Im Mai erhielt Merida, die Protagonistin des Oscar-prämierten Pixar-Films Merida – Legende der Highlands (beziehungsweise Brave, wenn man den englischen Originaltitel bevorzugt) mehr als zwei Monate nach den Academy Awards und fast ein Jahr nach US-Start ihres Kinoabenteuers erneute Aufmerksamkeit. Unerwartet war dies nicht, denn die Merchandising-Abteilung des Disney-Konzerns, Disney Consumer Products, hielt eine „offizielle“ Zeremonie ab, in deren Rahmen Merida zur elften Disney-Prinzessin gekrönt wurde. Diese PR-Aktion sollte dafür sorgen, dass der Rotschopf wieder ins Gespräch kommt und sollte somit auch dem Verkaufsstart der neusten Produkte der Disney-Princess-Produktlinie förderlich sein. Mit der schieren Masse und der Lautstärke an Reaktionen hat in Disneys Merchandising-Abteilung jedoch wohl kaum jemand gerechnet, geschweige denn mit der Zornigkeit, die in diesen Diskussionen vorherrscht.
Anlass war nicht die Krönung Meridas
als solche, sondern die zeitgleich stattgefundene Enthüllung des
neuen Designs der Pixar-Prinzessin im Rahmen der
Disney-Princess-Marke. Der Wildfang wurde in ein hellgrünes
Glitzerkleid gesteckt, tauschte seinen Bogen gegen einen breiten
Gürtel mit güldener Schnalle ein, verlor ein paar Kilo, so dass er
eine sexy Wespenteile zeigen kann, die auch Meridas Vorbau stärker
betont. Auch der Ausschnitt ist etwas weiter und Meridas
Gesichtsausdruck scheint zu sagen „Hallo, Schwester! Ich würde
mich riesig freuen, mit dir Tee zu trinken und über Hochzeitspläne
zu tratschen. Haha!“
Somit wurde Merida durch die selbe
jegliche Persönlichkeit raubende Glitzer-Puder-Maschine gejagt,
durch die bereits sämtliche anderen Disney-Prinzessinnen aus
erfolgreichen, großen Disney-Filmen gequält wurden. Doch während
diese Entwicklung früher kaum mehr als ein Schulternzucken oder ein
kurzes Augenrollen auslösten, wurde Meridas Umgestaltung zu einer
riesigen Kontroverse aufgebauscht. Um deren Bedeutung abzubilden,
bietet sich meiner Ansicht nach ein Blick zurück in Disneys
Vergangenheit mit Neugestaltungen seiner Figuren zu werfen, um dann
abschließend auf die Frage einzugehen, ob es akzeptabel ist, dass
Merida nun den Weg geht, den zuvor Rapunzel, Tiana, Jasmin, Arielle
und Co. gingen …
Die stets neu erfundenen
Ur-Figuren
Figuren umzugestalten ist eine Methode,
die bei Disney eine längere Tradition hat, als die Produktion
abendfüllender Zeichentrickfilme. Die Figuren, auf deren Schultern
das Disney-Imperium erbaut wurde, also Micky, Donald, Goofy, Pluto,
Minnie und mit etwas Gutwillen auch Daisy und Kater Karlo, wurden in
regelmäßigen Abständen mit einem neuen Look versehen. Dies geschah
zunächst parallel zu der Weiterentwicklung der Cartoons, die von
krude animierten Schwarz-Weiß-Filmchen zu farbenfrohen Cartoons
wurden, in denen nicht mehr die Musik den Takt angab, sondern die
Persönlichkeit der Figuren. Also wurden Micky, Donald und Co.
ausdrucksstärker und bekamen ein runderes und „zeitgemäßeres“
Aussehen, so dass die Schöpfungen der 30er-Jahre auch in den 40ern
und 50ern auf der großen Leinwand einen guten Eindruck machen
konnten.
Diese Umgestaltungen gehören wohl zu
den künstlerisch fundiertesten: So lange die klassischen
Disney-Stars regelmäßig in neuen Cartoons auftraten, konnte man
eine graduelle Neugestaltung akzeptieren, da sie im Regelfall auch
den neuen Cartoons zugutekamen. Dass Micky, Donald und Co. später
auch neuen Trends wie dem kantigen UPA-Animationlook angepasst
wurden, war ebenfalls verzeihlich, da es keine permanente Änderung
war, sondern für einzelne Filme und Merchandisingartikel galt. Und
mit den Neudesigns dieser Figuren nach Ende ihrer Leinwandkarriere
hatte schlussendlich niemand ein Problem, weil es bei ihnen eh Alltag
war.
Zudem gab es, nachdem Micky seine Augen
mit Pupillen bekam und Donald seinen kürzeren Schnabel, keine
allgemeingültige Generalüberholung mehr. Wenn sie auf einer
90er-Produktlinie im Graffitistil erschienen, keine Bange, es gab
auch genug andere Produkte, auf denen sie normal erschienen. Die
Rasselbande rund um Micky etablierte sich als Chamäleon der
Disney-Welt, sie können auf Merchandising abseits ihrer Stammoutfits
auch in allen möglichen anderen Kleidern auftauchen (schließlich
gab es auch immer wieder Geschichten, in denen die Figuren untypisch
gekleidet sind) und durch die Comics, deren Zeichner das geübte Auge
am Bleistiftstrich identifizieren kann, und vielen Cartoons war jedem
Disney-Fan klar, dass er kein einheitliches Bild erwarten soll.
Die Prinzessinnen bis Ende der
90er … und der radikale Wandel im neuen Jahrtausend
Auch wenn es einige von uns kaum noch
für möglich halten werden: Die Disney-Prinzessinnen stellten noch
bis in die letzten Züge der Disney-Rennaissance hinein keine
eigenständige Marke dar, sondern wurden als alleinstehende Entitäten
behandelt. Sofern nicht gerade ein sonderbares Comic-Crossover
anstand, etwa zur Eröffnung eines Disney-Parks oder zum Jubiläum
einer Comic-Publikation, blieben Schneewittchen, Cinderella, Aurora,
Arielle, Belle und Jasmin voneinander getrennt und selbst wenn es
immer wieder Mal miese Abbildungen auf Merchandising gab, so
orientierten sich die Darstellungen der Prinzessinnen im Regelfall
nah am ursprünglichen Filmdesign. Ja, es gab auch in den frühen
90ern solche Produkte wie Cinderella-Puppen mit speziellem
Glitzerkleid oder Pocahontas-Figuren mit mehreren Outfits, doch
Abweichungen vom ursprünglichen Modell waren stets ganz klar eins:
Absolute Ausnahmen. Was sich auch von selbst erklärte: Anders als
Micky, Donald und Co., die ungezählte Abenteuer bestanden und sich
darin durch massenhaft Klamotten probierten, haben die Grazien aus
den Disney-Meisterwerken einzig und allein ein relevantes Werk, das
von ihnen berichtet. Jasmin sei dank der Aladdin-Serie da mal ausgenommen.
Auftritt des Mannes, dem nahezu jeder
erwachsene Disney-Fan am liebsten an die Gurgel gehen würde: Andy
Mooney, ehemaliger Nike-Geschäftsführer, wird im Januar 2000 zu
Disney Consumer Products beordert, um das kränkelnde Geschäft mit
den Merchandisingverkäufen aufzupeppen. Eine seiner wirtschaftlich
klugen Ideen war es, nicht weiter die Kernlizenzen an zahllose
Hersteller zu vergeben, sondern nur einzelnen, fähigen Firmen
anzuvertrauen. Jedoch löste Mooney auch einen nicht mehr
aufhaltbaren Wandel in Disneys Umgang mit seinen Prinzessinnen aus.
Er bemerkte, dass sich junge Mädchen zu Veranstaltungen wie „Disney
on Ice“ mittels generischen Kostümen als die Disney-Prinzessinnen
verkleideten und fällte daraufhin die Entscheidung, dass Disney in
eben diese Marktlücke springen muss – der Konzern sollte sich
stärker um die Vermarktung seiner Märchenprinzessinnen bemühen und
kleinen Mädchen eine Vielfalt an Produkten bieten, um ihren Durst
nach Prinzesssinnenartikeln zu stillen.
So wurde die Disney-Princess-Marke
erfunden, die Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle
sowie Jasmin unter einem Schirm vereinte und von ihrem dazugehörigen
Film losgelöst behandelte. Mooney setzte eine ungewöhnliche
Strategie durch: Zwar wurden die Verweise auf die jeweiligen
Disney-Klassiker, aus denen die Figuren stammen, auf ein Minimum
gekürzt und teils vollkommen gestrichen, dennoch sollten die
Prinzessinnen nicht als eine homogene Gruppe miteinander
interagierender Figuren auftreten. Crossover-Comics, um die
Produktline zu bewerben, blieben ebenso aus, wie etwa
Kalenderbilder, auf denen Jasmin und Arielle gemeinsam
Beach-Volleyball spielen. Auf ihren gemeinsamen
Merchandisingabbildungen blicken die Prinzesssinnen stets in eine
leicht andere Richtung, als seien sie sich der sie umgebenden Damen
unbewusst – so dass diese Bilder eher eine Collage sind, denn
wirkliche, sinngemäße gemeinsame Auftritte.
Das ist man heute gar nicht mehr gewöhnt: Die Prinzessinnen sind (weitestgehend) "on model"!
Die neue Produktmarke verhalf Disney aus seiner Verkaufskrise, innerhalb von bloß fünf Jahren schossen Disneys jährliche Merchandising-Einnahmen von 300 Millionen Dollar auf 3 Milliarden Dollar, woran die pinke Mädchenreihe einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Aber die aggressive Ausbeutung der Prinzessinnen zog neue Schwierigkeiten nach sich. Das Image der Disney-Studios wandelte sich. Man muss einfach mal festhalten: Ich habe unfassbare Probleme, Artikel aus der Zeit vor der Jahrtausendwende zu finden, in denen die Rede davon ist, Disney hätte ein „Jungsproblem“.
Zeitgenössische Kritiken zu
Arielle, die Meerjungfrau gehen davon aus, dass er
Jungs, Mädchen und deren Eltern gleichermaßen gefallen werde,
selbiges gilt für Die Schöne und das Biest und
sowieso für Aladdin. Mir ist nicht ein Stück
Disney-Sekundärliteratur bekannt oder ein Artikel von
Industrieportalen, wo besprochen wird, dass der Filmtitel
Pocahontas Jungs abschrecken könnte und dass
Der Glöckner von Notre Dame sowie Hercules
Versuche der Disney-Studios wären, die verlorene junge männliche
Zielgruppe nach mehreren „Weiberfilmen“ wieder ins Boot zu holen.
Doch da die Disney-Princess-Produkte
immer omnipräsenter wurden und das Disney-Marketing der
Märchenfilme, um auf dieser Erfolgswelle mitzuschwimmen und
gleichzeitig auch die Merchandisingverkäufe weiter anzutreiben,
immer stärker auf junge Mädchen zugeschnitten wurde, änderte sich
das Image. Rosa, Glitzer und Pastelltöne, auch Mulan und Pocahontas
wurden ab nun auf vereinzelten Princess-Produkten abgebildet,
Printmagazine unter der Disney-Princess-Marke, „Teeparty“-DVDs
und vieles mehr: Um den kleinen „Ich wäre so gern eine
Prinzessin“-Mädels zu gefallen, stimmte Disneys Marketing immer
mehr die selben gepuderten Töne an. Damit ging einher, dass die
Märchenfilme plötzlich als Mädchenfilme betrachtet wurden und
Medienbeobachter Disney ein „Jungsproblem“ anrechneten, da einige
der größten Klassiker die jungen Buben verschrecken würden,
während Marken wie Pirates of the Caribbean im
Merchandisingbereich weniger erfolgreich liefen. So wurde Cars
zur Jungsmarke in der Größe der Prinzessinnen aufgebaut, doch diese
Marke wuchs immer weiter.
Graduell erhielten die Prinzessinnen
auf ihren Produkten ein kleines Makeover. Samtweiche Haut, rundere,
einheitlichere Gesichtszüge. Die Prinzessinnen lebten auf
Gruppenbildern weiter nebeneinander her, doch Produkte mit ihnen, auf
denen sie nicht aussehen, als stammten sie aus einem einzelnen Film
über eine riesige royale Familie wurden immer seltener.
Die immer lauter werdenden
Beschwerden – und die von Merida ausgelöste Explosion
Spätestens 2007 drehte Disney Consumer
Products völlig durch und entrückte die Prinzessinnen noch ein
gutes Stück mehr von ihrem ursprünglichen Design. Die kleinen
Kinder störte es natürlich nicht, unter erwachsenen Disney-Fans
wurde das entnervte Aufstöhnen dagegen lauter – da die
Prinzessinnen anders als Goffy, Pluto und Co. „einen echten Look“
haben, wurden Abweichungen vom Standard kritischer aufgenommen und
dass die Neugestaltungen den Figuren ihre Persönlichkeit rauben, um
sie zu reinen Wunschprojektionen kleiner Mädchen umzumünzen, fand
wenig überraschend wenig Freunde bei den Disney-Anhängern. Ein
wiederkehrender Kritikpunkt in Disney-Foren ist der Barbieeffekt –
den ich mit eigenen Augen und Ohren erlebt habe. Als mir meine Nichte
ihre Tischunterlage mit Cinderella, Aurora und Arielle zeigte, fragte
ich sie, ob sie mir den Namen der drei Damen nennen kann. „Ja. Das
ist Barbie. Und das ist Barbie in einem anderen Kleid. Und das ist
Barbie mit roten Haaren.“ Sie meinte es todernst. Und ich bin in
diesem Moment ein wenig gestorben vor Leid.
Und dann kam Küss den
Frosch. Die Produktion aus dem Jahr 2009 stellte Disneys
Rückkehr zum Zeichentrickmedium dar, nachdem fünf Jahre zuvor
Die Kühe sind los! einen unrühmlichen Abschluss
markierte. Es war auch das Comeback der Aladdin-Regisseure
John Musker und Ron Clements, die 2002 mit Der
Schatzplanet ihre erste finanzielle Bruchlandung erlebte.
Vor allem aber ist und bleibt Küss den Frosch der
erste Disney-Märchenfilm, der nach Einführung der
Disney-Princess-Marke in die Kinos kam. Und, wow, das merkt man. Der
Film selbst blieb glücklicherweise von bösen Einflüssen durch
Disney Consumer Products befreit, aber das ganze Drumherum konnte die
Konnotation mit dem glitzernden Franchise nicht abschütteln. Und so
tauchten Beobachtungen auf, die man vorher im Bezug auf neu
erschienene Disney-Märchenmusicals in dieser Prominenz nie zuvor
finden konnte: Kritiker vermuteten hinter dem Film einen einzigen,großen Marketingschachzug, an Eltern gerichtete Publikationen nahmen
ihn als Anlass, über die Erziehung von Mädchen und den korrekten Umgang mit der Prinzessinnensache zu philosophieren und in der Presse
wurde gemutmaßt, dass der Film Jungs weniger reizen könnte.
Was uns zum nächsten Punkt führt:
Küss den Frosch ist auch der erste
Disney-Märchenfilm seit der Renaissance, mit dessen Einspielergebnis
der Konzern nicht im Geringsten zufrieden war. Begründet wurde das
enttäuschende Einspiel damit, dass der Film die männlicheZielgruppe nicht erreichte – woraufhin es in den USA zu der
berühmt-berüchtigten Umbenennung von Rapunzel in
Tangled kam und das Marketing sich mit aller Kraft
verrenkte, um in Trailern und auf Postern das liebevolle,
ambitionierte Märchenmusical als dreiste, freche Komödie im
DreamWorks-Animation-Stil zu verkaufen. Derweil wurde Tiana, die im
Film noch eine atypische Protagonistin für einen Disney-Trickfilm
abgab, assimiliert und im Merchandising zur dummen, grinsenden
Schaufensterpuppe degradiert.
Rapunzel hingegen lachte das Glück,
denn auf die schizophrene Repräsentation ihres Films sowie die
zweigleisige Darstellung ihres Charakters durch Disneys Marketing-
und Merchandisingabteilungen folgte ein großer kommerzieller Clou.
Jungs, Teenager und Erwachsene wurden durch die Trailer imDreamWorks-Style manipuliert, während die Prinzessinnen-Zielgruppe
weiterhin ihre volle Wagenladung an „Ist sie nicht
süß?“-Rapunzelpüppchen und großäugige, naive, pastellfarbene
Rapunzelzeichnungen in Bilderbüchern erhielten. Jeder bekam den Film
vorgegaukelt, von dem er dachte, dass er ihn sehen wollte, und am
Ende war das Ergebnis ein ganz anders gelagerter Kinofilm, der jede
Menge Geld einspielte und sehr gut besprochen wurde.
Vielleicht war es auf Fanseite die
Euphorie endlich wieder einen hervorragenden und zudem erfolgreichen
Disney-Film zu haben und im Hinblick auf die generelle Presse die
Erschöpfung durch die ganze „Ist Küss den Frosch
ein rassistischer Kleinemädchenfilm?“-Debatte, eventuell erschien
den meisten das ursprüngliche Rapunzel-Standarddesign
der Disney-Princess-Reihe einfach nur zu unspektakulär –
jedenfalls gab es nach Kinostart von Rapunzel
vorerst wieder Ruhe um die Prinzessinnenreihe. Rapunzels gezeichnete
Merchandising-Version kommt manchen Fans, darunter auch meiner
Wenigkeit, etwas zu jung und zu dümmlich-verspielt vor, allerdings
schüttle ich dies schulternzuckend ab. Ausgleichende Gerechtigkeit
nach den „Boah, meine Fresse, ist das 'ne krasse, sarkastische
Rockerbraut!“-Marketingversuchen, mehr nicht.
In den Disney-Geschichtsbüchern wird
man diese Phase wohl als die Ruhe vor dem Sturm betrachten. Allein
schon die Ankündigung, dass die Pixar-Figur Merida in die
Disney-Princess-Reihe aufgenommen wird, sorgte für Murren unter den
Disney-Fans eines gewissen Alters. Mit der Enthüllung ihres Designs
jedoch erlebte Disney Consumer Products einen PR-Reinfall, wie der
Disney-Konzern ihn schon lange nicht mehr erlebt hat. Die
gezeichnete, fesche, mädchenhafte Merida mit betonteren Kurven und
jeder Menge Glitzer, der auf Merchandisingartikeln plötzlich
Charakterzüge zugesprochen werden, die total prinzesssinnenhaft sind
(und somit nahezu durchgehend dem widersprechen, wofür sich der
Wirbelwind in seinem Film aussprach), löste eine gewaltige Debatte
aus. Dieses Mal aber beschränkte sie sich nicht allein auf
Disney-Fanforen, sondern breitete sich auf die Massenmedien aus. Die
Beschwerden waren vielfältig: Die natürliche, wilde Figur mit ihren
ästhetischen Ecken und Kanten wurde mit seinem sexualisierten Victoria's-Secret-Model verglichen, was eine fragwürdige Botschaft
vermittle. Eine weitere Kritik ist, dass die neue Merida das
Prinzessinnenklischee verstärke, dass es einzig und allein ums
Aussehen ginge. Und auch der Verrat Disneys Merchandising-Abteilung
an Pixars Schöpfung wurde thematisiert – eine Figur, die sich
gegen Adelspflichten aussprach, unterwirft sich nun eben dieser
Konformität.
Eine Onlinepetition wurde ins Leben
gerufen und auch Brenda Chapman, die Erfinderin der Figur und
ursprüngliche Regisseurin von Merida – Legende der
Highlands äußerte sich zur Kontroverse: Die
Merida-Umgestaltung sei „unverantwortlich“, „abscheulich“ und
„unverholen sexistisch“. Sie erläuterte, dass sie Merida, die
auf ihrer Tochter Emma basiert, erschuf, um ein gutes, starkes
Vorbild für Mädchen zu schaffen, dem man leicht nacheifern kann.
Dass Disney Merida nun verändere, würde gegenüber Mädchen, die
sie bislang als Vorbild nahmen, den Eindruck erwecken, dass diese
Figur bislang makelhaft war und verbessert werden musste – doch
dieses neue Bild Meridas würde nur schlechte Stereotypen fördern.
Wie Brenda Chapman betont, sollte es
sich bei dieser Kontroverse allerdings nicht nur um Merida drehen,
denn dies sei nur die Spitze des Eisberges. Und diesem Punkt kann ich
am lautesten zustimmen. Um das Merida-Umdesign (über dessen
Permanenz Disney angesichts der lauten Kritiken plötzlich sehr
widersprüchliche Aussagen trifft) gestaffelt zu betrachten: Die
ganze Debatte, dass Merida „zu sexy“ sei, wird ein wenig zu heiß
gekocht. Ich verstehe leidenschaftliche Diskussionen in Fanforen,
dass Elternverbände eintreten, ist dagegen etwas übertrieben, denn
Merida erscheint auf dem Disney-Princess-Kram nun auch nicht gerade
als billige Hure. Sie wurde etwas aufgehübscht und das ist insofern
verständlich, da Disney Artikel verkaufen will, und hübsch verkauft
sich gut. Micky, Donald und Goofy zeigen sich auf
Merchandising-Produkten auch eher selten von ihrer hässlichsten
Seite. Im Falle Meridas ist es aber besonders ärgerlich, dass diese
Aufhübschung durch eine schlankere Hüfte und ein sanfteres Gesicht
erreicht wird, da diese Figur sich auch durch ein „raues“ und
leicht ungelenkes Äußeres von anderen Disney-Prinzessinnen abhebt.
Kurioserweise erscheint dafür Rapunzel in der Princess-Reihe
kindlicher und unschuldiger, obwohl die Animatoren sich bei der
Produktion zum Ziel setzten, eine sexy Figut zu erschaffen – über
solche Sachen kann man sich als Disney-Fan gut und gerne den Kopf
zerbrechen.
Ich denke, dass zumindest unter
Disney-Fans das Timing von Meridas Umgestaltung half, die Kontroverse
voranzutreiben, wurden doch kurz zuvor alle Prinzessinnen umgestaltet
und mit mehr Rouge, wilderem Haar und sinnlicheren Posen dargestellt
– wobei insbesondere Cinderella auffiel. Einst das unauffällige
Mädchen von nebenan, nun die sexy Bitch mit frecher Frisur und
keckem „Ich stell gleich sonstwas mit dir an“-Blick. Und diese
Version Cinderellas ersetzt nun zudem das Original in den Parks.
Hinsichtlich der öffentlichen Aufregung finde ich viel bedeutsamer, dass Merida nun völlig ihres Charakters beraubt wird und einfach nur schmuck aussehen soll. Ja, auch Belle, Jasmin, Tiana und Rapunzel haben viel Persönlichkeit, die in diesen Abbildungen abhanden kommt. Allerdings gibt es bei Merida in ihrem Fillm nicht einen Moment, in dem sie irgendwie „prinzessinnenhaft“ wirkt und dies ist sogar ein großer Plotpunkt. Schon Jasmin kämpfte gegen arrangierte Ehen, schon Tiana kämpfte selbst für ihr Schicksal und Rapunzel kann vielleicht sogar besser austeilen als Merida – doch der Wildfang vereint all dies und stellt dies ins Zentrum seines Handelns. Merida war wirklich nicht die feministische Revolution, zu der sie von manchen Fans des Films gemacht wird, aber sie ist von allen Märchenmusical-Protagonistinnen die, die am schwierigsten in das Disney-Princess-Franchise zu prügeln ist.
Und daher ist Meridas Darstellung im
Rahmen des Disney-Princess-Franchises ein absonderliches Beispiel
dafür, wie Disney Consumer Products die Erinnerung an die Filme
übertönt und verfälscht. Das Merchandising hat es bereits sehr arg
getrieben, und dass nun das Fass zum Überlaufen gebracht wurde, und
sich mehr Leute auflehnen, ist aus vielerlei Gründen erfreulich.
Einerseits, weil man nun wenigstens hoffen darf, dass das
Merchandising vielleicht wieder stärker die Aufgabe hat, die
Erinnerung an die mitunter so kunstvollen Disney-Filme frisch zu
halten. Und zum anderen, weil eine Zurechtstutzung der
Disney-Princess-Marke bedeuten könnte, dass sich Disneys
„Jungsproblem“ wieder egalisieren könnte. Und zu guter Letzt: Je
mehr wieder die Persönlichkeit der Prinzessinnen beleuchtet wird,
desto größer die Hoffnung, dass Mädchen wieder zu ihnen aufsehen,
weil etwas hinter ihnen steht – und nicht nur, weil sie hübsche
Kleider tragen. Denn das sind wirklich dumme Gründe, eine Figur zu
mögen.
Kurzum: Die ganze Merida-Kontroverse
kommt zu spät und konzentriert sich zu sehr auf die übertrieben
beliebte Pixar-Dame. Dennoch wurde es langsam Zeit, dass Disney zu
spüren bekommt, dass die Disney-Princess-Marke nicht nur Geld
bringt, sondern auch Kritik.
2 Kommentare:
Ich finde, dass da Probleme gemacht werden, wo keine sind und sich wegen nichts aufgeregt wird.
Ich find's klasse, dass nun auch hier darüber berichtet wird!
Diese ganzen Disneydamen sehen mittlerweile so aus, als seinen sie OP-Tisch-süchtig geworden.
Die Entwicklung der Disney-Prinzessinnen ist traurig und regt mich tatsächlich auf.
Nicht, weil sie hin und wieder mal ein anderes Kleid tragen, sondern weil sie heutzutage aussagen, dass Mode und Aussehen im Vordergrund stehen. Und viele kleine Mädels dies auch noch verinnerlichen...
Vom Merchandise her haben die Mädels keinen Charakter mehr.
Mulan war im Krieg.
Merida ist alles andere als ein Prinzesschen.
Belle beweist, dass es auf die inneren Werte eines Menschen ankommt.
Aurora bricht zusammen, als sie erfährt, dass sie eine Prinzessin ist.
Pocahontas hat keinerlei Bezug zu Adel und Mode, lebt in der Natur und ist ein Freigeist.
Rapunzel verliert ihr güldenes, mädchenhaftes Haar.
Und, und, und...
Allen Damen geht es auf Fanprodukten nur noch um eins: Schönheit.
Klar: Cinderella und vor allem Schneewittchen sind noch sehr im altmodischen Prinzessinnenbild "gefangen", doch waren sie im Film stets mehr als das. Und dazu unglaublich natürlich.
Auch dies ist verschwunden und wurde dem Glitzer untergeordnet.
Und genau dies bringt vor allem in Deutschland den Irrglauben zutage, dass die Disneymärchen für kleine Kinder, nein, kleine Mädchen seien.
Ich finde die Entwicklung grausam...
Ich habe nichts dagegen, wenn die Mädels mal zusammen im Cafe sitzen und Tee schlürfen.
Aber dass ihre komplette Persönlichkeit ausradiert, ihre Einzigartigkeit gelöscht und ihr originales Design vollkommen verdrängt werden, macht mich wütend.
So lächerlich es auch erscheinen mag, dass eine Figur anders dargestellt wird, als sie geplant war.
Es läuft einfach aus dem Ruder...
Ich bin froh, dass Merida nun den Anstoß gegeben hat. Und hoffe, dass Thema noch länger im Munde bleibt.
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