Freitag, 21. Juni 2013

Freitag der Karibik #5


Eine kleine Erzählung aus meiner rumgetränkten Schatzkiste an persönlichen Anekdoten rund um das Pirates of the Caribbean-Franchise:

Wir versetzen uns zurück ins Jahr 2003, als Fluch der Karibik in den deutschen Kinos startete. Aufgrund der gesunkenen Zugkraft der animierten Disney-Filme (der Start von Findet Nemo stand in Deutschland noch aus, Megaerfolge wie Tarzan lagen nun wieder einige Jahre zurück), verlor der Markenname seine in den Neunzigern mit Aladdin, Der König der Löwen und Co. aufgebaute Akzeptanz bei Jugendlichen und erhielt bei dieser Zielgruppe wieder diesen abschreckenden Beigeschmack, den er Ende der Siebziger und während der Achtziger hatte. Das Problem war zwar nicht ganz so enorm wie zu jener Zeit, kurz bevor die Disney-Studios eine kreative Identitätskrise durchmachte, dennoch war es für mich als jugendlichen Disney-Liebhaber frustrierend.

Daher war es nur nachvollziehbar, dass auf zur deutschen Uraufführung veröffentlichten Kinoplakaten zu Fluch der Karibik der Disney-Name nur mit der Lupe aufzufinden war und in Kinotrailern nur zusammen mit den Drehbuchautoren, dem Kameramann und den Nebendarstellern in Windeseile am Ende eingeblendet wurde. Schließlich hatte das Studio hier einen Film auf der Hand, der Teenagern ungeheuerlich zusagen dürfte, dem sich aber zahlreiche potentielle Kinogänger verweigern würden, wüssten sie, dass er aus dem Hause Disney stammt.

Als ich am Starttag in die erste Vorführung von Fluch der Karibik ging, die mein damaliges Stammkino abhielt, fand ich zum ersten und bislang vorletzten Mal in der Geschichte meiner Kinobiografie einen ausverkauften Saal vor. Und die Reaktionen auf die gezeigten Trailer bestätigten mein Bild der disneyverdrossenen Jugend: Bad Boys 2 wurde mit feierndem Gegröhle begrüßt, Der Fluch von Darkness Falls erhielt ein kollektives "Hä, der Film lief doch schon?!", eine Wiederholung des Bad Boys 2-Trailers kam immer noch super an, Matrix Revolutions stieß auf die Effekte bestaunende, dennoch zweifelnde Zuschauer, Kill Bill, Vol.1 wurde laut umjubelt und dann kam Findet Nemo. Wie eine wilde Meute zerriss das Saalpublikum den Trailer in der Luft, es wurde abfällig gelacht, "Was soll der Disney-Scheiß?!"-Fragen wurden in den Raum geworfen, es war ein sprichwörtliches Blutbad.

Und dann begann der Film. Wie einigen von euch vielleicht auffiel, verzichtet Fluch der Karibik auf jegliche Einblendung von Studiologos. Es erlaubt einen kühlen Start in den Film, wir können so langsam in das fiktive Universum der verfluchten Karibik hineinplätschern, ganz so wie in der diesen Abenteuerstreifen inspirierenden Themenparkattraktion, und es hat der Jerry-Bruckheimer-Produktion sowas gerettet, denn nach den Reaktionen auf den Findet Nemo-Trailer nach zu urteilen, hätte der Film bei meinem Saalpublikum nicht die kleinste Chance gehabt, akzeptiert zu werden, wäre er stolz mit dem Disney-Logo zu Beginn der ignoranten Masse entgegnet.

In den nachfolgenden mehr als 120 Filmminuten wurde herzlich gelacht, mitgefiebert und gestaunt. Nachdem die grazile Gouverneurstochter Elizabeth Swann und der beherzte Waffenschmied Will Turner gemeinsam für den gewieften Piraten Jack Sparrow einstanden und sich dieser auf seine unvergleichliche Weise von den Bewohnern der Hafenstadt Port Royal verabschiedete, ehe er einen unrühmlichen Abgang hinlegte, indem er die Stadtmauern hinuntertölpelte und ins Wasser fiel, bereitete Fluch der Karibik seinen runden Abschluss vor: Die Musik schwellte langsam an, erzeugte eine wohlige Atmosphäre der Abenteuerromantik wie sie bereits aus klassischen Genrevertretern bekannt war, und Gouverneur Weatherby Swann erteilte seiner Tochter den ersehnten Segen für eine Bindung mit Will Turner. Denn ... "Immerhin ist er Waffenschmied."
In ihr Gegenüber vernarrt, mit glitzernden Augen und einem kess verzogenen Mund, nahm Elizabeth Wills Hut von seinem Kopf und erwiderte: "Nein. Er ist Pirat!" Die Musik arbeitete sich ihrem Crescendo entgegen und während Will und Elizabeth ihre Liebe zueinander mit einem Kuss besiegelten, fuhr die Kamera ehrfürchtig davon, um dem Publikum einen umfassenderen Blick auf die glücklich vereinten Helden und ihre nun in Sicherheit gewogene Heimat zu gewähren.

Es war der Moment, an dem sich die größte Anspannung des ganzen Abends verspürte. Parallel zu meinem Filmgenuss stellte sich unbändige Nervosität ein, ich sträubte mich gegen das, was zu erwarten stand. Denn das, was sich gerade abspielte, war ein waschechter Disney-Abenteuerfilm-Moment. Disney hatte ja bereits seine Vergangenheit mit Realfilmen aus dem Abenteuergenre, und diese Szene quillte vor originalgetreuer Disneystimmung nur so über. Der kurze Dialogwechsel, die Kostüme, die altmodische Stadtmauer Port Royals, der Kameraschwenk nach hinten ... fehlte nur noch die klassische, wahrscheinlich in Gelbtönen gehaltene Einblendung "The End. A Walt Disney Production". Dann käme der Abspann und Fluch der Karibik wäre in bester Disney-Manier geendet. Und ich hatte eine Heidenpanik, dass genau dies eintreten könnte.

Ich liebte diesen kurz aufblühenden Moment konventionellen Disney-Abenteuergefühls. Fluch der Karibik enthielt mehrere Momente, die sich bequem ins Schaffen des Studios einfügten und da ich bereits für Disneys früheren Genrevertreter eine Schwäche hatte, sog ich sie genüsslich auf. Ein so stereotypes Ende, wie das, was ich mir gerade ausmalte, hatte sich Fluch der Karibik jedoch nicht verdient. Dem Film stand etwas besseres, eigensinnigeres zu, denn er hat in den vergangenen rund zwei Stunden so viel dafür getan, ein außergewöhnlicher, leicht verschrobener Disney-Abenteuerfilm zu sein, dass es eine Schande wäre, wenn der Film auf einer normalen Note endet. Erschwerend kam hinzu: Bruckheimers zweite unter dem Disney-Namen veröffentlichte Kino-Produktion hat mein Saalpublikum so für sich eingenommen, ich fürchtete, dass alles verloren ginge, würden nun gelbe Letter auf altmodische Weise die Herkunft des Films hinausposaunen. Fluch der Karibik gefiel meinen Mitstaunenden so enorm, dass ich ihm zutraute, den Disney-Namen bei den Pubertierenden dieser Welt wieder bereinigen zu können ... wenn sie es irgendwann erfahren. Doch nicht in genau diesem Moment, auf dem hoch klingenden Abschluss des Films. Es würde sich nur eine ruckartige Abneigung des gerade Gezeigten einstellen.

Doch dann kam Captain Sparrow. Der goldige Disney-Moment klang ab, Jack wurde auf die Black Pearl geholt und mit verschmitztem Grinsen im Gesicht und verspielter Abenteuerfreude in der Stimme forderte er: "Trinkt aus, Piraten, Yo-Ho!" Schnitt. Schwarzbild. Abspann. Epochale, actionreiche Musik. Ein Hochgefühl stellt sich ein. Der Deal war besiegelt. Der Film hätte nicht besser enden können. Ganz im Geiste Disneys, und dennoch einzigartig. Die DVD traute sich dann, den Disneynamen etwas prominenter aufs Cover zu setzen. Und nie mehr hörte ich in Kinosälen bei Disney-Trailern ablehnende, schockierte Geräusche.

Nananananananananana, schlimme Schurken sind wir. Trinkt aus, Piraten, Yo-Ho!

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