Im Mai 2007 entließen Walt Disney Pictures und Jerry Bruckheimer Films ein Piratenabenteuer in die Kinos, mit dem in dieser Form wohl kaum jemand gerechnet hatte. Was schlicht als bombastische Weiterführung der spritzigen Abenteuer des raffinierten Käpt'n Jack Sparrow beworben wurde, vermischte stattdessen munter und mit selbstbewusst-fester Hand den freudigen
Fluch der Karibik-Seeräuberspaß mit surrealistischer Fantasterei, ironisch kommentiertem Slapstick und mystischer Tragik. Selbst einen Schuss zeitlos romantisierter Kritik am modernen Wertesystem erlaubten sich die Filmemacher, die jegliche Erwartungshaltung an diesen hochpreisigen Disney-Blockbuster unterwanderten, indem sie ihren Swashbuckler mit grausigen sowie mit malerischen Bildern und einer rührenden Mythologie veredelten. Es gab einige harsche Kritiken von Filmjournalisten und Gelegenheitszuschauern, die von einem Disney-Piratentrubel mehr Leichtgängigkeit verlangten, dennoch räumte die 300-Millionen-Dollar-Produktion 963,4 Millionen Dollar allein an den Kinokassen ein. Zudem wurde sie auf dem Heimkinomarkt zu einer der meistverkauften DVDs aller Zeiten und aufgrund ihrer Weltenbildung und ihrer unvergleichlichen, komplexen Gangart wurde sie bei der renommierten
Sight & Sound-Umfrage zu einem der
1.000 besten Filme der Geschichte gekürt.
Dies ist aber keine Rezension zu
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt, sondern zum nur unwesentlich günstiger produzierten Western
Lone Ranger. Dieser ausführliche Prolog sollte dennoch sein, nicht nur, weil sich beide Filme viele der kreativen Schaffenden teilen, sondern auch, weil ihre Entstehung und Stilistik eng verknüpft ist. Wem Gore Verbinskis dritter und komplexester Ausflug in die verfluchte Piratenwelt zusagte, dürfte auch am
Lone Ranger großes Vergnügen finden. Und diese Zuschauer, die sich nicht von der besonders giftigen US-Rezeption dieses Westerns beeinflussen lassen, können den Film in dieser Form nur dank einer Reihe von Entwicklungen in Empfang nehmen, die während der Entstehung von
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt ihren Anfang nahmen.
Foto: Peter Mountain ©Disney Enterprises, Inc. and Jerry Bruckheimer Inc. All Rights Reserved.
Von der Karibik in den Wilden Westen
Mitte 2006 standen die Filmrechte am in Sachen Popularität sträflich eingeschlafenen Westernhelden Lone Ranger wieder zu Verkauf. Die
Pirates of the Caribbean-Autoren Ted Elliott & Terry Rossio, derzeit auf der Suche nach einem neuen Projekt, bekamen davon Wind und schlugen Jerry Bruckheimer und Gore Verbinski vor, nach der Pressetour für das dritte Piratenspektakel ins Westerngenre auszubrechen und den
Lone Ranger neu zu interpretieren. Der Vorschlag wurde von Bruckheimer fröhlich aufgenommen, Johnny Depp zeigte sich sehr interessiert, Tonto zu verkörpern, während Verbinski Zweifel äußerte: Schon als Heranwachsender war der Regisseur ein großer Fan der herben Italo-Western, während ihm der Lone Ranger viel zu spießig war. Dennoch interessierte ihn die Aussicht, mit dem
Pirates of the Caribbean-Team einen ausgewachsenen Western zu bewerkstelligen, außerdem sprach ihn die Möglichkeit an, dem bedenklichen Indianer-Sidekick Tonto in einer Neuverfilmung eine angemessenere Darstellung zu bescheren. Nachdem Anfang 2007 die Weinstein Company daran scheiterte, sich die Lone-Ranger-Rechte zu sichern, trieb Bruckheimer Disney an, sich den Westernhelden zu holen. Im Mai 2007 wurde dann bekannt, dass die
Pirates of the Caribbean-Mannschaft den Streifen als nächstes in Angriff nehmen möchte, sollte Disney die Rechte bekommen, was bald darauf geschah. Mehrere Drehbuchentwürfe später fand Verbinski aber noch immer nicht genügend Zugang zu den Vorhaben von Elliott & Rossio, weshalb er sich stattdessen dem absurden Trickwestern
Rango widmete.
Bruckheimer und Disney suchten unterdessen nach einem Ersatz für Gore Verbinski sowie nach einem Hauptdarsteller. Bruckheimer plante unter anderem, große Stars wie George Clooney oder Brad Pitt anzuwerben, auch um gegen die internationale Western-Abneigung und die Unbekanntheit der Vorlage anzukämpfen, als Regisseur hatte er vor allem Mike Newell im Blick, dessen Arbeit an
Prince of Persia ihm sehr gefiel. Schlussendlich wurde Newell dann doch nicht engagiert (ob der wirtschaftliche Misserfolg der Videospieladaption daran Schuld war, ist nicht verbürgt), woraufhin wieder die Gespräche mit Verbinski aufgenommen wurden, wobei insbesondere Johnny Depp federführend darin war, seinen Kumpel für das Projekt zu gewinnen.
Schließlich sagte der eigensinnige Ex-Werbefilmer unter der Bedingung zu, Tonto auf seine Weise stärker in den Fokus zu rücken und ihm eine Rahmengeschichte zu widmen. Bruckheimer und Depp gefiel dieser Gedanke, Rossio & Elliott konnten sich ebenfalls damit abfinden, jedoch übernahm nun Justin Haythe die Überarbeitung des Drehbuchs nach Verbinskis Vision. So formierte Gore Verbinski langsam und allmählich
Lone Ranger auch zu seinem eigenen Passionsprojekt, das auch ganz klar seinen Stempel erhielt.
Wirre Verzierungen
Wir erinnern uns: Der mit allen Salzwassern gewaschene Piratenhit
Fluch der Karibik kam 2003 ohne jeden Schnörkel vor der von verfluchtem Halunkenpack bevölkerten Handlung in die Kinos. Nicht einmal Studiologos zögerten die Fahrt in eine etwas andere Karibik hinaus. Mittlerweile ist Disney komfortabler damit, vor actionhaltigeren Filmen seinen Markennamen mit Fanfaren anzukündigen, weshalb der Verzicht auf ein Studiologo nicht mehr zu erwarten steht. Der entscheidende Unterschied zu
Fluch der Karibik ist aber der folgende: Sobald der Film beginnt, entführt er uns eben nicht unmittelbar in eine andere Zeit, wo wir ein losgelöstes Abenteuer erleben. Bei all dem Marketinggerede, dass die
Fluch der Karibik-Macher in
Lone Ranger nun mit dem Western das anstellen, was sie einst mit dem Piratenfilm getan haben, kommt daher schon der erste sichtbare Entschluss Verbinskis unerwartet: Die überdrehte Haupthandlung von
Lone Ranger ist in eine Rahmenhandlung eingebettet. Diese spielt nicht all zu lange, nachdem sich der Wilde Westen in die US-amerikanischen Geschichtsbücher verabschiedet hat, und somit in der frühen Anfangsphase des ersten Booms an populärer Westernunterhaltung für Jung und Alt. Die sich nur allmählich entfaltende Rahmengeschichte verleiht
Lone Ranger einen schleichenden Start, verhindert so direkt zu Beginn, dass diese Neuinterpretation des zuvor schon in Radiohörspielen, Comics, Kino-Serials, einer Fernseh-Realserie und mehreren Trickserien erlebten Helden schlicht zu einem "
Fluch der Karibik in der Wüste" wird. Und sie bremst zunächst auch das Momentum dieses Westerns.
Dennoch ist die Rahmengeschichte für Verbinskis
Lone Ranger unverzichtbar, etabliert sie doch mehrere elementare Aspekte des Films. Da wäre vor allem der groteske und absurde Beigeschmack des filmischen Humors.
Fluch der Karibik spielte in einer Welt, in der Normalsterbliche (wahre) Geistergeschichten anzweifeln, und die erst durch das Auftreten solch exzentrischer Individuen wie Jack Sparrow einen verrückten Beigeschmack erhält. Eigentlich war der Alltag in
Fluch der Karibik nicht besonders mondän. Erst die Fortsetzungen, in denen das Publikum immer stärker ins irrsinnige Piraten-Subuniversum gesogen wurde, ließen es mehr und mehr wahnsinnig zugehen. Doch nun war man als Zuschauer bereits vorgewarnt. Die Westernhandlung von
Lone Ranger dagegen ist regelmäßig mit waghalsigen Übertreibungen, grotesken Randbeobachtungen und unkommentierten Absurditäten gespickt, ohne dass diese die Seemannsgarn-Ausflüchte der Piratenfilme hat. Gleichwohl ist dem Western, erst recht da sich dieser auch mit den Auswirkungen des Eisenbahnausbaus beschäftigt, eine stärkere Verwurzelung in "historischer Plausibilität" anheim. Es ist also unentbehrlich, schon früh zu signalisieren: "Dieser Western tickt etwas anders!"
Lone Ranger nutzt dazu gleich zwei Tricks: Eine wundervoll seltsame, leicht zynische Skizzierung einer Western-Ausstellung (denn je früher die abstrusen Bilder kommen, desto weniger unerwartet sind sie später!) sowie die Einführung eines unverlässlichen Erzählers.
Darüber hinaus signalisiert der Rahmen von
Lone Ranger, für den Verbinski intensiv kämpfen musste, früh, dass hiermit die Geschichte eines verschenkten Sieges zu erwarten steht. Es wird klar, dass Tonto das abgefahrene Abenteuer, von dem berichtet wird, überlebt hat und auch, dass sein Weggefährte John "Lone Ranger" Reid zu Anerkennung gelangte. Aber schlussendlich war es nur ein klassischer Pyrrhussieg, alles, wofür Tonto in die Schlacht zog, alles, was sein Leben bedeutete, ist bloß noch eine blasse Erinnerung, die von den Gewinnern der Modernisierung verkitscht wird. Nahezu im selben Atemzug symbolisiert Verbinski durch das Setting seiner Rahmengeschichte die Schizophrenie seines Films, der es sich vornimmt, das gesamte Westerngenre unter einen abgewetzten Hut zu bringen: Westerngeschichten sind mal Lobpreisungen vergangener Zeiten, mal folgt in ihnen eine kritische Reevaluation. Doch schlussendlich fordert das Publikum (im Kinosaal sowie im Film selbst) von ihnen vor allem eins: Unterhaltung. Der Anfang des Films ist ein Jahrmarkt. Das gesamte Medium ist eine seines Ursprungs entfleuchte Jahrmarktsattraktion, ebenso wie der Rückblick in die Zeiten des Wilden Westens.
Und erst recht ist dieser Film wie ein Ausflug auf den Rummel: Eine Big-Budget-Produktion aus dem Hause Disney/Bruckheimer mit Kinostart zur Hochsaison für Blockbuster und Superstar Johnny Depp in der Hauptrolle. Es muss hoch hergehen, sonst fühlt sich das zahlende, Popcorn und geröstete Erdnüsse mampfende Publikum betrogen. Doch es darf bitte nicht zu brutal sein, denn einerseits war der Lone Ranger, das verbürgen doch frühere Geschichten mit ihm, ein braver Bube, und andererseits richtet sich diese Erzählung zum Teil auch an ein Familienpublikum, oder? Andererseits: Der Dreck gehört zum Western wie das weite Meer zum Piratenfilm ...
Lone Ranger will sein Mordsbudget ausnutzen, und der gesamten Bandbreite des Genres Tribut zollen, zudem
muss er in Zeiten von politischer Korrektheit, historischer Selbstkritik, gewachsener Filmgewalttoleranz und gleichzeitig gestiegener Jugendschutzmaßnahmen widersprüchliche Erwartungen befriedigen. Und solch ein Western-Mischmasch kann kaum einen besser treffenden Anfang nehmen als
Lone Ranger. Ja, der Zuschauer wird hingehalten, aber der Film wird so grotesk, selbstkritisch und mit einem Hauch Melancholie, der neben der lauten Selbstironie durchklingt, in eine jahrmarkttaugliche Vergangenheitsbewältigung eingebettet. Und sobald dies getan ist, kann der wilde Ritt losgehen ...
Die Eisenbahn, der grausige Schurke und das ungleiche Duo
Es ist das Jahr 1869. Die Transkontinentale Eisenbahn befindet sich noch im Aufbau und zieht allmählich eine Schneise zwischen Vergangenheit und Zukunftsdrang, wohl aber auch zwischen überschaubaren Konflikten und ausartender Korruption und Gier. Der gutmütige Anwalt John Reid reist in eine kleine Stadt in Texas, um seinen Bruder, den Texas Ranger Dan, zu besuchen. Dieser soll den ruchlosen Ganoven Butch Cavendish zu seiner Exekution begleiten. Regisseur Gore Verbinski zeichnet John Reid zunächst als einen naiven, quietschbraven Gutmenschen, wie man ihn nicht nur aus den
Lone Ranger-Originalwerken kennt, sondern wie man ihn auch in den ersten John-Ford-Western oder den idealistischeren John-Wayne-Frühwerken erlebt. Doch diese Darbietung John Reids gewinnt an Reiz und Charisma, indem Armie Hammer mit einem weitäugigen Strahlen und einem unschuldig-überforderten Lächeln den braven Tollpatsch für zahlreiche humorige Querschläge freigibt. Hammer hat großartiges komödiantisches Timing und genießt es spürbar, den Hampelmann abzugeben, ohne dabei seiner Rolle das Genick zu brechen: John Reid ist nicht unfähig, sondern schlicht nicht für den ihn einholenden Wahnsinn gewappnet und, in einer abenteuerlich-spaßigen Abwandlung von Jimmy Stewarts Performance in
Der Mann, der Liberty Valance erschoß, auch zu spießig, sich den Gesetzen des Wilden Westens zu unterwerfen. Selbst wenn er sich dadurch einen großen Nachteil verschafft.
Vergleicht man diesen Strahlemann mit den braven Buben aus anderen Disney-Filmen dieser Größenordnung, ist John Reid amüsanter und durch eine größere Dynamik auch lebendiger als Will Turner in
Fluch der Karibik. War Turner im ersten Piratenspektakel der liebe Gegenpart zum jegliche Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Jack Sparrow, hat Armie Hammers Rolle trotz ihrer bodenständigen Natura viel mehr Spritzigkeit und kann sich so neben dem sturen Tonto behaupten. Dieser befindet sich zu Beginn des Films aufgrund nebulöser Umstände in Gefangenschaft und wird gemeinsam mit Butch Cavendish in einem Sonderwaggon des Zuges, den sich John Reid ausgeguckt hat, der Justiz überführt. Cavendish hat jedoch einen aufwändigen Fluchtplan ausgeheckt und lässt seine durchgeknallte Bande im Zug auf Raubzug gehen und diesen dann entgleisen, so dass Cavendish im Tumult entkommen kann. John Reid entkommt dem Zugunglück gerade noch mit dem Leben, nicht zuletzt auch dank Tontos Handeln, selbst wenn dieser eigentlich nur auf Blutrache an Cavendish aus war.
Die halsbrecherische Actionszene, die Verbinski und die Autoren Elliott & Rossio und Haythe zu Beginn der Kernhandlung stellen, ist dann auch vorerst der letzte Ausblick in eine idealistische (mit modernen Blockbuster-Mitteln visuell aufgeplusterte) Westernwelt, den uns
Lone Ranger gönnt. Klare Rollenverteilungen, Action, die zwar Schauwerte hat, aber noch vergleichsweise sauber ist? Das alles geht, sobald der Zug erstmal entgleist ist, in Schutt und Asche auf. Der Zug der heilen Nostalgiewestern ist abgefahren und hat ordentlich Schaden genommen, stattdessen ist John Reid nun in einer ganz anderen Version des Westens angekommen: Dem dreckigen, amoralischen Wüstenloch eines Sam Peckinpah und Sergio Leone, frech gefiltert durch die obskure Sicht des absonderlich-schrillen Bombast-Inszenators Gore Verbinski.
Das Texas, das hier entworfen wird, ist rappelvoll mit grotesken Gefahren wie Killer-Kaninchen und zugleich Heimat verranzter Unterhaltung wie einem surreal angehauchtem Wanderzirkus, dessen Herzstück sowohl Bordell als auch Saloon ist. Puffmutter Red, gespielt von einer nur kurz auftretenden, aber markant auftrumpfenden Helena Bonham Carter (die Verbinski sich wohl mal schnell von Tim Burton ausgeliehen hat), könnte derweil mit ihrer aggressiven Sinnlichkeit und modernen Schlagfertigkeit glatt einem Robert-Rodriguez-Neowestern entsprungen sein. Butch Cavendish derweil ist ein Schlächter, wie er in der Disney-Schurkengallerie seinesgleichen sucht: Erbarmungslos, hinterlistig, recht wortkarg und blutrünstig, gespielt mit einer Ehrfurcht versprühenden Intensität. Leider kann der perfekt gecastete, von beeindruckendem Makeup entstellte William Fichtner seinen wandelnden Sheriffschrecken nicht mit all dem Nachdruck wirken lassen, den sich der geneigte Bösewichtliebhaber wünschen würde, da er von der Fülle an Geschehnissen in
Lone Ranger über weite Strecken an den Rand gedrängt wird. Ein Barbossa oder Davy Jones haben da ihre Verbinski-Bombaststreifen schon stärker geprägt.
Dessen ungeachtet reizt Verbinski das PG-13-Rating respektive die 12er-Jugendfreigabe voll aus und lässt
Lone Ranger in Sachen Düsternis und Gewaltspitzen Schulter an Schulter neben
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt stehen, welcher problemlos zahllose Non-Disney-Blockbuster übertraf. Teils ist es wirklich Verbinskis Genuss daran, die heile Westernwelt aus früheren Filmepochen (und natürlich auch das segensreiche Disney-Label) mit Grauen zu erfüllen, aber die harscheren Momente des Films dienen keinem reinen Selbstzweck. Viel eher skizzieren sie, wie hilflos Tonto und John Reid zunächst im von Ganoven, Korruption und sinnlosem Militarismus zerfressenen Westen sind. Und somit stärken sie aus erzählerischer Sicht schlussendlich den Titelhelden: Ein unbeholfener Idealist, der an seine Grenzen stößt und schließlich lernt, sich durchzubeißen, ohne sich zu verraten, ist bewundernswerterer als ein klassisches Abziehbild eines Revolverhelden, egal, wie cool dieser wirken mag.
Foto: Peter Mountain ©Disney Enterprises, Inc. and Jerry Bruckheimer Inc. All Rights Reserved.
Verbinski: Disney-Schreck oder Disney-Segen?
Lone Ranger führt somit die Tradition ambitionierter Projekte fort, bei denen sich der Mut, einer Story zu dienen und das Publikum nicht nur in Sachen Humor zu erreichen, sondern auch andere Emotionen voll auszureizen, mit dem Disney-Erbe der Besinnlichkeit kreuzen. Und Gore Verbinski ist einer der eifrigsten Kämpfer für die gewagtere Seite Disneys. Als die Disney-Studios Anfang der 00er Jerry Bruckheimers Drängen nachgaben, den Abenteuerfilm
Fluch der Karibik ganz zeitgemäß mit einer PG-13-Freigabe zu bewilligen, sollen einige der Geschäftsführer bereits Bedenken über eine Kameraeinstellung geäußert haben, in der ein verfluchter Pirat in Skelettform seinen blutbeträufelten Säbel im Mondschein schimmern lässt. Doch dieser erste Disney-Film mit einem PG-13-Rating war auch im sprichwörtlichen Sinne bloß der Anfang. 2006 genoss der seinen Hang zu verschrobenem Humor und düsteren Einsprengslern auch in weniger schreckhaften Geschichten auslebende Regisseur Gore Verbinski mehr Rückendeckung denn je: Die Fortsetzung von
Fluch der Karibik schwamm auf der Erfolgswelle des Originals und durfte somit der Maxime "Höher, schneller, weiter" folgen, so dass Jack Sparrows zweites Abenteuer mehr Leben kosten durfte und auch mit grausigeren Sequenzen aufwarten konnte. Mit
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt jedoch gingen Verbinski, Bruckheimer, Elliott & Rossio noch viel weiter und schufen unter anderem ein Intro, das in der restlichen Disney-Geschichte wohl unerreicht bleiben wird. Einige der Entscheidungen Verbinskis mussten etwas mühevoller verteidigt werden, doch generell schien ihm das Studio zu vertrauen. Schließlich führt er die Erfolgsmarke
Pirates of the Caribbean fort ...
Diese verschlang wohl aber auch große Summen. So enorme, dass Disney kurz vor Drehbeginn des zweiten Teils den Stecker ziehen wollte, was erst nach intensiven Gesprächen mit Bruckheimer verworfen wurde. Unwirtliches Wetter und die anwachsende Begierde, größeres und besseres Material abzuliefern, ließen die Kosten der Sequels daraufhin sogar weiter ansteigen, weshalb sich
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt mit geschätzt 300 Millionen Dollar Kosten die Krone des teuersten Films aller Zeiten krallte. Nachdem Verbinski
Fluch der Karibik für vergleichsweise wenig Geld realisierte und Teil 2 seinerzeit in Branchenkreisen mit seinem Budget zwar für Staunen sorgte, allerdings angesichts des Looks nicht weiter angezweifelt wurde, erarbeitete sich der
Ring-Regisseur so einen neuen Ruf. Verbinski ließ sich seine Ambitionen und seine Begeisterung für reale Sets und Stunts kosten und jagte somit zum Beispiel Universal Pictures ins Bockshorn, die seine Vision für eine
Bioshock-Adaption als zu kostspielig erachteten. Auch Verbinskis als "kleines Projekt zum Durchatmen" gestartete Trickfilmproduktion
Rango kletterte durch ständiges Feinschleifen auf ein ansehnliches Sümmchen von 135 Millionen Dollar. Für
Lone Ranger schließlich hatten Verbinski und Bruckheimer noch größeres vor: Da das Drehbuch mehrere bombastische Zugsequenzen beinhaltete, Verbinski weitestgehend auf Computertrickserei verzichten und die riesige Wüstenlandschaft mit zahlreichen Komparsen und weitreichenden Kulissenbauten beleben wollte, visierte das Duo ein Budget von 250 bis 260 Millionen Dollar an.
Zuviel, urteilten Disney-CEO Bob Iger und der damalige Studioboss Rich Ross (der das Projekt von Dick Cook erbte, der sich blendend mit Bruckheimer, Depp und Verbinski versteht). Erst recht angesichts dessen, dass der letzte gemeinsame Disney-Film der
Lone Ranger-Macher seine geplanten Kosten weit überboten hat und ihnen nun ein rauerer Tonfall vorschwebt, der nicht ganz die erhofften
Fluch der Karibik-Erinnerungen weckte. Erneut wurde Bruckheimer und Verbinski ein Riegel vorgeschoben, dieses Mal allerdings weckte die Entscheidung ein lauteres Presseecho als bei
Fluch der Karibik und
Pirates of the Caribbean – Die Truhe des Todes. Der aus dem TV-Bereich stammende Rich Ross wollte damit seine Standfestigkeit beweisen, rechnete allerdings offenbar nicht mit der Vehemenz der
Lone Ranger-Schaffenden. Der Drehplan wurde bis aufs nötigste gestrafft, Komparsen für einige Drehtage eingespart, Verbinski, Depp und Bruckheimer stimmten zu, ihre Gagen zu kürzen, und, und, und. Übrig blieb ein noch immer stolzes Budget von zirka 215 Millionen Dollar, was aber immerhin den zweiten
Pirates-Film unterbot. Weite Teile der Presse schüttelten weiterhin den Kopf, weshalb ein Western so teuer sein könnte ("Zwei Männer mit je einem Pferd, das reicht doch!"), aber da
Lone Ranger ein ähnliches Spektakel zu werden versprach wie der besagte zweite Piratenstreifen, stimmte Disney zu. Wenngleich unter einer Bedingung: Verbinski habe sein "Final Cut"-Recht aufzugeben. Damit wollte die damalige Studioleitung absichern, dass der wirtschaftlich nicht an Jack Sparrows Attraktivität heranreichende
Lone Ranger nicht zu derbe wird und sich durch größere Familientauglichkeit doch noch rechnet. Zugleich wollte man so aus vergleichbaren Gründen die Laufzeit stärker unter Kontrolle haben.
Der Budgetkrieg war somit geschlichtet und es lag auch in Verbinskis Interesse, innerhalb diesem hohen Rahmen große Schauwerte zu liefern, denn wie nach dem
Lone Ranger-US-Filmstarts in der Fachpresse ausdiskutiert wurde, wollte der Oscar-Preisträger dem Hollywood-System beweisen, dass seine hohen Budgets sowohl berechtigt als auch unter Kontrolle sind.
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt etwa wäre ohne die Schwierigkeiten, die die Drehcrew aufgrund mehrerer Hurrikanes hatte, nicht dermaßen teuer geworden. Aber das Schicksal war Verbinski nicht wohlgesonnen und hinderte ihn erneut daran, nicht mehr Geld aufzubrauchen als zunächst anvisiert: Zusätzlich zu den 215 Millionen Dollar, die man dem stattlich ausgestatteten und beeindruckend gefilmten Spektakel in nahezu jeder Minute ansieht, kamen unter anderem Kosten für Setneubauten und verzögerte Drehtage hinzu, da Gewitter, Schnee- und Sandstürme die Dreharbeiten regelmäßig heimsuchten. Und so kletterten die Kosten wieder in die zunächst anberaumten Regionen.
Während bei den Produktionskosten durchaus Kooperationswillen vorhanden war, lebte Verbinski in einem anderen Aspekt dafür seine schelmische Seite aus: Um seine Vision von
Lone Ranger nicht verwässern zu müssen, fügte der Regisseur während der Dreharbeiten neues düsteres Material und knalligere Gewaltmomente ein, um dann bei etwaigen Einsprüchen des Studios kompromissbereit zu wirken und die zuvor nicht geplanten Szenen entfernen zu können, so dass der Film daraufhin wieder harmloser wirkt. Die Rechnung ging auf: Während einige seiner neuen Gewaltexzesse getrimmt wurden, konnte Verbinski durch geschicktes Tricksen und gelegentliche Drohungen, eiskalt das Projekt zu verlassen, sein Vorhaben durchdrängen. Und so wird in
Lone Ranger scharf geschossen und die Schurken üben sich in Gräueltaten, die Sergio Leone gewiss stolz gemacht hätten. Gleichzeitig bleibt Verbinski auch seiner verspielteren Seite treu und spickt den Film mit cartoonigeren Momenten (etwa sämtlichen Szenen, in denen das stolze "Pferd mit Dachschaden" Silver aufkreuzt und konsequent für Unmut bei Tonto sorgt), welche sicherlich auch Disneys Studioleitung beruhigt haben dürfen. Gleichzeitig sind die, nennen wir sie mal, "knuffigeren" Szenen in ihrer liebenswürdigen Verspieltheit auch ein freundlicher Tribut an eben jene Western, die Verbinski als Kind zu harmlos fand und auch der nötige Schuss Energie, die ein so großes Projekt braucht, um bei all den Italo-Westernreferenzen noch immer seiner Westernspektakelprämisse gerecht zu werden. Und zudem sind es diese leichtgängigeren Momente, die für Armie Hammers John Reid als Durchhalteparole dienen: Tonto, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Blutrache zu üben, mag beispielsweise Silver für dumm halten, doch der unbedarfte Lone Ranger hat gutes Recht, sich mit diesem wundersamen Pferd anzufreunden und es als Unterstützung im Kampf gegen das verdorbene System und anstandslose Ganoven zu sehen.
Und ironischerweise ist Verbinski mit seinen irren Mixturen aus düster und trivial, bombastisch und einschüchternd, komödiantisch und actionreich seinen Teilzeit-Arbeitgebern von Walt Disney Pictures in Sachen Firmenphilosophie um ein Vielfaches voraus. Der bereits arg ergraute 49-Jährige scherzte zwar während der
Lone Ranger-Pressetour vermehrt, es sein nunmal schlicht sein Job, Disney nervös zu machen, in allem Ernst aber sieht er sich ganz problemlos als Teil der Disney-Kultur: Gegenüber
Moviefone erklärte er, dass er mit Disney so nervenaufreibende, mutige Szenen wie den Schluss von
Mein Freund Jello verbinde, und er daher den Markennamen Disneys mit dem mutigen Geschichtenerzähler Walt Disney vereine. Und diesen Wagemut führt Verbinski tatsächlich erfolgreich aus: Disney-Klassiker wie
Schneewittchen und die sieben Zwerge,
Pinocchio oder gar
Dumbo galten ihrerzeit als zu düster für ein Familienpublikum und umfassen sowohl schaurige und traurige Momente wie slapstickreiches Comic Relief.
Lone Ranger mag der momentanen Konzernleitung Kopfschmerzen bereitet haben, aber die waghalsige Verbindung so vieler Tonlagen steht in einer sehr langen Tradition bei Disney.
Verrückt und lieb, streng und ulkig
Und noch etwas hat sich Verbinski von Walt Disney abgeschaut: In zahlreichen Disney-Klassikern ist es schwer zu sagen, wer denn nun
wirklich die Hauptfigur ist, da die vermeintliche Nebenrolle nicht nur sehr aktiv ist, sondern ebenfalls ihren emotionalen Bogen erhält. Diese Jiminy-Cricket/Pinocchio-Dynamik spiegelt sich auch in
Lone Ranger wider, wobei sie etwas komplexer aufgemischt wird. Erstrebenswert, selbst wenn es in diesem Falle etwas zu ambitioniert ist, denn die in ungleichen Schüben aufkommenden Passagen, in denen Tonto etwas mehr Tragik erfährt oder John Reid für etwas mehr Komik sorgt (und umgekehrt), nehmen
Lone Ranger etwas von seinem erzählerischen Gleichgewicht. Dessen ungeachtet ist es ein interessantes Konzept, den früheren Sidekick Tonto in dieser Version mehr in den Fokus zu rücken und das Geschehen aus seiner Perspektive zu verfolgen, während John Reid seine Heldenwerdung erst noch erfahren muss. Dieser ist auch, so sehr Tonto auch der Motor vieler Sequenzen sein mag, der unbeirrbare Held des Stücks, was sich etwa darin zeigt, dass zwar seine Handlungen öfter in Comedy ausarten, seine Ideale aber nie untergraben werden. Dadurch, dass in einer funktionalen, wenngleich nur mäßig galant ausgeführten, Nebenerzählung davon berichtet wird, dass John Reid aufgrund seiner Anständigkeit nie das Leben führen konnte, das er sich ersehnt hat (mit großer Leinwandpräsenz, aber durchwachsenen Szenen: Ruth Wilson als Dan Reids Gemahlin und Johns ewige Traumfrau), wird zusätzlichen Respekt für den Lone Ranger eingefordert. Darüber hinaus dient dieser Nebenplot natürlich auch dem Zweck, John im Verlauf des Films neben dem bloßen Prinzip auch eine Herzenssache zu geben, für die es sich zu kämpfen lohnt. Dies ist leider recht dünn ausgeformt und einer der konventionelleren Aspekte in
Lone Ranger, allerdings verankert dieser zugleich den Titelhelden stärker in seiner Position als klassische Hauptfigur der Erzählung.
Dass John Reid aber vom unbeholfenen Möchte(nurun)gern zum fähigen Kämpfer fürs Recht aufsteigt, ist Tontos Verdienst, da dieser ihn immer wieder herausfordert, über sich hinauszuwachsen. Statt ihn aber nach dem klassischen Schema den Helden zu schulen, und dabei selber nur humorig zu sein, teilt sich Tonto mit der anderen Seiten des Gespanns die Filmelemente Dramatik und Humor. So kommt es, dass Tonto zwar die schrillere Ausstrahlung hat, doch die gestrengere Persona, die im Kampf gegen Cavendish härtere Bandagen einfordert und weitaus weniger zimperlich ist als sein freundlicher Weggefährte.
Mit Tonto hat Johnny Depp gewiss keinen neuen Karrierehöhepunkt geschaffen, dafür fehlt es in seinen überdrehten Momenten am Esprit eines Jack Sparrow und in seinen emotionaleren Szenen an der vom Herzen kommenden Melancholie, die frühere Figuren wie Edward mit den Scherenhänden ausmachte. Gleichzeitig gerät Tontos Zorn nie so überzeugend wie der eines Sweeney Todd. Doch selbst wenn Depps Tonto eine Rolle ist, die sich im Pantheon der kultigsten Figuren des wandelbaren Superstars nur in der zweiten Reihe einordnet, ist die routiniert-professionelle Performance noch immer ein gelungenes, tragendes Element dieser Bruckheimer-Produktion. Die diversen Unkenrufe, dass Tonto ja bloß Jack Sparrow mit Kriegsbemalung sei, legen lediglich Testament darüber ab, dass sich so manch einer wohl dringend nochmal aufmerksam die
Pirates of the Caribbean-Filme anschauen sollte. Käpt'n Jack ist ein extrovertierter, selbstverliebter Trickster unter den Piraten, der sich seiner Wirkung auf sein Umfeld überaus bewusst ist und diese auch gekonnt ausnutzt, um sich mit wohl überlegten Worten und improvisierten Taten aus jedem Schlamassel zu lavieren. Er ist eine versoffene, wirr wirkende (in Wahrheit aber den vollen Durchblick habende) Rockstar-Persönlichkeit, die über allem steht, während sie so tut, stets neben sich zu stehen. Seine größten Einflüsse sind, bekanntermaßen, Keith Richards, aber auch die
Looney Tunes-Helden Bugs Bunny und Pepe LePew. Ganz anders Depps Tonto, der bestenfalls ein introvertierter, entfernter Cousin von Jack Sparrow ist. Beide tragen Bandanas und haben einen ähnlichen "Oh, verflixt!"-Gesichtsausdruck, zudem haben beide als tragende Figuren in einem Abenteuerspektakel genrebedingt den einen oder anderen lockeren Einzeiler zu sagen, doch hier enden bereits die Parallelen.
Tonto ist eine stoische Persönlichkeit, die sich selbst unendlich ernster nimmt als Jack Sparrow und der eine würdevolle Ausstrahlung von hoher Bedeutung ist. Dieser vom Schicksal gebeutelte Indianer ist ruchloser und viel gewaltbereiter als Jack Sparrow, der sich lieber blutleer aus einem Konflikt rauszuwinden versucht. Alles, was Jack Sparrow dem Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards zu verdanken hat, hat Depps Tonto derweil vom mit starrer Miene agierenden Slapstick-Maestro Buster Keaton geerbt – und dazu zählt auch, dass Tonto blind dem gegenübersteht, wie er auf seine Außenwelt wirkt. Lädt der spielerische Jack Sparrow das Kinopublikum vermehrt dazu ein, mit ihm zu lachen, basiert ein Großteil der von Tonto ausgelösten Gags darauf, dass er sein Handeln nicht so einzuordnen weiß wie sein Gegenüber und die Filmzuschauer. Einer der komplexen Clous an Jack, die ihn von all den anderen Sommerblockbuster-Leitfiguren abhebt, ist, dass er weit mehr ist als man ihm ansieht. Er tritt als der schlechteste Pirat in Erscheinung, den die Royal Navy je zu sehen bekam – tatsächlich jedoch hat er es faustdick hinter den Ohren, was sowohl das Drehbuch zu verwenden weiß als auch Johnny Depp darstellerisch untermauert. Tontos Darstellung hallt dagegen besonders nach, weil er so detachiert und unerschütterlich wirkt, allerdings deutlich einen an der Waffel hat und immer wieder in Albernheiten abrutscht.
Unter diesem Gesichtspunkt gilt es daher auch, die in den US-Besprechungen von
Lone Ranger geäußerten Rassismusvorwürfe gegenüber der Figur des Tonto neu zu betrachten. Tontos Position in der Figurenkonstellation und Plotkonstruktion ist nicht nur unverwerflich, sondern erfüllt auch Verbinskis und Depps ursprüngliche Intention, die Ungerechtigkeit früherer
Lone Ranger-Variationen gerade zu rücken. In diesem Film ist es der die Wildnis wie seine Weste(r)n-Tasche kennende Tonto mit seinem urigen Gerechtigkeitsverständnis, der den unerfahrenen, zurückhaltenden Lone Ranger ins Heldentum drängt und in der Prärie auf den richtigen Pfad bringt. Deswegen rücken ihn Skript und Inszenierung wie selbstverständlich von der Sidekick-Position in eine gleichberechtigte Rolle. Über den Kernplot stülpt Verbinski zudem die Rahmengeschichte, die den bereits im Kern des Films bemerkbaren tragischen Aspekt der Eroberung des Wilden Westens verstärkt: Auf dem Wege zu unserer Gesellschaft wurden ganze Kulturen verdrängt oder gar ausgerottet, woraufhin simple, vereinfachte Abbilder dieser Kulturen scheinheilig als leider verblasste, "edle Wilde" bezeichnet wurden. Tonto verdeutlicht, dass ganze Völker so ihrer Wurzeln und ihres Lebens beraubt wurden.
Lone Ranger greift dieses Thema wohlgemerkt plakativ und "rummelhaft" auf, eine nachhaltig stechende Zynik ist dem Ganzen dennoch nicht abzusprechen und zwischen all den hohldoofen Zerstörungsorgien des Blockbustersommers ist dieser Hauch von Tiefgang eher lobenswert denn kritisch zu betrachten.
Dieser nostalgische Tonto aus der Rahmenerzählung erfüllt gleichzeitig aber einen weiteren Zweck. Da
Lone Ranger auf einem unterhaltsamen US-Westernfranchise basiert und als wilder Sommerblockbusterritt auch Verrücktheiten zu bieten hat, die es in einer modernen Wiederbelebung des Spaghettiwestern etwa nicht benötigen würde, muss auch ein buntes Element den Film erfüllen. Ein das Erbe der Entertainment-Western fortragender Film kann nicht einfach nur ernst und dramatisch das Wesen der amerikanischen Ureinwohner schildern. Die leichtfüßigen Stereotypen sind ein nicht ohne weiteres kürzbares Element der Westernunterhaltung, für Cowboys unverständlich mystisches Gebrabbel und gebrochenes Englisch gehören bei Popcornwestern schlichtweg dazu. Tonto vertritt, neben der oben genannten Elemente, auch diese Seite des Genres, was ihn als Figur eigentlich abrunden sollte ("würdevoll, aber merkwürdig"). Gleichwohl wird im Film deutlich, dass Tonto eine absolute Ausnahme darstellt und keineswegs ein normaler Ureinwohner ist, zudem suggeriert Verbinski, dass werkimmanent Tonto sogar der Ursprung der Indianer-Klischees darstellt, die wir noch heute kennen. Für mich ist dies eher ein kecker Trick, um weiter leichtgängige Unterhaltung zu bieten, die gewisse Eckpfeiler der Genrevergangenheit aufwärmt, ohne ihren üblen Beigeschmack zu bestätigen. Dass dies in den USA so nicht aufgefasst wurde, könnte teils daran liegen, dass die Absichten der Filmemacher nicht auffällig genug telegraphiert wurden, vielleicht aber reagierten US-Zuschauer auch schlicht zu übersensibel. Ich für meinen Teil betrachte Tonto jedenfalls zu gleichen Teilen als spaßig-karikaturhaften Genrekommentar und historisch sensible Kurskorrektur. Ja, das ist ein wenig schizophren veranlagt, doch dies fügt sich nahtlos in die gesamte Aura des Films, welcher ja wiederum Genuss aus der tonalen Vielstimmigkeit des Westerngenres zieht.
Zudem ist Tonto in seinen schrägeren Momenten weniger eine Überzeichnung eines Ureinwohnes, als der Ausdruck einer vergangenen Genrementalität. Und damit ist er nicht allein in diesem Film: Cavendish steht für den Italo-Western und John Reid darf am Ende nochmal die Fahne für die spaßige, übertriebene Kinounterhaltung schwenken, wie man sie aus Serials, Cartoons und losgelösten Streifen wie
Silverado kennt. Denn selbst wenn
Lone Ranger im großen Bild ausdrückt, dass der Kampf um die nostalgische Erinnerung einer einfachen Zeit verloren ist und Tontos Erzählung deswegen voller Bedauern steckt, so hat er wenigstens John Reid nach und nach zu einem fähigen Helden reifen lassen. Zu einem Helden, der dank seines reinen Herzens und klaren Verstands auch seinen tote Vögel tragenden Lehrmeister überholt hat
– und so kann er von wehenden Trompeten begleitet in der furiosen Finalsequenz den Tonfall nochmal an sich reißen ...
Auf ins muntere Gefecht!
Wenn der Lone Ranger nach deutlich über 100 Minuten voller Rückschlägen endlich in der richtigen Position angekommen ist und heldenhafter denn je losreitet, um das Böse dingfest zu machen, macht sich Verbinskis Irrfahrt durch ein groteskes und abscheuliches Western doppelt bezahlt. Denn dafür, dass viele US-Kritiker bemängelten, Verbinski würdige die Figur des Lone Ranger nicht genug, lässt er ihn im Finale aber überdeutlich Gerechtigkeit erlangen. Die vielen Einflüsse aus herberen Westernfilmen mögen im Herzstück des Films für eine herrlich-dreckige Atmosphäre sorgen und spannend sein, doch das Finale überschattet sie alle. Und dieses steht einzig und allein in der Tradition der reinsten Popcornunterhaltung. Der Lone Ranger wird zu dem, was er repräsentieren wollte, und stürzt sich in eine halsbrecherische, von Verbinski genial durchchoreographierte und stets übersichtliche, dennoch auch ganz und gar überwältigende Zugverfolgungsjagd, bei der zwei Züge durch Berg und Tal düsen.
Einerseits werden Erinnerungen an das Finale von
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt wach, in dem sich die Black Pearl und die Flying Dutchman in ein aufregendes Seeschlacht-Ballett stürzen, andererseits lässt die abschließende Actionsequenz von
Lone Ranger die epochale Dramatik und die lyrisch anheimelnde Musik des Piratenfilms hinter sich, um stattdessen zu einer von Hans Zimmer und Geoff Zanelli überarbeiteten Version von Gioachino Rossinis William-Tell-Overture die Realfilmversion eines durchgeknallten Action-Westerncartoons abzuliefern. Die aufgepeppte Version der Titelmusik früherer
Lone Ranger-Inkarnationen tönt und trällert und hoppelt perfekt zu den Bildern abgestimmt daher, hellt die Stimmung des Films auf (was niemals so merklich auffallen würde, wäre er vorher nicht zu stolz auf seine Düsternis) und zelebriert so pure Western-Abenteuerromantik und energiereiche Eskapismusfantasien. Real umgesetzte Stunts, die auch aus Buster Keatons
Der General stammen könnten, komödiantisches Timing wie aus einem
Looney Tunes-Klassiker (oder dem Micky-und-Donald-Farbcartoon
The Band Concert) und der schiere Prunk, wie man ihn nunmal von Verbinski und Bruckheimer erwartet, vereinen sich hier zu einer der ansteckend-launigsten Actionszenen, die es in den vergangenen Jahren zu bestaunen gab.
Wenn sich der ganze Staub erstmal gelegt hat, stellt sich die Frage: Weshalb wurde
Lone Ranger in den USA als solch ein
train wreck rezipiert und fand, anders als etwa die von der Kritik ebenfalls ungerechtfertigt verkannten
Pirates of the Caribbean-Sequels, keinen wirtschaftlichen Segen?
Nun, makellos ist Verbinskis bislang wohl größtes Projekt gewiss nicht, und neben den bereits erwähnten kleineren Rückschlägen gilt es beispielsweise die recht uninspirierte Rolle des von Tom Wilkinson nur pflichtmäßig gespielten Eisenbahnmagnaten Latham Cole zu bemängeln. Mit einer wesentlich theatral-manischeren Skizzierung hätte diese besser in den Film gepasst und ihn gerade gegen Ende des zweiten Drittels noch stärker vitalisiert. Dass Verbinski den Dreh raus hat, solch überlebensgroß-widerlichen Vertreter des rücksichtslosen Fortschritts zu inszenieren, bewies er mit Tom Hollanders Lord Cutler Beckett aus
Pirates of the Caribbean 2 & 3, und exakt so eine Figur hätte auch der
Lone Ranger benötigt. Ähnlich blass, wenngleich dank der geringeren Relevanz für den Plot leichter zu verschmerzen, ist Barry Peppers schmieriger Kavallerieoffizier Captain Jay Fuller, dessen Handeln nach dem Kinobesuch kaum hängen bleibt.
Doch solche Defiizite erklären kaum die schlechte US-Kritiker- und -Publikumsreaktion auf
Lone Ranger, genauso wie es nicht sein kann, dass die Aneinanderreihung der Nebenplots im Zentrum des Films, welche die
Pirates-Fortsetzungen galanter vollführte, Grund sein soll, dass dieser gigantische Westernfilm als vebroten träge erzählt aufgefasst wird. Es ist schlichtweg ein Rätsel, weshalb
Lone Ranger gerade in den Staaten so giftig aufgenommen wird und
international zumindest bei den Kritikern Freunde findet. Womöglich haben US-Amerikaner einfach eine andere Beziehung zum Westerngenre
– sowas wie
Vier Fäuste für ein Halleluja, was sich in den Szenen mit Tonto und John Reid als befreundetes Gespann ebenfalls in der DNA dieses Bombastwerks befindet, läuft dort im Absurditätenkabinett und einen
Schuh des Manitu würde sich die breite Masse in den USA wohl niemals anziehen. Vielleicht hat in den USA die miese Vorabpresse einen stärkeren Einfluss auf die Wirkung des Films gehabt. Oder es ist viel simpler: Manchmal will der Funke einfach nicht auf Anhieb anspringen.
Die wahren Vergehen von
Lone Ranger, die dieses unfassbar ambitionierte Projekt dabei zurückhalten, sein volles Potential zu erreichen und sich von einem erschreckend guten Western-Genrestreifzug zu noch Höherem aufzuschwingen, findet man daher nicht in den üblichen Verrissen.
Lone Ranger ist beispielsweise nicht etwa zu abstrus, sondern nicht grotesk genug. So reizvoll die Sprinkler des Irrsinns im Handlungsverlauf sein mögen, sind sie zu zurückhaltend, um den Film als voll und ganz ausgereiftes Zerrbild des Genres zu etablieren und die Idee, die Titelfigur in einen Kulturschock über die wahnsinnig wilde Westernwelt zu versetzen, zu betonen. So bleibt nur ein Ansatz dessen vorhanden, was ein kleiner Geniestreich hätte werden können. Zumal mit der Erzählerfigur, deren Unverlässlichkeiten wahlweise zu selten (um sie zu einem Running Gag und bedeutsamen Element des Films zu machen) oder zu häufig (um den Hauptplot unberührt zu lassen) vorkommen, auch eine angemessene Instanz für solche Elemente gegeben wäre.
Im Vergleich zu den
Pirates of the Caribbean-Filmen wendet
Lone Ranger weniger Zeit dafür auf, eine eigene Mythologie zu erschaffen und eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Dafür sind die filmischen Querverweise, die es zuvor auch schon in den Piratenfilmen zu sehen gab, prominenter geworden, was per se nicht schlecht sein muss und sich sehr gut in das Bild des Films als große Genreverneigung fügt. Jedoch hätte es sich bei einer gezielteren Verwendung der grotesken Filmelemente zu einem noch cleveren Ganzen fügen können. Dessen ungeachtet fängt Kamermann Bojan Bazelli, mit dem Verbinski zuvor schon
Ring drehte, das Geschehen in malerisch verwitterten Bildern ein und lässt visuelle Referenzen an Filme wie
Zwei glorreiche Halunken ebenso stark wirken wie die bildlich stärksten eigenen Momente vom Lone Ranger, sei es, wie sich der zielstrebig zur Tat reitende Ranger, der sich im Fenster eines Zuges spiegelt oder etwa auch solche Momente wie Tontos und John Reids martialisch ausgeleuchtete Unterhaltung am Lagerfeuer.
Komponist Hans Zimmer verwendet in dieser Sequenz eine subtile musikalische Ennio-Morricone-Referenz, insgesamt jedoch nutzt der Dauerkollaborateur Verbinskis eine atmosphärische, nur gelegentlich quirlige Western-Klangtapete ohne klares Vorbild. Die Actionmomente sitzen, die düsteren Momente sind kraftvoll, aber die überlebensgroße, mitreißende Wirkung eines
Pirates of the Caribbean-Scores wird nur in zwei Passagen erreicht: Beim Abstecher in Reds Bordell, der durch eines der wenigen Stücke begleitet wird, die Jack White schrieb, eh er den Film aus terminlichen Gründn verlassen musste, und beim besagten Finale. Somit ist
Lone Ranger musikalisch zwar vollauf zufriedenstellend, aber nicht ganz so kultverdächtig wie die Piraten-Reihe.
Fazit:
Lone Ranger ist aus der Vielzahl an hochpreisigen Flops und von US-Kritikern verrissenen Monumentalwerken der vergangenen Jahre das beste Beispiel für ein ungerechtfertigt verkanntes Blockbusterexperiment. Mit handwerklichem Perfektionsstreben, wodurch sich der ebenso lautstark wie unfundiert angezweifelte Kostenpunkt dieser Produktion erklärt, und großen inhaltlichen wie stilistischen Ambitionen vermengt dieser Outcast unter den Sommerfilmen die über hundert Jahre andauernde Historie an Wildwest-Popkultur zu einem mehrmals entgleisenden Abenteuerritt.
Nicht alle Ideen sind voll ausgereift, andere Aspekte (wie etwa das selbstbewusst mit Abstechern bespickte Mittelstück der Kernhandlung) drängen manch gelungenes Element (zum Beispiel William Fichtners diabolischen Schurken) an den Rand. Dennoch liefert
Lone Ranger mit malerisch fotografierten Ausblicken in eine grotesk-derbe Mutation aus Spaghetti-Westernwelt und nostalgischer Familien-Westernlandschaft, effektiven Musikkompositionen und einem zentralen Schauspielduo, bei dem die komödiantischen Funken sprühen, sowie handgemachter, spaßiger Action genügend Blockbusterspaß, um rund zweieinhalb vergnügte Kinostunden zu bieten. Und wer gewillt ist, seinen Blick auch auf den überdrehten und dennoch gedankenvollen Genrekommentar zu wenden, wird erkennen, dass
Lone Ranger wesentlich gehaltvoller ist, als man zunächst denken mag.
Es sind die inhaltlich begründeten, teils sonderbaren, teils wunderbaren Stimmungswechsel und der rockopernartige Pomp, gepaart mit einem postmodern angehauchten Unterhaltungsverständnis und grimmen Randbemerkungen, die
Lone Ranger zu einem Film machen, den Fans von
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt lieben dürften. Wer das Piratenepos durchaus mochte und nach einer ähnlich gearteten, etwas übersichtlicher gesponnenen Westerngeschichte mit poppiger Action sucht, dürfte bei
Lone Ranger ebenfalls fündig werden. Und wer
Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt abgrundtief hasst, ja, der wird vielleicht auch von Gore Verbinskis Westernkonzentrat abgeschreckt. So bedauerlich dies auch sein mag ...