Wer gerne Filme sieht, muss auch, das liegt in der Natur der Sache, einen Weg finden, aus der unentwegt wachsenden Auswahl die Produktionen auszusieben, die er sehen möchte. Denn niemand überlässt es durchgehend und ausschließlich dem Zufall, welche Filme als Zeitvertreib dienen dürfen und welche ungesehen bleiben müssen. Auch die größten Sneak-Preview-Fans entscheiden üblicherweise bewusst, welche DVD sie einlegen und für welchen Kinofilm sie Geld hinblättern. Aber welche Kriterien sollen dabei herangezogen werden? Wie gilt es, Filme einzuordnen?
So mancher sieht sich primär als Liebhaber eines bestimmten Genres, schaut nahezu jeden Vertreter seiner geliebten filmischen Gattung, sofern er nur halbwegs brauchbar sein soll oder einen ansatzweise hinnehmbaren Trailer hat. Es gibt zum Beispiel sehr viele Horror-Freunde sowie einige Fans des Action-Genres, die sich mit großer Passion großen wie kleinen Filmen dieser Sparten widmen und teils auch völlig blind zugreifen. Der Streifen soll schaurig sein beziehungsweise voll mit rasanter Action? Gekauft!
Dies ist eine durchaus praktikable und daher respektable Grundeinstellung. Jedoch hat das Genredenken auch seine Probleme, selbst wenn man davon absieht, dass es nur für einen Bruchteil der Filmkonsumenten eine Option darstellt, weil die meisten dann doch mehr als nur eine Filmgattung verfolgen wollen. Die stete Genreeinteilung krankt etwa daran, dass die heutzutage übliche Liste an Genres nicht wirklich konsequent ist. Während manche Genres auf dem Tonfall einer Geschichte basieren (Drama, Komödie), beziehen sich andere aufs verwendete Setting (Science-Fiction, Western, Kostümfilm) und wieder andere auf der Erzählweise (Musical, Stummfilm) oder das grundliegende Thema (Kriminalfilm, Fantasyfilm, Slasher, Abenteuerfilm). Hinzu kommt, dass sich Filme häufig nicht ausschließlich in eine dieser Schubladen stecken lassen oder rein oberflächlich zwar passen, sie bei tiefer gehender Analyse aber vollkommen genre-untypisch sind. Ist Gravity nun ein Science-Fiction-Film? Immerhin spielt er im All ... auch wenn er wesentlich realistischer ist als die klar erkennbaren Science-Fiction-Filme Star Trek oder Tron, wobei dieser gar nicht im Weltall spielt. Inglourious Basterds spielt zwar im Zweiten Weltkrieg, hat aber keine Schlachtszenen und nimmt sein Thema ganz anders wahr als Der Soldat James Ryan. Sind dennoch beide Kriegsfilme? Oder ist Inglourious Basterds ein Western, weil er sich stilistisch deutlich mehr an diesem Genre bedient, ungeachtet seines Settings? Ist Fluch der Karibik eine Abenteuerfilm-Fantasykomödie oder eine Actionfilm-Fantasykomödie? Welches Genre haben Barton Fink, Fargo, No Country For Old Men oder sonstige Werke der Coen-Brüder?
Darüber hinaus sind Genre-Bezeichnungen dann doch wieder zu breit gefächert: Hangover ist ebenso sehr eine Komödie wie Oh Boy, aber das bedeutet nicht, dass sie das gleiche Publikum ansprechen.
Kurzum: Es hat schon seine guten Gründe, weswegen sich einige Filmfreunde, darunter meine werte Bloggerkollegin Ananke Ro, völlig gegen Genrebezeichnungen auflehnen und als der Filmkunst unwürdiges Schubladendenken bezeichnen.
Wer nun aber denkt, er sei auf der sicheren Seite, wenn er sich deswegen bei der Suche nach Filmfutter nicht weiter an Genres orientiert, sondern an Plotzusammenfassungen, der irrt sich. Plots können auf dem Papier äußerst irritierend sein, weil sie überhaupt nichts über die Inszenierung, die Stilmittel oder den Tonfall aussagen. "Ein Ermittler jagt einen Serienmörder" - ist dies nun so ein packender Horror-Psychothriller-Mix wie Sieben oder eher von einer lockeren Krimiserie wie The Mentalist? Wer würde in einer Welt, in der niemand von den genialen Pixar-Studios hörte, bei der Plotzusammenfassung "Ein Clownfischvater sucht seinen Sohn" erahnen, dass es sich beim entsprechenden Film nicht um einen dummen Kinderfilm handelt, sondern eine rührende, facettenreiche Animationsfilmkomödie namens Findet Nemo? Wie will man in einer Plotzusammenfassung den stylischen Look und den kernig-augenzwinkernden Tonfall von 300 oder Sin City erwähnen? Wie kann man anhand der Story Werke wie Fantasia würdigen oder verdeutlichen, dass A Serious Man je nach persönlicher Gemütsverfassung deprimierend oder urkomisch sein kann? Und ein weiteres Problem besteht mit der handlungszentrischen Filmauswahl: Wie vermeidet man in Plotzusammenfassungen gravierende Spoiler zu den zahlreichen Twist-Meisterwerken der Film-Geschichte?
Ich blicke daher aus einer anderen Perspektive auf die gigantische Welt der Filme und bevorzuge es, meine Auswahl an cineastischen Werken anhand des Konzepts zu treffen. Ich muss gestehen, dass sich mein Verständnis von "Konzept" in diesem Kontext etwas von der klassischen Definition abhebt, allerdings halte ich es für eine ganz handhabbare, gar intuitive Umdeutung des klassischen Konzept-Begriffs:
Mir kann man Filme anbiedern, ohne sich an Genre-Begriffen zu stoßen oder mühevoll die Handlung zusammenzufassen und dabei anstrengend um Spoiler herumzutänzeln. Frei nach Kommerz-Hollywoods "High Concept"-Begriff ("Stirb langsam ... in einem Kaufhaus!") bevorzuge ich es, handlungstechnisch nicht zu viel verraten zu bekommen und anhand weniger, meine Vorstellung eines Films anregende und so Neugier erzeugender Begriffe auf eine Produktion aufmerksam gemacht zu werden. So habe ich eine grobe Idee, was ich bei diesem Werk zu erwarten habe und kann abwägen, ob und wann ich es mir ansehen möchte, ohne dass mir zu viel verraten wurde oder der Film in die unflexiblen Genre-Begriffe gezwängt werden muss.
Inglourious Basterds etwa. Diesen Film inhaltlich zusammenzufassen, ohne Überraschungen zu nehmen oder falsche Erwartungen zu schaffen, ist nahezu unmöglich. Muss aber nicht: Mir könnte man den Film als "Quentin Tarantino erzählt im Stil eines Spaghetti-Westerns gepaart mit Comic-Logik und kunstvoller Dramatik davon, wie er sich den Zweiten Weltkrieg vorstellt" ankündigen. Ich wäre begeistert von dieser Beschreibung und würde so etwas erwarten, wie der Film letztlich auch aussah. Sweeney Todd? "Ein Tim-Burton-Musical", mehr muss man nicht sagen! Fluch der Karibik? Ich habe mich damals vor Kinostart nicht über die Story informiert, sondern war schon völlig gebannt bei "Disney trifft Bruckheimer trifft Piratenfilm". Bekanntlich wurde ich nicht enttäuscht. Tree of Life? "Terence Malick sinniert über den Platz des Menschen im Universum und Familienbande". In Blue Jasmine bin ich rein gegangen, obwohl ich nur wusste, dass es ein neues Woody-Allen-Drama ist. Und diese Konzeptvorstellungen funktionieren auch ohne Markennamen: Dann ist Gott des Gemetzels halt "eine still beobachtende Situationskomödie über Streitereien zwischen Erwachsenen", wer muss vorab denn schon wissen, warum diese Erwachsenen streiten?
Natürlich gehe ich nicht allein nach diesem Konzeptbegriff. Aber ich persönlich finde, dass rudimentäre Filminformationen, die sich nicht an einem starren Genrekonzept oder schwafelige Plotinfos orientieren häufiger die Filmbeschreibung der Wahl sein dürften. Auf dass man Filme wieder mit offeneren Augen sieht.
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