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Montag, 16. September 2013

DisneyWar – Teil 6: Eisners einsamer Feuerwehrmann

Im Rahmen der Blogreihe „Im Schatten der Maus“ schaut DisneyWar mit einem Lesetagebuch zum gleichnamigen Sachbuch hinter die Kulissen des Disney-Konzerns. Beim letzten Mal wurde geschildert, wie CEO Michael Eisner nach dem Tod von Präsident Frank Wells versuchte, das Unternehmen auf Kurs zu halten. Nach Wells‘ Tod und der Flucht von Jeffrey Katzenberg hatte Eisner die Macht von eigentlich drei Führungskräften auf sich vereint, und er tat sich schwer damit, diese Macht wieder abzugeben. Letztlich wollte Eisner seinen engen Vertrauten Michael Ovitz, der zuvor noch nie in einer hohen Position bei einem Entertainment-Konzern gearbeitet hatte, zum neuen Disney-Präsidenten ernennen – im Glauben, ihn völlig kontrollieren zu können.  

Im neunten Kapitel von „DisneyWar“ wird nun deutlich, wie sehr Eisner von diesem eigenen Machterhalt besessen war, und dass er dafür über Leichen ging – oder in diesem Fall: über Freundschaften, hier mit Michael Ovitz. Noch vor dessen Ernennung zum Präsidenten rebellierten zwei Führungskräfte, die eigentlich Ovitz unterstellt sein sollten: Steve Bollenbach, Leiter der Finanzabteilung, und Sandy Litvack, Leiter der Rechtsabteilung. Beide Bereiche waren bisher den Präsidenten (also Wells) unterstellt gewesen, nun wollten sie allerdings Eisner unterstellt sein – und drückten dies gegenüber Ovitz deutlich aus: „Ich will Ihnen nur sagen, dass ich niemals für Sie arbeiten werde“, wird Bollenbach gegenüber Ovitz zitiert (S. 327).  

Michael Ovitz
Für Ovitz sei damals das Schlimmste gewesen, dass Eisner ihn gegen diese Rebellion nicht unterstützt habe: Für ihn sei seine Management-Autorität bereits vor dem ersten Arbeitstag untergraben worden, was sich später noch als folgenreich herausstellen sollte: Auch Peter Schneider und seine Trickfilmabteilung wollten bald nicht mehr für Ovitz arbeiten (dies beschloss Roy Disney), außerdem berichteten Führungskräfte permanent über die vermeintlichen Fehler von Ovitz. Dieser wusste noch vor seiner Wahl zum Präsidenten, „dass ihn sein bester Freund [Eisner] verraten hatte“ (S. 328), indem dieser nicht voll hinter seinem neuen Partner stand. Ohnehin hatte Eisner informell ausgehandelt, dass Ovitz kein gleichberechtigter Partner neben ihm sein würde, sondern nur die offizielle Nummer 2. Doch schnell stellte sich heraus, dass er nicht einmal dies war: Abgesehen davon, dass ihm mehrere Abteilungen – anders als ursprünglich vereinbart – gar nicht unterstellt waren, kämpfte Ovitz jeden Tag um seinen Rang. Die Tatsache, dass er nur im fünften Stock des Disney-Hauptgebäudes in einem kleinen Büro untergebracht wurde, und damit einen Stock niedriger als Studioboss Joe Roth und Eisner, verdeutlichte seine Stellung sinnbildlich. Eine Diskussion über eine verbindende Treppe zwischen den Stockwerken zwecks besserer Kommunikation verneinte Eisner, er habe „das Gebäude absichtlich so gestaltet, dass man an sein Büro nicht so leicht herankam.“ (S. 331). Diese Stelle liest sich fast kafkaesk, so skurril und realitätsfremd wirkt sie.  

Auch wenn im Buch davon nicht die Rede ist: Ovitz wirkt nicht nur wie eine Marionette – so hatte es Eisner ja ursprünglich beabsichtigt –, sondern in der Anfangszeit wie eine Marionette ohne Fäden. Eisner brauchte ihn zunächst nicht, und Wochen nach Ovitz‘ Ernennung als Präsident im September 1995 schreibt auch James Stewart in „DisneyWar“: „Es war immer noch unklar, wofür Ovitz genau zuständig war […].“ (S. 342). Als Marionette ohne Fäden war es Ovitz in keinster Weise möglich, eigene Ideen einzubringen oder Geschäfte abzuwickeln. Als Vermittler und Netzwerkler war Ovitz brillant darin, höchst profitable Deals für seine Klienten abzuwickeln, dafür wurde er einst als „mächtigster Mann Hollywoods“ bezeichnet. Bis zum Antritt bei Disney hatte er eine Abschlussquote von 100 Prozent bei seinen Deals – nun sank sie gen Null: Es wurde eine Partnerschaft mit Brad Grey verweigert, der über 150 Künstler repräsentierte, darunter Brad Pitt und Jennifer Aniston; eine Party mit zahlreichen Kreativen der Branche (darunter Steven Spielberg und Tom Hanks), um Beziehungen aufzubauen, machte Eisner wütend; die Übernahme des Verlags Putnam (u.a. Tom Clancy, John Grisham, Michael Crichton) verweigerte Eisner ebenso wie einen Deal mit der damals erfolgreichsten Sängerin der Welt, Janet Jackson. Bei den meisten solcher gescheiterten Geschäfte stellte sich später heraus, dass Ovitz einen hervorragenden Preis ausgehandelt hatte: Janet Jackson beispielsweise hätte bei Disney 75 Millionen US-Dollar für sieben Alben bekommen, nach dem geplatzten Deal unterschrieb sie bei Virgin einen Vertrag über 80 Millionen, aber nur für vier Alben.  

Weitere gescheiterte Geschäfte in dieser Zeit betrafen eine Fusion des Disney-Musiklabels mit Sony, den Aufbau eines Downtown Disney mitten in Los Angeles, den Verkauf des defizitären Zeitungsbereichs und den Kauf der Plattenfirma EMI. Möglich, dass einige dieser Punkte nicht sinnvoll gewesen sein mögen – dass aber kein einziges von Ovitz initiiertes Projekt zum Abschluss gebracht wurde, weil Eisner und andere ständig ein Veto einlegten, verdeutlicht die Machtlosigkeit dieses neuen Präsidenten. Eisner wusste dessen kaum zu schätzen und warnte Ovitz: „Der Deal ist bei Disney nicht das Wesentliche. […] Der Betrieb an sich ist wichtig.“ (S. 340).  

Eisner und Ovitz
Irgendwelche Aufgaben aber musste Eisners neuer Untergebener haben: Bald waren es die, die dem Disney-Boss selbst zu unangenehm waren. Von der Marionette wandelte sich Michael Ovitz zum Feuerwehrmann, der Eisners Brände löschen musste. Er sollte die Trickfilm-Abteilung auf Trab halten, da Jeffrey Katzenbergs neues Studio Dreamworks viele Talente anheuern wollte – durch Ovitz, der unter anderem Vernissagen für die Zeichner veranstaltete, blieben viele Köpfe bei Disney, auch dank gestiegener Bezüge. Unter anderem schaffte es Katzenberg nicht, Andreas Deja, Glen Keane sowie das Duo Ron Clements und John Musker abzuwerben. Auch bei Tim Allen bewies Ovitz Geschick: Nachdem er wutentbrannt das Set von "Hör mal, wer da hämmert" verlassen hatte, ließ er Allen ein teures Geschenk zukommen – die Arbeit am Set verlief von da an ruhig. 

Die Methoden von Ovitz mögen unkonventionell gewesen sein – Sandy Litvack beschwerte sich sogar darüber, dass Ovitz nicht wisse, wie man in einer Aktiengesellschaft arbeitet. Aber zweifelsohne konnte der Präsident die meisten Brände löschen, die im Unternehmen loderten. Aber nicht alle: Noch immer schwelte der Streit über Katzenbergs Bezüge, die er nach Verlassen des Unternehmens nicht bekommen hatte und die ihm angeblich zustünden. Ein Zeitungsartikel, in dem Katzenbergs Anwalt einige Dinge nach außen trag, goss zudem Öl ins Feuer. Ovitz glaubte den Streit mit seinem Verhandlungsgeschick lösen zu können – doch abermals stellte sich Eisner quer. Nachdem Ovitz unter Eisners Zustimmung eine (seiner Meinung nach günstige) gütliche Einigung über die Zahlung von 90 Millionen US-Dollar ausgehandelt hatte, änderte der CEO seine Meinung und erklärte, dass Katzenberg gar nichts zustehe. Ovitz sagte, dass sie später vermutlich deutlich mehr zahlen müssten, wenn sie jetzt nicht auf den Deal eingehen, doch Eisner und Finanzchef Litvack blieben stumm. (Ovitz sollte Recht behalten).

Bob Iger
Eine weitere Aufgabe, die Eisner Ovitz übergab, war jene des Austauschs einiger Führungskräfte. Unter anderem wollte Eisner den Studiochef Joe Roth ersetzen – und, wie bereits zuvor angeklungen war, Bob Iger. Dieser führte damals die übernommene TV-Sparte um ABC erfolgreich; einen triftigen Grund, Iger hinauszuwerfen, gab es nach wie vor nicht. Auch Iger selbst merkte, dass er kurz vor dem Rauswurf stand und überlegte, selbst zu kündigen. Und Ovitz war in diesem Herbst 1995 derjenige, der Iger dazu bewegen konnte, zu bleiben: Ovitz überzeugte nicht nur ihn, sondern auch Eisner, der Iger eigentlich „nicht für den richtigen Geschäftsführer [hielt]“ (S. 349). Aus heutiger Sicht ist wohl das der größte Verdients in der sehr kurzen Amtszeit von Michael Ovitz: dass er den heutigen CEO Bob Iger damals im Unternehmen halten konnte, trotz deutlicher Unstimmigkeiten zwischen Iger und Eisner, und trotz des Bestreben Eisners, ihm hinauszuwerfen.

Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass das große Problem von Michael Ovitz die Unterstützung war: Ihm fehlte sie nicht nur von Michael Eisner, sondern auch von anderen angeblich Ovitz unterstellten Abteilungen. Der Präsident war von Anfang an im Unternehmen isoliert und wirkte wie eine Art Repräsentant von Disney, der schlichten und beschwichtigen sollte. Als starker Manager hätte er – seinen guten Referenzen und seinen interessanten Ideen zufolge – Eisner wirklich helfen können, aber auch hier zeichnet „DisneyWar“ wieder das egozentrische, destruktive Bild eines Disney-Chefs, der kaum Kompetenzen abgeben will und das Unternehmen als sein eigenes Imperium betrachtet – oder, wie die Washington Post später schrieb: Er ist der Machiavelli im Magic Kingdom.
 
Im nächsten Teil des Lesetagebuchs geht es um das spektakuläre Zerwürfnis zwischen Eisner und Ovitz, das große mediale Aufmerksamkeit erlangen sollte und  den Konzern angeschlagen zurückließ.

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