Mittwoch, 31. Juli 2013

Disney und Harvey Weinstein arbeiten wieder zusammen

Und die Hölle wurde zum Gefrierfach!

Er ist ein Genie, Millionär und steckt voller krimineller Energie. Nein, die Rede ist nicht von Hollywoodmogul und Egobolzen Harvey Weinstein, sondern von einer Disney-Figur, von der wohl nur manche wissen, dass sie überhaupt eine ist: Artemis Fowl. Die zwölfjährige Hauptfigur einer bislang achtteiligen Sci-Fi-/Fantasy-Jugendbuchreihe wurde von Disney Publishing seit 2001 mit beachtlichen 21 Millionen verkauften Büchern in zahlreiche Jugendzimmer verfrachtet und wird bald auch den Sprung auf die Kinoleinwände schaffen. Und dies mit der Hilfe von niemand anderem als Harvey Weinstein.

Ja, ausgerechnet der Mitschöpfer von Miramax Films, der den Anfang des vergangenen Jahrzehnts mit unendlichen Zankereien mit dem damaligen Disney-Boss Michael Eisner verbrachte und sich sehr unrühmlich vom Disney-Konzern trennte, arbeitet an der Filmadaption eines Disney-Buches. Seit die Artemis Fowl-Bücher erstmals mit ihren Verkaufszahlen für Aufsehen sorgten, interessiert sich Weinstein für die Rechte und bemühte sich, einen Kinofilm in die Wege zu leiten. Nun endlich wurden sich der Gott der Oscar-Promokampagnen und Disney-Studiopräsident Sean Bailey sowie Studioboss Alan Horn einig. Und nun dürfen wir uns auf eine Koproduktion zwischen Disney und Weinstein freuen. Ich rechne mit einem bombastischen Budget und selbstbewusster Positionierung im Rennen um Filmpreise!

Michael Goldenberg, Drehbuchautor von Harry Potter und der Orden des Phönix und der von meiner werten Gastautorin Ananke Ro geliebten Peter Pan-Realverfilmung aus dem Jahre 2004, kümmert sich um das Skript, Jane Rosenthal (Der gute Hirte) und Robert De Niro beteiligen sich als ausführende Produzenten. Die beiden waren es auch, die Weinstein erst auf die Buchreihe aufmerksam machten. "Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich gemeinsam mit Disney ein Projekt stemmen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Aber ich fühle mich so, als würde sich der Kreis nun schließen, bedenkt man, dass es Bob De Niro und Jane Rosenthal waren, die dieses Buch zu mir brachten, als ich noch bei Miramax war, wo ich ihnen nur Stunden später erzählte, dass ich die Rechte an einem Film haben will", erklärt Weinstein. Weiter gibt er begeistert von sich: "Es ist aufregend, mit Alan Horn wiedervereint zu sein, mit dem ich zusammenarbeitete, als er noch bei Warner Bros. war und wir riesigen Erfolg mit Aviator, Starsky und Hutch und Teenage Mutant Ninja Turtles hatten."

Die Artemis-Fowl-Buchreihe beginnt damit, dass das schurkische und junge Genie eine Fee entführt, um ihre Magie auszunutzen. Zwar hat Artemis ausnahmsweise etwas Gutes, nämlich das Wohl seiner Familie, im Sinn, allerdings muss er erkennen, dass Feen in Wirklichkeit um einiges brutaler sind, als einem Gutenachtgeschichten eintrichtern wollen ...

Dienstag, 30. Juli 2013

Das Eisköniginnen-Marketing: Voller Ausrutscher?

Es muss gewaltig was schieflaufen im Staate Disney, wenn ein neues Walt Disney Meisterwerk ansteht, und ich in meinem Körper nicht einen kleinen Funken Vorfreude verspüre. Im April nannte ich die 30 Filme, auf die ich mich am meisten freue, und das anstehende Disney-Märchenmusical Die Eiskönigin - Völlig unverfroren kam nirgends auf dieser Liste vor. Seither sind zwar ein paar der in meiner Liste genannten Filme erschienen, allerdings rückten in der Zwischenzeit auch allerhand Filme nach, die für das Monster-Kinojahr 2015 angekündigt wurden.

Seit der Jahrtausendwende gab es bloß ein Meisterwerk, auf das ich fünf Monte vor Kinostart weniger gespannt war als auf Die Eiskönigin, und dies war Winnie Puuh, wo ich bis zuletzt gewisse Zweifel hatte, ob Disney sich wirklich zusammenreißt und die Figuren aus dem Hundertmorgenwald respektvoll behandelt und nicht etwa als reine Blödeltruppe für kleine Kinder.

Doch wieso lässt mich (Achtung, albernes Wortspiel!) Die Eiskönigin so kalt? Zunächst wäre da natürlich der alberne Teaser im Ice Age-Stil, den ich bereits an anderer Stelle behandelte. Und dann ist da folgendes Teaserposter, dass eine kühle Stimmung aufbaut ... und dann den Kandidaten für "zweitnervigste Nebenfigur der Disney-Computeranimationsära" dazwischenknallt:


Aber ich bin doch eigentlich heller als Disneys neuste Marketingmaschen. Von Rapunzel haben wir doch alle gelernt, dass Disney seine Märchen den Teenies und kleinen Jungs schmackhaft macht, indem sich das Studio an die Charakteristik anderer Studios ranschmeißt. Der eigentliche Film hatte aber nichts mit DreamWorks- oder Blue-Sky-Studio-Filmen gemein. Und Die Eiskönigin hat, ähnlich wie Rapunzel, auf dem internationalen Markt ein paar hübsche Poster spendiert bekommen:


Dennoch bewege ich mich nur mit zuckenden Schultern in Richtung Kinostart. Und zwar, weil die getuschelte Mundpropaganda dieses Mal so still ist. Bei Rapunzel rissen sich Disney-Insider und auch einige namhafte -Mitarbeiter die Beine raus, um interessierten Internetusern klar zu machen, dass das Marketing irreführend ist. Die Umbetitelung wurde angestritten, der Teaser, nahezu jede auf "Mensch, wird der Film cool und krass" gebürstete Pressemitteilung ... Mit hübscher Regelmäßigkeit wurde auf Disney-Fanseiten mit gutem Draht zu den Studios klar gemacht, dass Rapunzel ein Meilenstein der Studio-Geschichte ist, auf den es sich zu warten lohnt. Bei Die Eiskönigin? Da herrscht weitestgehend Schweigen. Dafür zeichnen sich riesige Parallelen zu Rapunzel ab. Vom Maximus-Elch zur männlichen Hauptrolle, die aussieht wie Flynn mit mehr Speck auf den Hüften ...


Hoffentlich bricht noch das Eis und Die Eiskönigin stellt sich als glühendes Juwel heraus. Doch im Moment bleibe ich kalt ...

Freitag, 26. Juli 2013

Freitag der Karibik #8

Was passiert, wenn die energische Truppe Lonley Island einen Club-Partysong aufnehmen möchte und Musicalstar sowie Querkopf Michael Bolton für einige Gastverse gewinnt, dieser aber kurz zuvor die Pirates of the Caribbean-Filme sah und nun völlig geflasht ist? Nun ... das hier:



In Wirklichkeit verlief die Produktion des Songs, wer hätte es gedacht, nahezu exakt anders herum: Lonley Island schrieb die Jack-Sparrow-Hymne in der Hoffnung, Bolton dafür zu gewinnen. Doch der zurückhaltende Sänger lehnte zunächst ab, da der Liedtext für seine Verhältnisse eine ungewohnt räudige Sprache beinhaltet.

Donnerstag, 25. Juli 2013

James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte


Nach dem verpeilten, so viel Potential aufweisenden Ausrutscher Der Mann mit dem goldenen Colt fand Roger Moores Inkarnation von James Bond nach dreijähriger Pause nicht nur zu alter Form zurück, nein, das Kinopublikum wurde zugleich mit dem besten 007-Einsatz seit Im Geheimdienst Ihrer Majestät belohnt. Lewis Gilbert, der Regisseur des unfreiwillig komischen und daher so kultigen Man lebt nur zweimal, setzte sich zum zweiten Mal auf den Bond-Regiestuhl und schmiss dieses Mal die Romanvorlage von Ian Fleming in noch höherem Bogen aus dem Fenster heraus als bei Sean Connerys erstem 007-Abgesang. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte: Der Spion, der mich liebte sackte drei Oscar-Nominierungen ein, erhielt gute Kritiken und wurde sogar zu geachtetem Ergebnis als Roman adaptiert, womit der Kino-Bond seiner literarischen Vorlage auf ihrem eigenem Gebiet Konkurrenz machte.

Dabei sah es eingangs gar nicht so rosig aus für Moores dritten Film als Agent mit der Lizenz zum Töten: Produzent Harry Saltzman musste seine Anteile am Franchise aufgeben und wurde von zahlreichen persönlichen Schicksalsschlägen heimgesucht, während sein nun alleinig produzierender Partner Albert R. Broccoli damit haderte, einen Regisseur zu finden. Außerdem musste das Drehbuch mehrfach umgeschrieben werden, unter anderem da Kevin McClory die Verwendung Blofelds untersagte. Und so wurde ein nah an Blofeld angelegter Ersatz erschaffen, den Curd Jürgens mit großem Engagement spielte und den Lewis Gilbert denkwürdig in Szene setzte. Doch nicht nur der Oberschurke war ein gelungener Aufguss bereits bekannter Ideen, generell ist Der Spion, der mich liebte ein kleines Sammelsurium an nahtlos zusammengefügter, ansprechend umgesetzter Versatzstücke aus der Bond-Geschichte:

James Bond wird vom MI6 mit der Aufgabe betreut, das Verschwinden eines britischen und eines sowjetischen Atomwaffen-U-Boots aufzuklären. Als sich der Spitzenagent auf den Weg macht, gerät er in eine Falle der Sowjets, der er nur knapp entkommen kann, wobei er einen Agenten der Gegenseite tötet. Dessen Lebensgefährtin, Agentin Major Anya Amasova, macht sich nicht nur auf die Suche nach dem Mörder ihres Liebhabers, sondern folgt auch der Spur der Verschwundenen U-Boote. In Kairo kreuzen sich die Wege Bonds und Amasovas, die zunächst in Konkurrenz miteinander treten, sich dann aber gezwungen sehen, zusammenzuarbeiten. Damit machen sie sich jedoch zur Zielscheibe der Schurkenhandlangers Beißer (aka Jaws), dem sie immer wieder nur knapp entkommen können. Wie die Agenten herausfinden, handelt der Beißer im Auftrag des größenwahnsinnigen Reeders Karl Stromberg, der sich von den Menschen abgewendet hat, um sich in seiner Unterwasserfestung Atlantis den ästhetischen und intellektuellen Dingen des Lebens zu widmen. Zudem heckt er den Plan aus, mittels Atomwaffen ein nautisches Utopia zu schaffen, das an Stelle der dekadenten modernen Gesellschaft aufkeimen soll ...

Ein Bond-Schurke, der in einem originellen Versteck lebt und die Welt unterjochen möchte, indem er mit Zerstörung droht. Bond bändelt mit einer gegnerischen Agentin an. Es gibt eine ausgedehnte Zugfahrt-Sequenz inklusive Flirtereien zwischen Bond und seiner Ostblock-Kollegin und feindlichen Attacken aus dem Nichts. Der Spion, der mich liebte bietet ein buntes Best-of aus Goldfinger, Man lebt nur zweimal (ohne die peinlichen Szenen mit Bond in vermeintlich perfekter Verkleidung als Japaner) und Liebesgrüße aus Moskau, womit 007 sich bereits bei seinem zehnten offiziellen Leinwandeinsatz mit beiden Händen in seiner eigenen Vergangenheit bedient und kaum einen Funken inhaltlicher Originalität zulässt. Doch bei einem Bond-Film geht es primär eh nicht um das inhaltliche "Was?", sondern das inszenatorische sowie stilistische "Wie?". Und dank eines galanten, sich die Rolle nach Der Mann mit dem goldenen Colt wieder zu eigen machenden Roger Moore sowie einem das ihm zur Verfügung stehende Budget genüsslich für tolle Sequenzen ausgebenden Lewis Gilbert sowie einem glatten, dramaturgisch gut geschliffenen Storyablauf ist Der Spion, der mich liebte ein sehr vergnügliches Agenten-Abenteuer.

Bereits die Vorspannsequenz berauscht mit einer aufregenden Skiverfolgungsjagd, die mit einem der spektakulärsten Stunts der James-Bond-Filmgeschichte endet und beim Dreh beinahe tödlich schiefgelaufen wäre. Im weiteren Verlauf des Films wechseln sich gut choreographierte, kurze Faustkämpfe mit aufwändigeren Gadgetspielereien ab, deren Höhepunkt ein flotter Wagen mit U-Boot-Funktion darstellt. Gelungen ist, dass Gilbert in diesem Film, anders als bei Man lebt nur zweimal, trotz einzelner übertriebener Momente die Stimmung des Agentenabenteuers fest in der Hand hat und nie die "Suspension of Disbelive" überstrapaziert. Der Spion, der mich liebte ist purer Popcorn-Eskapismus, jedoch geraten dank der beiläufigen Einarbeitung verrückter Momente und der in diesem Film relativ geerdeten Heldenfiguren solche Ausflüge ins Fantastische nie zu lachhaften Ausrutschern wie noch bei Man lebt nur zweimal. Moores Bond ist ein selbstbewusster, rauer Kavalier, dessen beste Waffe sein Humor ist, mit dem er sich von seinem Umfeld distanziert. Die Selbstverständlichkeit, mit der Moore Doppeldeutigkeiten ausspricht, passt perfekt in den Film und seine Darstellung der Rolle und unterscheidet ihn auch vom "Bin ich nicht ein toller Liebhaber"-Bond Connerys, auch M und Barbara Bachs Agentin sind keine albernen Abziehbilder. Allerdings spricht Bach im Original sehr trocken, weshalb ihre Figur in der Synchrofassung besser, runder und tougher wirkt (womit der Zuschauer leider die besten Doppeldeutigkeiten des Streifens verliert, da diese im Original besser sitzen).

Curd Jürgens' Stromberg ist ein angemessener Blofeld-Ersatz, der zwar keinen denkwürdigen Monolog hat, jedoch mehr böse Ausstrahlung als die letzten Blofelds und zudem dank Gilberts Regie allerhand einprägsame Taten vollbringen kann. Ein Beispiel: Von klassischer Musik und in hypnotisch-albtraumhaften Bildern gefilmt schaltet er gleich zu Beginn eine Verräterin aus, indem er sie an die Haie verfüttert. Großartige Sequenz!

Die Musik ist dennoch der unbeständigste Aspekt von Der Spion, der mich liebte: Regisseur Gilbert und Komponist Marvin Hamlisch weben gekonnt klassische Musik und filmische Verweise ein und auch zahlreiche der dunkleren Kompositionen sind gelungen, sitzen perfekt auf den Actionbeats. Schlecht gealtert sind derweil die Versuche, das Bond-Thema den 70ern anzupassen. Der von den Bee Gees inspirierte Track Bond' 77 sticht besonders hervor und würde wesentlich besser zu einem stark in seiner Zeit verwurzelten Film wie die ersten beiden Moore-Filme passen als zu diesem.

Dennoch ist Der Spion, der mich liebte alles in allem toll gealtert und macht nahezu alles richtig, was sich Freunde des leichtfüßigen Agenten-Actioners von ihrem Leinwandidol wünschen können. Inhaltlich unambitioniert, aber super umgesetzt.

Dienstag, 23. Juli 2013

Einen hat er noch ...


Ganz so einfach ist es dann wohl nicht, das Filmemachen an den Nagel zu hängen: Nach Red State beschloss Kevin Smith, seine Karriere als Regisseur aufzugeben. Das große Finale sollte ursprünglich der Hockeyfilm Hit Somebody darstellen, welchen Smith dann jedoch lieber als Fernsehserie abwickeln wollte. Also sollte Clerks III den Kreis schließen ... Aber auf der San Diego Comic Con verkündete Smith, eine weitere Filmidee zu haben, und sogar das Drehbuch sei schon fertig.

Der Tusk betitelte Film stellt laut Kevin Smith die "knuffige Version von The Human Centipede" dar und basiert von einer Zeitungsanzeige, in der ein Mann sein Haus für Untermieter gratis zur Verfügung stellt. Die einzige Bedingung: Der Untermieter muss täglich für zwei Stunden in ein vom Hausbesitzer selbstgebasteltes Walrosskostüm schlüpfen und ein überzeugendes Walross spielen. Zu sprechen ist in diesen zwei Stunden untersagt, stattdessen wird nur über Walrosslaute kommuniziert, außerdem muss der Untermieter als Walross nach Fischen und Krabben schnappen, die ihm zugeworfen werden.

Smith sah in dieser Anzeige Potential für einen Horrorfilm, seine Wunschbesetzung besteht aus Michael Parks in der Hauptrolle des Walrossliebhaber und Quentin Tarantino als Walrossdarsteller. Das 85-seitige Skript sei auch schon bei Tarantino (der Red State abgöttisch liebt) angekommen, eine Antwort hat Smith jedoch noch nicht erhalten.

Die reale Kontaktanzeige hat übrigens eine melancholische Vorgeschichte: Der Mann mit der Begeisterung für Walrösser strandete auf einer verlassenen Insel und hatte für sechs Monate einzig und allein ein dort lebendes Walross als Freund. Seit seiner Rettung fühlt er sich einsam und verlassen, weshalb er auf die Idee kam, Mitbewohner / Untermieter zu bitten, ein Walross zu spielen.

Samstag, 20. Juli 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Mulan

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Das Originalgedicht Die Ballade von Mulan aus dem sechsten Jahrhundert ist seit langem verschollen; die älteste Version, die bis heute tradiert ist, ist Teil einer Sammlung von Liedern und Gedichten, die von Guo Maoqian zusammengestellt wurden:

Ein Seufzen, und wieder ein Seufzen,
Mulan webt neben der Tür.
Man hört das Weberschiffchen nicht,
Man hört nur den Klang der seufzenden Tochter.
Frag sie, an wem ihr Herz hängt,
Frag sie, zu wem ihre Gedanken sich wenden.
„An niemandem hängt mein Herz,
Niemand ist in meinen Gedanken.
Letzte Nacht sah ich die Armeeaushänge,
Der Khan ruft viele Truppen zusammen:
Zwölf Schriftrollen mit Kriegsbescheiden,
Auf jeder von ihnen steht Vaters Name.
Vater hat keinen erwachsenen Sohn,
Mulan hat keinen älteren Bruder.
Ich will ein Pferd und einen Sattel kaufen,
und in der Armee an Vaters Stelle dienen.“

Auf dem Ostmarkt kauft sie ein feuriges Ross,
Auf dem Westmarkt kauft sie einen Sattel,
Auf dem Südmarkt kauft sie Trense und Zaumzeug,
Auf dem Nordmarkt kauft sie eine lange Peitsche.
Bei Morgengrauen verlässt sie Vater und Mutter,
Am Abend erreicht sie den Gelben Fluss.
Sie hört Vater und Mutter nicht rufen,
Sie hört nur das rauschende Wasser des Gelben Flusses.
Bei Morgengrauen verlässt sie den Gelben Fluss,
Am Abend erreicht sie die Schwarzen Berge.
Sie hört Vater und Mutter nicht rufen,
Sie hört nur die Schreie der Wildpferde in den Yan-Bergen.

Zehntausend Meilen reitet sie im Kriegsdienst,
Überquert Pässe und Berge wie im Flug.
Die Nordwinde tragen den Klang der Armee-Gongschläge mit sich,
Kaltes Licht scheint auf eiserne Rüstungen,
Generäle sterben in hundert Schlachten,
Tapfere Krieger kehren nach zehn Jahren zurück.

Auf ihrer Rückkehr sehen sie den Sohn der Himmel,
Der Sohn der Himmel sitzt in der Halle des Glanzes.
In zwölf Rängen gibt er Belohnungen aus,
Und beschenkt mit Hunderten von Tausenden.
Der Khan fragt sie, was sie ersehnt,
„Mulan braucht keinen hohen Posten.
Ich bitte um ein schnelles Reittier,
Das mich zurück in meine Heimat trägt.“

Als Vater und Mutter hören, dass die Tochter heimkommt,
gehen sie zur Stadtmauer, um sie zu begrüßen.
Als die ältere Schwester hört, dass die jüngere Schwester heimkommt,
Kümmert sie sich um ihre Schminke und wendet sich zur Tür.
Als der kleine Bruder hört, dass die ältere Schwester heimkommt,
Wetzt er eilig sein Messer für Schwein und Lamm.
„Ich öffne die Tür meiner Ostkammer,
Ich sitze auf dem Sofa in der Westkammer.
Ich lege mein Kriegsgewand ab,
Und ziehe meine alte Kleidung an.“
Vor dem Fenster zähmt sie ihr wirres Haar,
Vor dem Spiegel legt sie ihr Blumenpulver auf.
Sie geht hinaus, um ihre Waffenbrüder zu sehen.
Ihre Waffenbrüder sind verwundert und erstaunt:
„Zwölf Jahre sind wir zusammen gereist,
Und haben nicht bemerkt, dass Mulan eine Frau ist!“

Der Rammler hoppelt hier und dort,
Die Augen der Häsin sind schmal.
Zwei Hasen rennen Seite an Seite,
Wie kannst du sagen, wer Mann ist, und wer Frau?



Mit seiner kurzen, aber eindringlichen Erzählung ist das Gedicht wunderbar für eine ausführlichere Adaption geeignet. Es erzählt gerade genug, um die vielfältigen Möglichkeiten aufzuzeigen, aber gleichzeitig so wenig, dass einer Verfilmung vollkommen freie Hand gelassen wird. Nicht zuletzt ist dadurch auch die Gefahr deutlich eingeschränkt, sich durch einen Affront gegenüber der fremden Kultur in die Nesseln zu setzen.

Die Geschichte ist simpel, und so ist es nicht verwunderlich, dass der Disneyfilm dem Gedicht sehr genau folgt. Der größte Unterschied liegt in der Länge des Kriegs, der im Gedicht über zehn Jahre dauert, im Film dagegen geschätzte Monate - eine verständliche Abweichung. Doch das, was die Geschichte ausmacht, ist alles von Anfang an vorhanden: Schon die ersten Zeilen des Gedichts zeigen die Gegenüberstellung der eigentlich zu erwartenden Rolle Mulans - der Rolle als Mädchen und zukünftige Ehefrau - und dem Platz, den sie für ihren Vater stattdessen einnehmen will. Genauso ist es am Ende eine ähnliche Wahl, die sie wiederum ohne zu zögern trifft; statt eines hochgeachteten Postens unter dem Khan wünscht sich Mulan, so schnell wie möglich zu ihren Eltern zurückkehren zu dürfen.
Erwähnenswert ist sicher, dass in dem Gedicht das Geheimnis um Mulans Geschlecht bis zum Ende nicht gelüftet wird, und auch der Khan weiß wohl nicht, wem er seine Ehrungen anbietet - doch in gewisser Weise ist es gerade dieses Unwissen, das klar macht, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau wirklich geringer ist, als es sich die festgelegte Gesellschaft vorstellen könnte. Nur eine kurze Moral am Ende spricht offen aus, was ja schließlich Grundbedingung der ganzen Geschichte ist.
Im Disneyfilm dagegen wird Mulans Geschlecht noch vor dem großen Finale offengelegt, so dass das gesamte Volk miterleben kann, wozu speziell eine Frau fähig ist. Die Rede des Kaisers dient schließlich nicht nur dazu, diese Aussage nochmals offen zu unterstreichen, sondern sie schenkt Mulan auch ihren langersehnten Moment der unverstellten Anerkennung - eine Belohnung, die Mulan im Gedicht anscheinend kaum für nötig hält.



Auf Chinesisch heißt Mùlán „Magnolie“ (wörtlich „Waldorchidee“) - eine Übersetzung, die sich in Mulans angenommenem Namen Fa Ping widerspiegelt, der dem Klang im Chinesischen „Blumentopf“ oder im übertragenen Sinne „Augenschmaus“ bedeutet. Auch die Namen von Mulans Tieren sind frei aus dem Gedicht übernommen; Kleiner Bruder, Khan und Kri-Kri (was als Lautmalerei für ein Seufzen das erste Wort des Gedichts ist).
Was Mulans Charakter anbelangt, so ist es bemerkenswert, wie viel an Persönlichkeit in einer so kurzen Geschichte offenbart werden kann. Das Gedicht hält sich nicht lange mit einer tieferen Betrachtung der Figuren auf, aber dennoch wird Mulans Innenleben durch ihre Taten klar definiert: Sie wird als folgsame Tochter dargestellt, die sich der Frauenarbeit beugt, aber statt von Liebeskummer von der Sorge um ihren Vater durchdrungen ist - so sehr, dass sie sich schließlich entscheidet, aufzubegehren und an seiner Stelle in den Krieg zu ziehen. Dort gelingt es ihr, zehn Jahre unentdeckt zu überleben und als Krieger geehrt zu werden, aber dennoch bleibt es ihr eigentlicher Wunsch, nach vollbrachter Pflicht zurückzukehren und sich als Erstes wieder in ihre eigene, weibliche Schale zu hüllen. Die Rolle, die sie annahm, hat sie für ihren Vater gerne eingenommen, aber dennoch bleibt sie im Innern Frau; in den Krieg zu ziehen war kein reiner Selbstzweck für sie.
Man könnte Mulan vorwerfen, dass sie in dieser alttradierten Version keinerlei eigene Intentionen ausgeführt hat, sondern nur aus pflichtbewusster Tochterliebe handelt - anders gesagt, dass die Geschichte weit weniger modern ist, als sie auf den ersten Blick wirkt. Dagegen würde ich einwenden, dass es im Gedicht für die Familie sehr wohl andere Möglichkeiten gab: Mulan hat eine ältere Schwester und einen kleinen Bruder, beides sicher keine idealen Kämpfer, aber beide womöglich besser geeignet als Mulan selbst. Was sie den anderen voraushat, ist der Wille, zu kämpfen und ihren Vater zu schützen, und damit sehr wohl eine aktive, „fortschrittliche“ Einstellung.
Der Disneyfilm bietet sehr viel mehr Raum, um Mulans Motivationen zu hinterfragen, und so ist nicht verwunderlich, dass ihre Beweggründe dort zweifelsfrei offenliegen. Natürlich war die Gefahr für ihren Vater der Anlass, der Mulan zum Handeln gezwungen hat, doch auch vorher war sie mit ihrer Rolle eindeutig unzufrieden und es ist klar, dass dieser Krieg ihr die langersehnte Möglichkeit zur Selbstentfaltung bietet. Doch trotzdem ist sie auch hier am Ende froh, nach Hause zurückzukommen, sie nimmt ihre weibliche Rolle wieder ein - und anders als im Gedicht findet sie hier am Ende sogar den vorteilhaften Ehemann.


Eigentlich ist es bemerkenswert, wie perfekt das alte Gedicht zur Disney-Agenda der starken weiblichen Figuren passt. Die Geschichte ist gerade weit genug angerissen, dass man sie wunderbar für einen Film verwenden kann, und auch Mulans Charakter ist zwar nur knapp, aber doch ausführlich genug definiert - und das gerade, wenn man sie mit den durchschnittlichen Märchenfiguren unseres Kulturkreises vergleicht. Sie ist nicht nur weit moderner als unsere Märchenprinzessinnen, sondern trotz der Kürze des Gedichts auch genauer durchleuchtet. Gerade der innere Konflikt zwischen der Hilfe, die sie ihrem Vater geben will und ihrem eigentlichen Leben als Frau ist zwar nur angerissen, doch es genügt, sich ein umfassendes Bild der jungen Frau zu machen. Und damit bietet das alte Gedicht das perfekte Material für ein perfektes Disney-Meisterwerk.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

Freitag, 12. Juli 2013

Saving Mr. Banks: Meine Meinung zum ersten Trailer

Saving Mr. Banks, die filmische Nacherzählung der Auseinandersetzung von Mary Poppins-Autorin P. L. Travers und Walt Disney, kommt diesen Herbst pünktlich zur heißen Oscar-Saison in die US-Kinos und zeigt niemanden anderes als Publikumsliebling Tom Hanks in der Rolle des großen Studiobosses.

Daher ist diese Disney-Produktion ein sehr wichtiger Eintrag in die Disney-Filmographie: Es ist eine fiktionalisierte, faktenorientierte Behandlung von Ereignissen aus der Konzerngeschichte (so etwas ist noch nie dagewesen), es ist die erste große Darbietung Walt Disneys durch einen Schauspieler und es ist zudem ein Oscar-Kandidat vom Flagschiffstudio Disney (im Realfilmsektor lange nicht mehr dagewesen).

Doch welches Licht wirft nun der erste Trailer auf das Prestigeprojekt nach einem Skript von Kelly Marcel, dass unter der Regie von John Lee Hancock entstand? Nun, schauen wir doch mal genauer hin:



Etwas besorgniserregend finde ich die generelle Dramaturgie des Trailers. Es könnte natürlich sein, dass der Film entscheidend vom Trailer abweicht und vollkommen anders endet, dennoch suggeriert der Trailer, dass der Film davon berichtet, wie Walt Disney in seinem Zauberland P. L. Travers erfolgreich auf seine Seite zieht. Und selbst wenn Walt Disney die Britin tatsächlich überzeugen konnte, ihm die Filmrechte an Mary Poppins zu verkaufen, so war sie mit dem filmischen Endergebnis dennoch sehr unzufrieden, was in Saving Mr. Banks auch repräsentiert werden sollte.

Insofern ist der Trailer aber auch erleichternd, da er immerhin den Eindruck erweckt, dass P. L. Travers' Bedenken ernstgenommen werden und die gestrenge Autorin guten Grund hat, ihr Buch nicht in die verspielt-kindischen Hände Disneys geben zu wollen. Für eine Disney-Produktion ist das bereits ein fortschrittlicher Gedanke. Generell hat der Trailer einen Tonfall, der erwarten lässt, dass der Film sich ehrfürchtig vor der Traumfabrik unter Walt verneigt - und dann verschmitzt darüber lacht, wie verrückt einige der Disney-Filmschaffenden so waren. Der Supercalifragilistischexpialigetisch-Gag ist da ein hervorragendes Beispiel: Er lebt davon, dass der Song vom Publikum geliebt wird, er zündet jedoch allein wegen der pointiert eingearbeiteten Erinnerung daran, dass er doch ziemlich albern ist. Bleibt zu hoffen, dass John Lee Hancock diesen Tonfall durch den Großteil der Disneyszenen des Films über aufrecht erhalten kann.

Emma Thompson als P. L. Travers gefällt mir wohl auch aufgrund dieser Dualität des Films (die im Trailer durchschimmert) sehr. Sie spielt einerseits die steife, humorarme, würdevolle Autorin und andererseits auch die einzig Vernünftige in einem Haus des kreativen Chaos. Da der Film Travers' tiefe emotionale Bindung zur Mary Poppins-Geschichte erzählt (und darin wohl genügend Kantigkeit beweist, ein PG-13-Rating zu verdienen) erwarte ich einige dramatische Szenen mit der großartigen Schauspielerin.

Tom Hanks wiederum hat mich im Trailer nicht völlig überzeugt. Er sieht Walt Disney nur mit viel Gutwill ähnlich und er spricht kaum wie der Disney, den man aus Interviews und Fernsehauftritten kennt. Jedoch strahlt der die Wärme, Herzlichkeit und innere Jugend des öffentlichen Walts aus und ist daher schon eine treffende Besetzung. Ich finde auch, dass man Hanks' Performance anmerkt, dass er Walt Disney so spielt, dass er seine betonte Fröhlichkeit und Einfachheit nur als selbstauferlegtes Image versteht und auch als Masche benutzt. Seine "Ich habe es meinen Töchtern versprochen, dass Mary Poppins über die Leinwände fliegen wird!"-Rede kommt nicht so daher, dass Walt mit Leib und Seele ein Märchenonkel ist (und sonst nichts), sondern er diesen Charakterzug als Teil seiner Persönlichkeit in sich trägt - und ihn mit Nachdruck rauskehrt. Sollte Hanks genügend Gelegenheit haben, zu zeigen, dass Walt wirklich mehr war als nur das, was er und sein Studio gerne aus ihm machen, und die Disney-Studios nicht vor einigen raueren Momenten zurückschrecken ("Damn" zu sagen zählt nicht), so finde ich, dass Hanks in dieser Szene den richtigen Ansatz für eine gute Performance verfolgt.

Generell ist mir der Trailer aber zu sehr Crowdpleaser und zu stark an der "die inspirierende wahre Geschichte"-Marke angelehnt, als dass ich Disneys Oscarhoffnungen für Saving Mr. Banks verstehen würde. Der endgültige FIlm braucht dafür viel mehr als nur die suggerierten dramatischen Momente des Trailers.

Donnerstag, 11. Juli 2013

Die Unfassbaren - Now You See Me


Ich mag Heist Movies, und zwar jeglicher Art. Ernst, ultraspannend und auch rein spaßig. Sie müssen halt einfach nur stimmig interessiert und engagiert gespielt sein, dann fühle ich mich wohl unterhalten. Die Unfassbaren ist keiner der hellsten oder schnellsten Genrevertreter, aber als toll besetzte Mischung aus Illusionisten-Film und Heist Movie sehr kurzweilig. Gegen Ende fand ich ihn auf den ersten Blick zu überzogen, doch mittlerweile habe ich mich vollauf mit dem Film angefreundet.

Daher empfehle ich dem geneigten Leser folgende Weblektüre:

Freitag, 5. Juli 2013

Freitag der Karibik #7


Käpt'n Jack Sparrow, der unveränderliche, in sich konstante und unbelehrbare Pirat mit den undurchschaubaren Plänen und unstillbarem Durst nach Rum. Das ist eine treffende Charakterisierung dieses furchtlosen Seeräubers, die so wohl viele Kinogänger unterschreiben würden. Dabei übersehen sie aber, dass selbst der torkelnde, nuschelnde und verwirrend handelnde Jack Sparrow, mit seinem regelmäßigen Problem, sich ein Schiff zu sichern, keine unverrückbare Figur ist. Sogar einen Jack Sparrow können einschneidende Erlebnisse nachhaltig beeinflussen.

Man denke zum Beispiel nur an den zweiten Teil der Saga, Des Toten Truh' (auch als Die Truhe des Todes bekannt), zurück. In diesem zeigt sich Jack Sparrow anfangs, dass er dem Tod nur eine kleine Spur Zynismus entgegenzusetzen hat, denn um aus einem finsteren Gefängnis zu entkommen, lässt er sich mitsamt einer Leiche in einen Sarg sperren. Auf hoher See nutzt er dann ohne mit der Wimper zu zucken ein Bein des Toten als Ruder, so als wäre es das Natürlichste auf der Welt.


Im vierten Teil, Fremde Gezeiten, flieht Jack Sparrow vor der Wache des Königs von England, und absolviert während seiner Flucht eine halsbrecherische Aktion nach der anderen. Er balanciert über dünne Holzlatten, springt auf fahrende Kutschen und an niedrig hängende Fahnen, und, und, und ... All dies löst bei ihm nur wenig mimische Reaktion aus – ganz anders sieht es jedoch aus, als er Nase voraus auf einem Sarg landet. Statt der zwei Filme zuvor gezeigten Coolness entgegnet uns in Jack Sparrows Miene nun jedoch ein angewiderter Ausdruck:



Sind dies einfach nur zwei kleine Randgags, die Jacks ungewöhnlliche Fluchten ausschmücken sollen? Nein, viel mehr ist die kurze Szene aus Fremde Gezeiten ein Beispiel für den Detailblick der Filmemacher, womöglich vor allem der Autoren Ted Elliott & Terry Rossio, ihres Zeichens große Liebhaber vignettenhafter Weltenbildung. Sie wollen anhand von Randdetails in dieser Abenteuersaga ein faszinierendes Universum erschaffen, und auch das beiläufige Anerkennen, dass Jack Sparrow im Laufe der Jahre viel durchmachte und sich dadurch änderte, gehört dazu. Denn was geschah zwischen Jacks lockerem Umgang mit dem Tod und seinem scheueren Umgang mit ihm?

Exakt: Davy Jones suchte ihn heim, um sich Jacks Seele zu holen. Zwar konnte Jack dem Fegefeuer entkommen, dennoch musste er erkennen, dass ihn selbst seine gewitzte Art nicht vor jedem Übel bewahren kann. Und nun, nachdem ihm vorgeführt wurde, was der Tod wirklich bedeutet, nimmt er ihn nicht weiter auf die leichte Schulter.

Donnerstag, 4. Juli 2013

Ich – Einfach unverbesserlich 2


Die Superschurken-Animationskomödie Ich – Einfach unverbesserlich war einer der Überraschungshits des Jahres 2010. Newcomerstudio Illumination Entertainment überflügelte sowohl bei den Kritikern als auch an den Kinokassen das Konkurrenzprodukt Megamind aus dem Hause DreamWorks Animation, das ebenfalls von einem sein Schaffen genießenden Schurken erzählt, und positionierte sich mit tollem 3D, knuffiger Animation und viel Witz sowie einer Prise Herz als bemerkenswerter, neuer Mitbewerber im scharf umkämpften US-Animationsfilmsegment. Die Nachfolgefilme des vom Ice Age-Produzenten Chris Meledandri gegründeten Studios, der laffe Mischfilm Hop – Osterhase oder Superstar? und die harmlos-chaotische Kinderbuchadaption Der Lorax, konnten an diesen Debütfilm nicht im geringsten heranreichen, weshalb die Fortsetzung Ich – Einfach unverbesserlich 2 ein umso bedeutsameres Projekt für das junge Trickstudio ist.

Kurzfristig betrachtet ist Ich – Einfach unverbesserlich 2 wohl ein kleiner Segen für das junge Studio, denn die kurzweilige Komödie dürfte das Familienpublikum gut amüsieren und in den USA zeichnen sich bereits sehr zufriedenstellende Einnahmen ab. Auch die Kritiken sind durchaus wohlwollend, allerdings ist Ich – Einfach unverbesserlich 2 meiner Ansicht nach dennoch kein Anlass, die 2010 in Illumination Entertainment gesteckten Hoffnungen aufrecht zu erhalten. Aber der Reihe nach:

Die Story des Films setzt nicht all zu lange nach den Ereignissen aus Ich – Einfach unverbesserlich ein, und zeigt den geläuterten Superganoven Gru (in der deutschen Synchro einmal mehr vorzüglich: Oliver Rohrbeck) glücklich als Oberhaupt seiner unkonventionellen Familie, bestehend aus seinen Adoptivtöchtern Margo, Edith und Agnes sowie einer Heerschar von kleinen, quietschgelben Minions und dem uralten Dr. Nefario. Grus Nachbarn stehen der seltsam zusammengewürfelten Rasselbande allerdings skeptisch gegenüber. Weniger, weil Gru zahllose, schräge und gelbe Helferlein sowie einen Killerhund hat (das verwundert nur sehr wenige Anwohner), sondern viel eher, weil Gru trotz seines langsam fortschreitenden Alters noch immer Single ist. Sämtliche Verkupplungsversuche blockt der Mondräuber jedoch eifrig ab, was selbst seine Adoptivtöchter verwundert.
Für Liebesdinge ist aber eh keine Zeit, denn Gru wird von der stets zwischen Zurückhaltung und Überdrehtheit chargierenden Agentin Lucy Wilde (erstaunlich dynamisch synchronisiert von Martina Hill) kontaktiert, die ihn zur Anti-Verbrecher-Liga schleppt. Dort wird Gru das Angebot unterbreitet, für die Geheimorganisation zu arbeiten und dem Diebstahl des ultragefährlichen Serums PX-41 nachzugehen. Da Grus Konfitürengeschäft denkbar mies läuft (so mies, dass sogar der treue Dr. Nefario seinen Hut nimmt), stimmt Gru dem Angebot nach kurzem Zögern zu. Und schon befindet er sich in einer völlig neuen Situation: Zusammen mit einer freundlich-verrückten Frau geht dieser Ex-Verbrecher auf Jagd nach einem seiner Kollegen – und alle Indizien deuten darauf, dass der Gesuchte einer seiner geachtesten Schurkenkollegen aus früheren Tagen ist ...

War das Original von 2010 noch neben seinem frech-liebevollen Ideenreichtum auch noch ein sehr süßer, herzlicher Film, schieben die Regisseure Chris Renaud & Pierre Coffin in der Fortsetzung den emotionalen Kern ihres Überraschungshits großzügig bei Seite. Generell ist Ich – Einfach unverbesserlich 2 simpler und inhaltlich weniger ambitioniert als sein Vorgänger: Die Fallhöhe ist niedriger, Gru steht in keinem nennenswerten emotionalen Dilemma und jede Wende in einen dramatischeren oder aufreibenderen Tonfall fangen die Regisseure sehr rasch wieder auf. Insofern ist Ich – Einfach unverbesserlich 2 leider eine Bestätigung des in den vergangenen Jahren aufgekommenen Eindrucks, dass Illumination Entertainment wohl doch nicht den großen Spitzenkonkurrent für Pixar und DreamWorks Animation darstellt, den man 2010 noch in diesem Studio vermutete.


Diese Kritik erstmal geäußert, lässt sich allerdings mit ähnlicher Überzeugung sagen, dass Ich – Einfach unverbesserlich 2 all dem genannten Bedauern zum Trotz eine sehr charmante, wenngleich kantenlose, Trickkomödie ist. Was auf der Handlungsebene an Einfallsreichtum mangelt, machen Renaud & Coffin mit visuellem Humor, Dialogwitz und kleinen Verrücktheiten am Rand wieder wett. Den heimlichen Stars des Erstlings, die pfiffigen Minions, wird noch mehr Spielzeit gewidmet und so darf man sich als Zuschauer an noch mehr familienfreundlichem Chaos erfreuen. Die Minions sind ausdrucksstärker animiert, irrer und haben noch mehr Persönlichkeit, ohne dass sie sich übermäßig in den Fokus des Films drängen. Ihre Kabbeleien untereinander und ihre goldig-naive Logik sorgen für herrlich simplen Cartoonspaß – und das in gestochem scharfen 3D. Denn vor allem die Szenen mit den hyperaktiven Kerlchen machen starken Gebrauch von Tiefenwirkung und Pop-Up-Effekten. Wer seine 3D-Besuche für effektreiche, bewusst gimmickhafte (nie aber übertreibende) Filme aufhebt, kann Ich – Einfach unverbesserlich 2 also ruhigen Gewissens auf seine Kinoliste setzen.

Aber auch Gru erhält weiter seine Momente, sei es, wenn er seine Agentenausrüstung auf auffällig unauffällige Weise benutzt, er seinen alten Schurkensarkasmus wieder auspackt oder auf ein Date mit einer hohldoofen Strohblondine (in der deutschen Synchro mit perfekter Selbstironie von Sonya Kraus gesprochen) geschleppt wird. Sehr kurzweilig sind auch seine Szenen mit Lucy Wilde, die ich als neue Figur überaus gelungen finde. Tritt sie generell als kühle, sich zurücknehmende Agentin mit einem kleinen Hauch von Femme Fatale auf, bricht bei ihr immer wieder das nerdig-geekige und schlacksige kleine Mädel aus, das zu große Gesten und eine zu ausladende Mimik benutzt. Dieses quirlige Wesen der eigentlich eher besonnenen Dame wird toll umgesetzt und bringt zumindest mich in jeder ihrer Szenen zum Schmunzeln.

Weniger gelungen ist dafür die Nebenrolle des Restaurantbesitzers Eduardo Perez, in dem Gru seinen früheren Kollegen El Macho wiederzuerkennen glaubt. Die witzlose Mexikanerkarikatur ist zwar keine offensive Rolle, doch ihre exzentrischen Seiten fallen öfter flach, als dass sie treffen. Doch bei dem Schnellfeuerwerk an Hintergrundgags, Minion-Chaos und anderen Witzen kann man dies recht leicht verkraften.

Dank des guten Pacings und den sich stets rasch ablaufenden, spritzig animierten Kernsequenzen ist Ich – Einfach unverbesserlich 2 alles in allem ein sehr vergnüglicher Kinospaß für Freunde cartoonigen Humors und familienfreundlicher, dennoch wilder Trickspäße. Die Handlung ist flach und dient nur als roter Faden für die Comedy des Films, doch für das, was dieser Film sein möchte, reicht das völlig aus. Großer Spaß, relativ wenig dahinter.

Montag, 1. Juli 2013

James Bond 007 – Der Mann mit dem goldenen Colt


Während mir Roger Moores Einstand in die Bond-Reihe gefiel, habe ich mit seinem zweiten Leinwandeinsatz arge Probleme. Der letzte von Guy Hamilton inszenierte Bond-Film verfolgt insofern das Vorbild von Leben und sterben lassen, als dass diese Produktion aus dem Jahr 1973 ein weiteres Mal die klassische Bond-Formel (in diesem Fall allerhand stilistische Goldfinger-Anleihen) mit einem aktuellen Actiontrend vermengt. Dieses Mal gibt es statt des Blaxpolitationeinschlags einige Martial-Arts-Momente zu sehen, außerdem wird der Humor aus Leben und sterben lassen genauso ausgebaut wie die Freude an ausgedehnten, zwischen beeindruckenden Anblicken und cartoonigem Humor springenden Verfolgungsjagden. Aber der Mix, der bei Moores Premiere noch aufging, scheitert für mich in diesem Film an ausufernder Selbstverliebtheit, einem  Übermut darin, wie comichafter Humor und fremde Genreelemente der Bond-Formel angepasst werden können sowie an einem unkonzentrierten Skript.

Der Film eröffnet in einem absonderlichen Kabinett im Keller des weltmännischen und ruchlosen Killers Francisco Scaramanga (Christopher Lee), dessen verwirrenden Bauten vom kleinwüchsigen Handlanger Schnick Schnack (bzw. Nick Nack im Original, gespielt von Hervé Villechaize) bedient werden. Wie MI6 erfährt, hat es dieses diabolische Duo auf Bond abgesehen, wie eine in die Hände des Geheimdiensts gelangte, mit der Codenummer 007 gekennzeichnete goldene Pistolenkugel eindrucksvoll vorführt. Bond macht sich daher auf die Suche nach Scaramanga, um ihm einen Schritt voraus sein zu können. Während seiner Suche nach dem berüchtigten Schurken wird er Zeuge dessen, wie er den Erfinder des Solex-Generators (einer mächtigen Apparatur, die die Energiekrise abwenden oder als fähige Waffe missbraucht werden könnte) ermordet. Es kommt der Verdacht auf, dass die an 007 gerichtete Drohung bloß zur Ablenkung dienen sollte, und es Scaramanga um das Solex-Gerät ging, weshalb Bond es sich zur Aufgabe macht, es wiederzubeschaffen. Es beginnt eine weltumspannende Spurensuche, die den Mann mit der Lizenz zum Töten unter anderem nach Bangkok und auf Scaramangas Privatinsel führt ...

Die Qualitäten von Der Mann mit dem goldenen Colt zu finden, fällt mir wahrlich schwer. Bereits die Prologsequenz, eine der am stärksten gelobten Szenen des Films, finde ich arg bemüht und tonal unmöglich einzuordnen. Soll ich über Scaramangas Schreckenskabinett lachen oder staunen? Auch sind mir die Anleihen an frühere Bonds zu forciert ernsthaft, ohne dass die Handlung die Parallelen zu Goldfinger oder Dr. No wirklich verdient wären. Dafür ist die Story zu gestreckt, die Irrfahrt durch halb Asien (nur, um mies choreographierte und dramaturgisch lachhafte Martial-Arts-Szenen einzubauen) könnte komplett gestrichen werden, und auch der "Die Morddrohung an Bond ist nur ein Ablenkungsmanöver"-Ansatz wird sehr lieblos umgesetzt. Dennoch muss ich Guy Hamilton, vor allem nach seinem schwulenfeindlichen Diamantenfieber und dem für so einige Zuschauer unter Rassismusverdacht stehenden Leben und sterben lassen, immerhin zugestehen: Die Darstellung Schnick Schnacks ist um einiges würdevoller als man von einem dummen, massenorientierten Film aus den 70ern erwarten dürfte. Weder ist er der hinterfotzige Giftgnom, noch der minderwertige Handlanger Scaramangas. Stattdessen ist es Hervé Villechaize gestattet, einen treu-sarkastischen, klugen Assistenten und Freund des Hauptschurken zu spielen. Umso ärgerlicher, dass der letzte Kampf zwischen Bond und ihm vollkommen unausgeglichen, unfair und somit spannungsbefreit ist. Eine Begegnung auf Augenhöhe wäre bei diesem starken Charakter das einzig angebrachte gewesen!

Ebenso wird auch Scaramanga (den Christopher Lee meiner Ansicht nach leider nicht mit seinem kultigen Flair versehen kann und der mich daher recht kalt lässt) recht unspektakulär besiegt. Höhepunkt in Sachen Action stellt viel mehr eine Verfolgungsjagd in Bangkok dar, die zwar langgezogen ist, jedoch mitreißend inszeniert daherkommt und obendrein einen spektakulären Autostunt umfasst, den man gesehen haben muss. Dass er mit einem Comedy-Soundeffekt verhunzt wird und während der packenden Verfolgungsjagd ellenlange, stupide Gags mit dem im Vorgängerfilm noch recht lustigen Hinterwaldsheriff J. W. Pepper zu erdulden sind, spricht allerdings Bände darüber, was die Filmemacher bei diesem Agentenabenteuer geritten hat.

Und auch Roger Moores Darbietung mag mir in Der Mann mit dem goldenen Colt nicht ganz behagen, was jedoch weniger ihm als dem Skript geschuldet ist. Moore behält in seinem zweiten Film seinen kühl-souveränen Charme, doch als Martial-Arts-Kämpfer ist er einfach lächerlich und er bringt das coole Raubein einfach nicht so rüber wie Sean Connery. Das war in Leben und sterben lassen unbedeutend, da Moore dort seinen eigenen Bond erfinden durfte, aber in diesem Film muss er sich durch einige Arschlochmomente manövrieren: Er führt seine Verehrerinnen vor, nutzt im Umgang mit Frauen raue Gewalt, ist ein Ekel gegenüber Kindern und so weiter ... All dies passt einfach nicht zu Moore.

Kurzum: Vom wirren Anfang über den anstrengenden Titelsong mit seinen flachen Doppeldeutigkeiten hin zum lahmen Finale. Dieser Bond fällt für mich nahezu durchgehend flach.