Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.
Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme
Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich gibt es von den englischen Volksmärchen selten eine definitive, notierte Version, sondern eine Vielzahl an Aufschrieben mit teilweise stark voneinander abweichenden Handlungssträngen. Im Falle von Jack und die Bohnenranke stammt die älteste aufgezeichnete Fassung von 1807 von Benjamin Tabart, doch heute gebräuchlicher ist Joseph Jacobs Version von 1890, die Tabarts Hintergrundgeschichte zugunsten einer einfacheren Erzählweise fallenlässt.
Jack und seine verwitwete Mutter leben in ärmlichen Verhältnissen, bis sie sogar gezwungen sind, die letzte Milchkuh zu verkaufen. Auf dem Weg zum Markt wird Jack von einem Händler dazu gebracht, die Kuh gegen fünf Zauberbohnen einzutauschen, woraufhin Jacks Mutter ihm ein paar Ohrfeigen verpasst und die Bohnen aus dem Fenster wirft.
Über Nacht wächst aus den Bohnen eine gigantische Bohnenranke, auf der Jack in ein fremdes Land klettert und dort in einem gewaltigen Haus auf die Frau des Riesen trifft. Sie warnt ihn vor ihrem gefräßigen Mann, doch auf das Flehen des Jungen hin gibt sie ihm zu essen und verbirgt ihn im Ofen, wo er die Ankunft des Riesen und sein brutales (von Shakespeares König Lear inspiriertes) Lied mitverfolgt:„Fee-fi-fo-fum,
I smell the blood of an Englishman,
Be he alive, or be he dead,
I'll have his bones to grind my bread."
Während der Riese schläft, verschwindet Jack, nicht ohne einen Sack voll Gold mit hinunterzunehmen.
Bei einem zweiten Ausflug stiehlt er auf die gleiche Weise die Henne des Riesen, die goldene Eier legt. Doch als Jack sein Glück ein drittes Mal versucht, um sich die goldene singende Harfe zu holen, warnt diese den Riesen und Jack muss um sein Leben fliehen. Im letzten Moment gelingt es ihm, die Zauberranke von unten abzuschlagen und den Riesen so in den Tod stürzen zu lassen. Von nun an leben Jack und seine Mutter von den erbeuteten Gütern und in einem Halbsatz wird angemerkt, dass er sich schließlich auch noch eine Prinzessin erobern kann.
In anderen Versionen wird erzählt, dass der Riese einst den König des Landes (oft Jacks Vater) ermordet und das Reich übernommen hat. So wird nicht nur Jacks Handeln durch natürliche Rachemotive gerechtfertigt, sondern die Schätze des Riesen gehören ganz selbstverständlich eigentlich dem Jungen, der sich nur sein Gut zurückfordert. Die eher kurze Erzählung der mündlichen Überlieferung wurde so von Tabart und anderen zu einem regelrechten „Abenteuermärchen“ ausgebaut, das wohl auch als Grundlage für ein alleinstehendes Disney-Meisterwerk hätte dienen können.
Doch wie so viele andere geplante Projekte wurde die Produktion von Micky und die Bohnenranke zu Kriegsbeginn erst auf Eis gelegt, um dann in weit kleinerem Umfang zusammen mit Bongo als Teil von Fröhlich, frei, Spaß dabei realisiert zu werden. Dieser zweite Teil des Films, der nach Fantasia und Saludos Amigos die dritte und letzte Gelegenheit darstellt, dass Walt Disney in einem seiner Meisterwerke selbst in Erscheinung tritt, ist in seinem jetzigen Zustand kaum mehr als eine ausführliche Silly Symphony, vorgestellt von Jiminy Grille und immer wieder unterbrochen durch die Auftritte von Edgar Bergen und seinen Bauchredner-Puppen.
Es handelt sich um eine ziemlich direkte Umsetzung des Märchens, wobei auf Disney-typische Weise die Hauptfigur durch das Dreiergespann Micky, Donald und Goofy ersetzt wird, die sich auf ihre jeweilige Haupt-Charaktereigenschaft konzentrieren: der pfiffige Held, der Choleriker und der alberne Sidekick. Wirklich handlungserweiterndes Zusatzmaterial wurde schnell gestrichen (so die ursprünglich geplante Zwischenszene, in der gezeigt werden sollte, wie Micky die Zauberbohnen erhält, entweder durch einen Tausch mit Gideon und dem ehrenwerten John, oder als Geschenk von Prinzessin Minnie), und stattdessen wird die einfache Erzählung durch Cartoon-typische Zwischennummern aufgefüllt, wie dem Kampf der Drei mit den Riesentieren oder das Festmahl im Hause des Riesen - auch wenn man zugeben muss, dass beispielsweise die zusätzliche Szene des Rankenwuchses eine tricktechnische Meisterleistung darstellt.
Der Schere zum Opfer fiel auch die Riesin, und stattdessen scheint der im Märchen so grausame Riese hier selbst etwas von den gutmütigeren Zügen seiner Frau angenommen zu haben. Er stellt immer noch eine Bedrohung für die Hauptfiguren dar, doch statt auf Menschenfleisch hat er Appetit auf Sandwiches und verwandelt sich gerne in rosa Häschen. Nimmt man es genau, so entwickelt Willie in dieser Version überhaupt erst dann einen Groll gegen Micky und seine Freunde, nachdem diese versucht haben, ihn hereinzulegen und in Fliegengestalt mit einer Klatsche umzubringen.
Die drei Ausflüge des Märchens werden nach typischer Disneymanier zu einem zusammengefasst, und so ist es gleich die singende Harfe, mit der Micky sich aus dem Staub machen will. Dabei gibt es die erste und einzige wirkliche Abweichung des klassischen Märchens: In dieser Version der Geschichte will die Harfe gerettet werden, und statt den Dieb zu verraten, hilft sie ihm dabei, den Riesen zu hintergehen. Natürlich passt dies zu der zu Beginn angedeuteten Hintergrundgeschichte, nach der der Riese selbst (wie in der Tabart-Version des Märchens) die Harfe unrechtmäßig gestohlen hat.
Wie schon zu Anfang gesagt ist dies wohl eine Abänderung der frühen Überlieferung, die dazu dienen soll, Jack noblere Beweggründe zu geben als aus Habgier begründeten Raub und Totschlag. Wenn der Riese selbst Unglück über das Reich gebracht hat und für Jacks (beziehungsweise Mickys) Armut verantwortlich ist, kann dessen Reaktion schließlich nicht als allzu schlimm gewertet werden.
Man kann wohl sagen, dass dies ein Erklärungsversuch ist, der übermäßig besorgten Eltern weit wichtiger erscheint als den Kindern, die auch ohne derartige Moralitäten wissen, was Diebstahl bedeutet. Dass die Disney-Version in ihrer Sorge noch einen Schritt weitergeht und Willie selbst ein gnädiges Schicksal beschert, schlägt dabei nur weiter in die gleiche Kerbe.
Natürlich hat das Segment Micky und die Bohnenranke überhaupt nicht den Anspruch, mehr zu sein als eine simple Adaption des Märchens - und genau das ist es schließlich auch. Es ist kein Meisterwerk im eigentlichen Sinne und wird gar nicht versucht, mehr aus der simplen Geschichte herauszuholen. Man könnte sich fragen, ob der Kurzfilm nicht als reine Silly Symphony besser aufgehoben gewesen wäre, doch andererseits waren Filme wie Fröhlich, frei Spaß dabei gerade richtig geeignet, um das Disney-Studio die Kriegsjahre überstehen zu lassen. Und betrachtet man den Film vor dem Hintergrund dieser Einschränkungen, so handelt es sich doch um ein durch und durch nettes Stück solider Disney-Unterhaltung..
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