Copyright: SWR / Das Erste
Die Biologin Ruth Gärtner erfährt von ihrem Vater, dass ihre jüngere Schwester Maria in Israel in eine psychiatrische Spezialklinik eingeliefert wurde. Als Ruth ihre Schwester vor Ort besucht, erklärt ihr ein behandelnder Arzt, dass Maria am sogenannten Jerusalem-Syndrom erkrankte und glaubt, die Muttergottes zu sein, die kurz davorsteht den Messias zu gebären. Ruth ist besorgt und kündigt an, Maria zurück nach Deutschland zu fliegen, um sich dort um sie zu kümmern. Doch nur eine Nacht später ist Maria spurlos verschwunden.
Wie sich herausstellt, geriet Maria während ihrer Zeit in Jerusalem in die Fänge einer christlich-fundamentalistischen Sekte, die sie manipulierte, um als Schlüsselfigur in einem wahnsinnigen Kampf gegen andere Religionen zu dienen. Diese Sekte entführte Maria auch aus der psychiatrischen Klinik, ehe Ruth sie zu sich holen konnte. Nun muss sich Ruth an die Fersen der vom fragilen, doch größenwahnsinnigen Peter geleitete Sekte heften, um Ruth zu retten. Hilfe erhält sie dabei vom israelischen Psychiater Uri Peled, der sich für dieses Netz aus Glauben, Wissenschaft und Aberglauben fasziniert …
Was mir zu diesem Plot als erstes einfällt? Nun: „Simpsons Already Did It“! So lautete einst bei South Park eine Anspielung darauf, dass es schwer ist, Storys zu finden, die nicht bereits mit den chaotischen Knilchen aus Springfield erzählt wurde. Ein Stück weit trieben die South Park-Macher damit Selbstverteidigung, immerhin haben Die Simpsons schon einige Jahre Vorsprung und dennoch ein vergleichbares Publikum – natürlich ähneln sich da so manche Geschichten. Dennoch lässt sich die Beobachtung, dass Homer und Co. allerhand Storykonzepte vorweg gegriffen haben, sogar auf deutsche Fernsehfilme ausweiten: Eine Geschichte rund um das berüchtigte, nicht aber als psychologische Diagnose anerkannte, Jerusalem-Syndrom zu spinnen, ist eine spannende Idee. Bloß könnte sie zumindest so manchen Zuschauern bereits aus Die Simpsons bekannt sein, was den Innovationsbonus etwas schmälert.
Davon abgesehen hat die Existenz einer Simpsons-Folge, in der Homer von der einmaligen Atmosphäre Jerusalems beeinflusst durchdreht und glaubt, im Herzstück der drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam zu einem neuen Heiland ernannt worden zu sein, selbstredend wenig Einfluss auf die Rezeption eines SWR-Fernsehthrillers. Es ist trotzdem amüsant zu sehen, dass die Lenker und Denker der ARD teilweise auf Fakten anspringen, die sich auch die Simpsons-Autoren vorknöpfen. Wie etwa aufdie Tatsache, dass bis zu 100 Touristen jährlich während ihres Jerusalem-Aufenthalts von dem Gedanken besessen sind, eine biblische Figur zu sein oder ihr geistiges Erbe anzutreten.
Dieses interessante Grundkonzept genügt den Verantwortlichen hinter dieser Oliver-Berben-Produktion jedoch leider nicht. Statt die kühle Wissenschaftlerin Ruth Gärtner schlicht auf ihre labile, jüngere Schwester Maria treffen zu lassen, die nach wenigen Monaten Arbeit als Touristenführerin in der Heiligen Stadt davon überzeugt ist, die Mutter eines neuen Messias zu sein, spinnen die Autoren dieses Familien- und Psychodrama in einen Verschwörungsthriller weiter. Das Konzept, eine streng rationale, ungläubige Naturwissenschaftlerin Hatz auf religiöse Fanatiker machen zu lassen, ist aber nicht nur abgedroschen, sondern vor allem schwer in die konventionelle ARD-Fernsehfilmlaufzeit von 90 Minuten zu pressen. Was ein Dan Brown in einen Roman mit dem Umfang eines Türstoppers packt oder Ron Howard in Brown-Kinoverfilmungen mit Überlänge verarbeitet, wird in Das Jerusalem-Syndrom in eineinhalb Stunden runter gebrochen. Klar, dass da kein Raum für Suspense erzeugende falsche Fährten, clever ausgetüftelte Rätsel und soghaft wirkende Verschmelzungen aus Fakt, Fiktion und Religion bleibt. Geschweige denn für runde Charakterisierungen.
Stattdessen ist die Protagonistin antireligiös eingestellt, weil ihr gläubiger Vater unfähig war, zudem sind die Motivationen der Sektenführer hauchdünn und obendrein bleibt das bei gelungenen Verschwörungsthrillern so essentielle Miträtseln aus, weil der Plot nahezu störungsfrei direkt vom Startpunkt zum durchgehend telegraphierten Finale marschiert. Inhaltlich ist Das Jerusalem-Syndrom daher recht mager ausgefallen. Jedoch überzeugt diese zwei Millionen Euro schwere deutsch-israelische Koproduktion wenigstens handwerklich. Triebel und Schick deuten in ihrem passionierten Schauspiel mehr Charakter an, als es ihre fadenscheinig geschriebenen Rollen auf dem Papier rechtfertigen würden, und der 54-jährige Regisseur Dror Zahavi fängt Jerusalem an Originalschauplätzen von seiner faszinierendsten Seite ein. Besonderes Lob verdient sich der Thriller zudem für seine natürliche Mehrsprachigkeit – Figuren müssen in diesem Projekt zwischen Sprachen hin und her wechseln, was sich auch inhaltlich auswirkt und dem etwas überdrehten Verschwörungsstoff eine reale Note verleiht.
Das Jerusalem-Syndrom läuft am 11. Dezember um 20.15 Uhr im Ersten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen