkanon. Also führte mich mein obligatorischer Geburtstags-Kinobesuch in 300: Rise of an Empire.

Weshalb mich Die Eiskönigin so kalt lässt, habe ich bereits zu erläutern versucht, jedoch fehlte mir bezüglich der Lieder abseits von Let It Go ein treffender Begriff der beschreibt, wieso mich die Gesangseinlagen nicht so mitreißen wie selbst die durchschnittlichste Alan-Menken-Komposition. Dann aber stolperte eine Vorschau auf das Bonusmaterial der Die Eiskönigin-Blu-ray ins Internet, und zwar in Form eines Clips des speziell für die Making-of-Extras verfassten neuen Songs der Liedermacher Kristen Anderson-Lopez & Robert Lopez. Dieser Titel ist zwar eingängig, jedoch auch symptomatisch dafür, was mich an den "richtigen" Eiskönigin-Nummern stört:



Gewiss, vor allem der Refrain mit der mehrstimmig, leicht versetzt und dennoch betörend harmonisch gesungenen Zeile "How Did We Make / How Did We Make / How Did We Make / Frozen?" geht sofort ins Ohr. Und für eine Blu-ray-exklusive Nummer ist dieses fröhliche Lied sehr gut produziert. Aber: Für mich ist dies das musikalische Pendant zu Seifenwasser.

Von der Grundstimmung her besteht eine entfernte Verwandschaft zu typischen Feel-Good-Disneystücken, jedoch fehlen dieser blumigen, harmlosen Nummer charakterliche Ecken und Kanten. Das Lied ist zu sauber, zu freundlich. Ich vermisse die operettenartige Mehrdimensionalität eines Alan Menken und das eloquente Sprachgefühl von Howard Ashman, das etwa das Eröffnungsstück von Die Schöne & das Biest aufwies:



Selbstredend kann ich von der neuen Lopez-Nummer für die Eiskönigin-Blu-ray nicht erwarten, dass sie einen großen Disney-Songklassiker in den Schatten stellt. Aber sie verdeutlicht, was mich an allen Liedern von Kristen Anderson-Lopez & Robert Lopez stört, die das Ehepaar für Disney verfasst hat. Von Let It Go natürlich abgesehen. Schon The Backson Song aus Winnie Puuh etwa war mir zu sanft, zu lieblich, wenn man bedenkt, dass er von einem unbekannten Grauen handelt und eine surreale Filmsequenz begleitet. Und dafür, dass Do You Want to Build a Snowman? ein großes Expositions-Dialoglied ist, bietet es mir außerhalb seiner Eingängigkeit viel zu wenig. Hat Little Town französisches Flair und Schwung, ist Do You Want to Build a Snowman? einfach nur rund und setzt sich rasch im Gehörgangfest. Das tun aber auch viele Kinderlieder. Von Disney erwarte ich mehr.

Was How Did We Make Frozen mir darüber hinaus eröffnete: Let It Go als hervorragende Ausnahme einmal ausgeklammert, so geht der Lopez-Stil in meinen Ohren nur bei Parodien wirklich auf. Als Disney-Lied ist das Making-of-Lied eher durchwachsen, als verspielt-ironische Nummer für Zwischendurch dagegen nett. Doof nur, dass sich die anderen Lopez-Disney-Nummern für mich auch genauso anhören, wenn sie ernst gemeint sind. Kaum hatte ich mir dies dank How Did We Make Frozen vor Augen geführt, fiel bei mir endlich der Groschen: Robert Lopez hat (anders als der über Melodien Geschichten erzählende Alan Menken) seine Wurzeln in der Welt der Musical-Persiflage. Ob Avenue Q oder The Book of Mormon: Wenn hier eine Gesangseinlage so klingt, wie die übertrieben glückselige Raubkopie anderer Stücke, so ist dies Teil des Konzepts und die melodische Zahnlosigkeit lässt sich durch Albernheit der Texte in clevere Bissigkeit umwandeln. Das hat Robert Lopez sogar bereits für den erweiterten Disney-Kosmos vollbracht, und zwar als einer der zahlreichen Komponisten der Scrubs-Musicalfolge:



Ich liebe Scrubs: Mein Musical. Aber bloß weil es dort herrlich ist, wie Welcome to Sacred Heart als weichgespülte Disney-Nummer daherkommt, heißt das nicht, dass ich diesen Stil durchgehend hören möchte.

Hoffentlich werden wir möglichst bald wieder ein neues Alan-Menken-Stück in einem animierten Disneyfilm hören. Ich fände es nämlich zu schade, wenn die Eheleute Lopez den Disney-Hofkomponisten aufgrund des Eiskönigin-Hypes mit ihrem Seifenwasser aus seinem Königreich spülen würden ...

Montag, 10. März 2014

Die Evolution von "The Big Bang Theory": Weniger Plotvarianz, mehr Ambition


Die meisten Fernsehserien verlieren im Laufe der Zeit an Zuschauern. Zu den raren, glorreichen Ausnahmen zählen dafür einige der stärksten Serien der aktuellen TV-Ära. Wie etwa das phänomenal gespielte Drama Breaking Bad oder ... The Big Bang Theory! In Deutschland einst im Nachmittagsprogramm von ProSieben gestartet, holt sich die nerdige Sitcom nunmehr in der Primetime regelmäßig den Tagessieg bei den werberelevanten Fernsehnutzern. Und in ihrem Heimatland kletterte die US-Serie vom 68. Platz der Fernsehjahrescharts (Staffel eins) sogar auf Rang drei (Staffel sechs) empor. Nicht nur das breite Publikum reagiert immer euphorischer auf die Geschichten über Leonard, Sheldon und Co., auch die Serienbesprechungen professioneller Kritiker sind immer wärmer geworden. Zudem hat The Big Bang Theory eine immer größere Präsenz bei namenhaften Medienpreisen. Wurden die ersten Staffeln kaum beachtet, winken seit 2011 jährlich unter anderem Golden-Globe-Nominierungen und auch bei den Emmys ist die Sitcom vermehrt vertreten.

Gewiss ist nicht alles eitel Sonnenschein in der The Big Bang Theory-Welt, denn ein kleiner, doch nicht zu verachtender Teil der seit Beginn an bestehenden Fangemeinde klagt an, dass das Format mehr und mehr seine Wurzeln verraten würde. Einst als andersartige Sitcom gestartet, die sich zu großen Teilen auch durch ihre wissenschaftlichen Anspielungen und Popkulturgags definiert, sei sie nunmehr durch all zu viel Beziehungsgeschichten völlig konventionell geworden. Und zudem hätten die zentralen Figuren ihre Eigenheiten verloren, weil sie nun von den Autoren in neue Persönlichkeiten gedrängt wurden, die mehr Liebesgeplänkel erlauben.

Ich für meinen Teil mochte The Big Bang Theory schon in frühen Jahren, jedoch würde ich der Mehrheit der Kritikern zustimmen, dass diese von verschrobenen Außenseitern bevölkerte Sitcom über die Jahre größere Stärken entwickelt hat. Schaute ich die Serie einst gerne, so ist sie für mich nunmehr zu einem Muss geworden. Ich sehe zwar, woher die vereinzelten Fanklagen herrühren, die Figuren würden nun alle sehr ähnliche Storys durchlaufen, gleichwohl erachte ich diesen Aspekt einiger aktueller The Big Bang Theory-Folgen sogar als Stärke.

Ich möchte versuchen, meine Perspektive zu erläutern: Früher erzählte die Serie mehr oder minder typische Sitcom-Plots (ein WG-Bewohner will seine Ruhe haben, der andere in der Bude ein Date abhalten; unerwarteter Eltern-Besuch; Rivalität unter Arbeitskollegen und Freunden; chaotischer Kinobesuch), garniert mit nerdigen Gags und Details. Mal zanken zwei Figuren wissensreich über Comics, dann gibt es ulkige Vergleiche zwischen Star Trek, reale physische Gesetze und Beziehungen und dann will der verschrobene Sheldon mit viel Vorlauf zum Kino gehen, um ja einen guten Platz bei Indiana Jones zu bekommen, nur damit seine Freunde sehr wohl trödeln, während Sheldons Erzfeind in der Warteschlange vom Kinobesitzer vorgelassen wird.

Schon die Vergrößerung des ursprünglichen Ensembles um zwei weitere weibliche Hauptfiguren verschob ein wenig die Dynamik der Serie, mit der fünften Staffel aber hat sich The Big Bang Theory neu erfunden. Beziehungen sind nun endgültig kein mehrfach verwendeter Plotmotor, der die Episode rund um die geekigen Referenzen am laufen hält, sondern unzertrennlich mit der DNA der Serie verbunden. Die Entwicklungen der Liebespaare im Zentrum der Serie dienen als roter Faden, viele Folgen handeln davon, das mehrere Paare ähnliche Probleme haben, sie aber unterschiedlich anpacken - und so ist die Liebe nun ganz klar ein Thema von The Big Bang Theory. Was oberflächlich nach einer Verwässerung einer nicht all zu sehr auf den Mainstream schielenden Sitcom klingt, ist aufgrund der Art, wie die Serienautoren diese Entwicklung anpacken, eine ambitionierte Weiterentwicklung des früheren Konzepts "Eine Sitcom über Außenseiter mit nerdigen Interessen".

Nunmehr geht die Serie ihren Charakteren durchgehend stärker auf den Grund und beleuchtet nicht nur Geek-Interessen, sondern zeigt auch, wie sich junge Erwachsene mit außergewöhnlichen Persönlichkeiten durch soziale Aufgaben manövrieren. Und das große Feld der Liebesthematik ist dafür ein idealer Spielplatz! Vor diesem Hintergrund (und weiterhin mit Popkulturwitzen garniert) lassen die Serienmacher einen bunten Reigen an Figuren auftreten, die verwandte Probleme in Sachen Zwischenmenschlichkeit haben, die aber jeweils unterschiedliche Ausprägungen repräsentieren und daher mit vergleichbaren Problemen anders umgehen.

Und so behandeln viele Episoden seit Season fünf entweder im Haupt- oder Nebenplot (und mit zunehmender Häufigkeit parallel zueinander), wie jemand wenig erfahrenes mit Beziehungshürden umgeht. Jemand, der ...

... eine psychische Verhaltensstörung hat und obendrein asexuell ist.
... unter einer so harschen, sozialen Phobie leidet, dass er nur dann ohne Alkoholeinfluss mit Frauen sprechen kann, wenn er sie seit langer Zeit kennt.
... seine durch ungleiche elterliche Wertschätzung gewonnenen Komplexe trotz eigentlich verspielt-unschuldligem Charakter in dauernden Chauvinismen kompensiert.
... seine gesamte Kindheit und Jugend über ein Außenseiter war und daher selbst jetzt seine glückliche Beziehung dadurch erschwert, dass er aufgrund seiner schlimmen Vergangenheit überempfindlich ist und daher teils anstrengende Verhaltensweisen an den Tag legt.
... als ihre Krankheit langsam überkommende Sozialphobikerin mit einer selbstunsicher-vermeidenden Persönlichkeitsstörung nun ihre lange soziale Isolation überkompensiert, indem sie befremdlich euphorisch an soziale Interaktionen herangeht.
... in seinem verschüchterten sozialen Umfeld aufgrund von Durchsetzungsfähigkeit und hohem karrieretechnischem Engagement auffällt.
... in solch einer Truppe als "die Normale" versucht, klar zu kommen.

Mit Ausnahme der aus wenig auffälligem Holz geschnittenen Normalo-Nachbarin Penny befinden sich alle zentralen Figuren der Nerd-Sitcom innerhalb eines eng verknüpften Spektrums sozialer Dysfunktionen. Ihre Probleme mit der alltäglichen Zwischenmenschlichkeit im Allgemeinen und engen, auf Liebe basierenden Beziehungen ganz im Besonderen, sind von unterschiedlich starker Ausprägung und bedecken teils variierende Felder dieses Themengebietes, gleichwohl ergänzen sich diese Probleme der The Big Bang Theory-Hauptfiguren. Und um aufzuzeigen, wie die kleinen, jedoch feinen Unterschiede zwischen diesen Persönlichkeiten ausfallen, zeigen die Serienautoren auf, wie ihre Figuren in sehr ähnlichen Situationen handeln. Daher müssen gewisse Grundplots vermehrt herhalten: Zwei Serienpaare leiden gleichzeitig unter Fehlkommunikation, unter Terminschwierigkeiten oder unter dem ewigen Prioritätenstreit "Arbeit oder Beziehung". Da die Protagonisten allesamt verschiedene Grundvoraussetzungen haben, mit denen sie ins "verantwortungsreiche Beziehungsleben" stolpern, nehmen diese sich so sehr gleichenden Plots stets einen völlig unterschiedlichen Verlauf - und dies ergibt dann eine amüsante Serie mit großer Faszination. Was macht Sheldon, wenn er mit Amy eine Krise durchlebt, die Penny zuvor mit Leonard durchgemacht hat?

Die anfänglichen Wiederholungen münden rasch in völlig neue Situationen und so sind nicht nur humorvolle Überraschungen gegeben, es entsteht so auch eine Bindung zu den Protagonisten, die in den ersten Staffeln nicht möglich war. Die unspezifische Frage "Na, worüber zanken sich Leonard und Sheldon heute?" erzeugt keinen so großen Drang, erneut einzuschalten, als die detailliertere, mehr Neugier schürende "Was wird Sheldon tun, wenn ihm das widerfährt, was neulich Leonard passierte?" Statt sich allein auf neue Pointen und Abwandlungen typischer Sitcomhandlungen zu verlassen, fügen die neuen The Big Bang Theory-Folgen mit dieser Suche nach der Differenz in verwandten Sozialproblemen eine weiter Dimension zu, die das Format nicht nur einmaliger macht, sondern weitere Steilvorlagen für Gags liefert.



Selbstredend ist The Big Bang Theory weiterhin primär eine pointenlastige Sitcom, die nicht die charaktertiefe eines intensiv recherchierten, subtilen und facettenreicen Dramas anstrebt. Aber in den neuen Episoden besteht Raum für gut gespielte Charaktermomente, die wiederum durch ihre Themenschwerpunkte und Herzlichkeit eine neue humoristische Fallhöhe ermöglichen. Weil die Figuren plausibler und liebenswerter erscheinen, haben ihre Eigenheiten und Dialogwitze mehr Gewicht und treffen noch stärker ins Schwarze. Und somit stellt The Big Bang Theory für mich in jüngeren Jahren eine großartige Comedyserie über die Liebesfähigkeit der romantisch und sozial Gebeutelten dar.

Mittwoch, 5. März 2014

Oscar Bait trifft Webhit

Was geschieht, wenn man virale Videohits wie Double Rainbow mit Oscar-reifen Filmideen und einem riesigen Haufen Filmstars mischt? Ganz einfach: Jimmy Kimmels neuste Runde an Faketrailern. Im Anschluss an die Verleihung der 86. Academy Awards bewies der US-Late-Night-Talker, wie viel Spaß die großen Hollywoodstars so mitmachen und präsentierte folgende großartige Clips:

Tja, ich hab nun Lust, Jimmy Kimmel als Oscarmoderator 2015 zu sehen!







Samstag, 1. März 2014

Meine finale Oscar-Prognose 2014


In der Nacht vom 2. auf den 3. März ist es endlich so weit: Die 86. Academy Awards werden verliehen. Filmliebhaber aus der ganzen Welt blicken dann nach Los Angeles, um zu sehen, welche Filme als Gewinner in die Geschichte eingehen, wer zurecht und wer unberechtigterweise übergangen wird. Und selbstredend fragen sich mal wieder zahllose Zuschauer: "Wie gut habe ich wohl getippt?" Auch ich zähle mich zur Gruppe der passionierten Oscar-Tipper und möchte euch hier meine Vorhersage präsentieren. 

Wie ich vorgehe? Ich basiere meine Einschätzungen auf anderen Filmpreisen, Kritikerreaktionen, meinem Bauchgefühl und den Entscheidungen, die bislang bei den Oscars gefällt wurden. Eine Methode, die sich für mich in den vergangenen Jahren als relativ brauchbar erwies. Dieses Jahr ist es aber sehr knifflig, da die Indikator-Preisverleihungen sehr zwiegespalten urteilten. Nun, immerhin wird es also eine spannende Oscar-Nacht!

Prognostizierte Gewinner in Fett und Kursiv!

Bester Animationsfilm
  • Die Croods
  • Ich - Einfach unverbesserlich 2
  • Ernest & Celestine
  • Die Eiskönigin
  • The Wind Rises
Nahezu sämtliche Indikatorpreise, darunter der Golden Globe und der Annie, gingen an Die Eiskönigin, zudem eroberte dieser Film die Herzen von Kritikern und zahlendem Publikum gleichermaßen im Sturm. Es wäre töricht, gegen ihn zu tippen.

Bester fremdsprachiger Film
  • The Broken Circle – Belgien
  • Das fehlende Bild  – Kambodscha
  • Die Jagd – Dänemark
  • La Grande Bellezza – Die große Schönheit – Italien 
  • Omar – Palästinensische Autonomiegebiete
Oh du tückische: Diese Kategorie ist eine wahre Krux. Zwar gewinnen dann und wann gerne die Frontrunner (etwa: Nadar und Simin), doch häufig genug überholt ein anderer Kritikerliebling aus dieser Sparte den Film, der zuvor bei den Globes und BAFTAs den Award für den besten fremdsprachigen Film gewann (so verlor unter anderem Das weiße Band). Der Frontrunner dieses Jahr: Der in Europa alle Filmpreise einsackende La Grande Bellezza. Die möglichen "Spielverderber": Die Jagd und The Broken Circle. Ich versuche mich in einem Oscar-Tippspiel-Psychospielchen: Nahezu Jahr für Jahr setze ich auf den Frontrunner, doch dann wird es sein engster Verfolger. Daher gehe ich hier aktiv gegen meine Vernunftentscheidung (die wäre La Grande Bellezza) und setze auf Die Jagd.

Bester animierter Kurzfilm
  • Feral 
  • Get a Horse!
  • Mr Hublot 
  • Possessions
  • Für Hund und Katz ist auch noch Platz 
Auch wenn Mr Hublot, die originelle Geschichte eines Uhrenmachers mit Zwangsneurose, die nachhallende Fabel Feral, der im Miyazaki-Stil gehaltene Possessions über einen Samurai, der sich mit schaurigen Ereignissen konfrontiert sieht und die visuell runde Kinderbuchadaption Für Hund und Katz ist auch noch Platz alles etwas für sich haben, so bevorzugen die neuen Abstimmregeln bekanntere Kurzfilme. Get A Horse! gewann schon bei den Annies (hat also bei Animationskennern offenbar einen Nerv getroffen) und ist jedem Eiskönigin-Kinozuschauer bekannt. Ein relativ sicherer Tipp.

Bester Kurzfilm
  • That Wasn't Me
  • Avant que de tout perdre
  • Helium
  • Do I Have To Take Care of Everything?
  • The Voorman Problem 
Diese verflixte Kategorie. Gewinnt Helium, die traurige Geschichte eines todkranken Jungen und des Hausmeisters, der in dem Krankenhaus arbeitet, wo sich dieses Kind seinem Ende nähert? Ist es Avant que de tout perde, der von einer Ehefrau handelt, die vor ihrem brutalen Mann zu fliehen versucht? Wird es Do I Hate To Take Care of Everything?, der energetische, kurzweilige Film über eine Frau, die gegen Mittag aufwacht und feststellen muss, dass sie ihre ganze Familie für eine Hochzeit bereit machen muss? Oder doch That Wasn't me, ein minimalistischer Thriller über Kindersoldaten? Oder trifft es den viel Buzz auf sich ziehenden Kurzfilm The Voorman Problem, basierend auf einer Kurzgeschichte von Cloud Atlas-Autor David Mitchell über einen Psychiater, der einen Mann interviewt, der sich für Gott hält? Aufgrund der philosophischen Fragen dieses Films einerseits und der namhaften, spaßigen Besetzung (Martin Freeman und Tom Hollander) andererseits vereint letztgenannter Kandidat Kurzweil und Tiefsinn. Für mich ein Erfolgsrezept, zumal dieser Kurzfilm mitterweile der prominenteste aus diesem Feld ist. Sowas kann in den "kleinen" Kategorien selten schaden.

Bester Dokumentarfilm
  • The Act of Killing 
  • Cutie and the Boxer 
  • Dirty Wars: The World Is a Battlefield 
  • Al Midan 
  • 20 Feet from Stardom
Ein enges Dreierrennen zwischen Al Midan (Thema: Arabischer Frühling), 20 Feet from Stardom (inspirierende, energetische Doku über Background-Sängerinnen) und den verstörenden Kritikerliebling The Act of Killing, ein erzählerisches Experiment, in dem Völkermörder ihre Taten in Filmform nacherzählen sollen. Greifbar und relevant, in Film gepackte Euphorie oder surreal, intelligent und bösartig pointiert? Ich setze mit einem unguten Bauchgefühl auf die am häufigsten diskutierte und am lautesten gelobte Doku in diesem Feld.

Beste Kurzdokumentation
  • CaveDigger
  • Facing Fear
  • Karama Has No Walls
  • The Lady in Number 6
  • Prison Terminal: The Last Days of Private Jack Hall
Die Kategorie, in der es fast schon darauf hinausläuft, zu bewerrten, welches Thema einem mehr zu Herzen geht. In Reihenfolge der Nominierungsliste geht es dieses Jahr um: Eine Reportage über einen Künstler, der gigantische Sandskulpturen baut. Ein Neonazi trifft sein homosexuelles Gewaltopfer. Ein Blick auf die Todesfälle im arabischen Frühling. Die Älteste noch lebende Holocaustüberlebende, die davon erzählt, wie sie allein aufgrund ihres musikalischen Talents überleben konnte. Und zuletzt gibt es noch eine Doku über einen Todestraktinsassen, der von seinen Mithäftlingen gepflegt wird. Ich kann nicht anders, als auf die tragische, rührende Geschichte der Holocaustüberlebenden zu tippen.

Bester Ton
  • Captain Phillips – Chris Burdon, Mark Taylor, Mike Prestwood Smith und Chris Munro 
  • Gravity – Skip Lievsay, Niv Adiri, Christopher Benstead und Chris Munro 
  • Der Hobbit – Smaugs Einöde  – Christopher Boyes, Michael Hedges, Michael Semanick und Tony Johnson 
  • Inside Llewyn Davis – Skip Lievsay, Greg Orloff und Peter F. Kurland 
  • Lone Survivor – Andy Koyama, Beau Borders und David Brownlow
Jeder Film wäre ein verdienter Sieger, doch die Klangqualität von Inside Llewyn Davis, die dynamische Soundkulisse des klugen Thrillers Captain Phillips, das Knochenknacksen von Lone Survivor hatten alle bei den bisherigen Sound-Awards keine Chance gegen Gravity. Und da die Soundkulisse nicht nur überwältigend ist, sondern durch bewusste Auslassungen auch teils auffällig, glaube ich kaum, dass Gravity nun ausgerechnet beim Oscar verliert.

Bester Tonschnitt
  • All Is Lost – Steve Boeddeker und Richard Hymns
  • Captain Phillips – Oliver Tarney 
  • Gravity – Glenn Freemantle 
  • Der Hobbit – Smaugs Einöde – Brent Burge 
  • Lone Survivor – Wylie Stateman
Auch hier gilt: Gravity ist der bisherige Abräumer und da bis auf die Dialogfragmente alles künstlich erschaffen werden musste, ist dies auch die größte (und somit beste?) Leistung.

Beste Effekte
  • Gravity – Tim Webber, Chris Lawrence, Dave Shirk und Neil Corbould 
  • Der Hobbit – Smaugs Einöde – Joe Letteri, Eric Saindon, David Clayton und Eric Reynolds 
  • Iron Man 3 – Christopher Townsend, Guy Williams, Erik Nash und Daniel Sudick 
  • Lone Ranger – Tim Alexander, Gary Brozenich, Edson Williams und John Frazier 
  • Star Trek Into Darkness – Roger Guyett, Patrick Tubach, Ben Grossmann und Burt Dalton
So hämisch ich auch bei einem Sieg vom Lone Ranger grinsen würde: Gravity ist nahezu komplett computergeneriert, sieht aber aus wie eine Weltalldoku. Das garantiert den Sieg.

Bestes Make-up & Hairstyling
  • Dallas Buyers Club – Adruitha Lee und Robin Mathews 
  • Jackass presents: Bad Grandpa – Stephen Prouty
  • Lone Ranger – Joel Harlow und Gloria Pasqua-Casny
Sind wir mal ganz ehrlich: McConaughey und Leto haben sich für Dallas Buyers Club mager gehungert und erarbeiteten eine Leichenblässe. Das Make-up-Budget für den Film betrug 250 Dollar. Anders gesagt: So viel haben die nominierten Verantwortlichen nicht geleistet. Im Gegensatz zu den Leuten hinterm Altersmake-up der anderen beiden Filme. Eigentlich müsste Dallas Buyers Club hier leer ausgehen. Aber ... das wird nicht passieren. Auch wenn es Lone Ranger echt verdient hätte, wenn man nur an William Fichtner und den gealterten Tonto denkt.

Bestes Produktionsdesign
  • 12 Years a Slave – Adam Stockhausen und Alice Baker
  • American Hustle – Judy Becker und Heather Loeffler
  • Gravity – Andy Nicholson, Rosie Goodwin und Joanne Woollard
  • Der große Gatsby – Catherine Martin und Beverley Dunn
  • Her – K. K. Barrett und Gene Serdena
Hier ist eigentlich alles möglich: Gewinnt einer der drei Gewinner der Art-Directors-Guild, also das digitale, realitätsnahe Spektakel Gravity, Baz Luhrmanns popmöse Romanverfilmung Der große Gatsby mit seinen prachtvollen Sets oder doch die subtile Zukunftsvision von Her? Oder wird es doch die rau-dramatische Arbeit von 12 Years a Slave? Oder das opulente 70er-Feeling von American Hustle? Ich persönlich vertraue bei meiner Prognose auf die Liebe der Academy zum Look von launigem Retropomp, wie in Hugo Cabret, Die Geisha, Chicago oder Moulin Rouge. Wenn es aber doch Her wird, wäre ich hoch erfreut.

Beste Kamera
  • The Grandmaster – Philippe Le Sourd
  • Gravity – Emmanuel Lubezki
  • Inside Llewyn Davis – Bruno Delbonnel
  • Nebraska – Phedon Papamichael
  • Prisoners – Roger Deakins
Jeder Nominierter wäre ein verdienter Sieger. Doch der atmosphärisch-verwaschene Stil von Inside Llewyn Davis, der herbstiche Look von Prisoners, das entlarvende Schwarz-weiß von Nebraska und die coolen Licht-und-Schatten-Spiele von The Grandmaster haben kaum eine Chance gegen die atemberaubenden Plansequenzen von Gravity, die bereits massig Preise abräumten.

Beste Kostüme
  • 12 Years a Slave – Patricia Norris
  • American Hustle – Michael Wilkinson
  • The Grandmaster – William Chang Suk Ping
  • Der große Gatsby  – Catherine Martin
  • The Invisible Woman – Michael O'Connor
Ich sehe drei mögliche Gewinner: Den prachtvollen, detailreichen Reichtum an 20er-Garderobe in Der große Gatsby, den bei den Costume Designer Guild Awards ausgezeichneten 12 Years a Slave und die enthüllende, verspielte 70er-Kleider von American Hustle. Da Luhrmanns Gattin einen Stein im Brett der Academy hat, setze ich auf Gatsby.

Bester Schnitt
  • 12 Years a Slave – Joe Walker 
  • American Hustle – Jay Cassidy, Crispin Struthers und Alan Baumgarten 
  • Captain Phillips – Christopher Rouse 
  • Dallas Buyers Club – John Mac McMurphy und Martin Pensa 
  • Gravity – Alfonso Cuarón und Mark Sanger
Sehr häufig gehen "Bester Schnitt" und "bester Film" Hand in Hand, in Jahren, in denen besonders schnittlastige Filme nominiert sind, können sich aber auch diese durchsetzen. Was uns beim Oscar dieses Jahr Kopfschmerzen verursacht: Gravity und 12 Years a Slave  sind beide die Frontrunner beim Filmpreis und fallen eher durch ihren Mangel an Schnitten auf, wobei die Kunst beider Filme darin besteht, wann denn ein Schnitt erfolgt (was in Gravity meiner Ansicht nach viel kunstvoller gelungen sind). American Hustle und Captain Phillips dagegen sind sehr dynamisch geschnitten und erhielten beide einen Gewerkschaftspreis. In diesem Viererrennen setze ich hauchdünn auf Captain Phillips, da einst schon Greengrass' Das Bourne Ultimatum gegen die "Bester Film"-Favoriten No Country for Old Men und There Will Be Blood gewann. Denke, das wird sich wiederholen.

Beste Musik
  • Die Bücherdiebin – John Williams 
  • Gravity – Steven Price 
  • Her – William Butler und Owen Pallett 
  • Philomena – Alexandre Desplat 
  • Saving Mr. Banks – Thomas Newman
Gravity arbeitet seht intensiv mit seiner Filmmusik, die sich sogar hervorragend in den Albencharts in aller Welt sehr gut verkaufte. Hinzu kommt dieser bombastische Schluss, der sich ins Gedächtnis brennt. Alle anderen Kandidaten wären zwar auch gut, aber ich glaube, dass das Gravity-Fieber zu stark ist, als dass was anderes gewinnen würde.

Bester Filmsong
  • Happy aus Ich – Einfach Unverbesserlich 2 – Pharrell Williams 
  • Let It Go aus Die Eiskönigin – Idina Menzel, Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez 
  • The Moon Song aus Her – Karen Lee Orzolek und Spike Jonze 
  • Ordinary Love aus Mandela – Der lange Weg zur Freiheit – U2
Chartstürmer Happy wird zwar gefährlich, aber wenn ein so starker, eingängiger Song im Rennen ist, der den gesamten Film auf ein neues Level hebt, dann wird er ja wohl auch gewinnen?

Bestes Originaldrehbuch
  • American Hustle – Eric Warren Singer und David O. Russell
  • Blue Jasmine – Woody Allen
  • Dallas Buyers Club – Craig Borten und Melisa Wallack
  • Her – Spike Jonze
  • Nebraska – Bob Nelson
Für Her spricht, dass Jonze ein von der Academy geachteter, origineller Filmschaffender ist, der mit seinem Drehbuch die Grundlage für einen "Bester Film"-Kandidaten erarbeitete. Autorenfilmer plus Karrierehöhepunkt = Oscar? Bei den Globes und Gewerkschaftspreisen gewann Her auch, doch was, wenn sich die American Hustle-Fans hinter das unkonventionell konstruierte Buch stellen? 

Bestes adaptiertes Drehbuch
  • 12 Years a Slave – John Ridley 
  • Before Midnight – Richard Linklater, Julie Delpy, Ethan Hawke 
  • Captain Phillips – Billy Ray 
  • Philomena – Steve Coogan und Jeff Pope 
  • The Wolf of Wall Street – Terence Winter
Philomena gewann bei den BAFTAs, Captain Phillips den Preis der Autorengilde, Before Midnight könnte als Danksagung für eine grandiose Trilogie gelten und The Wolf of Wall Street hat energische Fans, zudem loben Insider das den Darstellern bewusst eine Impro-Steilvorlage liefernde Skript. Doch der bei den Autorengewerkschaftspreisen disqualifizierte 12 Years a Slave hat die wichtigste Botschaft und das größte Prestige. Jeder Film könnte gewinnen, aber ich tippe auf Ridleys packendes, düsteres Drama.

Bester Nebendarsteller
  • Barkhad Abdi – Captain Phillips
  • Bradley Cooper – American Hustle
  • Michael Fassbender – 12 Years a Slave
  • Jonah Hill – The Wolf of Wall Street
  • Jared Leto – Dallas Buyers Club
Letos Performance wird intensiver gelobt und stärker diskutiert als die von McConaghey. Wenn dies bei einem Nebendarsteller geschieht, ist der Oscar nahezu sicher. Letos Durchmarsch durch nahezu sämtliche andere Filmpreise untermauert ihn als beinahe sicheren Tipp.

Beste Nebendarstellerin
  • Sally Hawkins – Blue Jasmine
  • Jennifer Lawrence – American Hustle
  • Lupita Nyong’o – 12 Years a Slave
  • Julia Roberts – Im August in Osage County
  • June Squibb – Nebraska
Lawrence und Nyong'o liefern sich bei den Indikatorpreisen ein enges Rennen, aber da Lawrence vergangenes Jahr bereits gewann und Doppelsiege in den Darstellerkategorien überaus rar sind (und ihre Rolle in American Hustle eigentlich eh nur Beiwerk ist), setze ich auf Nyong'o.

Bester Hauptdarsteller
  • Christian Bale – American Hustle 
  • Bruce Dern – Nebraska 
  • Leonardo DiCaprio – The Wolf of Wall Street 
  • Chiwetel Ejiofor – 12 Years a Slave 
  • Matthew McConaughey – Dallas Buyers Club
McConaughey gewann sämtliche Indikatorpreise, dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass DiCaprios facettenreiche, intensive Performance in The Wolf of Wall Street ebenfalls großartige Chancen hat. DiCaprio hat viele Fans und gab sich während der Kampagnenphase große Mühe, außerdem spielt er in seinem Film alle an die Wand, während sich McConaughey die Aufmerksamkeit mit Leto teilen musste. McConaughey ist die sichere Wahl, aber wenn es eine Überraschung geben sollte, so will ich sie vorhergesehen haben. Und da scheint mir DiCaprio wahrscheinlicher als das restliche Feld.

Beste Hauptdarstellerin
  • Amy Adams – American Hustle
  • Cate Blanchett – Blue Jasmine
  • Sandra Bullock – Gravity
  • Judi Dench – Philomena
  • Meryl Streep – Im August in Osage County
An Blanchett führt kein Weg vorbei.

Beste Regie
  • Alfonso Cuarón – Gravity
  • Steve McQueen – 12 Years a Slave
  • Alexander Payne – Nebraska
  • David O. Russell – American Hustle
  • Martin Scorsese – The Wolf of Wall Street
Bester Film
  • American Hustle
  • Captain Phillips
  • Dallas Buyers Club
  • Gravity
  • Her
  • Nebraska
  • Philomena
  • 12 Years a Slave
  • The Wolf of Wall Street
Schon lange war das Oscarrennen nicht mehr so eng wie dieses Jahr. 12 Years a Slave hat einen Globe, Gravity den Preis der Regiegilde, beide gewannen die Auszeichnung der Produzentengewerkschaft und je einen der Top-Awards bei den BAFTAs. Eine Splittung bei Regie und Film erscheint daher eigentlich naheliegend. So enden viele enge Oscarrennen. Doch wie solle es ausgehen? Normalerweise gewinnt der Regisseur des thematisch schwereren Films den Regiepreis, während das runde, etwas leichtere Gesamtergebnis den Hauptpreis bekommt. Der Pianist gegen Chicago. Traffic gegen Gladiator. Der Soldat James Ryan gegen Shakespeare in Love. Reds gegen Chariots of Fire. Wenn man auch so will:  Life of Pi gegen Argo. Aber kann sich irgendjemand ernsthaft vorstellen, dass Gravity bester Film wird, ohne dass Cuarón für den von ihm geschaffenen technischen Meilenstein prämiert wird? Nahezu ausgeschlossen. Cuarón ist, erst recht nach seinem Sieg bei der Regiegewerkschaft, fast gesetzt. Also bleibt nur die Frage aus, ob Gravity oder 12 Years a Slave als bester Film gewinnt. Und auch wenn ich beiden Filmen den Sieg total gönnen würde, schätze ich die Karten des letztgenannten als schlechter ein: Wer Gravity nicht liebt, mag ihn im Zweifelsfall aber noch immer und achtet seine technische Glanzleistung sowie den packenden, dramatischen Ritt, den dieses Werk ermöglicht. 12 Years a Slave-Gegner wiederum setzen ihn aufgrund seines Inhalts weit nach unten - weil er die Thematik falsch anpacken würde oder zu trist ist. Allein dies verbessert schon die Aussichten von Gravity. Und in solch einem engen Jahr muss ich mich als Oscar-Prognosenspieler an jedem noch so kleinen Detail festhalten. Daher setze ich auf Gravity.

So oder so: Ich freue mich auf die Oscar-Nacht, die uns von Sonntag auf Montag erwartet! Und werde ab ca. 0.30 Uhr bloggen. Ich hoffe, ihr seid mit dabei!