Wohin man blickt, wird Die Eiskönigin als der Beginn einer neuen Disney-Renaissance bezeichnet, als ein Animations-Meisterwerk, das neue Wege wagt und die klassische Disney-Formel auf einem hohen Niveau weiterentwickelt. Dass ich in diese Lobeshymnen nicht mit einstimme, habe ich bereits deutlich gemacht. Und auch, wenn ich mittlerweile gelernt habe, zu sehen, weshalb der Film anderen gefallen kann (direkt nach meiner Erstsichtung war ich dagegen ja noch felsenfest davon überzeugt, dass sich Die Eiskönigin eine desaströse Konsensmeinung einfangen wird), so bleibe ich bei meiner kritischen Meinung und werde gewiss noch einige Chancen ergreifen, darauf rum zu reiten. Nicht um den Troll zu spielen, sondern um meiner Frustration mit dem Streifen Raum zu machen.
Anlässlich von Walt Disneys Geburtstag, der sich heute zum 112. Mal jährt, möchte ich an dieser Stelle aber nicht auf Disneys 53. Meisterwerk rumhacken, sondern all jenen, die in ihrer Eiskönigin-Euphorie Lust auf mehr Disney bekommen haben, weitere Produktionen ans Herz legen. Denn vieles, was dieses eisige Musical angeblich erstmals getan hat, ist bereits Teil des großen Disney-Erbes. Damit will ich nicht sagen, dass nichts von dem, was Die Eiskönigin leistet, gut ist. Keineswegs. Ich mag den Eiskönigin-Liebhabern einfach nur Lust bereiten, Disney-Filmen mit ähnlichen Elementen erstmals (oder erneut) eine Chance zu geben ...
Endlich steht keine Romanze im Mittelpunkt
Es stimmt, dass Die Eiskönigin aus den Prinzessinnen-Filmen heraus sticht, weil keine klassische Liebesbeziehung im Mittelpunkt steht, sondern Geschwisterliebe. All zu neu ist der Verzicht auf solche Romantik im Disney-Kanon aber nicht. Wer also gerne wieder einige Disney-Animationsfilme sichten will, jedoch keine Laune auf zu viel Beziehungskitsch hat, darf gerne das Meisterwerk aus dem vergangenen Jahr schauen: In Ralph reicht's dreht sich alles um einen Videospielschurken, der gerne als Held geachtet werden würde. Und auch in Winnie Puuh sowie dem Vorläufer Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh gibt es keine Liebeleien. Lilo & Stitch kam in Sachen Geschwisterliebe der Eiskönigin um elf Jahre zuvor und erzählte nicht nur von einem chaotischen Alien, das auf der Erde lernt, brav zu werden, sondern auch von der komplizierten Beziehung der Schwestern Lilo und Nani, die nach dem tragischen Tod ihrer Eltern miteinander auskommen müssen. Und schon der zweite abendfüllende Disney-Trickfilm war völlig frei von Beziehungsgerede: Pinocchio stellte sich somit gegen ein populäres Disney-Klischee, bevor es überhaupt zum Klischee werden konnte!
Die Eiskönigin unterläuft Disney-Liebeskonventionen
Auch ohne zu spoilern kann man sagen, dass Die Eiskönigin sich mit Annas Romantik-Subplot nicht an die typischen Disney-Konventionen hält. Ich betrachtete es als hyperaktive Selbstparodie, andere sehen in dem, was die Regisseure Jennifer Lee und Chris Buck getan haben, eine dramatischere Spielweise von dem, was Disney üblicherweise in seinen Filmen treibt. Wahrscheinlich ist es beides in einem - was wiederum genial oder völlig daneben ist. So oder so: Es gab bereits eine brillante Disney-Selbstparodie in Sachen Romantik und eine sehr dramatische Antwort auf typische Disney-Liebesbeziehungen. Der Mischfilm Verwünscht zieht genüsslich die Albernheit überstürzter Romanzen durch den Kakao, während Pocahontas auf dramatische Weise zeigt, dass nicht alles so selbstverständlich ist, wie Disney es sonst so gerne darstellt ...
Olaf ist so toll: Sein Element sollte der Winter sein, aber er mag stattdessen den Sommer!
Okay, einen sich nach dem Sommer sehnenden Schneemann hat Disney sonst nicht zu bieten. Aber eine recht ähnliche Figur ist Teil von Drei Caballeros: In diesem verrückten, lebhaften Episodenfilm bekommen wir einen Pinguin vom Südpol zu Gesicht, der die Kälte nicht mag und viel lieber auf einer Südseeinsel leben würde. Und den Gedanken "dies ist einfach nicht mein Leben" gibt es auch in mehreren Kurzfilmen zu sehen, wenngleich mit ganz anderen Konzepten: Ferdinand, der Stier etwa zeigt einen Stier, der nicht kämpfen mag, und Lambert, der kleine Löwe handelt von einem Löwen, der sich wie ein Schaf verhält. Tim Burtons und Henry Selicks Stop-Motion-Film Nightmare before Christmas schlussendlich berichtet vom König von Halloween, der viel lieber Weihnachten feiern würde.
Endlich mal eine Prinzessin, die Dinge in die Hand nimmt!
Ahhh, das Klischee der passiven Disney-Prinzessin, die sich retten lässt. Während dies zweifelsfrei auf die Damen der Walt-Disney-Jahre zutrifft, haben Anna und Elsa tatsächlich herzlich wenig mit ihren dienstältesten Kolleginnen gemein. Während Elsa sich ihr eigenes Eiskönigreich errichtet, gibt Anna in ihrer Heimat mit großer Selbstverständlichkeit Befehle, schnappt sich ein Pferd und reitet ins Ungewisse, um den Tag zu retten! Wahrlich eine aktive, junge Frau, die in der Stunde der Not ihr Bestes gibt. Genauso wie die wehrhafte Rapunzel, die sich mit Kneipenschlägern und Palastwachen konfrontiert sieht. Oder die selbstbewusste Tiana aus Küss den Frosch, die sich niemals unterkriegen lässt. Und dann hätten wir da ja noch Mulan, die zwar nicht wirklich eine Prinzessin ist, vom Merchandising aber gelegentlich als eine bezeichnet wird und in ihrem Film den in ihrer Kultur vorherrschenden Sexismus in Frage stellt, um als Mann verkleidet am Kampf gegen eine Heerschar von wilden Hunnen teilzunehmen!
Disney sollte mehr Geschichten von Hans Christian Andersen verfilmen!
Einen Hinweis auf Arielle, die Meerjungfrau erspar ich mir, weshalb ich lieber auf Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern verweise. Diese traurige Kurzgeschichte diente als Vorlage für einen der rührendsten und schönsten Kurzfilme der Disney-Geschichte. Ursprünglich als Teil einer Fantasia-Fortsetzung geplant, landete diese Regiearbeit von Roger Allers letztlich als limitierter US-Start und Bonusmaterial auf der Platinum-DVD und -Blu-ray von Arielle eher am Rande der öffentlichen Wahrnehmung, ist aber ein wahres Kleinod, das man sich ansehen sollte!
In diesem Sinne: Viel Spaß beim (Wieder-)Entdecken, Anschauen und Schwärmen!
Danke für den Link zu dem Kurzfilm. Hach wie schön...
AntwortenLöschenLG
Zu dem Kurzfilm gab es doch auch eine Besprechung hier auf dem Blog von Ananke Ro?
AntwortenLöschenGibt es weiterhin: http://sirdonnerboldsbagatellen.blogspot.de/2012/04/das-kleine-madchen-mit-den.html
AntwortenLöschenDanke für den direkten Link!
AntwortenLöschenDiesen Artikel finde ich deswegen interessant, weil er sich verschiedene Disney-Klischees vornimmt und zeigt, dass alles eben doch differenzierter zu betrachten ist.
Bestes Beispiel ist für mich der Hype um "Brave" (den ich eigentlich gut fand) in manchen Kreisen gewesen. Es ist absolut nichts falsch daran, Merida als emanzipierte Frauenperson zu feiern, die kleinen Mädchen ein Vorbild sein kann. Ihre besonders rebellische Art war wohl ein Novum innerhalb des Pixar/Disney-Kanons. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass manche Lobeshymne gleich in eine generelle Kritik an den vorigen Disney-Prinzessinnen ausartete, die weit über das Ziel hinausschoss. Vielleicht sind sie nicht so rebellisch wie Merida und bieten sich wegen des Alters wohl auch nicht direkt als Identifikationsfigur für junge Mädchen an - trotzdem kann ich Pauschalkritiken, Pixar habe Disney endlich gezeigt, wo der Hammer bei Prinzessinnen hängt, nicht zustimmen, sondern muss ihnen widersprechen.
Off-topic sei noch eine Kritik an Rapunzel erwähnt, die sich darüber aufregen zu schien, dass das magische Haar natürlich blond sein müsse - im Stil von "blond = magisch = Präsentation von Favorisierungen des Äußeren durch Männer als gut in einem Kinderfilm" und "brünett = nichtmagisch = schlecht". Ich frage mich, ob die Person den Film zu Ende geschaut hat, denn es sind ja gerade die Bösen, die auf das blonde Haar aus sind, nicht Flynn...
Wusstest Du, dass Russland 2012 eine Schneekönigin ins Rennen geschickt hatte?
AntwortenLöschenhttp://www.youtube.com/watch?v=HJrTHEDgHfY